Sonntag, 21. Oktober 2018

Memories: Eurovision Song Contest 1978


Frankreich - Der Eurovision Song Contest 1978 sollte der größte sein, der bis dahin in alle Welt ausgestrahlt wurde. Dies lag nicht nur an der Rekordzahl von 20 Teilnehmerländern sondern auch an der Zahl der Nationen, die ihn darüber hinaus ausgestrahlt hatten. Die Europäische Rundfunkunion hatte die Übertragungsrechte in 14 weitere Nationen verkauft, angeschlossen waren am 22. April 1978 u.a. Algerien, die DDR, Hongkong, Island, Japan, Jordanien, Marokko, Polen, die Tschechoslowakei, Tunesien, Ungarn und erstmals auch Dubai und die UdSSR. Auch Jugoslawien übertrug den Wettbewerb aus Paris, obwohl es erneut nicht teilnahm.

Dafür trafen erstmals Griechenland und die Türkei beim Eurovision Song Contest aufeinander und nach elfjähriger Pause meldete sich auch das dänische Fernsehen wieder für den Song Contest an. Zudem gab es eine weitere Premiere, erstmals wurde der Wettbewerb von einem Paar und keiner Einzelperson moderiert. Die Aufgabe übernahmen Denise Fabre, eine Moderatorin die ihre Karriere bei TMC in Monte Carlo gestartet hatte und Léon Zitrone, ein Sportkommentator, der 1914 in St. Petersburg geboren wurde, das damals noch Petrograd hieß und 1995 exakt an seinem 81. Geburtstag in Paris versterben sollte.

Zudem gab es im Palais des Congrès im 17. Pariser Arrondissement noch eine Premiere, erstmals seit Einführung des neuen Wertungssystems schaffte es eine Nation mit null Punkten heimzukehren, namentlich Norwegen. Dabei war das neue Juryverfahren extra so konzipiert worden, dass es um ein vielfaches schwerer war, keinen einzigen Punkt davonzutragen. Diese zweifelhafte Ehre widerfuhr dem Sänger Jahn Teigen. "Mil etter mil" ("Meile für Meile") intonierte er in einer goldenen Hose mit übergroßer Sonnenbrille und derart wilden Gestikulationen, dass einem Angst und Bange werden konnte. Teigen avancierte vom Nilpointer zum Musikstar in seiner Heimat und sollte noch zweimal seinen Weg zur Eurovision finden.

Eine weitere Premiere bot das Vereinigte Königreich mit seiner Gauklertruppe Co-Co, in der u.a. Cheryl Baker, die später mit Bucks Fizz noch den Song Contest gewinnen sollte. So schafften es die "Bad old days" erstmals in der Eurovisionsgeschichte nicht, einen Top Ten-Platz für die Briten zu erlangen, was vielleicht auch an den schrecklichen Glitzerkostümen der Interpreten gelegen haben kann. Am Ende gab es den elften Platz für das UK, dies sollte sich bis 1987 aber auch nicht wiederholen. Noch schlechter lief es für die Finnin Seija Simola, deren poetisches Lied mit dem deutschen Namen "Gib der Liebe eine Chance" auf Finnisch als "Anna rakkaudelle tilaisuus" wohl schlicht und ergreifend zu hart daherkam, zwei Punkte waren die Ausbeute.

Ganz allein musste die finnische Sängerin aber nicht auf dem vorletzten Platz ausharren, auch die Türkei kam nicht über zwei Punkte hinaus. Das Quartett Nilüfer & Nazar sang einen der vielen Liebestitel namens "Sevince" und deren Aushängeschild die Sängerin Nilüfer Yumlu war, die der ORF-Kommentator als "Stimme der Türkei" ankündigte. In der Tat hatte sie sich in der Türkei bereits mit mehreren Singles einen Namen erarbeitet, beim Eurovision Song Contest wollte es aber nicht so recht klappen, auch die kleine Choreographie verhalf nur je einem Punkt aus Norwegen und Großbritannien.

