Freitag, 13. Mai 2022

Eurovision 2022: Zusammenfassung des zweiten Halbfinals


Italien
- Gestern Abend wurden die letzten Weichen für das große Finale des Eurovision Song Contests in Turin gestellt. Laura Pausini, Mika und Alessandro Cattelan, der den Opener im Zeichen italienischer Improvisation geben musste, führten durch ein sehr kurzweiliges Halbfinale, bei dem ich am Ende so ziemlich jeden Beitrag gut fand und ihm ein Weiterkommen gegönnt hätte. Dennoch haben nur zehn Interpreten dieses Ticket lösen können, darunter u.a. die Gruppe The Rasmus, die den ganzen Auftrittsmarathon eröffnen mussten.

Insbesondere der Eröffnungsmoment, in dem Lauri Ylönen im Regencape mit einem Ballon auf der Bühne stand, weckte groteske Erinnerungen an Stephen Kings "Es", das die Dorfjugend in den Abgrund zieht. Allerdings entpuppte sich der finnische Beitrag als weniger gefährlich, Lauri hatte mit seinen Bandkollegen sichtlich Spaß und das gelb-schwarze Konzept mit all den Ballons wirkte stimmig. Nicht zuletzt ob ihrer Popularität, die Älteren werden sich noch an "In the shadows" erinnern, zogen die Finnen ins Finale ein. Somit ist zumindest ein bisschen Rock im Finale vertreten.

Die Koffer für den Rückflug packen muss unterdessen Michael Ben David, der eine vollkommen überzogene Ich-Nummer für Israel ablieferte und sich dann auch noch ganz dreist vor dem Schnelldurchlauf zwischen die Moderatoren drängte. Dass er "shameless" ist, wissen wir ja aus dem Text seines Liedes, aber dass man sich trotz guter Show so ungemein aufdrängen muss, war dann doch too much. Israel wird erstmals seit dem Ausscheiden von Mei Feingold 2014 in Kopenhagen nicht im Finale der Eurovision auftreten. Ich denke, das ist durchaus verschmerzbar. Weitaus mehr hätte mir die skurrile Darbietung von Konstrakta aus Serbien gefehlt.

"In corpore sano" wurde eindrucksvoll und zum Glück auch mit englischen Wortfetzen als Untertitel für das Publikum veranschaulicht. Konstrakta musste am längsten auf ihre Qualifikation warten, als Zehnte sicherte sie sich ihren Startplatz im Finale. Serbien ist damit das einzige Land vom Westbalkan, dass es geschafft hat, während u.a. die kleinen Nachbarn aus Montenegro das Nachsehen hatten. Vladana lieferte allerdings auch toll ab, sie wertete mit ihrer Energie einen doch recht balladesken Titel auf und hätte es meiner Meinung auch verdient gehabt, die montenegrinische Durststrecke zu beenden. Nett war auch die Geste, einen Teil des Liedes auf Italienisch zu singen.

Für mich unverständlicherweise weitergekommen ist stattdessen Aserbaidschan. Nadir wirkte auf seiner großen schiebbaren Tribüne gar ein wenig verloren, vom Hocker gerissen hat mich weder der sehr an "Arcade" erinnernde Song, noch seine fürchterliche Betonung von "Weather". Aber gut, Aserbaidschan ist neben Armenien das zweite kaukasische Land, das im Finale vertreten ist. Der Dritte im Bunde, nämlich Georgien, flog mit seiner Zirkusnummer leider raus. Dabei hatten die Georgier wieder Mut bewiesen, schrille Kostüme, einen tollen Backdrop und sogar einen Leierkasten mit ihren Ebenbildern dabei. Obwohl sie draußen sind, haben sie wieder Akzente gesetzt und man muss dem georgischen Fernsehen mittlerweile dankbar sein, dass sie allen Trends zum Trotz immer "eigene" Sachen schicken.

Daraufhin folgte Maltas Sängerin Emma Muscat, die mir nach der Aussage von Peter Urban, dass sie ein geschätztes Vermögen von 80 Millionen Euro hat, noch unsympathischer wurde. Die Bühnenshow war ganz nett gemacht, aber abgenommen hat man der kleinen verzogenen Maus ihren Song nicht. Bei dem beträchtlichen Einkommen wundert es mich, dass es offenbar nicht für ausreichend Stimmenkäufe gereicht hat, für Malta als Quell der Korruption schon so oft unterstellt wurden. Aber generischen Pop mit Botschaft wollte Europa 2022 eben nicht und somit fliegt Malta erstmals seit 2018 wieder im Halbfinale raus. Genauso übrigens wie San Marino...

