Samstag, 13. Oktober 2018

Memories: Eurovision Song Contest 1974


Großbritannien - The Dome ist nicht nur eine RTL II-Musikshow sondern auch der einstige Austragungsort des 19. Eurovision Song Contests im englischen Seebad Brighton. Da das luxemburgische Fernsehen sich geweigert hatte, den Wettbewerb schon wieder auszurichten, nachdem man doch im Jahr zuvor noch Gastgeber war, sprang die BBC ein und verlegte den Song Contest an die Südküste Englands. Als Pausenfüller engagierte der Sender die legendären Wombles, Kinderbuch-Charakteren in Pelzoptik, die von der Autorin Elisabeth Beresford stammen und im Londoner Stadtteil Wimbledon leben.

Die Veranstaltung wurde in 32 Ländern übertragen und wurde zum vierten Mal von Katie Boyle moderiert, die damit bis heute den Rekord der meisten Song Contest-Moderationen hält. Eigentlich hätte der Wettbewerb 19 Teilnehmer gehabt, doch Malta, das nach einjähriger Pause wieder hätte zurückkehren sollen und mit Enzo Guzman und "Paċi fid-Dinja" ("Frieden der Welt") bereits einen Interpreten ausgewählt hatte, zog sich vermutlich aus Kostengründen zurück. Ebenso fehlte wieder einmal das österreichische Fernsehen beim Song Contest.

Das französische Fernsehen ORTF hätte ursprünglich ebenfalls dabei sein sollen, nur vier Tage vor dem Finale in Brighton verstarb allerdings der Staatspräsident Georges Pompidou, sodass die Sängerin Dani ihren Titel "La vie à vingt-cinq ans" nicht vortragen durfte und unverrichteter Dinge wieder aus Brighton abreiste. Aus dem gleichen Grund verzichtete zudem Anne-Marie David, die Siegerin des Vorjahres, beim Song Contest 1974 aufzutreten und den Siegerpokal weiterzureichen. Diese Aufgabe übernahm an jenem Abend der Generaldirektor der BBC.

Dafür begrüßte Katie Boyle erstmals Griechenland beim Eurovision Song Contest. Die als Kyriaki Papadopoulou geborene Sängerin Marinella brachte mit ihrem Lied "Krasi, thalassa kai t'agori mou" ("Der Wein, das Meer und mein Freund") den elften Platz für den Sender EIRT mit nach Hause. Am gleichen Abend hätte eigentlich auch das Nachbarland Türkei seinen Einstand geben sollen, aus einem sehr profanen Grund musste dieses Debüt jedoch noch ein weiteres Jahr warten. Der Grund hierfür waren die Produktionskosten der BBC. Diese musste als Gastgeber alle Kosten der Veranstaltung aus eigener Tasche zahlen, eben auch das 8.000 DM teure beleuchtete Scoreboard.

Da dieses bereits vor Meldung der Türkei für den Eurovision Song Contest bereits fertiggestellt wurde, musste Ankara noch ein Jahr warten. Zudem kam später die Erkenntnis, dass die Wertungstafel nur maximal 99 Punkte anzeigen konnte. Aus diesem Grund wurde das Wertungsprozedere der Jurys erneut geändert bzw. zurückgeschraubt. So musste jedes Land zehn Juroren, die jeweils nur für ihren Favoriten stimmen durften, benennen. Da diese Änderung den Rundfunkanstalten erst kurz vor dem Finale mitgeteilt wurde, protestierten zahlreiche Länder und setzten sich für ein neues Konzept ein. Die Idee der "Douze points" war geboren, kam jedoch erst 1975 zum Einsatz.

Von den 17 Teilnehmerländern sangen sechs auf Englisch, darunter, wie schon im Vorjahr die drei skandinavischen Länder. Die finnische Interpretin Carita eröffnete mit ihrem "Keep me warm" den Abend. Ihr Album "We are what we do" wurde 1973 zur Platte des Jahres in Finnland, umso höher war die Erwartungshaltung der Finnen, die jeher gedämpft wurden, als sie nur den 13. Platz belegte. Gar noch einen Platz dahinter und somit auf dem letzten Rang, landete Anne-Karine Strøm für Norwegen, deren "The first day of love" von den Bendik Singers unterstützt wurde, die schon im Vorjahr dabei waren.

