Donnerstag, 7. Mai 2020

Memories: Eurovision Song Contest 1981


Irland - Das Symposium europäischer Gesangstalente traf sich am 4. April 1981 nach dem Sieg von Johnny Logan in Dublin wieder. Und in der Royal Dublin Society trafen gleich 20 Nationen aufeinander, womit der bisherige Teilnehmerrekord von 1978 wiederholt werden konnte. Dies geschah unter Abwesenheit von Marokko, das erst im Vorjahr sein Debüt gegeben hatte und nach dem wenig erbaulichen 18. Platz mit Samira Bensaïd sogleich und bis zum heutigen Tag die weitere Teilnahme verwehrt. Zudem fehlte das italienische Fernsehen in Dublin, was gleich mehrere Gründe hatte.

Die RAI war beleidigt, nachdem die Europäische Rundfunkunion dem Anliegen der Römer eine Absage erteilt hatte, das San Remo-Festival europaweit zu übertragen. Man drohte an, sich komplett aus der Eurovision zu verabschieden, zumal das Niveau der Veranstaltung kontinuierlich abnahm. Der Boykott endete allerdings schon wieder im Jahr 1983. Dafür kehrten Jugoslawien und Israel wieder zum Wettbewerb zurück, zudem durfte die Radio- und TV-Journalistin Doireann Ní Bhriain erstmals einen Beitrag aus Zypern anmoderieren. Gleichzeitig war 1981 der erste Jahrgang, in dem Griechenland den Zyprioten die Höchstwertung gab, ein Ritus, der noch heute mehr als vorhersehbar ist.

Dafür wurde Zypern sowohl 1981 als auch in Zukunft von den türkischen Juroren ignoriert, Grund hierfür war das politische Zerwürfnis, das 1974 zur Besetzung des Nordteils der Insel durch die Türkei führte und die Insel bis heute teilt. Erst Anfang der 2000er sollten sich beide Länder mit Punkten belohnen. Zypern schickte eine zusammengestellte Band namens Island nach Dublin, die mit "Monica" einen stolzen sechsten Platz belegte. Doros Georgiadis, eines der Bandmitglieder machte sich zwei Jahre zuvor bereits als Komponist für Griechenland einen Namen. 

Zypern vergab indes nur sieben Punkte an Griechenland, das mit Yiannis Dimitras und einem Lied über einen Sommermond nicht weh tat, aber auch nicht wirklich zündete. Die Griechen beendeten den Abend auf dem achten Platz. Damit lagen sie einen Platz vor den letztjährigen Gastgebern aus den Niederlanden. Linda Williams war eine Newcomerin, die erst nachträglich in den niederländischen Vorentscheid vorrückte und mit "Het is een wonder" gemäß der Titelzeile die favorisierte Maribelle ausstach. Nennenswerte Erfolge hatte sie im Nachgang an ihre Eurovisionsteilnahme keine zu verzeichnen, 1999 kehrte sie noch einmal gemeinsam mit ihrer Tochter als Backgroundsängerin beim belgischen Beitrag zurück.

Die belgischen Nachbarn schickten mit Emly Starr ebenfalls eine noch recht junge und unerfahrene Sängerin nach Irland, "Samson" belegte den 13. Platz. Der dritte Vertreter der Benelux-Länder war ein alter Bekannter. Jean-Claude Pascal gewann 20 Jahre zuvor den Wettbewerb mit "Nous les amoureux", nachdem es zunehmend ruhiger um ihn wurde, versuchte er mit "C'est peut-être pas l'Amérique" ein letztes Mal an die großen Erfolge der 60er Jahre anzuknüpfen und scheiterte mit einem Lied, in dem er die Musik mit der Größe Amerikas verglich. Luxemburg belegte den geteilten elften Platz, Jean-Claude verstarb im Mai 1992.

