Samstag, 11. Mai 2019

Let’s sort it out! - Unser Quali-Tipp (1)


Wer kommt weiter, wer muss die Koffer packen? Matthias wagt eine Prognose, fürs erste Halbfinale

Wie in jedem Jahr kann man sich wenige Tage vor dem Eurovision Song Contest – rückblickend betrachtet – entweder zum Vollhorst machen, oder zum Crack. Denn mit seinem Tipp, wer es wohl aus den beiden Halbfinals ins „Grand Final“ schafft, kann man nur meilenweit daneben liegen oder ins Schwarze treffen. 

Mache ich mich also gleich zum Deppen oder nicht? Tja, wir werden es am späten Dienstag Abend wissen. Auf Basis der Probenvideos und -fotos (vor allem der zweiten Probendurchgänge) gebe ich fürs erste Semifinale diesen Tipp ab: 

Sechs Acts, die rausfliegen
Am klarsten dürfte das Aus für D mol aus  Montenegro sein. Ein eher antiquiertes Lied, dazu eine Performance auf der Bühne, die höchstens das Niveau für eine Schulaula hat und weit entfernt ist vom Qualitätsanspruch des ESC – das wird nix. Eigentlich schade, denn die sechs wirken an sich ganz sympathisch. 

Ebenfalls ohne Finalchancen sehe ich Oto Nemsadze. Gewiss, der Beitrag aus  Georgien hat Feuer, und Oto singt das inbrünstig und kraftvoll. Aber ich fürchte, der Auftritt ist dem Großteil der Zuschauer zu düster, zu eigenartig und etwas zu aggressiv. Vielleicht reicht es für ein paar Jurypunkte.

Der  finnische Beitrag hat mehrere Schwachstellen. Zum einen ist Sebastian Rejman live leider kein richtig guter Sänger. Dann ist der Refrain mit diesem „Look Away“ extrem repetitiv, die Optik mit der Tänzerin auf dem Podest wirkt vor dem eher bedrohlich wirkenden Backdrop auch nicht einladend. Das passt nicht zusammen. 

Aus ähnlichen Gründen wie bei Georgien sehe ich auch  Portugal nicht im Finale. Das wird der normale Zuschauer einfach als merkwürdig abtun, aber im eher negativen Sinne. Hinzu kommt, dass man sich auch mit der Kleiderwahl keinen Gefallen getan hat. Mit den weißen Mänteln aus dem Vorentscheid wären die Chancen meines Erachtens etwas höher gewesen. 

 San Marino hätte ich eventuell als möglichen Wackelkandidaten (Platz 10 oder 11) gesehen. Aber das Probenvideo legt gesangliche Schwächen ziemlich offen. Serhat müsste sich wirklich steigern, wenn das was werden soll. Die Startnummer könnte helfen. Dennoch könnte sich der Eindruck, dass das ganze ziemlich billig ist, vielen Zuschauern aufdrängen.

Bei den Wettbüros sehen die Chancen für  ZENA gar nicht gut aus, aber ich halte „Like It“ für etwas unterschätzt. Klar, für hohe Platzierungen reicht das nicht. Aber das Lied ist an sich nicht schlecht, ZENA singt es auch auf der Bühne gut. Nur optisch wirkt das nicht so ansprechend: Was hat sie – und vor allem auf ihre Mitsängerinnen – da nur aus dem Kleiderschrank gezogen?

Zwei Acts, die bangen müssen
Die Buchmacher sehen „Storm“ gerade knapp im Finale, und ich könnte mir auch vorstellen, dass das für  Estland möglicherweise klappt (dann würde Eliot den Kürzeren ziehen). Victor Crone kämpft zwar mit den hohen Tönen, aber alles in allem sieht das schon akzeptabel aus. Ähnlich düsteres Backdrop wie Finnland, aber durch die Bewegungen wirkt das besser, finde ich.

 Belgien könnte erneut das Finale verpassen. Die Gründe wären im Grunde die gleichen wie 2018: ein etwas farbloses Lied, ein etwas farbloser Interpret, eine etwas unpassende Inszenierung. Dabei ist „Wake Up“ okay – dem Lied fehlt halt der Instant Appeal, den man beim ESC braucht. Daran scheiterte schon „A Matter of Time“. Das belegte 2018 Platz 12 im Semi. Könnte sich wiederholen. 