Norwegen kassierte aber nicht als einzige Nation eine Klatsche. Gleich vier Länder teilten sich die rote Laterne, darunter auch die Bundesrepublik Deutschland mit Cindy & Bert und "Die Sommermelodie". Unter Ausschluss der Öffentlichkeit fand beim Hessischen Rundfunk die Vorauswahl zwischen Jürgen Marcus ("Grand Prix d'amour"), Anne Karin ("Damals im Frühling") und eben genannten Cindy & Bert statt. Von der Kandidatenwahl erhoffte sich Programmleiter Hans-Otto Grünefeldt eine ganze Menge, waren Lieder wie "Immer wieder sonntags" oder "Spaniens Gitarren" doch populäre Schlager gewesen, doch nur auf nationaler Ebene, beim Finale von Brighton reichte man Deutschland durch.

Nach dem Finale wollten die beiden Interpreten das Lied nie wieder spielen, Cindy Berger, die sich später noch mehrfach beim deutschen Vorentscheid bewarb betitelte das Lied als "latschig", da kein kommerzieller Erfolg absehbar war, wurde er nicht einmal in der BRD als Single veröffentlicht. Auch der zweite deutschsprachige Beitrag von Piera Martell aus dem Schweizer Kanton St. Gallen, "Mein Ruf nach dir", verklang in Brighton und ging baden. 1976 bewarb sich Martell noch einmal mit "Ein neuer Tag" beim deutschen Vorentscheid, dort wurde sie aber nur Vorletzte und stieg 1981 schließlich gänzlich aus dem Showgeschäft aus. 

Der Vierte im Bunde war der Portugiese Paulo de Carvalho, der mit seinem Lied "E depois do Adeus" ("Und nach dem Abschied") nicht unbedingt beim Eurovision Song Contest erfolgreich war, guten Gewissens aber von sich behaupten kann, Auslöser einer Revolution gewesen zu sein. Am 24. April 1974 kurz vor 23 Uhr, zweieinhalb Wochen nach dem Song Contest-Finale wurde sein Lied im Radio gespielt und war das verabredete Startzeichen für die Nelkenrevolution. Infolge des Putsches wurde die Militärdiktatur in Portugal größtenteils unblutig gestürzt, die Kolonien in Übersee wurden in die Unabhängigkeit entlassen und Portugal ab 1976 ein demokratisches und freies Land.

Politisch hätte auch der italienische Beitrag der zurückkehrenden Eurovisionssiegerin Gigliola Cinquetti hätte werden können. Ihr Lied "" war der Grund dafür, warum die RAI den Song Contest 1974 nicht live ausgestrahlt hatte. Man fürchtete, der Titel könne das Ergebnis eines Referendums über das Scheidungsrecht beeinflussen, welches am Montag nach dem Finale stattfand. So kamen die Italiener erst gute fünf Wochen später in den Genuss des Wettbewerbs, bei dem Gigliola immerhin mit einer Silbermedaille ihre musikalische Bilanz aufwertete. 

Die Niederlande schickten unterdessen ebenfalls große Stars ihres Landes nach Brighton. Das Duo Mouth & McNeal hatte mit Liedern wie "How do you do" (heutzutage vielleicht eher durch das Scooter-Cover bekannt) bereits große Hits in Europa und Nordamerika gelandet. Umso enttäuschter dürften die Niederländer gewesen sein, als das etwas wirr aufgeführte "I see a star", das mit einer Drehorgel daherkam, nur auf den vierten Platz verwiesen wurde. Ihr Kollege Big Mouth und sie gingen wenig später getrennte Wege. Sängerin Maggie McNeal kehrte 1980 noch einmal zur Eurovision zurück.

Für Luxemburg trat die Britin Ireen Sheer auf, die später noch einmal für Luxemburg sowie für die BRD antreten sollte. Mit "Goodbye Mama" war sie zu diesem Zeitpunkt bereits in den deutschen Hitlisten präsent. Das Lied "Bye bye I love you" läutete zudem eine Ära ein, war es doch der erste Versuch von Ralph Siegel beim Eurovision Song Contest Fuß zu fassen. Obwohl Ireen deutlich hörbar keine Französischkenntnisse hatte, konnte sie den vierten Platz belegen. Ebenfalls auf den vierten Platz schaffte es Romuald, der wieder die monegassischen Farben hochhielt und mit "Celui qui reste et celui qui s'en va" ("Der, der bleibt und der, der geht") sein persönlich bestes Ergebnis errang.

Der größte Star des Abends startete für Großbritannien. Die britisch-australische Sängerin Olivia Newton-John wurde von der BBC nominiert und sang beim Vorentscheid sechs Lieder. Per Postkartenvoting legten sich die Zuschauer auf "Long live love" fest, ein Lied, das Olivia selbst überhaupt nicht gefallen wollte. Triviales am Rande, in der internen Vorauswahl der BBC wurde auch das Lied "Sugar baby love" eingereicht, welches im gleichen Jahr von The Rubettes weltweit ein Hit wurde. 

