Sonntag, 29. Mai 2022

Memories: Eurovision Song Contest 1987


Belgien
- Als letztes Land, das dem ersten Eurovision Song Contest 1956 in Lugano schon beiwohnte, kam Belgien 1987 in die Verzückung, den Wettbewerb auszurichten. Ursprünglich war geplant, das Projekt als Gemeinschaftsarbeit zwischen dem wallonischen Sender RTBF und dem flämischen Rundfunk BRT zu veranstalten, innere Konflikte, insbesondere Diskussionen über einen Austragungsort, die Moderation und die generelle Übertragung des Wettbewerbs führten jedoch dazu, dass sich BRT von der Mitarbeit zurückzog und der Song Contest, welcher schlussendlich im Palais du Centenaire in Brüssel stattfand, dem Sender RTBF zuzuschreiben ist.

BRT war turnusgemäß lediglich daran beteiligt, einen belgischen Vertreter für die Eurovision auszuwählen, was per Vorentscheid und mit Hilfe von fünf regionalen Jurys auch geschah. Der Eurovision Song Contest 1987 war gemessen an der Teilnehmerzahl der bis dato größte Wettbewerb, gleich 22 Nationen meldeten ihre Teilnahme, wobei es keinerlei Neulinge gab, sondern die gleichen Nationen wie im Vorjahr plus Griechenland und Italien als Rückkehrer in der Line Up. Als Moderatorin wählte RTBF, die als Sonia Dronier in Lorient geborene Sängerin Viktor Lazlo aus, die in einem Nachtclub entdeckt und zu einem der größten belgischen Musikstars jener Zeit aufstieg und auch in Deutschland Erfolge verbuchen konnte ("Das erste Mal tut‘s noch weh", im Duett mit Stefan Waggershausen). Und so durfte sie mit einem ihrer größten Hits, nämlich dem Titel "Breathless"  auch die Show eröffnen.

Neben den 22 Teilnehmernationen waren u.a. auch das australische Fernsehen SBS, der ungarische Sender MTV1 und das polnische Fernsehen TP1 angeschlossen. Angeblich wurde zudem in der Sowjetunion darüber diskutiert, ob das Land am Wettbewerb teilnehmen sollte. Bildungsminister Georgiy Veselov soll mit der Idee der Teilnahme an Michail Gorbatschow herangetreten sein, durch die Teilnahme die Beziehungen zum kapitalistischen Westen zu verbessern. Dieser Schritt schien aber selbst dem Initiator von Glasnost und Perestroika zu radikal gewesen, der Vorschlag, das sowjetische Staatsfernsehen teilnehmen zu lassen, wurde von der Kommunistischen Partei abgeschmettert, erst nach Auflösung der Sowjetunion strömten ihre ehemaligen Republiken zum Wettbewerb.

Als erste Interpretin des Abends stieg Kate Gulbrandsen für Norwegen auf die Bühne. Komponist Rolf Løvland, der zwei Jahre zuvor den Bobbysocks zum Sieg verholfen hat, war auch an "Mitt liv" beteiligt. Ihr Lied, das immerhin den neunten Platz belegte, blieb allerdings weniger in Erinnerung als ihre Frisur, die auf dem Höhepunkt der 80er Jahre-Dauerwellen und modischen Entgleisungen, mehr als zeitgemäß war. Nach ihrem Song Contest-Ausflug wurde es zunächst ruhiger um Kate. 2005 veröffentlichte sie ein Album, auf dem sie amerikanische Country-Lieder auf Norwegisch sang, 2010 folgte die Single "Welcome to Lillehammer".

Für Israel startete das Duo Datner & Kushnir alias Lazy Bums, die sich in Blues Brothers-Manier mit schwarzen Sonnenbrillen und Hüten präsentierten und eine wilde wie gleichermaßen alberne Tanzchoreographie aufführten. Hinter dem sinnbefreiten "Hupa hule hule hule" steckte eine Ode an die Faulheit, die von den Juroren durchaus als Spaßbeitrag wahrgenommen und mit dem achten Platz belohnt wurde. Weniger erfreut über die Darbietung von Natan Datner und Avi Kushnir war der israelische Kulturminister, der vehement versuchte, den Beitrag zu verhindern. Die IBA ließ sie allerdings nicht beirren und schickte das Duo nach dem rechtmäßigen Sieg beim Vorentscheid auch zur Eurovision.

Auf Altbewährtes setzten hingegen die Österreicher. Gary Lux trat zum vierten Mal auf die Song Contest-Bühne. Nach seinem Engagement mit der Gruppe Westend 1983, als Backgroundsänger für Anita 1984 und als Solist 1985 sang er abermals als Hauptinterpret die dröge Ballade "Nur noch Gefühl", die von den Juroren deutlich weniger Beachtung fand, als "Kinder dieser Welt". Mit acht Punkten von den Juroren reichte es nur für den 20. Platz. Lux kehrte noch zweimal als Backgroundsänger zurück, in diesem Jahr wurde er für sein musikalisches Schaffen mit dem Ehrenzeichen für Verdienste um das Bundesland Niederösterreich ausgezeichnet. Ob sein ursprünglich geplanter Titel "Träume der Zukunft" besser abgeschnitten hätte, sei dahingestellt.