Ebenfalls auf dem elften Rang landete Tommy Seebach, der zwei Jahre zuvor bereits mit "Disco Tango" für Dänemark antrat. Diesmal wurde seine Backingsängerin Debbie Cameron zur Hauptsängerin befördert, tanzte und intonierte vor dem Keyboard, an dem Seebach saß. Der Titel "Krøller eller ej" ("Locken oder nicht") lässt sich als Anti-Diskriminierungshymne im Discolook beschreiben, ging es in dem Titel doch darum, dass man alle Kinder lieben sollte, egal ob sie blond oder brünett sind, lockige Haare haben oder eben nicht. Besonders die belgische Jury war sehr angefixt von dem Lied und vergab die Höchstwertung nach Dänemark.

Die Nachbarn aus Norwegen hatten weniger Glück, Finn Kalvik fiel mit seinem selbstgeschriebenen "Aldri i livet" bei den Juroren in Ungnade und kassierte null Punkte. Zumindest in Norwegen wurde sein Lied ein kommerzieller Erfolg, wenngleich er sich in seiner Heimat Hohn und Spott der Medien ausgesetzt sah und darunter, wie er in einem Interview Jahre später erklärte, auch sehr gelitten hat und bleibende Erinnerungen davontrug. 1987 bewarb er sich erneut beim Melodi Grand Prix, mit "Malene", einem Lied, das er seiner Tochter widmete, kam er noch einmal auf den vierten Platz. 

Besonders "landestypisch" präsentierte sich Finnland, nämlich mit einem Reggae. Mit Chris Norman-Frisur und einer sensationellen Hose im Fürst-Pückler-Karomuster zeigten Sänger Riki Sorsa und seine Begleitband, dass die finnische Sprache nur schwerlich mit jamaikanischen Rhythmen kombinierbar ist. Wohl auch zu seiner eigenen Überraschung landete Finnland auf dem 16. Platz. Riki verstarb im Mai 2016, sein "Reggae OK" wird jedoch noch heute gerne in Rückblicken auf die Geschichte des Eurovision Song Contests als skurriles Beispiel gezeigt.

Die beste skandinavische Nation des Abends war Schweden. Björn Skifs, der als Letzter auf die Bühne trat, war schon 1978 dabei und verbesserte sich mit "Fångad i en dröm" ("Gefangen in einem Traum") von Platz 14 in Paris auf den zehnten Rang. Seinem Unmut über diese Platzierung ließ er im Nachgang in der schwedischen Presse freien Lauf. Dort wurde er mit den Worten zitiert, es sei kein Song Contest gewesen, sondern eine Schau. "Mit all diesen tanzenden Mädchen", die den Schwerpunkt weg vom Lied auf die Choreographie verlagern würden. Zudem sprach er sich, wie schon drei Jahre zuvor, für die Auflösung der Sprachregelung aus. Als Nebentätigkeit spielte er in mehreren schwedischen Filmen mit und ist die schwedische Stimme von Woody aus Toy Story.

Im hinteren Feld platzierten sich Bacchelli mit seinem Spanien-Schlager "Y solo tú", der das Prickeln einer abgestandenen Sinalco versprühte auf Platz 14 und das nach mehreren Jahren der Abstinenz zurückgekehrte Jugoslawien. Seid Memić alias Vajta startete seine Karriere als Schneider in einer bosnischen Textilfabrik und kam nach seinem Umzug nach Sarajevo mit der Musik in Berührung. 1974 wurde er Sänger der Band Teška Industrija, folgte aber schon bald Solopfaden und versuchte nach seinem Song Contest-Auftritt mit "Lejla" auch 1982, 1983 und 1987 die Jugovizija zu gewinnen, erfolglos. 