Den internationalen Beim Eurovision Song Contest brachte es Olivia nur zum vierten Platz, der große Erfolg kam vier Jahre später, als sie an der Seite von John Travolta den Soundtrack der Verfilmung von "Grease" einsang. Bis zum heutigen Zeitpunkt hat sie über 100 Millionen Tonträger verkauft und zählt damit zu den kommerziell erfolgreichsten Interpretinnen der Musikindustrie. Ebenfalls bekannt war den Zuschauern der spanische Interpret Peret, der 1971 mit "Borriquito" auch in Deutschland die #1 der Charts anführte. Sein "Canta y sé feliz" erreichte hingegen nur den neunten Platz. 2014 verstarb Peret in Barcelona. 

Auf dem, mit Israels Band Kavaret, die unter dem Alias Poogy antrat, geteilten siebten Rang landete Irlands Sängerin Tina Raynolds, die bereits im Jahr zuvor als Ersatzkandidatin für Maxi gehandelt wurde, ihrer Chance allerdings beraubt wurde. Sie setzte sich im irischen Vorentscheid mit "Cross your heart" durch und durfte nach Brighton fliegen. Damit war sie erfolgreicher als ihr belgischer Kontrahent Jacques Hustin, der mit "Fleur de liberté" ("Blume der Freiheit") den zehnten Platz mit Peret teilen musste.

All diese Interpreten wurden am 6. April 1974 allerdings von einer schwedischen Band geschlagen, denen man im Vorfeld nur Außenseiterchancen einräumte. Anni-Frid Lyngstad, Agnetha Fältskog, Benny Andersson und Björn Ulvaeus bildeten die Gruppe ABBA, die sich schon zuvor mit "Ring Ring" beim schwedischen Vorentscheid versuchten. Mit meilenweitem Vorsprung konnten die vier Schweden mit "Waterloo" gewinnen und nach Brighton fahren, wo sie von Sven-Olof Walldoff im passenden Napoleon-Outfit dirigiert wurden.

Die Gruppe kam erfrischend modern daher, mit zeitgemäßen Kostümen und einem derart catchendem Lied, das man sich im Nachhinein wundern muss, das "Waterloo" mit gerade einmal 15% der möglichen Punkte zu den statistisch schlechtesten Siegerliedern aller Zeiten gehört. Nach dem Finale brach die ABBA-Mania aus, die Gruppe tourte über die ganze Welt und verkaufte bis zu ihrer faktischen Auflösung 1982 über 400 Millionen Platten. Lieder wie "Dancing Queen", "SOS", "Thank you for the music", "Super Trouper" oder "Chiquitita" müssen nicht näher erläutert werden. Noch heute lebt der Hype um ABBA weiter, mündete in einem Musical, zwei Filmen, einem Museum in Stockholm, der Retortenband A*Teens und vielen Mythen.

Keine andere Band prägte den Eurovision Song Contest so nachhaltig wie die vier Schweden, die zeitweise untereinander verheiratet waren und kein Interpret, der seither die Bühne der Eurovision betrat, konnte eine derart große Weltkarriere hinlegen, nein, nicht einmal Céline Dion 14 Jahre später. Schwedische Interpreten nutzen seither den typischen Sound der Band für ihre eigenen Erfolgsplatzierungen beim Song Contest, davon war 1974 allerdings noch nicht zu denken. Stattdessen musste sich das schwedische Fernsehen erstmals Gedanken um die Ausrichtung des Wettbewerbs machen.

Die Teilnehmer:
01. - 024  ABBA - Waterloo
02. - 018 -  Gigliola Cinquetti -
03. - 015 -  Mouth & McNeal - I see a star
04. - 014  Olivia Newton-John - Long live love
04. - 014  Ireen Sheer - Bye bye I love you
04. - 014 -  Romuald - Celui qui reste et celui qui s'en va
07. - 011 -  Kaveret (Poogy) - Natati la chayai
07. - 011  Tina Reynolds - Cross your heart
09. - 010  Peret - Canta y sé feliz
09. - 010  Jacques Hustin - Fleur de liberté
11. - 007  Marinella - Krasi, thalassa kai t'agori mou
12. - 006 -  Korni - Generacija '42
13. - 004 -  Carita - Keep me warm
14. - 003  Anne-Karine Strøm & Bendik Singers - The first day of love
14. - 003 -  Cindy & Bert - Die Sommermelodie
14. - 003  Piera Martell - Mein Ruf nach dir
14. - 003  Paulo de Carvalho - E depois do Adeus