Samstag, 23. Februar 2019

Unser Lied für Israel: Ein Sieg mit Gschmäckle



Deutschland Matthias war für uns vor Ort in Berlin beim deutschen Vorentscheid. Hier sein Bericht von der Show und der anschließenden Pressekonferenz sowie seine Analyse zum Sieg von S!sters

Am Ende ist Ernüchterung – zumindest unten vor der Bühne im TV-Studio in Berlin-Adlershof. Oben, vor der blauen LED-Wand mit dem großem „Unser Lied für Israel“-Logo ist eine halbe Stunde nach der Show alles Friede, Freude, Eierkuchen. Bei Carlotta und Laurita alias S!sters sowieso, die jetzt für Deutschland nach Tel Aviv fahren dürfen: Sie hätten nicht mit dem Sieg gerechnet, „klar wünscht man sich den, aber wenn es dann passiert, realisiert man es nicht“. Voller Freude hampeln die beiden für die Fotografen auf der Bühne rum, heben mal das rechte, mal das linke Bein, recken die Deutschlandfahne nach oben. Noch ein Foto, bitte. Und jetzt mal hierher schauen.

Alles paletti auch bei ARD-Unterhaltungskoordinator Thomas Schreiber. Auf meine Frage, ob sich der Umzug der deutschen Vorentscheidung von Donnerstag- auf Freitagabend gelohnt habe, antwortet er zwar ausweichend, aber signalisiert zwischen den Zeilen, dass das schon die richtige Entscheidung war. Über das Ergebnis äußert sich Schreiber zufrieden: Das System mit den drei Jurys habe sich bewährt. 

Ansonsten sieht man im Studio aber weitgehend ernüchterte Gesichter. „Sister“, der deutsche Beitrag für den ESC 2019? „Damit landen wir doch wieder weit hinten“, prognostiziert schon mal ein langjähriger Beobachter des internationalen Wettbewerbs. Und auch anschließend liest man in Facebook-Foren und bei Twitter sehr viel eher Kritisches.

Dabei – so viel Lob muss sein – war der Auftritt der beiden, die gar keine Schwestern sind, der stimmigste des Abends. Die dunkle Bühne, das Drehpodest, die kurz auftauchenden Schwarz-Weiß-Porträtfotos auf dem Backdrop, das passte zusammen. Nur blieb vom Lied wenig hängen. Hinterher die Melodie summen, fiel mir zumindest schwer. 

Bei den Wettquoten Schlusslicht, am Ende Sieger
Bei den anderen sechs Acts war jedoch jedes Mal Luft nach oben, selbst wenn der Song passte. Gregor sang die hohen Töne angestrengt; bei Aly Ryan verließ man sich in dem eher statischen Auftritt zu sehr auf die Optik, und die war ab einem gewissen Punkt einfach zu bunt, zu unruhig, das grenzte irgendwann an Augenkrebs; Makeda sang ihre zeitlose Ballade toll und sie sah wunderschön in ihrem goldenen bodenlangen Kleid aus, aber irgendwie lebte sie ihr Lied nicht wirklich; BB Thomaz‘ Outfit sah billig aus und sie interagierte mit den auftauchenden grauweißen „Dämonen“ gar nicht – dabei sang sie an sich gut; Lilly among clouds war ebenfalls stark, aber zu gewollt auf „künstlerisch wertvoll“ getrimmt; Linus machte seine Sache gut, aber wirkte ohne Tänzer vor der stilisierten Großstadt-Skyscraper-Kulisse etwas verloren.

So entschieden sich die TV-Zuschauer am Ende für S!sters. Und damit ausgerechnet für den Act, den der NDR nachträglich noch mit ins Rennen geschoben hatte. Denn im Herbst standen für das Songwriting Camp nur die anderen sechs fest, die sich ihren Traum vom ESC in Tel Aviv jetzt abschminken mussten. Das hat zumindest ein Gschmäckle. Damit ist das umständliche Auswahlverfahren, mit dem der NDR letztes Jahr eigentlich gute Erfahrungen dank „You Let Me Walk Alone“ gemacht hatte, entwertet.

Noch größer wird das Gschmäckle angesichts der Tatsache, dass der NDR Revolverheld-Frontmann Johannes Strate in die 20köpfige Expertenjury gesteckt hatte – dem man zumindest eine gewisse Parteilichkeit unterstellen muss, denn Carlotta war 2014 in Johannes‘ Team bei „The Voice Kids“ und kam bei der Sat.1 -Show bis ins Finale. So vergab Johannes seine Höchstpunktzahl auch prompt an seinen einstigen Zögling und dessen Mitstreiterin.

