Samstag, 23. Oktober 2021

Memories: Eurovision Song Contest 1985


Schweden
- Zehn Jahre nachdem der Eurovision Song Contest erstmals in Schweden stattfand, kehrte er am 4. Mai 1985 zurück, diesmal hingegen nicht nach Stockholm sondern ins Scandinavium in Göteborg. Und noch ein Jubiläum wurde zelebriert, es war die 30. Ausgabe des Eurovision Song Contests, der sich 19 Nationen stellten. Während die Griechen und Israel zurückkehrten, fehlten in der Line Up die Niederlande und Jugoslawien. Die Niederlande setzten aufgrund des Nationalen Totengedenktages aus, der auch 1991 die Teilnahme unmöglich machte, Jugoslawien verzichtete auf die Teilnahme weil die Nation den fünften Todestag ihres langjährigen Führers Josip Tito beging.

Dabei hätte es mit Zorica Kondža & Josip Genda und dem schönen melancholischen "Pokora" einen Beitrag gegeben, dieser wurde erst ausgewählt, nachdem das jugoslawische Fernsehen seine Teilnahme bereits abgesagt hatte. Durch die musikalische Werkschau führte die Sängerin und Moderatorin Lill Lindfors, die 1966 gemeinsam mit Svante Thuresson bereits selbst an der Eurovision teilnahm und später noch für den Moment des Abends sorgte, denn das musikalische Niveau der Veranstaltung wurde gemeinhin als seicht und langweilig beschrieben. 

Eröffnet wurde die Show von der irischen Sängerin Maria Christian aus Dundalk, deren musikalische Karriere eine Single später bereits wieder beendet war, 2016 nahm sie am irischen The Voice teil. Mit "Wait until the weekend comes" reichte es in Göteborg für den sechsten Platz. Zwei Plätze höher landeten die britischen Nachbarn, Vikki Watson erreichte mit dem von ihr mitkomponierten "Love is..." den vierten Rang und lieferte eine der eingängigsten Melodien des Abends. In den 90er Jahren schlug sie eine andere musikalische Richtung ein und vertreibt seither in Los Angeles unter dem Pseudonym Aeone sphärische New Age-Musik.

Der Jahrgang 1985 zeichnete sich zudem durch sehr viele Rückkehrer aus vergangenen Jahren aus. So war u.a. Gary Lux für Österreich wieder mit dabei, der 1983 als Teil der Gruppe Westend und 1984 als Backgroundsänger von Anita zweimal Eurovisionsluft schnuppern durfte und auch im Folgenden noch mehrfach in Erscheinung trat. In seinem Backgroundchor fand man zudem Rhonda Heath wieder, die 1977 für die BRD als Teil von Silver Convention auftrat. Unter all seinen Auftritten war "Kinder dieser Welt", eine Hymne für eine bessere Welt, der erfolgreichste und trug den achten Platz davon. Gary sollte zwei Jahre später als Solist und in den 90ern noch zweimal als Backgroundsänger zurückkehren.

Auch für Italien stand ein bekanntes Duo auf der Bühne, Al Bano & Romina Power erreichten mit ihrem "Magic, oh magic" wie schon 1976 den siebten Platz. Zwischen beiden Song Contest-Teilnahmen lag auch die erfolgreichste Phase der gemeinsamen Karriere. Mit Liedern wie "Sharazan", "Tu soltanto tu" und "Felicità" waren sie auch in Deutschland erfolgreich. Die Ehe der beiden zerbrach infolge des Verschwindens ihrer Tochter Ylenia während einer USA-Reise in den 90er Jahren. Nach einer zwischenzeitlichen Pause kehrten sie ab 2013 gemeinsam auf die Bühne zurück, 2020 sangen sie außer Konkurrenz ihren neuen Song "Raccogli l'attimo" beim San Remo-Festival. Al Bano Carrisi trat 2002 im Schweizer Background noch einmal auf der Song Contest-Bühne auf.

Zu den weiteren Rückkehrern zählte mit dem israelischen Sänger Izhar Cohen sogar ein ehemaliger Sieger. Mit seinem flotten Discolied "Olé olé" reichte es noch einmal für den fünften Platz. Und auch die Nachbarn aus Zypern setzten mit Lia Vissi auf eine routinierte Sängerin, trat die ältere Schwester von Anna Vissi doch schon 1979 und 1980 im Hintergrund auf. Ihr "To katalava arga" ("Ich habe es zu spät gemerkt") erreichte allerdings nur den 16. Rang, den sie sich mit dem griechischen Sänger Takis Biniaris teilen musste. Beide versuchten sich später beim griechischen Vorentscheid, mussten sich dort aber anderen Kandidaten geschlagen geben.

