Europa - Seitdem ich den Eurovision Song Contest nicht nur verfolge, sondern auch darüber schreibe, gab es im Nachgang immer wieder Diskussionen und Debatten über die politische Note im Wettbewerb. Bei einem Wettbewerb, bei dem verschiedene Rundfunkanstalten Europas mit ihren entsprechenden Flaggen antreten lässt sich Politik von vorn herein nicht gänzlich abschalten. Und das wäre in dieser Form vermutlich auch gar nicht so schlimm, wenn es nicht immer wieder besondere Ausreißer gäbe.
Ob es nun die Anweisung Francos war, dass "La la la" 1969 auf Spanisch statt auf Katalanisch gesungen werden musste, ob Georgien ein Lied namens "We don't wanna put in" zum Song Contest schicken darf oder nicht oder auch die BILD-Schlagzeile "Warum hat uns Europa nicht mehr lieb?" vor einigen Jahren, so etwas gehört seit Anbeginn der Veranstaltung dazu. In den wenigsten Fällen gingen Debatten über Politik aber in die nächste Runde. Seit einigen Jahren kann man aber, selbst als Song Contest-Ultra, eine zunehmende Politisierung des Wettbewerbs wahrnehmen. Was schade ist, denn der Song Contest sollte mehr sein.
Zunächst bleibt der Wettbewerb eine Veranstaltung in der verschiedene Rundfunkanstalten antreten. Da tritt nicht das Vereinigte Königreich gegen Albanien an sondern tatsächlich die BBC gegen RTSH. Aus diesem Grund ist Liechtenstein eben bis heute nicht präsent gewesen, es gibt keine TV-Anstalt. Natürlich steht auf dem Deckel "Vereinigtes Königreich" oder "Albanien", die Verantwortlichkeit liegt aber dennoch bei den Anstalten. Das hat sich nie geändert und natürlich neigen wir dazu, davon zu sprechen, dass Künstler XY sein Land repräsentiert.
Das ist auch völlig legitim, die Grenzen sind fließend und der Wettbewerb war auch nie frei von äußeren Einflüssen. Nun hat dieses Konzept Eurovision Song Contest aber eine neue Dimension bei staatlicher Einflussnahme erreicht und dabei geht es vor allem um Außenwerbung. Wenn man in Sozialen Netzwerken darüber schreibt, dass man Klavdia gut findet und man sich über Unterstützung für den griechischen Beitrag freuen würde oder die Sängerin selbst auf Support hofft, ist das immer noch etwas anderes, als wenn gezielt Agenturen, die auch für den jeweiligen Staat agieren, Werbung schalten.
Mit diesem Fall hat sich nun mittlerweile auch Eurovision News Spotlight beschäftigt. In einem ellenlangen Beitrag wird darüber gesprochen und analysiert, dass die Israeli Government Advertising Agency, eine Werbeagentur, die im Auftrag der israelischen Regierung PR im Ausland betreibt und massiv für den diesjährigen Beitrag von Yuval Raphael geworben hat. In kleinen Clips, die zwischen dem 6. und 16. Mai auf verschiedenen Plattformen gezeigt wurden, wurde auch darauf hingewiesen, dass bis zu 20x für den Beitrag abgestimmt werden kann.
Selbst auf der entsprechenden Seite heißt es: "Obwohl Werbung für den Beitrag eines Landes erlaubt ist, haben Nutzer sozialer Medien Bedenken geäußert, dass diese Aktionen dem Geist des Wettbewerbs zuwiderlaufen könnten, da sie den Abstimmungsprozess potenziell politisieren oder instrumentalisieren." In eben diesen Clips wendet sich Yuval Raphael direkt in diversen Landessprachen den Zuschauern zu und bittet um Unterstützung. Die Künstlerin selbst ist somit in den Prozess eingebunden gewesen. Mit Open Source-Tools wurde festgestellt, dass keine KI in den Prozess involviert ist. Eine Verlinkung führte dann zu www.esc.vote.