Vier Acts, die es schaffen
Tulia aus  Polen sehe ich im Finale. Der „Weiße Gesang“ ist zwar nicht mein Fall, aber „Fire of Love“ bekommt vermutlich schon seine Punkte zusammen. Aus Weißrussland und Ungarn sowieso, doch das verfängt sicherlich auch anderswo. Man schaut da auch gern drei Minuten hin – wenn auch nur um sich zu fragen, was die Damen da auf ihren Häuptern tragen. 

Vor Ort im Pressezentrum kommen  Zala Kralj & Gašper Šantl merkwürdigerweise gar nicht gut an. Da würde „Sebi“ im Halbfinale wohl kaum über Platz 14 hinauskommen. Ich bin da wesentlich optimistischer (die Buchmacher ebenso). Die einen halten es wohl für langweilig und die beiden für unnahbar. Ich finde es irgendwie anrührend und zerbrechlich. Blanche-Effekt?

 Lake Malawi hatte ich nach dem Clip von der ersten Probe erst mal als Wackelkandidat einsortiert: musikalisch nicht einwandfrei, eine Bühnenshow mit Risikopotenzial – das könnte am Ende womöglich scheitern. Die zweite Probe hat mich dann umgestimmt: An sich kommt das doch sympathisch rüber, Frontmann Albert Černý hat Charisma, und der Song ist eingängig. Das dürfte funktionieren. 

Wo die einen bei Slowenien skeptischer sind, bin ich es bei  Island. Im Finale sehe ich Hatari schon, aber das „100%ig weiter“-Etikett vermag ich den Isländern nicht ganz zu geben. Vielleicht sind meine Bedenken, dass das vor allem in (süd)osteuropäischen Semi-Ländern wie Georgien, Weißrussland und Serbien auf Ablehnung stößt, auch zu groß? Eines ist klar: Die Bühnenshow trifft die Erwartungen vieler, vor allem von Nicht-ESC-Fans, was beim Contest optisch zu bieten sei. 

Fünf Acts, die sich gar keine Sorgen machen müssen 
Im aus meiner Sicht stärkeren zweiten Semifinale hätte Nevena Božović möglicherweise leichte Probleme – hier sollte sie aber das Weiterkommen gut schaffen. Montenegro gibt  Serbien eh seine Höchstpunktzahl, und die elegante Erscheinung von Nevena, eine gute Stimme und ein spannendes Bühnenbild dürften auch Zuschauer und Juries anderswo für „Kruna“ einnehmen.

Joci Pápai kann erneut überzeugen. Hat er 2017 schon, und „Az én apám“ steht dem in nichts nach. Ein wunderschöner Backdrop mit Baum in warmem Orange, ein stimmlich hervorragender Sänger und ein Song, den ich zugänglicher finde als „Origo“, sollten  Ungarn ohne Mühe den Weg ins Finale ebnen. Ich sehe momentan keine Gründe, warum Joci scheitern sollte.

Mein Fall ist weder Katerines Rüschenkleid noch die florale Optik, aber wem’s gefällt. Die hohen Töne trifft sie überraschend gut. Ich halte „Better Love“ für ein wenig überschätzt, aber die Punkte werden ziemlich locker kommen, da muss sich die griechische Delegation keine Sorgen machen. Die Buchmacher sehen  Griechenland am allersichersten im Finale. Da hätte ich einen anderen Tipp.

Wird  Zypern momentan nur oder vor allem wegen des Erfolgs im Vorjahr so weit oben gesehen? Ich weiß es nicht. In Sachen Sexyness und Stimme kommt Tamta nicht an Eleni ran, finde ich, aber „Replay“ macht gute Laune – und mit dem kleinen Loop-Gimmick beim Auftritt (man nimmt Replay tatsächlich wörtlich!) hat die Delegation einen Hingucker geschaffen. Finale? Na klar!

Ich gestehe: Auch ich habe gelästert. Habe mich lustig gemacht über die Swing-Poles der  Aussies. Auf manchen Fotos der ersten Probe sah das auch albern aus. Kate Miller-Heidke in luftiger Höhe. Tatsächlich wird das von den Kameras aber grandios eingefangen, vor einem Weltall-Szenario (das in diesem Jahr fast schon inflationär oft eingesetzt wird) bewegen sich Sängerin und „Tänzerinnen“, und Kate trifft eh jeden Ton. Siegerin des Semi? Zweifellos denkbar. Selbst mit der Frozen-Krone.

Morgen folgt meine Prognose fürs zweite Halbfinale.