Samstag, 7. Mai 2022

Kommentar: Meine Einschätzung zu den Proben


Europa
- Heute in einer Woche heißt es "Good evening, Europe", dann findet das Finale des Eurovision Song Contests in Turin statt, bei dem ein Publikum mit Maske zu sehen sein wird, während in weiten Teilen Europas das "normale" Leben zurückgekehrt ist. Beim heutigen Kaufland-Besuch war das Nicht-Tragen einer Maske irgendwie seltsam, aber das gehört hier nicht her... Wir haben in der vergangenen Woche vieles über die drei Shows in Turin zu sehen und zu hören bekommen, Pressematerial gab es in diesem Jahr nur in reduzierter Form, meist als Bildergalerie oder als TikTok- und Youtube-Schnipselchen. Hier liegt auch das Problem, wenn man sich einen chinesischen Exklusivpartner ins Boot holt.

Trotzdem haben wir einen ausreichenden Eindruck von den Choreographien und Beiträgen der 40 Teilnehmer erhalten, die von der EBU ausgesprochene Zensur bei albanischen Bildern bis hin zum Aufruf an Fans, sich an eine umgängliche Etikette zu halten, da in den sozialen Medien viele Auftritte zerrissen wurden. Dabei waren die allermeisten gar nicht schlecht. Das Niveau des diesjährigen Wettbewerbs ist zwar im Vergleich zu anderen Jahrgängen eher mäßig, aber die Delegationen haben doch einiges möglich gemacht, drei unterhaltsame Abendshows zu liefern, auf die wir uns schließlich das ganze Jahr über so sehr freuen und jetzt wird sich zum Teufel nochmal auch gefreut...

"The rainbow of agony",
was imposant werden sollte, ent-
puppte sich als Sonnenfinsternis
Übel ist allerdings, dass des die Produktionsfirma und das technische Team nicht auf die Reihe bekommen haben, die Fehleinstellung der kinetischen Sonne zu beheben, weshalb es von der Eurovision lediglich hieß, dass die Konstruktion starr bleibt und man mit den betroffenen Delegationen, die lieber die LED-Wand auf der Rückseite genutzt hätten, einen Kompromiss geschlossen hat. Insbesondere bei der estnischen Probe hat der schwarze Balken auf der Bühne doch sehr gestört und den beeindruckenden Flug durch die amerikanische Prärie unterbrochen. Kleinigkeiten wie das Versetzen von Schriftzügen, etwa bei Rumänien, konnten hingegen ausgebessert werden. Trotzdem existieren mittlerweile zahlreiche Memes, die das technische Versagen in Turin thematisieren.

Heute fanden noch die zweiten Durchgänge der Big Five-Proben statt, sodass wir nun insgesamt 80 Auftritte und diverse Cuts später ein erstes Stimmungsbild einfangen können. Meine subjektive Meinung, welche Beiträge ich gut finde und welche nicht, musste ich ein stückweit aushebeln, da ich inzwischen realistisch genug geworden bin und mir sicher sein kann, dass es Länder wie Dänemark oder Irland mit ihren Beiträgen nicht ins Finale schaffen werden. Doch welche zehn Nationen kommen pro Semifinale in die Endrunde? Ich weiß es nicht... tatsächlich habe ich mich intensiv mit Wettquoten (Ukraine-Bonus ausgeklammert), den Videomitschnitten und den Meinungen von Fans und anderen Websites beschäftigt, dass sich per se fast jeder qualifizieren könnte.

Ich stimme Consi zu, er hat die
schönsten Augen des Jahres:
Krystian Ochman aus Polen
Zwar gibt es einige klare Favoriten, etwa S10 aus den Niederlanden, die ihre Sache mit reduziertem Einsatz wundervoll gemacht hat, Polen, das mit Krystians Stimme beeindruckt und dann auch noch ein erdbebenstarkes Staging liefert oder eben auch die Ukraine, die allein der Solidarität halber schon ihre 100%ige Quote halten wird. Auf den Plätzen dahinter wird es allerdings eng. So stürzte z.B. der litauische Beitrag von Monika Liu in den Quoten bis auf Rang 39 ab, nur noch unterboten von Nordmazedonien. Dabei habe ich dieses klassische Stück klar im Finale gesehen. Und nun sind wir an dem Punkt angelangt, wo ich doch eine Einschätzung abgeben möchte, welche zehn Länder in den Halbfinals aufgerufen werden, ihre Show am Samstagabend zu wiederholen.

