Mittwoch, 11. Mai 2022

Eurovision 2022: Zusammenfassung des ersten Halbfinals


Italien
- Das war es also, das erste Halbfinale des Eurovision Song Contests aus Turin. Und was haben sich die Italiener ins Zeug gelegt, eine wunderbare Show auf die Bühne zu stellen, wenn man von der dunkel gebliebenen kinetischen Sonne im Zentrum einmal absieht. Es gab alles, was das Herz eines Eurovisionsfans erfreut, Pyroeffekte, Lichtspiele, Tanzchoreographien, Ethno, starke Balladen und einige Gänsehautmomente sowie am Ende eine tatsächlich spannende und in Teilen überraschende Ergebnisverkündung. In jeglicher Hinsicht hat man die Sache professioneller gelöst, als 1991, als Italien schon gar keine Lust mehr auf die Eurovision hatte und der Wettbewerb in einer Ansammlung römischer Kulissen mit zwei überforderten Musikikonen stattfand.

Nun hat man allerdings auch in einem Anflug von Hektik gemerkt, dass zwei der drei Moderatoren des Abends auf ein italienisches Publikum zugeschnitten sind. Laura Pausini dominierte mit ihren pinken Valentino-Kostümen die Moderation, verfiel bei der Bekanntgabe der Finalisten beim sechsten Qualifikanten kurz in ein Cutugno-Momentum, wobei "Porca vacca" ("Holy cow") wohl eher ein einstudierter Sketch war. Alessandro Cattelan wirkte dagegen fast etwas blass und das, obwohl der in Italien eine Moderationslegende der jüngeren Vergangenheit ist. Naja und Mika war der, der Englisch sprach, aber nichts von dem "La dolce vita" seiner Kollegen zu versprühen vermochte. Aber für italienische Verhältnisse, haben sie ihren Job im Großen und Ganzen recht souverän gemeistert.

Eröffnet wurde das Halbfinale von Ronela Hajati aus Albanien, die sich im Laufe der Woche schwerer Kritik aussetzen musste, nicht zuletzt wegen ihres Outfits. Bei Twitter forderte sie tief deprimiert die Zuschauer auf, während ihrer Performance den Fernseher auszuschalten, damit der Moment schnell vorübergeht und sie sich wieder auf ihre Karriere konzentrieren kann. Dafür hat sie auf der Song Contest-Bühne aber über ihren Frust hinweg alle Kräfte mobilisiert und energetisch performt. Die stark sexualisierte Choreographie zählte zu den sicheren Finalanwärtern, doch Europa hat tatsächlich anders entschieden und Ronela kehrt ohne Erfolg nach Tirana zurück. Das hätte ich tatsächlich nicht erwartet...

Es folgten die baltischen Länder Lettland und Litauen. Citi Zēni waren farbkräftig, irgendwie auch witzig und gut drauf, machten dem verfluchten Startplatz zwei aber auch alle Ehre und konnten sich mit ihrem Veggie-Lied nicht qualifizieren. Lettland fliegt damit das fünfte Mal in Folge raus, anders als Litauen, das mit klassischem Chanson in Landessprache einen warmen Auftritt ablieferte. Pailletten und die Mireille Matthieu-Frisur ziehen auch im Jahr 2022 noch und ich freue mich, dass es Litauen ins Finale geschafft hat. Im Greenroom und auf der Pressekonferenz im Anschluss setzte sie Zeichen für die Unterstützung der Ukraine, motivierte zu Spenden und Aufmerksamkeit für das vom Krieg geschundene Land.

Als Aufsteiger der Woche würde ich Marius Bear betiteln. Mit wenigen Mitteln, eigentlich nur seiner warmen Stimme und Schattenspielen im Hintergrund, schaffte es der Schweizer, sich für die Endrunde zu qualifizieren, verdienterweise muss ich sagen. Auch wenn ich "Boys do cry" für eine lahme Nummer halte und ihm kein Gjon's Tears-Ergebnis zutraue, so hat er doch genug Menschen berührt, die ihm das Finalticket ermöglichten. Weniger Erfolg hatte die folgende Schülerband LPS aus Celje, die ihre drei Minuten ganz ordentlich absolvierten, aber mit einem Discofunk aus jugoslawischer Ära deplatziert wirkten. Auch der überambitionierte Musiklehrer am Keyboard vermochte das abermalige Ausscheiden Sloweniens nicht zu verhindern.

Den ersten Gänsehautmoment erzeugte das Kalush Orchestra. Während des Teils, wo das Publikum mitklatschen konnte, schwenkte die Kamera ins PaliOlimpico und filmte eine Kulisse an Zuschauern, die kollektiv die Hände über den Köpfen klatschten. Das war angesichts der Umstände, unter denen die Ukraine bei diesem Eurovision Song Contest antritt, ein wahnsinniger Moment und zeigt einmal mehr, dass der Wettbewerb ein Zeichen der Völkerverständigung ist. Natürlich hat sich die Ukraine für Samstag qualifiziert, hält damit zum einen ihre 100%ige Quote aufrecht und wird im Finale ganz gewiss noch einen größeren Moment generieren. Hier stellt sich nun die Frage, wie weit nach vorne es für "Stefania" gehen wird, die Platzierungsskala dürfte für die Ukraine nach oben offen sein.