Ihre dritte Song Contest-Teilnahme konnte Ireen Sheer verbuchen. Sie war Teil der luxemburgischen Formation, die offenbar keine Zeit hatte, sich einen originellen Namen auszudenken und trat daher als Margo, Franck Olivier, Diane Solomon, Ireen Sheer, Malcolm und Chris Roberts auf. Die Komposition "Children, Kinder, Enfants" stammte aus der Feder von Ralph Siegel und Bernd Meinunger und fiel vor allem durch ihre nervige Melodik auf, wie die aufgescheuchten Hühner sangen alle Mitglieder wild durcheinander und wirkten mit ihren weißen Kostümen wie Mormonen in Freizeitbekleidung. Auch die Juroren hatten für die Nummer nicht viel übrig, am Ende blieb es beim 13. Platz.

Dabei versuche es Ralph Siegel 1985 auch im deutschen Vorentscheid. Unter 877 Titeln wurden 20 für zwei Radiosendungen ausgewählt, zwölf waren beim TV-Vorentscheid aus dem Deutschen Theater in München dabei und erhielten namhafte Paten, die den Vorentscheid aufwerteten. Neben "Grün, grün, grün" von einer gewissen Caro Pukke stellte Siegel mit Heike Schäfer und "Die Glocken von Rom" einen Titel zur Schau, dessen Glockenklänge noch Jahre später nachhallten. Das Loblied auf die vatikanischen Kirchenglocken, die eines Tages für den Weltfrieden schlagen werden, unterlag im demoskopischen Wertungsprozedere um knappe 21 Punkte dem Lied "Für alle" aus der Feder von Hanne Haller.

Das Lied der Gruppe Wind, die in wechselnder Besetzung noch zweimal zum Song Contest fahren sollte und bis heute musiziert, führte während der ersten Hälfte der Punktevergabe, am Ende kippte die Punkteverteilung jedoch, sodass "Für alle" nur der zweite Platz blieb. Am nächsten Tag entzürnte sich die bundesdeutsche Medienlandschaft, hieß es dort u.a.: "Interessant ist nämlich, welche Nationen den deutschen Beitrag mit null Punkten bedachten: die Türkei, Italien, die Schweiz, Österreich und Griechenland. Das sind also entweder Gastarbeiter- oder klassische Urlaubsländer. Da liegt denn doch der Verdacht nahe, daß man dort nicht nur etwas gegen deutschen Singsang, sondern auch gegen die Deutschen hat." Bis heute haben sich diese Schlagzeilen nicht sonderlich geändert.

Dabei gab es Länder die wesentlich schlechter abschnitten. Belgien beispielsweise steuerte mit Linda Lepomme den einzigen Titel in niederländischer Sprache des Abends bei. Die Trennungsballade "Laat me nu gaan" erreichte nur sieben Punkte, die allesamt von der türkischen Jury stammten. Nur wenig besser lief der Abend für Adelaide Ferreira aus Portugal, der man vor der Sendung wohl die Empfehlung aussprach, ihr Kostüm mit möglichst viel Stanniol zu dekorieren. Trotz des Lametta-Rocks und der inbrünstigen Intonation von "Penso em ti, eu sei" reichte es nur für den 18. und damit vorletzten Platz.

Wie schwer es für junge Eltern ist, samstagabends einen Babysitter zu finden zeigte das wiederkehrende dänische Duo Hot Eyes. Kirsten & Søren wirkten wie ein überfordertes Elternpaar, während das mitgebrachte rotzfreche Gör sich einen Spaß daraus machte, den Sängern zunächst Schals und Gürtel zu klauen und sich damit später selbst zu schmücken. Zu allem Überfluss mischte sich das Kind auch noch in den gesanglichen Vortrag ein. Das absurde "Sku’ du spørg’ fra no’en?" erreichte den 11. Platz und diente der EBU als mahnendes Beispiel, die Altersgrenze später auf 16 Jahre anzuheben, damit so etwas in der Neuzeit nicht mehr passiert.

Mehr Lebensfreude versprühten die Türken Mazhar, Fuat und Özkan kurz MFÖ. 1984 landete das Herrentrio mit "Ele güne karşı" in der Türkei den Hit des Jahres und setzte sich im türkischen Vorentscheid mit "Aşık oldum", das später einfach nur zu "Didai didai dai" wurde, durch. Trotz der Eingängigkeit reichte es für den türkischen Beitrag nur für den 14. Platz. Ebenfalls eine Hymne der guten Laune lieferte Finnland. Sonja Lumme sang "Eläköön elämä" ("Hoch lebe das Leben"), ein Lied, das eingängig genug gewesen wäre, um vorne zu landen, es dann aber doch nur auf den neunten Rang schaffte. Sonja versuchte sich insgesamt sechsmal beim finnischen Vorentscheid, 1985 blieb jedoch ihr einziger Sieg.

