Sonntag, 15. Mai 2022

Eurovision 2022: Blitzanalyse der Punktevergabe [UPD]


Italien
- Bevor ich ins Bett gehe und das Finale morgen abschließend zusammenfasse, kommen hier noch die obligatorischen Votinganalysen, die einem sofort ins Auge stechen sollen. Zunächst gehen wir einmal der Frage nach, ob Deutschland wirklich so schlecht abgeschnitten hat, wie es das Tableu im Finale vermuten lässt. Im Televoting gab es immerhin sechs Punkte. Jeweils zwei Punkte verdanken wir den Zuschauern aus Österreich und der Schweiz, zwei weitere Punkte steuerte das estnische Publikum bei, dafür herzlichen Dank. Ich gebe zu, dass ich mit dem letzten Platz für Malik gerechnet habe.

Gleichzeitig muss ich aber auch sagen, dass er gut performt hat und wir seit 2018 endlich wieder einen Interpreten auf der Bühne stehen hatten, für den ich mich nicht geschämt habe. Trotz allem steht beim Juryvoting eine null, in Australien hätte es aber fast für einen Zähler gereicht, dort steht Malik auf dem elften Rang, ebenso in Österreich. Ebenfalls gnädig war noch die kroatische Jury, die Malik auf die Zwölf gesetzt hat und das ukrainische Publikum, die ihn ebenfalls auf dem zwölften Rang stehen haben. Ansonsten gabes sowohl bei den Juroren als auch beim Televoting viele mittelmäßige Ergebnisse für Deutschland.

Wie Peter Urban bereits in weiser Voraussicht an den TV-Zuschauer vermittelte, gibt es ab Rang elf keine Punkte mehr, gänzlich falsch lag er mit dieser Einschätzung nicht. Der deutsche Beitrag ist daher nicht so schlecht davongekommen, wie es auf den ersten Blick scheint. Deutschland selbst hat im Finale seine Höchstwertung an das Kalush Orchestra gegeben, auf den weiteren Rängen im Televoting folgen Moldawien mit zehn Punkten und Polen mit acht Punkten. Im Juryvoting, deren Vorsitz Michelle hatte, die zuletzt noch bei Barbara Schöneberger in der Aftershow-Party saß, lag Sam Ryder aus dem UK vor der Ukraine, Spanien und Schweden.

Ansonsten gibt es den üblichen Punkteaustausch, wobei man anmerken muss, dass die zypriotische Jury zwar zwölf Punkte an Griechenland vergab, die Zuschauer im Finale aber der Ukraine ihre zwölf Punkte gaben. Einigkeit herrscht dagegen wieder, wenn es um die gegenseitige Ablehnung zwischen Armenien und Aserbaidschan gibt, sowohl die armenische Jury als auch die Zuschauer setzten Nadir auf den letzten Rang. Aus Aserbaidschan liegen (noch) keine detaillierten Ergebnisse vor, man kann aber davon ausgehen, dass das Ranking eine ähnliche Tendenz aufzeigt. Die drei Punkte aus dem Televoting für Aserbaidschan kamen übrigens allesamt aus Georgien.

Für die Ukraine gab es im Televoting übrigens 28x die Höchstpunktzahl, aus acht Ländern noch einmal zehn und aus Nordmazedonien und Malta acht Punkte. Lediglich in Serbien reichte es nur zu sieben Punkten. Bei den Juroren sah es dabei etwas anders aus, Höchstwertungen gab es aus fünf Ländern, zudem zehn Punkte aus Frankreich, Island und Deutschland. Die ukrainischen Zuschauer selbst vergaben ihre Höchstwertung an Krystian Ochman aus Polen, gefolgt von Litauen und Island, die Jury hatte das Vereinigte Königreich vor Portugal und den Niederlanden auf eins gesetzt.

Erstaunt war ich zudem, dass Rumänien von der moldawischen Jury keinerlei Punkte erhielt, ein Blick ins Detail zeigt jedoch, dass WRS dort auf dem zwölften Platz lag. Die Zuschauer vergaben zehn Punkte nach Rumänien, auch hier ging die Höchstwertung an die Ukraine. Ansonsten zeigte das Televoting im Finale allgemein recht große Abweichungen zum Juryvoting. Während Tschechien es immerhin auf 33 Jurypunkte schaffte, erbarmte sich lediglich Nordmazedonien zu fünf Punkten im Televoting. Für Australien gab es ebenfalls nur zwei Televoting-Punkte, diese stammen aus Aserbaidschan. Die Schweiz ging mit Marius Bear im Televoting gänzlich leer aus.

