Europa - Es gibt auf dem europäischen Kontinent einige Nationen, von denen man wenig bis gar nichts hört. Ich hatte eine Kundin im Reisebüro, die mir bei Buchung einer AIDA-Reise quer durch die Ostsee erklärte, sie kenne Estland nur vom Eurovision Song Contest. Dabei ist Estland seit über 20 Jahren ein unabhängiges Land mit interessanter Kultur, Geschichte, einer quirligen Hauptstadt und seit nunmehr 10 Jahren auch ein Mitglied der EU.
Aber nicht nur jenseits der ehemaligen Ostblocklinie gibt es Länder, die in den Medien keine Rolle spielen, auch in West- und Südeuropa gibt es Staaten, die vor allem aufgrund ihrer geringen Staatsfläche und niedrigen Einwohnerzahlen der weltweiten Aufmerksamkeit entgehen. Gerade solche Staaten versuchen sich durch internationale Veranstaltungen in Erinnerung zu rufen, seien es Olympische Spiele, Fußball-Qualifikationen oder der Eurovision Song Contest.
Die kleinsten der Kleinen haben wir in diesem Posting auf ihre Song Contest-Geschichte untersucht. Einige dieser Nationen nehmen seit Jahrzehnten am Wettbewerb teil, mehr oder weniger erfolgreich, andere haben sich aus Kostengründen zurückgezogen, andere können oder wollen gar nicht mitmachen. Beginnen wir mit einem Gründungsmitglied des Eurovision Song Contests, dem Großherzogtum Luxemburg.
Das Land, das vor allem für seine Europapolitik bekannt ist, war seit 1956 beim Eurovision Song Contest dabei und konnte bis 1993 fünf Siege einfahren. Häufig hat man sich, mangels eigener Künstler, in Frankreich bedient. Zu ihrer Zeit bekannte Song Contest-Teilnehmer, die für Luxemburg an den Start gingen, waren Radio- und Fernsehmoderator Camillo Felgen, Nana Mouskouri, Vicky Leandros, France Gall, Baccara oder Ireen Sheer. 1988 erreichte Lara Fabian den vierten Platz mit dem Titel "Croire".
Seit 1989 ließen die guten Platzierungen nach, 1992 probierten Marion Welter & Kontinent mit "Sou fräi", dem einzigen Titel auf Lëtzebuergisch und erreichten nur den 21. von 23 Teilnehmern. Seit 1994 fehlt Luxemburg, immer wieder gab es Comeback-Gerüchte, diese wurden jedoch nie bestätigt, obwohl RTL noch heute Mitglied der EBU ist. Die Musikszene Luxemburgs orientiert sich an den Nachbarländern, viele französische oder deutsche Künstler beherrschen die Charts, die lokale Musikszene wird kaum gefördert, der Eurovision Song Contest ist seit einer Generation aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwunden.
Ähnlich ist die Situation im Fürstentum Monaco, einem 2km² großen Felsen am Mittelmeer, der sich einen Namen für seinen Formel-Eins-Stadtkurs und als Finanzoase gemacht hat. Familie Grimaldi unter Albert II. persönlich setzten sich für die Rückkehr des Landes zum Wettbewerb 2004 ein. Der Sender TMC schickte drei Kandidaten ins Rennen, darunter die monegassische Sängerin Märyon und die französischen Sängerinnen Lise Darly und Séverine Ferrer. Alle drei Beiträge charakterisierten Monaco auf eine andere Art und Weise.
Während Lise Darly den Glanz ehemaliger Balladen und Chansons der 70er Jahre aufleben ließ, setzte Märyon in Landesfarben ein glanzloses Zeichen für die Umwelt, Séverine verkörperte Tahiti auf der Bühne. Alle drei flogen im Halbfinale raus, dem Sender wurden anschließend keine staatlichen Mittel für die weitere Teilnahme zugestanden, sodass Delegationsleiter Phil Bosco keine andere Wahl blieb als das Land vom Song Contest 2007 abzumelden.
Monaco hat gerade einmal 36.000 Einwohner, von denen 79% keine monegassische Staatsbürgerschaft besitzen. Die meisten Interpreten, die für Monaco am Start waren, stammten aus Frankreich, eine "nationale" Musikszene existiert so gut wie nicht. Der Sender erklärt jedes Jahr, dass man kein Budget für die Teilnahme hat, zudem mangelt es dem Fürstentum an einer Halle im Falle eines Sieges, wie im Jahr 1971. In diesem Jahr erklärte der 18jährige Josh Stanley, er stehe in Verhandlungen mit TMC für den Song Contest 2015. Mittlerweile wurde diese Meldung wieder dementiert, Monaco wird nicht teilnehmen.