Besser lief es da schon für die verhassten Nachbarn aus Griechenland. Die Sängerin Tania Tsanaklidou sang in schwarzem Frack, dem Markenzeichen ihres besungenen Idols "Charlie Chaplin", der im Jahr zuvor verstarb. Sie wurde vom griechischen Fernsehen nachnominiert, da der ursprüngliche Titel "Mr. Nobel" von Anna Vissi dem Intendanten des Senders nicht gefiel. Das Lied über einen der Gründungsväter der Filmindustrie in Hollywood erzielte den achten Rang. Fast hätte es zwei Lieder gleichen Titels gegeben, bewarben sich die Schweizer Eurovisionsveteranen Peter, Sue & Marc mit "Charlie Chaplin" beim deutschen Vorentscheid. Dort wurden sie allerdings nur Dritte. 

Apropos deutscher Vorentscheid, dieser wurde nach dem Rückzug des Hessischen Rundfunks nach zahlreichen enttäuschenden Resultaten dem Südwestfunk in Baden-Baden aufgedrückt. Allerdings verzichtete man auf eine Fernsehsendung und verfrachtete den Vorentscheid mitsamt seiner 15 Bewerber ins Radio. Mit dabei waren u.a. die tschechische Schlagerkönigin Helena Vondráčková, die mit "Männer wie du" aber nur Platz 12 belegen konnte, Cindy & Bert mit gleich zwei Titeln und Marianne Rosenberg, die es auch mit "Nein, weinen werd' ich nicht" auch nur auf den siebten Platz schaffte.

Der SWF ließ seine Zuhörer zu 1/3 entscheiden, 2/3 des Ergebnisses gingen von einer Expertenjury aus, die aber alle Beiträge nicht für würdig genug fand, die Bundesrepublik in Paris zu vertreten und befürwortete die Idee, Deutschland solle gar nicht zur Eurovision fahren. Am Ende hielt man aber an der Siegerin des Vorentscheids fest, der britischen Sängerin Ireen Sheer, die sich zwei Jahre zuvor schon für Luxemburg verdient gemacht hatte und nun mit "Feuer" in Paris mit einem gekonnten Move ihr Cape abwarf und somit als Begründerin des Entkleidens beim Eurovision Song Contest angesehen werden kann. Der Titel zündelte nicht nur dem Namen nach, sondern konnte sich bis auf Platz sechs vorarbeiten und strafte die Juroren Lügen.

Damit ließ Ireen Sheer sogar die größten Stars des Abends hinter sich, das spanische Discoduo Baccara. Mayte Mateos und María Mendiola waren Flamencotänzerinnen, wurden dann von den deutschen Produzenten Rolf Soja und Frank Dostal entdeckt und im Tonstudio Maschen zu weltweiten Superstars gemacht. Lieder wie "Yes Sir, I can boogie" oder "Sorry, I'm a Lady" sind heute Evergreens und zählen in Deutschland zu den meistverkauften Singles aller Zeiten. Beim luxemburgischen Vorentscheid stachen sie mit "Parlez-vous français?" u.a. Gitte Hænning und die wundervolle Liliane St-Pierre mit "Mélodie" aus. In ihrer typischen Schwarz-Weiß-Optik wussten die Damen ihr Flamencotalent auf der Song Contest-Bühne anzuwenden, besser als ihre mageren Französischkenntnisse.

Die große Karriere hatten die Vertreter Italiens noch vor sich. Zwar hatten Ricchi e Poveri (Reiche und Arme) in Italien schon beachtliche Erfolge beim San Remo-Festival erzielt, Lieder wie "Sarà perché ti amo", "Made in Italy" oder "Ciao Italy" sollten erst in den 80ern folgen und ihren in der BRD hohe Chartsplatzierungen einbringen. In Paris traten sie noch zu viert auf, 1981 verließ Marina Occhiena die Gruppe, "Questo amore" blieb aber auch hier hinter den Erwartungen, die das italienische Fernsehen in die Gruppe legte. Am Ende des Abends belegten Ricchi e Poveri den zwölften Platz, am ehesten konnten sich noch die irischen Juroren mit zehn Punkten erbarmen.