In Punkte fassen möchte ich meine Einschätzung nicht, daher sind die Länder alphabetisch sortiert. Mit Stand jetzt würde ich folgende zehn Länder im 1. Semifinale benennen:

 Albanien
 Armenien
 Griechenland
 Lettland
 Litauen
 Moldawien
 Niederlande
 Norwegen
 Portugal
 Ukraine

Österreich hat mich insbesondere ob der stimmlichen Leistung von Pia Maria enttäuscht, als dass ich mir einen Finaleinzug nicht mehr vorstellen kann, wobei die Show an sich toll inszeniert ist. Das krasse Gegenstück dazu bietet die Schweiz. Marius Bear liefert stimmlich auf den Punkt ab, das Lied ist und bleibt allerdings ein bedeutungsschweres Weihnachtslied. Im zweiten Halbfinale tue ich mich ähnlich schwer wie im ersten, denn auch hier buhlen einige Nationen um die Wackelplätze, aber ich würde mich mit jetzigem Stand auf folgende Nationen einschießen:

 Australien
 Belgien
 Estland
 Finnland
 Polen
 Rumänien
 Schweden
 Serbien
 Tschechien
 Zypern

Hat es alles schon mal in
ähnlicher Form gegeben:
Nadir für Aserbaidschan
Speziell der australische Beitrag möchte mir nicht gefallen, trotzdem denke ich, dass Sheldon Riley souverän ins Finale einziehen wird. Auch Rumänien ist für mich nicht das Gelbe vom Ei, allerdings holt WRS durch seine Tanzeinlage viel aus dem Song raus. Die übrigen Kandidaten, mit Abstrichen vielleicht noch Belgien, halte ich allerdings für klare Finalisten. Auf den elften Platz würde ich Aserbaidschan packen, das mir zu sehr nach "Arcade"-Kopie klingt und dessen Staging nun auch nicht sonderlich einfallsreich ist, einen Tänzer, der synchron zum Interpreten agiert gab es schon bei Farid Mammadov und das Lied hat schon mal für die Niederlande gewonnen. Von daher denke ich, dass das europäische Publikum dieser Art von Musik müde geworden ist.

San Marino hat wieder eine spannende Show auf die Beine gestellt, aber der Måneskin-Effekt ist auch schon wieder verpufft, sodass Achille Lauro nur durch sein Auftreten, weniger durch sein Lied punkten kann. Restchancen sehe ich noch für das biedere Lied aus Malta und mit viel Wohlwollen für Montenegro. Ich persönlich würde mir ein Weiterkommen Georgiens wünschen, aber vermutlich teilt Europa meine Begeisterung für dieses schräge Werk nicht. Ein Anwärter auf den letzten Platz ist klar Irland, das maximal Mitleidspunkte kassieren wird. Im ersten Semifinale gilt dies für Slowenien und Bulgarien. In einer Woche sind wir alle schlauer und wissen, wer die Krone bzw. das gläserne Mikrofon aus Turin mit nach Hause bringt. 

Verbiegt sich für jeden Punkt:
Chanel begeisterte bei ihrer Probe
Nach den heutigen Proben wurde Spanien im Pressezentrum maximal bejubelt, einen Latino-Song kann ich mir, trotz Chanels toller Probe, aber nicht in der Sieger-Reprise vorstellen. Italien hat nach der heutigen Probe an Boden eingebüßt, das Vereinigte Königreich hinzugewonnen. Für Deutschland sehe ich wieder einmal kaum Chancen auf ein mittelmäßiges Ergebnis sondern eher wieder eine Platzierung um die 20 bis 25. Das geht nicht einmal gegen Malik Harris, der ebenfalls nach Kräften bemüht ist, aber wie vorhin schon in einem anderen Posting erklärt, denke ich, dass ein mittelmäßiges Ranking im Juryvoting kaum zu Punkten führen wird.

Die Woche von Turin hat für mich mehr Fragen aufgeworfen, als sie beantwortet hat. Müsste ich heute auf einen Sieger tippen, könnte ich keine zufriedenstellende Antwort geben. Und diese Ungewissheit ist ja in Hinblick auf die Punktevergabe doch ganz spannend. Wir werden sehen, ob die Ukraine viele Sympathiestimmen einfängt, ob Italien den Doppelsieg einheimsen kann, die Grower Spanien und das UK ganz vorne mitspielen oder vielleicht doch mein persönlicher Favorit Polen dabei sein wird. Und vielleicht galoppiert noch ein Dark Horse vorbei, von dem wir alle noch nicht wissen, die nächste Woche wird spannend, wenngleich das Gesamtniveau nur "sept" von "douze points" entspricht.