Nur halb so viele Punkte wie Österreich sammelte das Großherzogtum Luxemburg an jenem Abend. RTL kaufte den belgischen Sänger Roger François Jouret alias Plastic Bertrand ein und versuchte offenbar einen männlichen Gegenpart zur Vorjahressiegerin Sandra Kim zu finden. Im quietschpinken Blazer und mit aufgescheuchter Bühnenshow lieferte Luxemburgs Vertreter, der einen Comeback-Versuch unternahm, einen zeitgemäßen aber überflüssigen Beitrag, der den Juroren aus Portugal und dem UK nur jeweils zwei Punkte entlockte. Ein paar mehr Punkte erhielt Spaniens Sängerin Patricia Kraus für ihren ausdrucksstarken Liebessong "No estás solo", den sie maßlos überschminkt und in ein Lederkorsett eingezwängt, dramatisch intonierte.

Gänzlich punktelos endete die türkische Sängerin Seyyal Taner mit ihrer Begleitband Lokomotif und das, obwohl sich alle Beteiligten in weißen Kostümen bis zur völligen Erschöpfung über die Bühne dirigierten und einen hoch interessant instrumentalisierten Song lieferten. "Şarkım sevgi üstüne" ("Mein Lied handelt von Liebe") dürfte seiner Zeit voraus gewesen sein. Ihrer Karriere tat der Ausflug zur Eurovision hingegen keinen Abbruch, Seyyal veröffentlichte nach einer kurzen musikalischen Auszeit noch mehrere erfolgreiche Alben, spielte in TV-Serien mit und gilt in der Türkei bis heute als Ikone der LGBT-Community. 

Auch das isländische Fernsehen war nach dem Debüt im Jahr wieder mit dabei und brach mit einer Einschaltquote von über 87% einen Rekord auf. Für die Interpretin Halla Margrét Árnadóttir war der Song Contest allerdings kein allzu großer Erfolg, "Hægt og hljótt" ("Langsam und leise") belegte wie schon die Gruppe ICY im Vorjahr den 16. Platz. Einen Platz besser schnitt Finnland ab, Vicky Rosti begann ihren Beitrag "Sata salamaa" äußerst düster, zum Refrain hin brach das Lied aber aus sich heraus, fand aber ähnlich wenig internationale Beachtung wie Christine Minier für Frankreich mit ihrer langweiligen Ballade, deren Kernaussage war, dass die Liebe und ihre Worte keinen Sonntag kennen. Trotz des 14. Platzes erklärte Minier später, der Eurovision Song Contest sei die größte Erfahrung in ihrer Karriere gewesen.

Das bis dahin schlechteste Resultat ihrer Geschichte fuhren die Briten an jenem Abend ein. Der schottische Sänger Richard Winters Peebles, kurz Rikki, verpasste mit seinem seltsamen "Only the light" nicht nur den Sprung in die UK Top 75 sondern auch in die Top Ten. Der 13. Platz war angesichts der dünnen textlichen Struktur und der Performance aber auch mehr als genug. Weitaus erfolgreicher war dafür der italienische Beitrag. Zwei große Stars sangen den entspannten mediterranen Klassiker "Gente di mare", zum einen Umberto Tozzi, der mit Italo-Hits wie "Gloria" oder "Ti amo" Weltruhm erlangte und zum anderen Raf, dessen "Self control" aus dem Jahr 1984 insbesondere als Cover von Laura Branigan erfolgreich war. Am Ende gab es den verdienten dritten Platz.

Einen Platz dahinter landete Jugoslawien mit der Gruppe Novi Fosili, die fröhlichen Poprock jener Ära auf Serbokroatisch intonierten. Leadsängerin Sanja Doležal hickste mit Leichtigkeit über die Bühne und bezauberte insbesondere die Juroren aus Norwegen und der Türkei, die dafür die Höchstwertung übrig hatten. Novi Fosili läuteten gleichzeitig die erfolgreichsten Jahre des später vom Zerfall betroffenen Landes ein. Mit gänzlich anderen Genres teilten sich die Niederlande und Dänemark Platz fünf hinter Jugoslawien. Während Marcha im Dallas-Look die Popballade "Rechtop in de wind" schmetterte, präsentierten die Dänen Anne-Cathrine Herdorf & Bandjo "En lille melodi", eine Mitschunkel-Nummer, die dänischer nicht hätte sein können.

Das Gastgeberland Belgien ließ sich indes von Liliane St.-Pierre vertreten, die sich mit dem bezaubernden "Mélodie" schon 1978 im luxemburgischen Vorentscheid bewarb und 1981 mit "Brussel" den zweiten Platz beim belgischen Vorentscheid belegte. Nun stand sie mit dem selbstgeschriebenen "Soldiers of love" auf der Song Contest-Bühne und erreichte immerhin den elften Platz. Noch heute, wenn auch in geringerem Umfang macht sie Musik, 2005 war sie eines Jurymitglieder von X Factor in Belgien. Überboten wurde sie 1987 u.a. vom griechischen Duo Bang und der zypriotischen Sängerin Alexia Valliliou, die die Plätze zehn und sieben belegten.