Stets bemüht ist hingegen das montenegrinische Fernsehen RTCG, wenn es um die Teilnahme am Eurovision Song Contest geht. Erst kürzlich erklärte Pressesprecher Sabrija Vulić, das man aller Voraussicht nach einen Interpreten nach Österreich schicken wird. Seit 2006 ist Montenegro ein unabhängiger Staat, der Song Contest ist dort, vor allem beim nationalen Rundfunk sehr beliebt und wird auch als Plattform angesehen, das Land international zu präsentieren. Der einzige Grund einer Nicht-Teilnahme wären, so der Sender, finanzielle Gründe, wie etwa 2010 und 2011.
Montenegro hat, anders als die Zwergstaaten Europas, eine große Musikszene, das Land veranstaltet in Herceg Novi zudem das Festival Sunčane Skale. Viele Künstler singen in ihrer Landessprache und sind in den übrigen Balkanstaaten bekannt. Dado Polumenta, Knez oder die frühere Band No Name sind auch in Kroatien, Bosnien oder Serbien bekannt. Mit "Zauvijek moja" vertrat zuletzt genannte Band das damalige Serbien-Montenegro und erreichte den siebten Platz. Im Jahr drauf zerrüttete eine manipulierte Punktevergabe beim Vorentscheid die erneuten Teilnahmepläne.
Seit 2007 geht Montenegro unabhängig von Serbien seinen Weg beim Song Contest, in diesem Jahr war er erstmals vom Finaleinzug gekrönt. Ebenso erreichte San Marino in Kopenhagen erstmals das Finale eines Eurovision Song Contests. Der Sender SMRTV gehört zu den jüngsten Teilnehmern der Eurovisionsfamilie und das, obwohl das Land die älteste bestehende Republik der Welt darstellt. 1995 wurde der Sender Mitglied der EBU, 2008 wagte man sich mit der lokal erfolgreichen Gruppe Miodio auf's internationale Parkett, das Resultat: letzter Platz.
Nachdem man finanzielle Hürden meisterte, war man 2011 in Düsseldorf wieder mit dabei, man bediente sich in Italien und schied, wie auch in den beiden Folgejahren mit dem Duo Ralph Siegel und Valentina Monetta im Halbfinale aus. Immerhin fördert das sanmarinesische Fernsehen nationale Künstler. Im Falle San Marinos von einer großen Musikvielfalt zu sprechen ist zwar übertrieben, aber wenn man will, findet man auch dort den einen oder anderen Interpreten. Bei einer Bevölkerung von 32.500 Einwohnern ist es erstaunlich, dass das kleine Land und sein Fernsehen den Song Contest so ehrgeizig in Angriff nehmen und die Augen schon auf 2015 gerichtet sind.
Ebenfalls sehr ehrgeizig verfolgte einst das andorranische Fernsehen RTVA das Projekt Eurovision. Sogar nationale Vorentscheide wurden organisiert, 2004 gab es im Auditori Nacional d'Andorra in Ordino mehrere Duelle zwischen Bis a Bis und Marta Roure, die nach dem Willen der Juroren, sowie dem SMS-Voting von Andorra und der Region Katalonien zum Song Contest fahren durfte. 2005 gab es für Marian van de Val die Wahl aus drei Titeln und 2009 wurde ebenfalls ein Vorentscheid veranstaltet.
Alle Interpreten schieden im Halbfinale aus, Andorra ist heute neben Tschechien das einzige Land, das noch keine Endrundenteilnahme verzeichnen kann. Und dennoch hat das Land sich nicht einmal in Spanien oder Frankreich Interpreten ausgeliehen, sondern immer auch lokale Künstler zurückgegriffen. Marian van de Val stammt zwar aus den Niederlanden, betreibt aber seit unzähligen Jahren ein Skihotel in Andorra und auch Susanna Georgi, Teil des dänischen Duos Me & My lebt lange Jahre in Andorra. Es bestand zumindest immer ein Bezug zum Land, über die musikalische Qualität ließ sich in einigen Jahren streiten.
Seit 2009 fehlt dem Sender RTVA jedoch der staatliche Rückhalt, sodass man mit einem großen Loch in der Kasse leben und produzieren muss. Der Eurovision Song Contest, den Andorra immer als große Chance zur Repräsentation des Landes gesehen hat, fiel den Sparmaßnahmen zum Opfer. Heute ist man, trotz engagierter und hungriger andorranischer Musiker, eines der ersten Länder, das regelmäßig seine Teilnahme absagt.
Den größten Aufwand, den Song Contest endlich ins eigene Land zu holen betreiben die Malteser, die derart eurovisionsverrückt sind, das man immer wieder mehrere Hunderte Einsendungen für den nationalen Vorentscheid registriert. Malta konnte den Wettbewerb nie gewinnen, jedoch schon zwei zweite Plätze erreichen. Mehrere Interpreten, darunter Chiara, Olivia Lewis oder die Geschwister Faniello, versuchten es mehrmals für die Mittelmeerinseln anzutreten. Die Einschaltquote beim Finale liegt nicht selten bei 90%.