Die italienischen Gazetten trauern heute um ihren Achille Lauro, der pompös abgeliefert hat, den Bullen ritt und sich sogar zu einem Kuss mit seinem Gitarristen hinreißen ließ. Tatsächlich fand ich "Stripper" im Vorfeld überflüssig, San Marino hat aber die richtigen Knöpfe gedrückt, um das Maximale aus dem Lied herauszuholen. Dennoch konnte Achille sich nicht unter den Top Ten platzieren, für Unterhaltung hat er aber in jedem Fall gesorgt. Mehr noch als z.B. der nach ihm auftretende Sheldon Riley aus Australien, der sicher gut gesungen hat, mit seiner Theatralik aber ähnlich wie Israel ein bisschen übertrieben hat. Oz sehen wir am Samstag allerdings wieder, das Ausscheiden von Montaigne im Vorjahr bleibt ein einmaliger Ausrutscher.

Als Opfer ihres eigenen Gesangs muss man Andromache als Zypern nennen. Glaubte ich doch bis zuletzt daran, dass der griechisch-mediterrane Ethnosong weiterkommt. Leider erwies sich das Gesamtpaket aber als recht monoton und somit war es kein Shocking Moment, als Zypern nicht auf der Liste der qualifizierten Nationen auftauchte. Hinter dem Mittelmeerland liegen aber erfolgreiche Jahre, sodass ein Halbfinal-Aus durchaus verschmerzbar sein dürfte. Hier gilt klar, dass andere besser waren. Und das Ausscheiden wirft nun auch die Frage auf, wohin die zwölf Punkte Griechenlands im Finale gehen werden, der kleine Bruder und Unterstützer ist ja nicht mehr gelistet...

Schade ist es hingegen um Irland. Leider habe ich Brooke nach ihrem Sieg beim Vorentscheid lange unterschätzt. Sie ist gereift und gestern Abend tatsächlich über sich hinausgewachsen. Die Bühnenshow wirkte nicht verbissen und tapsig, sondern gut entwickelt. Auch stimmlich hat Brooke ihre Grenzen überwunden und den Auftritt ihres Lebens hingelegt, wobei mir die Strophen stärker vorkamen als der Refrain. Schlussendlich hat es für Irland abermals nicht ins Finale gereicht, ich kann mir aber nicht vorstellen, dass Brooke das Schicksal ihrer beiden Vorgängerinnen teilen wird und den letzten Platz belegt hat. Das traue ich eher Andrea aus Nordmazedonien zu, zu deren Auftritt ich an sich gar nichts mehr sagen kann. Für sie schließt sich nun das Kapitel Eurovision, drücken wir ihr nur die Daumen, dass sie sich in ihrer Heimat nicht wegen dieser ganzen Flaggen-Hysterie verantworten muss...

Es folgte Estland, eines der prominentesten Opfer der schwarzen kinetischen Sonne. Stefan hat diesen Lapsus der Bühnentechnik durch Leistung wieder ausgeglichen. Europa hat ihm "Hope" abgenommen und somit darf er, gemäß der Festlegung der Startreihenfolge sogar das Finale am Samstag als letzter Künstler abschließen. Genauso hat es Rumänien erstmals seit Alex Florea und Illinca 2017 wieder ins Finale geschafft. Mit einer feurigen Tanznummer hat sich WRS, von dem ich erst jetzt gelernt habe, dass er Urs ausgesprochen wird, in die Zuschauerherzen gesungen und Rumänien aus einem tiefen Tal befreit. "Llámame" wird im Finale aller Voraussicht nach nichts reißen, aber ich freue mich für das rumänische Team.

Viel mehr freue ich mich über das Weiterkommen von Polen. Mein persönlicher Favorit Krystian Ochman hat eine Stimme, die ihresgleichen sucht. Auch die Speical Effects wirkten gut, die Tanzshow der Dämonen, bei denen ich mich allerdings noch frage, ob sie ihn zufällig oder bewusst gestreift haben. Allerdings verstehe ich nun die Aussagen verschiedener Kollegen, warum Ochman als hölzern bezeichnet wird. Bei allen Momentaufnahmen, wo er nicht sang, sondern z.B. im Greenroom saß oder bei der anschließenden PK sprach, wirkte er sehr reserviert. Man merkt, dass er sehr auf sich und seine Arbeit konzentriert ist, aber dabei auch als recht unnahbar gilt, das ist ein bisschen schade.

