Freitag, 10. Mai 2024

Eurovision 2024: Zusammenfassung des zweiten Halbfinals


Schweden
- Die Scriptwriter werden nicht müde, dass sich die Schweden gleichermaßen darüber freuen, wieder und wieder zugewinnen, möchten sich aber auch ein bisschen kleinlaut dafür entschuldigen. Wenn man allerdings sieht, was für großartige Shows der Sender SVT in Zusammenarbeit mit der EBU auf die Beine stellen kann, dann ist jegliche Entschuldigung fehl am Platz. Im zweiten Halbfinale feiern die Schweden den Eurovision Song Contest, mit jeder Menge Historie, ehemaligen Song Contest-Gewinnern und wundervollen Slapstick- wie Musicaleinlagen durch die Moderatorinnen Malin und Petra.

Schon das Opening bewies Klasse, als die beiden Hosts sich auf die Sonnenbank legten und damit Loreens Auftritt aus dem Vorjahr parodierten. Nach einem kompakten Geplänkel am Anfang ging es sogleich um die 16 Beiträge des Abends, eingeläutet von Malta. Sarah Bonnici hat im Rahmen ihrer Möglichkeiten alles gegeben, offenbar hat sie im Vorfeld wie eine Wilde trainiert, um die ganzen Drehungen, Hebefiguren und Dancebreaks fehlerfrei zu absolvieren. Es war eine energetische Performance, die ihren Höhepunkt darin fand, dass ihre Tänzer sie mit verbundenen Augen überschlugen. Gereicht hat es für "Loop" am Ende dann aber dennoch nicht, das war wohl doch zu nah an Chanel vor zwei Jahren gebaut.

Albanien hat für mein Empfinden auch irgendwie immer Pech als Zweites antreten zu müssen. So musste auch Besa in diesem Jahr auf dem undankbaren zweiten Startplatz ran und trotz einer selbstbewussten Performance in einem hübschen blau-paillettierten Kleid fand "Titan" nicht genügend Jünger in Europa um sich damit für das Finale zu qualifizieren. Tatsächlich hat sich RTSH mit dem Revamp in englischer Sprache keinen Gefallen getan, das wurde einmal mehr deutlich. Mit deutlich mehr Ethno schaffte es dafür Griechenland ins Finale, wenngleich ich den Eindruck hatte, das da ein paar Töne ob der schnellen Abläufe versemmelt wurden.

Mit hohen Tönen, originellen Tempiwechseln und Taschentuchchoreographie schmeichelte die Performance Augen und Ohren, zwölf Punkte aus Zypern dürften gesichert sein und im Zuge dessen, dass man das wundervolle Musikvideo nicht 1:1 auf der Bühne nachstellen konnte, hat das griechische Team eine großartige Show abgeliefert. Danach folgte Nemo für die Schweiz, ebenfalls für Samstagabend qualifiziert. Nemo trug Pink, jedoch nicht die entsetzlichen Fusselboots, die wir in den Proben gesehen haben, das wäre auch too much gewesen. Erstaunlicherweise hat mich der Rap-Teil am meisten fasziniert und nachdem ich nun auch die Story mit der Choreographie in Zusammenhang bringen kann muss ich sagen: gut gemacht.

Fan des Schweizer Beitrags werde ich wohl in diesem Jahr trotzdem nicht mehr, aber ich muss sagen, dass Nemo sich mehr als erfolgreich durch einen dynamischen und gewiss nicht leicht zu singenden Beitrag gekämpft hat, das verdient durchaus Respekt und wird am Samstag eine Menge Punkte einfahren, wenngleich ich die Schweiz im Rennen um den Gesamtsieg immer noch nicht sehen kann. Gedanken um den Sieg muss sich auch Tschechien nicht mehr machen, Aiko flog mit ihrem "Pedestal" im Halbfinale raus. Schade für das Land, das in den letzten Jahren mehr am Zeitgeist der Musik war, als jedes andere Teilnehmerland.

Glücklicherweise hat man an Aikos Oberteil noch ein paar Applikationen an den gehäkelten Brüsten platziert. Sie hatte Spaß und auch das Publikum ging mit, als sie exaltiert auf der Bühne Stimmung machte, gereicht hat es am Ende dann aber nicht, für den tschechischen Rundfunk dürfte dies aber zu verschmerzen sein. Nach einem kurzen Break, bei dem Jahn Teigen, dem dreifachen norwegischen Vertreter gedacht wurde, trat Frankreichs intern gewählter Interpret Slimane auf und tatsächlich fühle ich hier so etwas wie Gewinner-Vibes. Der Mann kann unfassbar gut singen, "Mon amour" steigert sich von Minute zu Minute und das alles in einem One-Shot der Kamera.

Slimane, der außer Konkurrenz auftrat und als Repräsentant eines Big Five-Mitgliedes automatisch im Finale dabei ist, erzeugte tatsächlich Gänsehaut bei mir, insbesondere in dem Moment, als er sich von seinem Mikrofon entfernte und die Halle mit seinem unfassbaren Organ erfüllte, war magisch. Frankreich kann ich mir sehr gut als Sieger im Juryvoting vorstellen und bekommt gewiss auch keine niedrigen Werte im Zuschauervoting, das kann hoch hinausgehen für die Grand Nation. Löblich ist auch, dass Paris zwar in den Lyrics Erwähnung findet, aber endlich mal kein Eiffelturm in die Performance eingebaut wurde.