Im Übrigen freue ich mich, dass zwei der Big Five-Länder, die in den letzten Jahren ebenfalls oft im Keller lagen, auf dem Treppchen gelandet sind. Vor allem für Chanel freut es mich ungemein, dass sie Dritte geworden ist. Beteiligt daran waren acht Jurys, die ihre Zwölf nach Spanien schickten, im Televoting gab es nur einmal die Höchstwertung aus Griechenland, dafür jedoch 5x zehn Punkte und 7x acht Zähler. Das deutsche Publikum steuerte zwei Punkte für "SloMo" bei. Das UK erhielt ebenfalls eine Höchstwertung im Televoting, nämlich aus Malta sowie zehn Punkte aus Israel, hingegen 8x Zwölf und 7x zehn Punkte von den Jurys. 

Abschließend kauen wir noch kurz die beiden Halbfinals durch, dort schied bekanntlich Österreich mit Lumix & Pia Maria aus. Am ehesten konnte sich noch das armenische Publikum mit fünf Punkten für "Halo" begeistern, vier Punkte stammen jeweils aus Island, der Schweiz, Kroatien und Albanien. Von den Juroren gab es drei Punkte aus Italien, zwei aus Griechenland und einen Punkt aus Frankreich. Österreich selbst vergab seine Televoting-Bestmarken sowohl im Halbfinale als auch im Finale an die Ukraine. Und während es im Finale für Marius Bear aus der Schweiz überhaupt keine Televoting-Stimmen gab, erhielt er im Halbfinale immerhin elf Zähler, darunter drei aus Österreich und Litauen.

Erstaunlicherweise erhielt Tschechien im Halbfinale 125 Punkte im Televoting, darunter zehn Punkte aus Israel und Spanien, sowie von den Juroren 102 Punkte. Im Finale war davon jedoch kaum etwas zu spüren, dort lagen We Are Domi oft genug auf ähnlich undankbaren Plätzen wie Deutschland. Aufgefallen ist mir während der Punktevergabe abschließend noch die zum Teil sehr hohen Wertungen für Aserbaidschan. Spaniens Jury z.B. vergab zwölf Punkte an Nadir, während sein Titel bei den spanischen Zuschauern nur auf Rang 23 lag. Ein ähnliches Schauspiel in Griechenland und Serbien, dort lag Nadir bei den Juroren ebenfalls ganz vorn, im Televoting kam "Fade to black" aber nur auf die #22.

Im Halbfinale hat Aserbaidschan im Übrigen keinerlei Zuschauerpunkte erhalten, sondern sich einzig und allein durch die Jury qualifiziert. Bei reinem Televoting wäre Zypern ins Finale eingezogen. Hätte es ein reines Juryvoting im Halbfinale gegeben, wäre Nordmazedonien statt Rumänien weitergekommen. Auch im ersten Halbfinale hätte es Abweichungen gegeben. Bei reinem Televoting wäre Albanien statt der Schweiz weitergekommen, bei reinem Juryvoting Kroatien statt Moldawien.

Die detaillierten Wertungen aller Nationen im Finale und den beiden Semifinals kann man sich hier auf Eurovision.tv (1. SF | 2. SF | Finale) anschauen. Mehr zu den einzelnen Votings und die große Zusammenfassung zum Finale des 66. Eurovision Song Contests folgen im Laufe des Tages, inklusive Reaktionen, Bildmaterial und einem Ausblick auf den Eurovision Song Contest 2023, den ich mir trotz der großartigen Leistung des Kalush Orchestras beim besten Willen weder in Kiew, noch in Charkiw, Lwiw oder sonstwo in der Ukraine vorstellen kann. 

Hierfür wird die Europäische Rundfunkunion sich nun mit großer Gewissheit eine Alternative überlegen müssen, denn ich gehe nicht davon aus, dass ein vom Krieg erschüttertes Land, dessen Ausgang immer noch ungewiss ist, bis Mai 2023 die notwendigen Mittel und Infrastruktur aufwenden kann, um die Eurovision zu veranstalten. Doch darum kümmern wir uns zu gegebener Zeit. Nunmehr bleibt mir erst einmal nichts weiter zu sagen als gute Nacht!

Update (02:43 Uhr): Die Europäische Rundfunkunion hat zudem noch ein Statement veröffentlicht, dass sich auf die Jurywertungen von sechs Ländern bezieht. Bei den Jurywertungen handelt es sich um Aserbaidschan, Georgien, Montenegro, Polen, Rumänien und San Marino. Darin heißt es, "In the analysis of jury voting by the European Broadcasting Union’s (EBU) pan-European voting partner after the Second Dress Rehearsal of the Second Semi-Final of the 2022 Eurovision Song Contest, certain irregular voting patterns were identified in the results of six countries

In order to comply with the Contest’s Voting Instructions, the EBU worked with its voting partner to calculate a substitute aggregated result for each country concerned for both the Second-Semi Final and the Grand Final (calculated based on the results of other countries with similar voting records).

This process was acknowledged by the Independent Voting Monitor.

The EBU takes any suspected attempts to manipulate the voting at the Eurovision Song Contest extremely seriously and has the right to remove such votes in accordance with the Official Voting Instructions, irrespective of whether or not such votes are likely to influence the results and/or outcome of the voting."