Den zwölften Platz erkämpfte sich die Schwedin Lotta Engberg, die schon 1984 und 1985 als Begleitsängerin bei der Eurovision zu sehen war. Erst einen Monat zuvor wurde sie Mutter und gewann den schwedischen Vorentscheid mit "Fyra bugg och en Coca-Cola". Der Text musste aufgrund der Regularien jedoch zu "Boogaloo" umformuliert werden, da die EBU die Erwähnung von Markenprodukten nicht guthieß, eine Regel, die bis heute greift. Das Lied selbst erinnerte an einen schwachen Abklatsch von "La det swinge" und sorgte eher durch den Vorwurf der Schleichwerbung als durch musikalische Qualität für Aufsehen. 

Der zweite Platz ging, wie schon 1985, an die deutsche Gruppe Wind mit "Laß' die Sonne in dein Herz", Text und Musik vom bekannten Duo Ralph Siegel und Bernd Meinunger. Das Lied mit leichten Reggae-Anleihen zählt zu den erfolgreichsten Nummern der Gruppe, deren Besetzung bis zum heutigen Tage häufiger gewechselt hat, als Heinrich VIII. die Frauen. Im deutschen Vorentscheid, der am 26. März 1987 in der Frankenhalle in Nürnberg stattfand, stachen Wind u.a. Maxi & Chris Garden ("Frieden für die Teddybären") aus, die ein Jahr später ihr Ticket zur Eurovision lösen sollten. Von einem knappen Endergebnis konnte man allerdings nicht sprechen, zwischen Wind und dem späteren Sieger lagen am Ende 31 Punkte, da hätte auch eine andere Punktezahl der missgünstigen Schweizer Jury nichts bewirkt. 

Der Sieger des Abends erlebte hingegen ein Déjà-vu. Johnny Logan hatte schon 1980 mit "What's another year" den Wettbewerb gewonnen und trat nun mit "Hold me now" erneut für Irland an. Das Lied hatte er für seine Frau geschrieben, die gemeinsame Ehe brach allerdings wenige Tage vor dem Song Contest-Finale auseinander, sodass seine Mimik und Dramatik, sein Niederknien auf der Bühne und seine Tränen von echten Gefühlen untermalt wurden. Zudem schrieb er Geschichte, nie zuvor und bis zum heutigen Tage auch nie wieder, konnte ein Interpret zweimal den Eurovision Song Contest gewinnen. 1992 schaffte er es als Komponist gar noch ein drittes Mal. Seine Sieger-Reprise brach er unter Tränen der Rührung mit den Worten "I can't sing anymore, thank you..." ab.

Bis heute ist Johnny Logan untrennbar mit dem Eurovision Song Contest verbunden und tritt nach wie vor regelmäßig in nationalen Vorentscheiden als Pausenfüller auf. Sein Siegerlied von 1987 belegte Spitzenpositionen in den irischen und israelischen Charts, im UK, Norwegen, Schweden und auch in Deutschland reichte es für die #2. Später wurde dieses Lied auf den Britischen Inseln durch einen Werbespot für McDonald's zweckentfremdet ("Twisty Fries?"). Das irische Fernsehen hatte nunmehr bereits drei Siege auf dem Konto und holte die Trophäe und den Song Contest 1988 zurück auf die grüne Insel. Dort sollte dann abermals Geschichte geschrieben werden, eine Weltkarriere beginnen und ein Herzschlagfinale für Furore sorgen.

Die Teilnehmer:
01. - 172 -Johnny Logan - Hold me now
02. - 141 -Wind - Laß' die Sonne in dein Herz
03. - 103 -Umberto Tozzi & Raf - Gente di mare
04. - 092 -Novi Fosili - Ja sam za ples
05. - 083 -Marcha - Rechtop in de wind
05. - 083 -Anne-Cathrine Herdorf & Bandjo - En lille melodi
07. - 080 -Alexia Valliliou - Aspro mavro
08. - 073 -Datner & Kushnir - Shir habatlanim
09. - 065 -Kate Gulbrandsen - Mitt liv
10. - 064 -Bang - Stop
11. - 056 -Liliane Saint-Pierre - Soldiers of love
12. - 050 -Lotta Engberg - Boogaloo
13. - 047 -Rikki - Only the light
14. - 044 -Christine Minier - Les mots d'amour n'ont pas de dimanche
15. - 032 -Vicky Rosti & Boulevard - Sata salamaa
16. - 028 -Halla Margrét - Hægt og hljótt
17. - 026 -Carol Rich - Moitié, moitié
18. - 015 -Nevada - Neste barco à vela
19. - 010 -Patricia Kraus - No estás solo
20. - 008 -Gary Lux - Nur noch Gefühl
21. - 004 -Plastic Bertrand - Amour, amour
22. - 000 -Seyyal Taner & Lokomotif - Şarkım sevgi üstüne