Der entsprechende Kanal kann zwar nicht unmittelbar mit der israelischen Regierung in Verbindung gebracht werden, dass jedoch eine für eben jene tätige Werbeagentur entsprechende Clips in Heavy Rotation platziert wirft natürlich dennoch Fragen auf. Insofern stellt sich tatsächlich die berechtigte Frage, welche Maßnahmen zur Bewerbung eines Beitrags ergriffen werden dürfen, insbesondere da es den Anschein macht, dass der für Israel zuständige Rundfunk KAN von dieser Aktion keinerlei Kenntnis hatte und keine Aktien in deren Veröffentlichung hatte.
Bei Eurovision News Spotlight wird dennoch festgestellt: "Trotz der Spekulationen in den sozialen Medien über die öffentliche Abstimmung gibt es keine Hinweise auf Probleme oder Unregelmäßigkeiten im Zusammenhang mit dem Ergebnis.", Song Contest-Direktor Martin Green erklärte ebenfalls, dass der unabhängige Votingpartner Once die Wertungsergebnisse verifizieren kann. Er fügt hinzu: "Die Regeln des Eurovision Song Contests sollen einen fairen und neutralen Wettbewerb gewährleisten. Sie verbieten teilnehmenden Sendern oder Dritten wie Plattenfirmen nicht, ihre Beiträge online und anderswo zu bewerben, solange diese Werbung den Wettbewerb nicht instrumentalisiert oder gegen die redaktionellen Richtlinien verstößt."
Diverse Delegationen nutzen bezahlte Werbekampagnen für ihre Beiträge, nur eben nicht in dieser exzessiven Form. Und auch wenn man offenbar nicht gegen geltene Richtlinien verstoßen hat, so ist es dennoch mehr als fragwürdig, ob diese Form von Marketing moralisch vertretbar ist oder über das Ziel hinausschießt, insbesondere in Hinblick auf die sowieso schon aufgeheizte Situation rund um Israel und den Gazastreifen. Schon immer hat es Imagekampagnen gegeben, nicht zuletzt in Ländern wie Aserbaidschan, bei dem die vermeintliche Lupenreinheit im Land durch Hochglanzvideos und "Welcome to Azerbaijan"-Kampagnen beworben wurde.
Trotzdem stellen sich auch Fans mittlerweile die Frage, wo die Grenzen dessen liegen, um einen Beitrag bzw. ein Land beim Eurovision Song Contest attraktiv zu bewerben. Mit Aktionen wie diesen wird nicht nur der Eurovision Song Contest immer wieder zur Zielscheibe für politische Diskussionen von Sofaexperten, die nur am Tag vor und nach dem Song Contest aktiv darüber herziehen, dass es nicht mehr der klassische Grand Prix war. Den "früher war alles besser ESC" hat es ohnehin nie gegeben, man tut dem Wettbewerb mit Aktionen wie diesen jedoch trotzdem keinen Gefallen und zerstört die grundlegenden Werte für die der Wettbewerb steht.
Mehrere TV-Anstalten, darunter in Spanien, Belgien oder auch in Nordeuropa fordern daher absolute Transparenz und die Offenlegung der Wertungszahlen. So ehrenhaft dieses Ansinnen auch sein mag, einen konkreten Nutzen können sie daraus nicht ziehen, oberflächlich bleiben die Wertungszahlen legitim. Fakt ist aber auch, dass sich Israel in Zeiten, in denen es sowieso stark polarisiert, mit solchen exzessiven Maßnahmen keinen Gefallen tut und der Eurovision Song Contest damit in ein schlechtes Licht gerückt wird, weshalb ich den Unmut vieler nachvollziehen kann, die einfach nur auf den einenden Charakter verweisen und eben auch nur diesen erleben möchten.
Ich möchte keine Partei für A, B oder C ergreifen, dafür ist diese gesamte Problematik viel zu komplex, aber auch die Europäische Rundfunkunion muss sich die Frage stellen, wie sie ihren Wettbewerb, der trotz allem Jahr für Jahr für kulturellen Austausch, Spannung und Unterhaltung steht und Millionen interessierter Zuschauer verbindet, aus hochpolitischen Debatten herausziehen kann. Das war noch nie einfach und wird auch nicht von jetzt auf gleich funktionieren, aber man sollte zumindest die Signale hören und auf den konstruktiven Austausch mit seinen Mitgliedern reagieren...