Besagte Iren erreichten beim Eurovision Song Contest 1978 mit dem Musical-Darsteller Colm Wilkinson den fünften Platz. Mit "Born to sing" machte der Dubliner deutlich, warum er große Gesangsrollen in den webber'schen Musicals wie "Evita" oder später auch in "Les Misérables" angeboten bekam. Nachdem er 1989 eine Rolle bei der kanadischen Produktion vom "Phantom der Oper" annahm, zog er nach Kanada, wo er bis heute lebt. Damit erwies sich Irland ein ganzes Stück erfolgreicher als z.B. Portugal, das mit dem Quartett Gemini nach drei Jahren der Pathosbeschwörung auf leichte Melodien setzte und mit "Dai-li-dou" wieder einmal baden ging. Die beiden Damen der Gruppe sollten als Doce 1982 zur Eurovision zurückkehren.

Knapp geschlagen wurden die Portugiesen von den Dänen, die nach 1966 wieder mitmachen wollten. Nachdem der Sessel des Unterhaltungschefs bei DR neu besetzt wurde, startete der Sender eine Umfrage, in der sich 94% der Dänen für eine Rückkehr zur Eurovision aussprachen. Den Melodi Grand Prix gewann die Jungsgruppe Mabel mit dem, für den Song Contest prädestinierten Titel "Boom-boom". Dabei setzten sie sich u.a. gegen die Brødrene Olsen durch, jene Brüder, die 2000 als Herren gehobenen Alters den überraschenden zweiten Sieg Dänemarks einfahren sollten. Ihr Titel "San Francisco" wurde aber nur Zweiter.

Mindestens genauso banal war der österreichische Titel "Mrs. Caroline Robinson" der Gruppe Springtime, an dem wieder einmal Norbert Niedermayer mitwirkte, der schon bei den Milestones 1972 seine Finger im Spiel hatte. In dem Lied hieß es u.a. "Mrs. Caroline Robinson, fliegt nur mit einem Luftballon, denn sie hat den Besen satt, als Nobelhexe dieser Stadt. Mrs. Caroline Robinson, liebt Telepathie und Television, Schwefel, Krach, Chanel und Bach, Mode macht sie schwach". Dafür gab es Platz 15. Einen Rang darüber platzierte sich der Schwede Björn Skifs, mit einem Lied, das übersetzt den Titel "Es wird immer schlimmer, wenn die Nacht kommt" trug und für das er sich sehr ins Zeug legte, es auf Englisch singen zu dürfen. Dieses Privileg wurde ihm allerdings nicht eingeräumt. Er sollte 1981 noch einmal zur Eurovision reisen.

Ebenfalls eine Anspielung auf Charlie Chaplin machte das monegassische Duo. Caline alias Corinne Sauvage und Olivier Toussaint sinnierten über "Les jardins de Monaco", die Gärten von Monaco, in dessen verzweigten Blumenbeeten sich Chaplin und Greta Garbo hätten treffen können. Tatsächlich hatten die Juroren viel für das Lied aus Monaco übrig, sodass das kleine Fürstentum bei seiner vorletzten Finalteilnahme beim Eurovision Song Contest noch einmal den vierten Platz belegen konnte. Ein Jahr später sollte das monegassische Fernsehen den Entschluss fassen ein Vierteljahrhundert aussetzen. Toussaint komponierte später für französische Erotikfilme, Caline trat als Backgroundsängerin u.a. für Demis Roussos oder Dalida auf.

Zu den weiteren Kandidaten, die sich im Mittelfeld platzierten, zählte u.a. der Spanier José Vélez, der seine Partnerin aufforderte einen Walzer mit ihm zu tanzen ("Bailemos un vals") als auch die Schweizer Sängerin Carole Vinci aus Genf, die sich gleichsam mit dem Spanier den neuten Rang teilte. Platz 13 ging an die niederländische Band Harmony, bestehend aus Ab van Woudenberg, Donald Lieveld und Rosina Lauwaars, für ihren Beitrag "'t is ok". Auch in den Niederlanden konnte die Gruppe keinen nennenswerten Erfolg erzielen, ihre Eurovisionssingle erreichte gerade einmal die #29 der niederländischen Hitparade. 