Israel kehrte 1981 ebenfalls zurück und schickte die Gruppe Hakol Over Habibi mit "Halaylah" nach Dublin. Ein zeitgemäßer, flotter Schlager von der Levante, dessen Herkunft nicht zu überhören war, bescherte der Gruppe um Frontsängerin Kikki Rothstein einen guten siebten Platz. Nicht bestätigten Quellen zufolge wurde der Band 1978 der Titel "Hallelujah" angeboten, den sie allerdings dankend ablehnten. Die weitere Geschichte ist bekannt, der Song wurde 1979 von Gali Atari und ihrer Band Milk & Honey genommen und gewann den Wettbewerb für Israel. Milk & Honey belegten beim israelischen Vorentscheid 1981 übrigens den vierten Platz mit "Seranada".

Ein weiterer Kellerplatz ging an Österreichs Sänger Marty Brem, der 1980 schon Teil der Gruppe Blue Danube war und nun als Solist auf dem 17. Platz landete. Nach dem ausbleibenden Erfolg arbeitete er als Musikjournalist und nach dem Tod seiner Frau im Jahr 2001 als Hersteller von Schals und Röcken aus Kimono-Stoffen. Dahinter platzierten sich noch das türkische Quartett Modern Folk Üçlüsü & Ayşegül mit einem Lied über ein Karussell und der Portugiese Carlos Paião, der mit seinen vier in bunten Jumpsuits gekleideten Backings live sang, allerdings das "Play-back" thematisierte. Er teilte sich den 18. Platz mit der Türkei, 1988 kam er tragischerweise bei einem Autounfall ums Leben.

Den fünften Platz trugen die irischen Gastgeber davon. Anders als in den sonstigen Jahren schickte Irland keine Ballade sondern eine dreiköpfige Girlband namens Sheeba. Während der Punktevergabe erhielt "Horoscopes" aus dem Nichts 300 Punkte, ein übereifriger Mitarbeiter in der Regie hatte offenbar eine falsche Taste gedrückt. Nach Korrektur jener Zähler blieben 105 Punkte übrig, davon zwei Höchstwertungen. Sheeba probierten es im Jahr darauf mit einem Titel in gälischer Sprache namens "Go raibh maith agat" noch einmal beim Vorentscheid, wurden aber nur Dritte.

Zwischen den Top Vier spielte sich im Fortgang der Punktevergabe ein unsagbar spannendes Kopf-an-Kopf-Rennen ab. Am Podium vorbei schrammte das Schweizer Trio Peter, Sue & Marc, die bei ihrer letzten von insgesamt vier Song Contest-Teilnahmen den fehlenden italienischen Beitrag ersetzten. "Io senza te" ("Ich ohne dich"), dirigiert von Rolf Zuckowski, füllte die Lücke mit Panflötentönen und Sehnsucht, der vierte Platz war gerechtfertigt. Die Schweiz sollte aber mit dem Fortschreiten des Abends noch eine ganz andere Rolle spielen, die gar dem Neutralitätsgedanken des Landes geschadet hätte.

Platz drei ging nach Frankreich. Jean Gabilou von der polynesischen Insel Tahiti gelangte über die USA nach Europa und war der erste exotische Import der Franzosen beim Song Contest. Sein Lied "Humanahum" behandelte eine ferne Galaxie im Jahr 3000 und brachte Frankreich zum dritten Mal in vier Jahren den dritten Platz ein, es sollte für diese Dekade der letzte Top Fünf-Erfolg Frankreichs bleiben. Er rutschte erst mit der letzten Punktevergabe aus Schweden an Peter, Sue & Marc vorbei. Jean kehrte nach der Eurovision nach Papeete zurück und gilt dort wie auch im übrigen pazifischen Raum als lebende Legende.