Gnadenlos untergegangen ist auch die spanische Sängerin Paloma San Basilio, geboren 1950 in Madrid, erlangte sie Weltruhm als "Evita" in der spanischsprachigen Version des Musicals. Für den Song Contest erhielt sie den kaum minder dramatischen Titel "La fiesta terminó" ("Das Fest ist vorbei"), garniert mit großen Gesten, dennoch von den Juroren verkannt und am Ende punktgleich mit den türkischen Hutträgern auf Rang 14. Paloma kehrte später ins Musical zurück und wurde 2006 mit dem Latin Grammy Award für ihr Lebenswerk ausgezeichnet. Ihre Alben reichern die spanischen Charts noch heute über Monate hinweg an.

Bronze holte die schwedische Dansband-Frohnatur Kikki Danielsson, die 1982 schon bei den Chips beim Song Contest dabei war. Die guten Schwingungen von "Bra vibrationer" bescherten ihr den dritten Platz mit zwei Höchstwertungen aus Finnland und Norwegen. Kikki kehrte später noch mehrfach zum Melodifestivalen zurück, u.a. gemeinsam mit Bettan & Lotta und dem ikonischen "Vem é dé du vill ha" und zuletzt 2018 mit "Osby Tennessee", im sie eine Country-Hymne auf ihre Heimatstadt Osby in der Region Schonen sang. An jenem Abend in Göteborg sah sie sich ihrer einstigen Duettpartnerin Elisabeth Andreassen als Konkurrentin ausgesetzt, die nun gemeinsam mit Hanne Krogh für Norwegen antrat.

Elisabeth Andreassen
und Hanne Krogh wärmten sich vor dem Song Contest in einem Club in der Göteborger Innenstadt auf, ehe sie als Bobbysocks in violetten Paillettenkostümen das Scandinavium zum Kochen brachten. Komponist Rolf Løvland lieferte mit "La det swinge" einen Evergreen der Eurovisionsgeschichte, der sich vor allem im skandinavischen Raum noch heute größter Beliebtheit erfreut und Grundlage für mehrere erfolgreiche Singles und Alben der beiden Damen wurden. Beide kehrten in verschiedenen Konstellationen, jedoch nicht mehr gemeinsam zum Song Contest zurück, 1985 reichte es für Norwegen hingegen für den ersten Sieg in der Geschichte des Wettbewerbs.

Moderatorin Lill Lindfors fand hierfür passende Worte, richtete sie am Ende der Veranstaltung doch mit "I must say I am honestly very happy that this happened because Norway has been last on so many times that you really deserve it!" eine Grußbotschaft an die über Jahre hinweg gebeutelten Norweger. Dabei waren es nicht die Bobbysocks mit ihrer Siegerreprise, die für den Moment des Abends sorgten, sondern die Moderatorin höchstselbst. Nachdem der Pausenfüller beendet war, schritt sie über auf die Bühne, verlor dabei aber den unteren Teil ihres Kleides, der an einem Geländer hingen blieb.

Nachdem ein Raunen der Entgeisterung durch das Publikum ging, stand die Moderatorin doch nur noch im Slip auf der Bühne, grinste sie hämisch und öffnete zwei Schleifchen an ihrem Oberteil, sodass zwei Stoffteile nach unten klappten und sie wieder im vollwertigen Abendkleid dort stand. Mit einem kecken "I just want you to wake up" setzte sie sich hin und begann die einzelnen Spokespersons aufzurufen. Dieser Moment blieb im kollektiven Gedächtnis des Eurovision Song Contests, mehr noch als der Gastauftritt von Lys Assia, der ersten Song Contest-Siegerin, die an diesem Abend ebenfalls mit dabei war und eine Kostprobe von "Refrain" sang. Der Sieg gebührte aber den Norwegern, die 1986 erstmals in die Verzückung kamen, die "Musikkonkurranse" auszutragen.

Die Teilnehmer:
01. - 123 -Bobbysocks - La det swinge
02. - 105 -Wind - Für alle
03. - 103 -Kikki Danielsson - Bra vibrationer
04. - 100 -Vikki - Love is...
05. - 093 -Izhar Cohen - Olé olé
06. - 091 -Maria Christian - Wait until the weekend comes
07. - 078 -Al Bano & Romina Power - Magic, oh magic
08. - 060 -Gary Lux - Kinder dieser Welt
09. - 058 -Sonja Lumme - Eläköön elämä
10. - 056 -Roger Bens - Femme dans ses rêves aussi
11. - 041 -Hot Eyes - Sku’ du spørg’ fra no’en?
12. - 039 -Mariella Farré & Pino Gasparini - Piano, piano
13. - 037 -Margo, Franck Olivier, Diane Solomon, Ireen Sheer, Malcolm u. Chris Roberts - Children, Kinder, Enfants
14. - 036 -MFÖ - Didai didai dai (Aşık oldum)
15. - 036 -Paloma San Basilio - La fiesta terminó
16. - 015 -Takis Biniaris - Miazoume
17. - 015 -Lia Vissi - To katalava arga
18. - 009 -Adelaide Ferreira - Penso em ti, eu sei
19. - 007 -Linda Lepomme - Laat me nu gaan