Trotz der Niederlagen im Halbfinale rücken Jahr für Jahr neue maltesische Musiker nach, die zum Teil als Busfahrer, Zahnarzt oder Bürokaufmann arbeiten und Musik nur in der Freizeit betreiben, nach erfolgreichem Bestehen beim Vorentscheid jedoch das ganze Land hinter sich haben. Unabhängig von "unsauberen Methoden", mit denen maltesische Juroren in jüngster Vergangenheit konfrontiert waren, hat das Land ein großes musikalisches Potenzial und vor allem auch Lust auf den Eurovision Song Contest.
Auf Zypern hat man nach einem Jahr Zwangspause auch wieder Mut gefasst und seine Teilnahme für 2015 zugesagt. Das Land, das seit den 80er Jahren teilnimmt und in den Konflikt zwischen griechischem und türkischem Teil verwickelt war und ist, gehört zu den Nationen mit einer mittelprächtigen Eurovisionsbilanz. Es gibt eine Vielzahl zypriotischer Künstler, die erfolgreich ihre Musik vermarkten und u.a. auch in Griechenland Erfolg haben. Ein Beispiel ist Michalis Hatzigiannis, der 1998 für Zypern an den Start ging und mit "Cheria psila" sogar in Deutschland einen kleinen Sommerhit hatte.
Topstars wie Anna Vissi in den 80ern oder aktuell Ivi Adamou und Despina Olympiou vertraten das Land. Seit Einführung der Halbfinals schied man sechs Mal in der Vorrunde aus, dreimal schaffte man es aus eigener Kraft ins Finale, 2005 war man automatisch qualifiziert. Für das kommende Jahr hat der Sender CyBC einen groß angelegten Vorentscheid angekündigt, der mit Nachwuchstalenten und etablierten Künstlern bestückt sein soll. Bei Zypern beim Eurovision Song Contest spricht man jedoch lediglich vom griechischen Südteil der Insel, bisher wurde kein Interpret aus dem Norden Zyperns entsendet, obwohl man auch hier musikalisch einiges zu bieten hat.
Und dann gibt es noch die Länder, die bisher nicht am Eurovision Song Contest teilgenommen haben. Neben den arabischen EBU-Mitgliedsländern Algerien, Libyen, Tunesien, Ägypten, Jordanien und dem Libanon gibt es noch die Vatikanstadt, die schon aufgrund ihrer religiösen Ausrichtung kein Interesse am Wettbewerb hat. Radio Vaticana ist seit 1931 als Hörfunk auf Sendung und seit 1950 Mitglied der EBU. Das Programm des Senders beschränkt sich auf die Berichterstattung zu religiösen Themen und dem Geschehen im Vatikan. Das Land, das mehr Tagestouristen als permanente Einwohner hat, verfügt über religiösen Chorgesang, jedoch nicht über die Grundlagen für eine Song Contest-Teilnahme.
Abschließend wäre da noch Liechtenstein, das über einige lokal bekannte Gruppen und Interpreten verfügt, darunter die 2012 aufgelöste Gothicband Elis, das Duo Back To Earth oder den Musiker Al Walser. Es fehlt also nicht an Interpreten, sondern an einem Fernsehsender der Mitglied der EBU ist. 1FL TV, ein 2008 gegründeter Sender ohne staatliche Medienförderung, versucht seither erfolglos die Vollmitgliedschaft zu erwerben, scheitert jedoch aus verschiedenen Gründen, offenbar hat man inzwischen auch keine Lust mehr, obwohl man bei 1FL TV einst Pläne eines Vorentscheids á la DSDS veranschlagte.
Dabei gab es schon ganz früh Gerüchte um eine Teilnahme Liechtensteins beim Song Contest. 1969 veröffentlichte die Sängerin Vetty den Titel "Un beau martin", der auf dem Cover als offizieller Titel Liechtensteins für den Song Contest propagiert wurde, später stellte sich alles als PR-Aktion heraus. 1976 hingegen nominierte man Biggi Bachmann, eine Schweizer Interpretin mit Musikerfahrung und dem Titel "Little cowboy" für Liechtenstein. Wer diese Nominierung ausführte ist unklar, da man auch zum damaligen Zeitpunkt keine Rundfunkanstalt innerhalb der EBU besaß.
Biggi Bachmann hatte mit "Musik, Musik" und "Herzbrecher" lokale Hits, trat auch beim Schweizer Vorentscheid an. Das Lied, das für den Song Contest in Den Haag angedacht war, ist verschollen, Internetrecherchen zu Biggi Bachmann verlaufen sich im Sand. Liechtenstein wird in absehbarer Zeit trotz kleiner, aber feiner Musikszene keinen Teilnehmer zum Eurovision Song Contest schicken können. So klein einige Nationen in Europa aus sein mögen, so unterschiedlich sind ihre Beweggründe am Eurovision Song Contest teilzunehmen bzw. ihm fernzubleiben. Auch wenn sie nur eine geringe Größe aufweisen, sollte man sie musikalisch nicht völlig ignorieren.