Für die BR Deutschland ging Lena Valaitis ins Rennen. Treffend zum Jahr der Blinden produzierten Ralph Siegel und Bernd Meinunger mit "Johnny Blue" ein Lied über einen kleinen blinden Jungen, mit dem niemand spielen wollte ("Kinder können grausam sein") und Zuflucht im Gitarrespielen fand. Dabei hatte Lena Valaitis, die bürgerlich Anelė Luise Valaitytė hieß und aus dem Memelland stammt, beim Vorentscheid des BR leichtes Spiel. Unter den zwölf Teilnehmern befanden sich fast ausnahmslos schwache Titel wie "Träume brauchen Zeit" von "Puttin' on the Ritz"-Sänger Taco Ockerse, Schauspieler-Sohn Thomas Fuchsberger, dessen Vater Joachim sogar den Text für "Josefine" schrieb oder "Mein Transistorradio" von Rudolf Rock & Die Schocker

So fuhr Lena Valaitis nach Dublin, sang als Dritte und galt als Mitfavoritin. Geschlagen wurde sie allerdings von der britischen Formation Bucks Fizz und "Making your mind up". Die Band bestand zum damaligen Zeitpunkt aus Jay Aston, Mike Nolan, Bobby G. und Cheryl Baker. Im Laufe der Jahre wechselte die Besetzung, eine Verjüngung der Mitglieder setzte ein, zum Schluss war nur noch Bobby G. Teil der Band. Mit "The land of make believe" und "My camera never lies" gelang der Gruppe, die sich in Dublin Trickkleidern bediente, denen die Herren bei der Zeile "If you wanna see some more" den Damen den Rock kürzten, noch zwei weitere Nummer-Eins-Hits. 

Bucks Fizz siegten mit vier Punkten Vorsprung vor Lena Valaitis. Wie schon erwähnt kam es im Verlauf der Punktevergabe zu einem Vierkampf zwischen Großbritannien, Deutschland, Frankreich und der Schweiz. Während die jugoslawische Spokesperson und spätere Song Contest-Moderatorin Helga Vlahović auf die Frage ob sie ihre Punkte der Welt mitteilen möchte mit "I don't have it" für den Lacher des Abends sorgte, spitzte sich die Situation im oberen Feld zu. Zwei Wertungen vor Schluss lagen die Schweiz, Großbritannien und Deutschland gleichauf. Die Schweizer Jury wurde aufgerufen und vergab null Punkte an Deutschland.

Die deutschen Medien schäumten vor Wut und Entsetzen, während Katja Ebstein in einem Gastkommentar nur "Na ja, die Schweizer hätten uns ein paar Pünktchen geben können..." schrieb, zeigten sich viele Journalisten entrüstet über die fehlende Solidarität der Schweizer. Der Sänger Marc Dietrich entschuldigte sich nachträglich im Namen der Schweiz für das Votum der Juroren, das ihn peinlich berührte. Damals wie heute wird am lautesten über die Punktevergabe geschimpft, daran hat sich in all den Jahren nichts geändert. Die bundesdeutsche Bevölkerung und Ralph Siegel sollten dafür 1982, also ein Jahr nach dem Fast-Sieg von Dublin, Grund zum Feiern haben.

Die Teilnehmer:
01. - 136 -  Bucks Fizz - Making your mind up
02. - 132 -  Lena Valaitis - Johnny Blue
03. - 125 -  Jean Gabilou - Humanahum
04. - 121 -  Peter, Sue & Marc - Io senza te
05. - 105 -  Sheeba - Horoscopes
06. - 069 -  Island - Monica
07. - 056 -  Hakol Over Habibi - Halaylah
08. - 055 -  Yiannis Dimitras - Feggari kalokerino
09. - 051 -  Linda Williams - Het is een wonder
10. - 050 -  Björn Skifs - Fångad i en dröm
11. - 041 -  Tommy Seebach & Debbie Cameron - Krøller eller ej
11. - 041 -  Jean-Claude Pascal - C'est peut-être pas l'Amérique
13. - 040 -  Emly Starr - Samson
14. - 038 -  Bacchelli - Y sólo tú
15. - 035 -  Seid Memić - Lejla
16. - 027 -  Riki Sorsa - Reggae OK
17. - 020 -  Marty Brem - Wenn du da bist
18. - 009 -  Modern Folk Trio & Ayşegül Aldinç - Dönme dolap
18. - 009 -  Carlos Paião - Play-back
20. - 000 -  Finn Kalvik - Aldri i livet