Dienstag, 11. Mai 2021

Tag 4: Finnland, Lettland, die Schweiz und Dänemark


Finnland
- Was ist das überhaupt für eine Eigenheit, dass Rockbands, deren musikalisches Œuvre nach Linkin Park klingt, ständig breitbeinig auf der Bühne stehen? Wir sehen viel Haar, das man herausragend gut headbangen kann, wir sehen spiegelverkehrte Projektionen auf der LED-Wand, martialische Schwarz- und Rotfärbung und natürlich ganz viel Pyrotechnik, es wird viel gelaufen und gesprungen, ganz wie man es von einen Rocksong erwartet. Blind Channel erfüllen alle Punkte, die eine solide Rocknummer mit sich bringen muss, so liefen schon einige Titel dieses Genres beim Eurovision Song Contest ab. Im Halbfinale haben die Finnen noch den großen Vorteil, dass sie in dieser Sparte allein sind. Sollten sie sich, was ich nicht für unwahrscheinlich halte, für das Finale am Samstag qualifizieren, haben sie mit Italien jedoch noch einen starken Konkurrenten.


Lettland
- Schaut man sich Samanta Tīna von hinten an, ist die Verwechslungsgefahr zu Tamara Todevska groß. Grünes Kleid, blonde Haare, aber statt einer starken Feminismus-Ballade mit Kraft und Pathos gibt es aus Lettland Feminismus mit sperrigen Elektrobeats und einem Backgroundchor, der mit blickdichten Visieren wie angewurzelt neben ihr steht. "The moon is rising" fand ich im Video schon viel zu überladen, hinzu kommt, dass ich diesen Aminata-Style noch nie sonderlich gut fand. Im Hintergrund, der ölige Konturen zeigt, zeigt sich eine Mischung aus Gold und Schwarz. So führt die Choreographie in keine Richtung und ich weiß nicht, ob sich Samanta einen Gefallen getan hat. Mit Sicherheit kann sie dem Titel stimmlich gerecht werden und schreit um ihr Leben, endlich hat sie den Erfolg und die Aufmerksamkeit für die sie jahrelang alles gegeben hat, sowohl im lettischen als auch im litauischen Vorentscheid, kostümtechnisch und musikalisch wirkt das aber wie Vilija Matačiūnaitė, die gewann am Ende nur den Barbara Dex-Award.


Schweiz
- Der große Favorit adelte die Bühne in Rotterdam mit seiner ersten Performance zu "Tout l'univers". Gjon's Tears steht auf einem Konstrukt aus steinernen Einzelbauteilen, wie man in Dessau zum Weltkulturerbe gehören, mit dem Vorteil, dass sie verstellbar sind und im Laufe der Darbietung auseinander geschoben werden. Der Interpret hat sich in Zusammenarbeit mit Sacha Jean-Baptiste eine ausgefeilte Choreographie überlegt, die Gestik scheint eine große Rolle zu spielen und wirkt wie eine ganz moderne Inszenierung vom Berliner Ensemble. Sowohl er als auch das Bühnenbild sind dunkel arrangiert, stimmlich ist er natürlich die größte Hausnummer in diesem Halbfinale und dürfte seinem Favoritenstatus mit diesem Auftritt gerecht werden und obwohl ich andere Favoriten habe, dürfte die Schweiz ganz weit oben mitspielen und das zu Recht. Die Tiefe in der Choreo muss man zwar auf sich wirken lassen, aber ich denke, dass die Schweiz als klarer Sieger aus diesem Halbfinale hervorgehen wird.


Dänemark
- Zum Abschluss des zweiten Semifinals gibt es noch die große Hommage an die 80er Jahre. Das dänische Duo Fyr og Flamme spielt die Genialität dieser Ära komplett aus, die Kostüme sind analog zum Melodi Grand Prix: weite graue Lurex-Hose, Feinripp-Unterhemd, schreiender lila Blazer mit Schulterpolstern und ein astrotauglicher Anzug. Die Bewegungen im Instrumental-Teil sind genauso lax wie man es von einem 80er Jahre-Duo erwartet. Im Hintergrund lösen sich psychedelische Neonfarben und geometrische Figuren ab. Bei dieser Beschreibung könnte man meinen, es sei ein grotesk-furchtbarer Beitrag, aber ich liebe es. Es ist einfach alles toll! Zeitgemäß ist was anderes, aber die Dänen spielen die Eighties-Karte voll und ganz aus. Tommy Seebach wäre stolz auf die beiden Jungs! Und ich bin es auch, denn genau das ist für mich Eurovision Song Contest von seiner schrillen Seite. Ich wünsche Dänemark einen Punkteregen, fürchte aber, dass ich mit dieser Ansicht ziemlich alleine bin...