Freitag, 21. Mai 2021

Eurovision 2021: Zusammenfassung des 2. Halbfinals


Niederlande
- Neun von zehn Nationen habe ich gestern richtig getippt, das ist ein Ergebnis, das sich sehen lassen kann und das in den letzten Jahren oder auch Dienstag schon nicht erreicht wurde. Man streitet sich in der Bubble nun, ob das Publikum am Ende "Finland" oder "Denmark" skandiert hat, aber ich gehe davon aus, auch wenn sich Fyr og Flamme fragend umgeschaut haben, dass das Publikum sich auf Finnland festgelegt hat und ich kann damit leben, den Dänen trauere ich später in diesem Posting noch hinterher.

Beginnen wir vorne, nämlich bei San Marino. Senhit ist keine Whitney Houston, die jeden Ton ob kurz oder lang perfekt trifft, aber sie hat eine Stimmung erzeugt, für die man San Marino einfach lieben muss. Das Land war sehr bemüht, im Rampenlicht zu stehen, schon seit der Präsentation von "Adrenalina" und das man am Ende doch noch Flo Rida auf die Bühne gezaubert hat, spricht sehr für die Bemühungen des Landes, das natürlich verdient ins Finale am Samstag eingezogen ist. Flo Rida, schmuckbehangen, wirkte nicht verloren und hat wohl verstanden, was die Eurovision ist. Und um die Americavision in Zukunft zu bewerben, ist es wohl nur angebracht, dass der Opener im Semifinale nun das Finale beschließt, San Marino tritt mit der #26 auf.

Danach war der Sexiest Man of Estonia an der Reihe, der für meinen Geschmack erstaunlich gut abgeliefert hat. "The lucky one" bleibt ein verruchtes und gleichzeitig langweiliges Lied, das natürlich untergegangen ist. Uku hat im Rahmen seiner Möglichkeiten gehandelt, ebenso Benny Cristo aus Tschechien, dessen Stimme jedoch ein bisschen dünn und "Omaga" zu gehaucht war. Außerdem tat sich bei mir die Frage auf, warum er ständig seine Hosenbeine hochgezogen hat. In der Summe war es zu wenig, um die Zuschauer und Juroren zu begeistern, die Tschechen sind erstmals seit 2017 nicht im Finale dabei.

Dafür hat Griechenland abgeliefert. Die Show vor Greenscreen mit den körperlosen Tänzern war ein Novum in der Eurovisionsgeschichte und sie hat funktioniert. Fast jedenfalls, denn ein Tänzer hat es wohl nicht rechtzeitig geschafft, sich einen Handschuh anzuziehen, sodass bei der Choreographie nicht nur weiße Anzüge sondern auch eine Hand mittanzten. Stefania hat überraschend gut gesungen und die Show als Ganzes wirkte sehr rund, sodass Griechenland, über dessen Weiterkommen Peter Urban wohl doch erstaunt war, zu Recht im Finale steht. Und danach begann der zähe Mittelteil...

Vincent Bueno war sehr ergriffen, als er die Schlussnoten zu "Amen" sang, er stand allein auf der Bühne und hat wirklich fantastisch gesungen. Kamera, Licht, es war alles toll auf ihn zugeschnitten, wirkte aber nicht so pathetisch und aufdringlich wie Dienstag bei Nordmazedonien. Österreich braucht sich für seinen Act nicht genieren, zum Weiterkommen war es aber dann doch ein µ zu wenig. Das führt nahtlos zu Polen, das ebenfalls ausgeschieden ist. Rafał fing relativ solide an, die ständigen Zwischenrufe wie "Come on!" und "Europe!" wirkten aber deplatziert und haben nichts für das Lied getan. Am Ende uferte es stimmlich aus, um den polnischen Song ist es nicht schade. Allerdings stellt sich mir jetzt schon die Frage, wie das polnische Fernsehen auf das Ausscheiden reagiert. 

Ich könnte mir durchaus vorstellen, dass da im Nachgang in Warschau diskutiert wird, ob man 2022 aussetzen soll. Während man beim Junior Eurovision Song Contest eine Größe ist, wirkte "The ride" kraftlos und rückwärtsgewandt. Weniger kraftlos aber für die Ohren durchaus anstrengend war "Sugar", die moldawische Präsentation von Natalia Gordienko. Insbesondere die lange Schlussnote erinnerte doch an die Sirenen, die hier einmal monatlich zu Testzwecken losheulen. Man wollte lasziv wirken, Natalia hauchte zeitweise mehr als das sie sang, zeitweise hatte ich sie für Samstagabend abgeschrieben. Und obwohl ich ein Fan des Liedes bin, ist die Darbietung sehr schwach und wird sich wohl am Samstag im hinteren Mittelfeld einsortieren.