Und ganz „überraschend“ hatte der NDR dann S!sters auch noch auf den letzten Startplatz gesetzt. In der Pressekonferenz nach der Show darauf angesprochen, sagte Schreiber, er wolle jetzt mal mit dem Mythos aufräumen, dass die Startreihenfolge eine Rolle spiele bei nur sieben Teilnehmenden. Naja, Zweifel sind dennoch nicht ausgeräumt. Auch zumindest auffällig: Die bis zum Votingende offenen Wettquoten bei den britischen Buchmachern für „Unser Lied für Israel“ schwankten während der Livesendung: Mal war Aly vorn, dann Lilly – aber S!sters waren konstant Letzte (!) mit recht schwachen Quoten. Wer also auf einen Sieg von „Sister“ gesetzt hatte, bekam immerhin viel Geld raus für seinen Einsatz.

Gute Unterhaltung – dank Babsi und Linda
Was Schreiber auch noch offenbarte: Es habe im Vorfeld bei einem Künstler (er nannte keinen Namen) auch ein Lied in deutscher Sprache gegeben, für das man sich dann aber nicht entschieden habe. Klar sei: „Es gibt von uns keine Vorgaben hinsichtlich der Sprache.“ So wurde beim Vorentscheid zwar auf Deutsch gesungen, aber nur jenseits des Wettbewerbs: von Revolverheld und Udo Lindenberg. Spätestens beim „Panikpräsidenten“ bekam die Sendung Längen, und als Udo auch noch ein zweites Lied zu singen anfing, wünschte man sich nun doch jemanden, der wie beim Melodifestivalen mit „Vi har ett resultat“ um die Ecke kommt. 

Dabei war die Show durchaus gut – und dank Barbara Schöneberger und Linda Zervakis um Längen unterhaltsamer als der Vorentscheid vor einem Jahr mit Elton. Babsi und Linda waren die Sympathieträgerinnen der Show: witzig, selbstironisch, spontan. Zwar wurde es zwischendurch fast ein wenig albern, als die beiden mit Fans im Publikum schäkerten. Aber mit dem Schwenk zu den Gaststars bekamen Babsi/Linda dann wieder die Kurve. Meine Favoriten im Zwischenprogramm: Lena mit einem richtig guten Song, den man auch nach Tel Aviv hätte schicken können, und Michael Schulte mit einem neuen Lied, mit dem er beim ESC wohl nicht so weit vorn gelandet wäre.

Kein Song für Feuer und Flamme
Und S!sters? Können die beiden Michaels Top4-Erfolg des Vorjahres wiederholen? Aktuell schwer zu sagen. Noch steht nur eine Handvoll Lieder für Tel Aviv fest, gut ein Viertel des gesamten Feldes. Und so richtig stark sind die bisher gewählten Songs nicht. Genau da reiht sich aber auch „Sister“ ein. Ein Song, der nicht weh tut. Der aber auch kein „Instant Appeal“ hat, das es beim ESC nun mal braucht. Mit Laurell Barker (“Stones” für Zibbz) und Thomas Stengaard (Mitautor von „Only Teardrops“ und „You Let Me Walk Alone”) hat „Sister“ zwar ESC-erprobte Autoren, aber sie haben kein wirklich starkes, eingängiges Lied abgeliefert. 

Sicher, mit „Sister“ wird sich Deutschland nicht blamieren. Aber den ersten Reaktionen aus der hiesigen Fangemeinde nach zu urteilen, wird es kein Beitrag werden, für den man in Tel Aviv Feuer und Flamme sein wird. An Choreografie und Show wird die Delegation auf jeden Fall noch feilen müssen. Was für die nationale Bühne erst mal gereicht hat, ist für die ganz große Eurovisionsbühne noch zu wenig.

Immerhin: Es setzte sich am Ende das Lied durch, das auch das Televoting gewonnen hatte, also die Gunst der Zuschauer hatte. Auch die Expertenjury sah S!sters vorn (wenn auch nur hauchdünn vor Makeda – und eben auch dank der Punkte von Carlottas Ex-„Voice Kids“-Coach). Lediglich die Fan-Jury hatten Aly Ryan und Makeda vorn, hier lag S!sters nur auf Platz 5. Die 100 Mitglieder der Eurovision-Jury sollen laut NDR-Eigenwerbung „bestmöglich den europäischen ESC-Musikgeschmack repräsentieren“. Trifft allerdings diese Aussage zu, dann dürften Carlotta und Laurita es im Mai schwer haben.