Danach kamen die Rocker des Intelligent Music Projects, die schon bei der Bekanntgabe ihres Titels im letzten Jahr bei der Community unten durch waren. Bulgarien war überall, wohin man schaute auf dem letzten Rang zu finden und ich könnte mir vorstellen, dass es trotz guter Bühnenshow, insbesondere durch Gitarrensolo und Flammenmeer, nicht für allzu viele Punkte gereicht hat. Besonders beunruhigend fand ich den Bassisten am linken Bühnenrand, der mit einem zutiefst verzerrten Gesicht in die Kamera blickte, als wolle er alle jeden Moment zuschnappen, aber so müssen echte Rocker angesichts der engen Lederhosen auch dreinschauen. Für Bulgarien ist der Eurovision Song Contest jedenfalls beendet.

Weiter geht es unterdessen für S10. Die Niederländerin stand in ihrem bauchfreien schwarzen Kostüm in einer Art Lichtkäfig und befreite sich und ihren Song während der Performance von der Anspannung. Sie lieferte ohne Allüren eine super Performance ab und zeigte, dass man durch eine Ballade auf Landessprache auch mit ernstgemeinter Gestik und Emotionen überzeugen konnte. S10 löste als letztes ihr Finalticket, da war er wieder, der Moment der Ergebnisbekanntgabe, bei dem mein Blick zwischen Albanien und den Niederlanden wechselte und Adrenalin in gefährlicher Dosis ausgeschüttet wurde. Schlussendlich hat es S10 aber meiner Meinung nach auch mehr ins Finale verdient als Albanien, wobei ich deren Ausscheiden auch bedauere.

Zdob și Zdub aus Moldawien können sich nach ihrer lustigen Zugfahrt und dem Einsatz der beiden Advahov-Brüder damit rühmen, zum dritten Mal in ein Song Contest-Finale eingezogen zu sein. Nach 2005 und 2011 treten sie mit ihren spaßigen Kostümen und ihrem nicht minder spaßigen Beitrag über eine Zugfahrt von Hauptstadt zu Hauptstadt am Samstag in der zweiten Hälfte des Finales auf. Im Finale treffen sie auch wieder auf Maro, die mit ihrem Frauenkreis "Rhythmisch klatschen" die portugiesische Lebenseinstellung verkörpern darf. "Saudade, saudade" drückt visuell und emotional das chronische Zehren der Portugiesen nach Sehnsucht und Leid aus, jedoch in einem intimen Kreis, der seit Salvador Sobral beim Song Contest an Zuspruch gewonnen hat.

Ausgeschieden ist hingegen Mia aus Kroatien. Süß vorgetragen und durch die Tanzchoreographie ihrer Backings untermalt, verlor sich "Guilty pleasure" im Gros der Beiträge als mittelmäßig. Ebenso wenig hat es für die Frauentruppe Reddi aus Dänemark gereicht. Und auch wenn mir der Song eigentlich ganz gut gefällt, so wäre ich sogar sauer gewesen, hätten sie sich qualifiziert. Da es Fyr og Flamme mit ihrem genialen 80er-Recap schon nicht geschafft haben, so hätten es vier Hausfrauen in nachhaltigen Kostümen mit 70er-Softrock auch nicht verdient gehabt. Dabei muss ich aber noch einmal darauf verweisen, dass sich Dänemarks Mut zum Ausbruch aus gängigen Trends in den letzten zwei Jahren gutheiße. Viele Länder versuchen mit originellen Shows und modernster Technik zu überzeugen, das dänische Publikum schert sich darum aber nicht, und wählte "hyggelige" Beiträge aus, dafür Hut ab!

Auch müssen wir uns von Österreich verabschieden. "Halo" stand in den Fan-Polls recht gut da, auch in unserem Eurofire-Ranking schafften es Lumix und Pia Maria auf den zehnten Platz. Die Bühnenshow war mit einem gewaltigen Heiligenschein gut, selbst DJ Lumix wirkte nicht so verloren, wie andere große DJs, die es vor ihm auf der Song Contest-Bühne versuchten. Allerdings scheiterte das Ganze dann wohl am Gesang von Pia Maria. Das kann man der jungen, noch relativ unerfahrenen Sängerin kaum zum Vorwurf machen, aber für das Finale ist es eben zu wenig. Umso entspannter konnte sie sich nach ihrer Performance freuen, als der ganze Druck der letzten Wochen von ihr abzufallen schien. Das war ein schöner Moment und ich hoffe, Österreich nimmt die Niederlage nicht allzu schwer.

