Kasachstan - Die Hartnäckigkeit und das Engagement, dass das kasachische Fernsehen an den Tag legt sollte meiner Meinung nach belohnt werden. Nach dem erfolgreichen Einstand beim Junior Eurovision Song Contest hält der assoziierte EBU-Sender Khabar an seinen Plänen fest, früher oder später auch beim adulten Eurovision Song Contest anzutreten. Geschäftsführer Alan Azhibayev wird dahingehend von der Nachrichtenseite today.kz zitiert.
Khabar-Intendant Azhibayev |
Er ergänzt, dass Khabar mittlerweile auch Teil der Asia-Pacific Broadcasting Union geworden ist. "Aber Asien ist Asien und Europa ist Europa, daher braucht es einige Zeit. Es geht uns nicht nur um die Teilnahme an der Eurovision." Zwar bringt es Prestige, den Wettbewerb ins eigene Land zu holen, Khabar bzw. ganz Kasachstan würden aber auch von den Übertragungsrechten der Olympischen Spiele, der Fußball-WM und anderer Events profitieren und an das Nachrichtennetzwerk der EBU angeschlossen.
Forscher fanden heraus: Kasachstan liegt näher an Europa als Australien |
Unabhängig davon, dass Australien den Wettbewerb seit nahezu einem halben Jahrhundert überträgt und sich durch eine lange Verbundenheit das Privileg erarbeitet hat, aktiv am Eurovision Song Contest teilzunehmen, hat Kasachstan aufgrund seiner geographischen Nähe zu Europa bzw. westlich des Urals, innerhalb Europas, ebenso die Gelegenheit verdient, am Eurovision Song Contest teilzunehmen. Zwar stehen dem bürokratische Hürden im Weg, die Lage außerhalb der 40° Ost-Marke, die fehlende Vollmitgliedschaft in EBU und Europarat, der Wille des Landes sollte aber dennoch belohnt werden.
Musikalisch wäre das Land durchaus eine Bereicherung |
Kritiker, die davon ausgehen, dass das Debüt Kasachstans den russischen Interpreten in die Hände spielen würde und erneut eine Runde "Douze points" in Richtung Moskau wandert, können vermutlich beruhigt aufatmen. Von politischer Seite gibt es zwischen den beiden Nationen hin und wieder Verstimmungen, Kasachstan strebt eine teilweise Annäherung an den Westen an, was man insbesondere durch die schleppend verlaufende Umstellung auf das lateinische Alphabet bemerkt und den Vertragsschluss mit westlichen Nationen. Sowohl Russland als auch Kasachstan möchten zudem ihre Machtposition in Zentralasien festigen.
Auf eigenem Kurs, Kasachs- tans Präsident Nasarbajew |
Gleichsam strebt Kasachstan nicht nur bei der Eurovision in Richtung Westen sondern spricht sich für verbesserte Beziehungen mit Europa aus. Aus diesem Grund haben Nasarbajew und der ehemalige deutsche Außenminister Hans-Dietrich Genscher eine Dialogplattform gegründet, mit deren Hilfe das zentralasiatische Land gute Beziehungen zur Europäischen Union aufbaue. Hier spielen natürlich auch wirtschaftliche Interessen beider Seiten eine große Rolle, den Dialog zwischen allen Seiten mindert dies jedoch nicht. 2017 zeigte sich Kasachstan im Rahmen der Weltausstellung in Astana als moderne Nation, die sich im Umbruch befindet.
Altlasten aus der Sowjetzeit legt Kasachstan nach und nach ab |
Unabhängig von engen Verflechtungen mit Russland, die sich wie die Nationen auf dem Balkan einen ähnlichen Kultur- und Musikmarkt teilen, bleiben beide Länder eigenständig und anders als die häufig bei politischen Wahlen der Fall ist, haben sie beim Eurovision Song Contest vollkommen unabhängig von Vorgaben ihrer Regenten das Recht demokratisch für das Lied abzustimmen, das ihnen gefällt. Durch die Neustrukturierung des Wertungssystems beim Eurovision Song Contest, so theoretisch dies auch klingen mag, würde selbst 24 Punkte an den ehemaligen sowjetischen Bruder nicht ins Gewicht fallen.
Wir haben es in diesem Jahr mit Julia Samoylova selbst erlebt, dass auch das Siegel "Russland" nicht verhindern kann, dass ein dünnes Lied und eine stimmlich eingeschränkte Interpretin im Halbfinale ausscheiden können. Warum also sollte man Kasachstan, das bereit ist sich neu aufzustellen, es nicht ermöglichen, Teil der offenen Eurovisionsgemeinschaft zu sein. Wir sprechen hier schließlich nicht über die USA, Brasilien, Südafrika oder die Philippinen, die höchstwahrscheinlich allesamt auch kein Interesse an der Teilnahme am Song Contest hätten, sondern über ein Land, das auf der Schwelle Europas liegt und heiß darauf ist, sich musikalisch unter Beweis zu stellen.
Der gleiche Kommerz wie bei uns: SuperStar KZ |
Alte Laster haben die Kasachen auf dem Weg von der Unabhängigkeit zur Identitätsfindung bereits abgeworfen. So erinnern heute fast nur noch Geschichtsbücher oder veraltete Länderlexika an Ortsnamen wie Alma-Ata, den Namen der alten Hauptstadt der Kasachischen SSR im Südosten des Landes, ehe sie in Almaty umbenannt wurde. Auch die heutige Hauptstadt heiß seit 1991 nicht mehr Zelinograd sondern Astana, was Kasachisch für Hauptstadt ist und das baulich inzwischen einem Tundra-Ableger von Dubai gleicht. Nicht zuletzt hat das Junioren-Lied "Ózińe sen" eine klare Botschaft auf dem Weg zur neuen kasachischen Identität. Der Titel bedeutet übersetzt so viel wie "Du selbst".
2017 hieß das Motto der Eurovision "Celebrate Diversity" und genau diese Vielfalt bringt ein Land wie Kasachstan mit, kulturell, musikalisch, sprachlich. Daher sollte man den Kasachen die Chance geben, sich bei der Eurovision zu zeigen, wie sie es jüngst mit Daniyela Tuleshova bei der Junioren-Ausgabe getan haben. Kasachstan ist Teil der UEFA und tritt im europäischen Fußball und vielen anderen Veranstaltungen in Europa an, warum sollten sie nun also beim Eurovision Song Contest außen vor bleiben, der sich seit jeher damit rühmt, dass jeder unabhängig von seinem Stand teilnehmen darf und Politik ohnehin keine Rolle spielen soll?