Jérémie Makiese aus Belgien dafür wirkte deutlich gelassener, er verwandelte seine Performance in einen Finalauftritt, anders als bei seinem Fußballverein, der den Klassenerhalt nicht geschafft hat. Erwartbar im Finale ist auch Schweden, das mit Cornelia Jakobs eine grandiose Sängerin ausgewählt hat, übrigens die erste weibliche Teilnehmerin seit 2014 (abgesehen von The Mamas, die 2020 zuhause bleiben mussten). Sie räkelte sich auf dem sehr dreckigen Bühnenboden, agierte mit ihrer grün und rot schimmernden Scheibe und lieferte gesanglich on point ab. Einziger Kritikpunkt bleibt ihre Frisur, die sie, wie schon Sanna Nielsen dereinst, zehn Jahre älter macht...

Abgeschlossen wurde das Semifinale durch Tschechien. We Are Domi haben ein fanstastisches Backdrop mit Michelangelos Statue des David gezeichnet, der in Stacheldraht eingewickelt, mit Symbolen beschmiert und schließlich in die Luft gejagt wurde. Auch die fantastische Lichtshow und der Gesang von Frontsängerin Dominika Hašková sorgten für einen runden Abschluss und brachten Tschechien zum vierten Mal in seiner Geschichte ins Finale der Eurovision. Dort müssen sie nun allerdings, wie das bei Semifinalisten auf der letzten Position fast schon gesetzt ist, den Abend eröffnen, was sie aber gewiss souverän machen werden. Nach Tschechien kam es dann zum Schnelldurchlauf und zur Abstimmung.

Dazwischen traten noch zwei von drei Il Volo-Sängern live auf und präsentierten eine aufgepeppte englischsprachige Version von "Grande amore", mit dem sie 2015 in Wien die Bronzemedaille holten. Auch die Hosts des Abends, Laura Pausini und Mika gaben ein musikalisches Gastspiel und sangen "Fragile" von Sting und "People have the power". Nach einem kurzen Ausblick auf die Big Five-Performances von Chanel, Sam Ryder und Malik Harris gab es dann auch schon den Segen von Martin Österdahl und die zehn Finalisten. Somit haben wir nun alle 25 Titel für das morgige Finale vorliegen, bis auf wenige Ausnahmen geht die Line Up in der Endrunde des 66. Eurovision Song Contests völlig in Ordnung und wir können uns auf eine spannende Show freuen.

Die Stimmung im Tunnel zur Bühne war gut: Andromache und Andrea Koevska
Skandinavier kurz vor der Arbeit: Cornelia Jakobs und Lauri von The Rasmus
WRS tanzte schon vor seinem eigentlichen Auftritt, Alessandro Cattelan musste als Opener tanzen
Das Moderatoren-Trio | Mika und Laura Pausini sangen im Interval ein Duett
Ebenfalls im Rahmenprogramm dabei: Il Volo | "La Passion", Chanel für Spanien
Smalltalk mit den Big Five: Sam Ryder für das UK und Malik für Deutschland
Der Kindergeburtstag wurde durch Finnland eröffnet  | Michael Ben David
"Biti zdrava" hieß es bei Serbien | Nadir für Aserbaidschan
Verkanntes Juwel: Circus Mircus für Georgien | Bestieg ihren Flügel: Emma Muscat
Italien trauert: Ihr Achille Lauro ist zusammen mit San Marino untergegangen
Starek Stimme: Sheldon Riley | Blieb hinter den Erwartungen: Andromache
Hat gut geliefert, das letzte Quäntchen für die Qualifikation fehlte aber: Brooke
"You don't wanna test my limits", Andrea | Sprang auf die B-Bühne: Stefan für Estland
Tanzte sich für Rumänien ins Finale: WRS | Krystian Ochman für Polen
Empfing damit vielleicht ausländisches Radio: Vladana | Jérémie Makiese zog ins Finale ein
Räkelte sich für Schweden: Cornelia Jakobs | Brachten Tschechien ins Finale: We Are Domi
Die Delegationen von Serbien und Tschechien im Greenroom
Freude über den Finaleinzug bei Australien und Schweden
WRS aus Rumänien ist auch weiter | Stefan sprang auch über die Pressekonferenz
Bilder von der PK, Jérémie tritt für Belgien in der ersten Hälfte an
Ließen sich feiern: The Rasmus und We Are Domi