Die für mich größte Überraschung folgte danach: Systur aus Island sind ins Finale eingezogen. Gewiss ist das Lied nicht schlecht, aber ich hätte erwartet, dass es wie bei Kroatien zu unauffällig ist. Die drei Schwestern, denen man nicht ansieht, dass sie miteinander verwandt sind, lächelten drei Minuten in die Kameras, schwenkten nach links und rechts aus und intonierten ordentlich. Was es nicht gebraucht hätte, ist ihr Bruder, der gelangweilt am Schlagzeug saß und nur hin und wieder mal einen Schlag auf sein Becken oder die Trommel andeutete. Das Lied ist nicht für's Schlagzeug gemacht, da haben sich andere Nationen mehr verausgabt, Stichwort Slowenien und Bulgarien.

Zu Recht im Finale sind dagegen Griechenland mit der starken Leistung von Amanda Tenfjord und die direkt darauf folgenden Wölfe aus Norwegen. Beide lieferten eine starke Show ab, die sie mit Routine auch im Finale abliefern werden. Als letzte Starterin ging Rosa Linn für Armenien auf die Bühne. Auch diese Nummer steht zu Recht im Finale, wobei halb Europa wohl kurz den Atem angehalten hat, als sie zum Schluss hin die Verkleidung zum vorderen Bühnenteil abreißen wollte und nur ein Zettelchen von der Wand riss. Im zweiten, energischeren Anlauf zog sie dann die Tapete ab und konnte sich dem Publikum präsentieren. Das hätte ja was werden können... 

Im Interval-Act folgte eine Hommage an italienische Disco, an Raffaella Carrà, die im Juli 2021 verstarb und der zweite besondere Moment des Abends, nämlich der Auftritt von Diodato. Er sang das Intro von "Fai rumore", seinem eigentlichen Song Contest-Beitrag von 2020 am Klavier und ließ sich dabei vom Gesang des Publikums tragen. Das hat bei mir Gänsehaut erzeugt und bleibenden Eindruck hinterlassen. Man könnte meinen, Italien ist 2020 durch den Ausfall des Wettbewerbs, bedingt durch Corona, um den Sieg gebracht worden. Immerhin hat Diodato nun seinen Frieden geschlossen und seinen magischen Moment erhalten, dafür mille grazie an die RAI, die ihm diese Chance ermöglicht hat.

Lobend hervorheben möchte ich an dieser Stelle noch die Idee mit der kleinen Drohne Leo, die es schafft, italienische Sehenswürdigkeiten und Landschaften als Tourismuswerbung anzupreisen und daneben auch die Künstler des Jahrgangs einbindet. Aufgrund der Reisebeschränkungen, knapper Kassen und vielleicht auch um den eigenen Marktwert hervorzuheben, waren die Künstler nur noch Fotomontagen und Projektionen zu sehen, aber immerhin wirkten sie an den Postcards mit. Und somit liegt ein Drittel des Eurovision Song Contests bereits wieder hinter uns. Am heutigen Tage finden zwei Generalproben des zweiten Halbfinals statt, eine am Nachmittag und das Juryfinale um 21 Uhr.

Alle notwendigen Informationen zum zweiten Halbfinale, bei dem auch Deutschland stimmberechtigt ist und Malik Harris neben den Interpreten aus dem UK und Spanien einen kurzen Smalltalk mit den Moderatoren halten wird, folgen in einem separaten Posting. 

Backstage vor dem Auftritt: die Subwoolfer und S10 beim letzten Check
Einer der Advahov-Brüder aus Moldawien | Diodato vor seinem großen Auftritt
Obligatorisch: irgendwelche Akrobatikaktionen als Opener | "The Sound of Beauty"
Hätten italienischer nicht moderieren können: Alessandro, Laura und Mika | Diodato
Beide mit übersexualisierten Beiträgen ausgeschieden: Albanien und Lettland
Classy kam an: Monika Liu für Litauen und Marius Bear für die Schweiz sind weiter
Hatten drei tolle Minuten: LPS | Festigten ihren Favoritenstatus: Kalush Orchestra
Nicht so schlecht wie erwartet: Bulgarien | S10 kam mit Emotionen ins Finale
Typischer Folk durfte auch nicht fehlen: Moldawien und Saudade aus Portugal
Die Tänzer haben den Inhalt des Liedes ausdrücklich vorgeführt, gereicht hat's für Kroatien aber nicht
Flott ist eben nicht finalwürdig: Reddi aus Dänemark und Lumix & Pia Maria sind draußen
Der gelangweiltste Schlagzeuger der Welt bei Team Island | Amanda Tenfjord
Mit großer Show ins Finale: Subwoolfer aus Norwegen und Rosa Linn aus Armenien
Durften sich auch schon der Öffentlichkeit präsentieren: Frankreich und Italien
Grüße aus der Bau/Hobby/Garten-Abteilung: Mika im Greenroom
Marius und Monika kurz bevor sie ihr Finalticket lösten
Fröhliche Truppen in schweren Zeiten: Zdob si Zdub und das Kalush Orchestra
S10 musste bis zuletzt zittern | Amanda und ihr Team für Griechenland
Da wehte die Bob-Frisur: Monika Liu bei der Pressekonferenz im Anschluss
Große Sympathien für die Ukraine | Marius Bear tritt in der ersten Hälfte im Finale an
Wählten auch ihre Starthälften aus: Systur aus Island und Rosa Linn aus Armenien