Weitergekommen sind auch die nächsten beiden Acts, aus Island und Serbien. Daði og Gagnamagnið wurden aufgrund eines Corona-Falls in den eigenen Reihen vom Band eingespielt, die Show wirkt stimmig, fröhlich und das Gesicht der einen Keyboarderin zum Schluss sensationell bescheuert. "10 years" ist nun keiner meiner Favoriten, aber die Performance war schon großartig. Ebenso wie die der Serbinnen, die trotz rutschigem Bühnenboden und wallender Haarpracht, die die Sicht verdecken könnte, eine tolle Choreographie abgeliefert und waren dabei nicht einmal außer Atem. Serbien steht als einziges ehemaliges Land Jugoslawiens zu Recht im Finale.

Schluss war hingegen für Tornike aus Georgien und das eigentlich schon, bevor er überhaupt aufgetreten ist. Er wirkte sowohl auf der Bühne als auch im Green Room abwesend. Da passierte rein gar nichts, dabei kann er doch so gut singen... Immerhin hat er sich während des Schnelldurchlaufs mit seinem Team eine Flasche Wein reingezogen und taute zumindest beim Fähnchenschwenken ein bisschen auf. Angesichts der sonst so spannenden und experimentellen Titel, die uns Georgien Jahr für Jahr liefert, war das hier einfach drei Minuten Langeweile. Ich wünsche Georgien für 2022 wieder mehr Pfeffer und Experimentierfreudigkeit, dieses Kapitel ist heuer jedoch beendet.

Weiter geht die Reise dafür für Anxhela Peristeri aus Albanien. "Karma" lebt vom Drama und der darauf abgestimmten Kulisse, der Sound des Liedes in diesem Semi ist einzigartig und so verwundert es mich nicht, dass eine schreiende Frau aus Albanien ins Finale eingezogen ist. Für mehr wird es nun aber nicht reichen, trotz der stolzen Leistung wird Albanien sich irgendwo im Mittelfeld einreihen, aber das muss man auch erstmal schaffen. Womit wir zur vermeintlich größten Überraschung des Abends kommen, nämlich dem portugiesischen Auftritt von The Black Mamba.

In Schwarz-Weiß-Optik ging es los, die Stimme des Leadsängers schallte in ihrer Einzigartigkeit durch das Ahoy und hat selbst Peter Urban zu einer Lobeshymne angestiftet. Portugal hat mir persönlich zwar die 10/10 vermasselt, aber ich bin auch positiv überrascht, dass das Land es mit einer eigentlich recht simplen Nummer geschafft hat, so überzeugend rüberzukommen. Zudem hatte ich ja bei den Proben schon angemerkt, dass die Portugiesen das schönste Backdrop mit der Kulisse von Amsterdam haben und es farblich und stimmlich einfach ein großes Ganzes formt. Daher kann ich den Portugiesen nur gratulieren, dass sie in Rotterdam so aus der Reihe fallen.

Wenig überraschend kam hingegen Bulgarien weiter. Victoria, die im letzten Jahr eine der großen Favoritinnen war, kam mit "Growing up is getting old" sehr reduziert zum Einsatz. Sie saß auf ihrem Felsen, der Sand rieselte leise vor sich hin und aufgrund vieler Close Ups war man ganz nah bei ihr und konnte die Intention ihres Auftritts und ihres Liedes mitfühlen. Man kann dem Sender BNT nur gratulieren, dass sie es scheinbar verstanden haben, für die Eurovision passende Beiträge zu entsenden, ich hoffe das geht in den nächsten Jahren so weiter. Der musikalische Bruch zum nächsten Starter aus Finnland hätte dafür nicht größer sein können.

Blind Channel boten alles, was man von Finnland einfordert, eine lärmende Rockband, die eine Sparte bedienen, die in diesem Halbfinale ihresgleichen sucht und die vereinte Anhängerschaft des Rocks für sich mobilisieren konnte. Im Finale müssen sie sich nun an Italien messen und ich fürchte, das sie dort den Kürzeren ziehen werden. Man muss der EBU übrigens lassen, dass sie Humor haben. Bei der Festlegung der Startreihenfolge im Finale tritt unmittelbar vor der finnischen Band Jendrik für Deutschland mit seinem Mittelfinger an. Dieser rote Faden geht dann mit Finnland im Anschluss weiter, großartig.