Besser lief es da für die Gastgeber aus Frankreich, die im Falle eines erneuten Sieges aber hätten mit großer Wahrscheinlichkeit disqualifiziert werden müssen. Denn das Lied "Il y aura toujours des violons" ("Es wird immer Geigen geben") von Joël Prévost war bereits zwei Jahre alt und damals für den französischen Vorentscheid eingereicht wurde. Da dies erst am letzten Probentag in Paris publik wurde, war es zu spät, den Titel noch aus dem Wettbewerb zu nehmen. So weit kam es glücklicherweise nicht, wenngleich sich die trostlosen französischsprachigen Chansons abermals über die Discotitel des Abends hinwegsetzten und Prévost immerhin mit der Bronzemedaille belohnt wurde.

Noch einen Platz darüber konnte sich Jean Vallée aus Belgien platzieren. Der eigentlich Paul Goeders heißende flämische Interpret, hatte Belgien schon 1970 vertreten und durfte nun mit "L’amour ça fait chanter la vie" für den wallonischen Part Belgiens zur Eurovision. Die altbackene Nummer schaffte erstaunliche fünf Höchstwertungen und das beste Ergebnis, das Belgien bis zum damaligen Zeitpunkt beim Grand Prix eingefahren hatte. Bis 2001 veröffentlichte Vallée weitere Alben, 2014 verstarb der Sänger 72jährig in der Nähe von Lüttich. 

Mit Abstand als Sieger ging allerdings der israelische Beitrag hervor. Der junge Izhar Cohen und seine Gruppe Alpha-Beta sangen ein fröhlich-mediterranes Discoliedchen namens "A-ba-ni-bi", dessen Titel sich aus einer israelischen Kindersprache ableitet. Dabei wurde das Lied vom französischen Fernsehen noch falsch betitelt und als "Ah-Bah-Nee-Bee" eingeblendet. Geschrieben und in Paris auch dirigiert wurde das Lied von Nurit Hirsch, der ersten und bis zur Abschaffung des Orchesters im Jahr 1998 einzigen Komponistin, die ihren Beitrag dirigierte. Der Erfolg des ersten israelischen Sieges beim Eurovision Song Contest wurde in den Straßen Tel Avivs mit Hupkonzerten und Autokorso gefeiert, tagelang befand sich das Land im Ausnahmezustand.

Der Sieg Israels beim Eurovision Song Contest wurde aber nicht von allen als Erfolg gewertet. So sah sich das jordanische Fernsehen genötigt, die Übertragung aus Paris abzubrechen, nachdem sich in der Wertungsphase ein israelischer Sieg abzeichnete. Stattdessen wurde die, hier schon vielfach erwähnte, Blumentapete, eingeblendet und am nächsten Tag verkündet, Belgien hätte den Eurovision Song Contest 1978 gewonnen. Einen Auftritt in der britischen Chartshow "Top of the Pops" verwehrte man den Israelis zwar, das Lied wurde dennoch ein kommerzieller Erfolg, landete in verschiedenen europäischen Hitparaden und brachte den Eurovision Song Contest erstmals in den Nahen Osten. Izhar Cohen sollte 1985 noch einmal am Song Contest teilnehmen.

Die Teilnehmer:
01. - 157 -  Izhar Cohen & Alpha-Beta - A-ba-ni-bi
02. - 125  Jean Vallée - L’amour ça fait chanter la vie
03. - 119  Joël Prévost - Il y aura toujours des violons
04. - 107  Caline & Olivier Toussaint - Les jardins de Monaco
05. - 086  Colm T. Wilkinson - Born to sing
06. - 084 -  Ireen Sheer - Feuer
07. - 073  Baccara - Parlez-vous français
08. - 066  Tania Tsanaklidou - Charlie Chaplin
09. - 065  José Vélez - Bailemos un vals
09. - 065  Carole Vinci - Vivre
11. - 061  Co-Co - Bad old days
12. - 053 -  Ricchi e Poveri - Questo amore
13. - 037  Harmony - 't is ok
14. - 026 -  Björn Skifs - Det blir alltid värre framåt natten
15. - 014  Springtime - Mrs. Caroline Robinson
16. - 013  Mabel - Boom-boom
17. - 005  Gemini - Dai-li-dou
18. - 002  Seija Simola - Anna rakkaudelle tilaisuus
18. - 002  Nilüfer & Nazar - Sevince
20. - 000  Jahn Teigen - Mil etter mil