Mit Startnummer 15 folgte der Fail des Abends. Samanta Tīna wollte so sehr zur Eurovision, hat es dann nach diversen Anläufen endlich geschafft und dann kommt DAS dabei heraus. Da stimmte für mein Empfinden gar nichts, es war drei Minuten lang ein unsägliches Gekreische mit seltsamen Bewegungen, einem anonymen Backgroundchor, der nur "Ba ba bap" mimen musste und einer egozentrischen Performance, dass es wirklich nicht schön anzusehen und -hören war. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Lettland hier bei den Zuschauern oder Juroren überhaupt Anklang gefunden hat. Sollte sie im Halbfinale nicht Letzte geworden sein, wäre ich doch überrascht. Vielleicht überdenken die Letten in Zukunft ihre Songauswahl und bedienen sich mal bei jemand anderen als immer nur bei Aminata und Elektro-Sounds.

Danach folgte eine ebenso ausladende aber immerhin gut gesungene melodramatische Nummer aus der Schweiz. Gjon's Tears kann hervorragend singen, das muss man ihm lassen. Die Gestiken auf einer Installation, die aussah wie das Grab von Albus Dumbledore, warfen jedoch auch Fragen auf. Sacha Jean-Baptiste wird sich da schon etwas bei gedacht haben, für mich zerstört die Choreographie aber eine ansonsten wunderschöne französische Ballade. "Tout l'univers" wird weit oben mitspielen, dies liegt dann aber am Charisma und der Stimme des Sängers, ein Sieg für die Schweiz halte ich jedoch für ausgeschlossen, sorry liebe Schweizer.

Tja und dann folgte mein persönliches Highlight des Abends, Dänemark. Ja, ich gebe zu, "Øve os på hinanden" wirkt wie eine Parodie, auch wenn die beiden Akteure Jesper Groth und Laurits Emanuel das durchaus ernst meinten. Es war eine Hommage an die dänischen Beiträge vergangener Dekaden und man fühlte den Spirit dieser nostalgischen Reise, aber ich fürchte, dafür muss man schon sehr auf die alten Eurovisionsbeiträge stehen. Ich tue das, aber das Gros in Europa offensichtlich nicht, sodass die Reise für Dänemark gestern Abend kurz vor 23 Uhr endete. Ich hoffe lediglich, dass die Dänen es nüchtern betrachten und nicht auf die dänische Sprache schieben.

Unabhängig davon, dass es mich und laut Kommentaren bei Facebook und Youtube auch viele andere bekümmert, bleibt Fyr og Flamme meine Entdeckung des Jahres und ich freue mich in Zukunft auf viele Retro-Lieder der Band. Meist gefällt mir der Eurovisionsbeitrag eines Interpreten oder einer Gruppe, selten aber das musikalische Portfolio darüber hinaus. Das gab es in diesem Maße zuletzt bei Kristina aus der Slowakei und das ist elf Jahre her... mit Finnland als letztem Qualifikanten des Abends stehen nunmehr 26 Beiträge zur Auswahl, die am Samstag nun um das Glasmikrofon antreten. Von Zypern bis San Marino bekommen wir eine erlesene Mischung guter Beiträge und ich bin gespannt auf die letzte große Show dieser Eurovision in Rotterdam.

Das Moderatorenquartett: Edsilia, Chantal, Jan und Nikkie

Mit US-Hilfe im Finale: San Marino | War nicht der "Lucky one", Uku Suviste

Benny Cristo ist raus | Hat noch einen letzten Tanz im Finale: Stefania

Trotz guter Gesangsleistung ausgeschieden: Vincent Bueno

Party-Hochburg "Warszawa 2022" wird es schon mal nicht...

Osteuropäische Frauenpower im Finale: Natalia und Hurricane

Der beste Gesichtsausdruck des Abends, die Dame aus Island rechts

"Zieh' dir was Ordentliches an", haben sie gesagt, Tornike aus Georgien

Die Überraschung des Semifinals: The Black Mamba

Im Finale dabei, Victoria aus Bulgarien und Anxhela aus Albanien

Guter Krach: Blind Channel | Schlechter Krach: Samanta aus Lettland

Extrovertiertes Gehampel trifft auf schöne Ballade: Gjon's Tears

Meine Helden des Halbfinals: Fyr og Flamme aus Dänemark

Auch die verbliebenen Big Five durften sich empfehlen: Spanien und Frankreich

...und James Newman | Freude über das Weiterkommen bei Griechenland

Auch Bulgarien ist Samstag dabei | Dritter Finaleinzug für San Marino

Freuten sich auf dem Sofa, die Isländer | Victoria hat's auch geschafft

Kirkorow durfte auch jubeln | Die Auslosung backstage vor der Pressekonferenz