Kaleen für Österreich hatte ich als Wackelkandidatin auf meiner Liste stehen. Würde sie mit ihrem Rave Europa überzeugen? Und noch wichtiger, würde sie tanzen und gleichzeitig die Töne halten können? Letzteres hat teilweise nicht funktioniert, da waren einige sehr dünne Passagen dabei, das wurde aber durch den Song und die tolle Bühnenshow kompensiert. Im Finale dürfte das Lied aber vermutlich nicht mehr viel reißen und ein ähnliches Ergebnis einspielen, wie dereinst Cascada, die schon elf Jahre zuvor in Malmö ihr Glück versuchte, dennoch sage ich "Toi toi toi"!

Eine relativ kurze Rückreise hat Saba, die für Dänemark in den Ring stieg. Der Zauber des Sands, der ihr durch die Hände gleitet und das Spiel auf den Backdrops waren ganz nett anzusehen, da man hier aber das besondere Etwas gesucht und nicht gefunden hat, ist Dänemark völlig zurecht schon wieder im Halbfinale gescheitert. Deutlich mehr Lebensfreude versprühte der junge und freche Beitrag aus Armenien. "Jako" war die richtige Mischung aus Folklore, spielerischen Elementen, einer fröhlichen Begleitband und einer Sängerin, die den notwendigen Rotz mitbrachte, um Armenien souverän ins Finale zu führen.

Die größte Überraschung in diesem Halbfinale ist zweifelsohne das Weiterkommen von Lettland, denn im Prinzip hat Dons auf der Bühne im blauen Sixpack-Anzug nichts weiter getan als in die Kamera zu schauen und seinen Song zu performen, das hat gereicht um die siebenjährige Pleitenserie von Lettland zu beenden. Ohne Stimmakrobatik sondern einfach bei sich hat Dons abgeliefert und wurde belohnt, dem Sänger stiegen direkt nach seinem Auftritt Tränen der Rührung in die Augen, für Lettland freut es mich ungemein, dass sie auch mal wieder aktiv an einem Finale teilnehmen können. 

Es folgte der direkt qualifizierte Beitrag aus Spanien, bei dem das Publikum wie erwartet mitgegangen ist und mit vollen Kräften bei jeder sich bietenden Gelegenheit "Zorra" rief. Trotz allem Wohlwollens, erscheint mir die Stimme von Sängerin Mery aber doch die dünnste des Abends gewesen zu sein und ich habe die Befürchtung, dass Spanien trotz mitreißendem Charakter im Duell um die rote Laterne die Nase vorn haben wird, denn auch die trainierten Tänzer können nicht über eine dünne Gesangsleistung hinwegtäuschen. Mit einem spanischen Lied ging es sogleich weiter, Megara waren in Benidorm im Jahr zuvor gescheitert und wurden nunmehr für San Marino verpflichtet. 

Über drei Minuten hinweg lieferte San Marino eine rockige Freakshow, die man irgendwie gerne verfolgt hat, die einen aber auch etwas ratlos zurückließ. Aus den pink-schwarzen Monstern wurden Skelette, die in einem Flamenco-Dancebreak um sie herumtanzten, am Ende sahen alle zerzaust aus und ließen Fragen offen, die am Samstag nicht mehr geklärt werden können, denn die kleine Republik flog abermals im Halbfinale raus, nicht zu Unrecht. Dafür darf sich Georgien mit seiner Pyroshow freuen, endlich wieder im Finale dabei zu sein. Nutsa hat toll gesungen, die Show an sich nichts Besonderes, aber in der Summe hat es gereicht und das ist am Ende das, was zählt.

Weniger Glück hatte Mustii aus Belgien, bei dem sich in den letzten Tagen und Stunden immer mehr abzeichnete, dass er zu den großen Fragezeichen gehören würde. Das Staging an sich kann man nicht kritisieren, die Idee mit den vielen Mikrofonen war gut, das Kostüm streitbar, was man aber nicht leugnen konnte ist, dass Mustii stimmlich nicht den besten Tag erwischt hatte. Das war teilweise schon ein bisschen an der Idealspur vorbei, da half auch der starke Chorus zum Ende des Liedes nicht. Und auch wenn ich "Before the party's over" durchaus gerne höre, so war der Auftritt in der Summe leider wirklich zu schwach, um ein Weiterkommen zu rechtfertigen.

Thorsten Schorn entwickelte seine Freude daran, den estnischen Beitrag auszusprechen und darf dies auch am Samstag wieder tun. 5miinust x Puuluup schafften es mit einer entrückten Performance, die einem Musik-Battle glich und gröhlende Sirenenklänge mit obertongesangsähnlichen Lauten verband, eine herrliche Show, die im Finale wiederholt werden darf. Somit sind alle baltischen Nationen in der Endrunde von Malmö vertreten, das gab es auch schon fast eine Dekade lang nicht mehr. Es folgte außer Konkurrenz Italien, das eine moderne Mischung aus Rebellion der Jugend mit südamerikanischem Cumbia verbindet. Angelina Mango und ihre Backings trugen wilde Stoffmuster, haben scheinbar nur eine ganz grobe Choreographie, die von Spontanität lebt, aber mir doch zu unaufgeräumt wirkt.

Meine vollste Hochachtung genießt Eden Golan, die in diesem Jahr wirklich kein leichtes Spiel hat. Seit Tagen war sie nur zu den offiziellen Probenterminen außerhalb des Hotels unterwegs, nahm an keinen Aktivitäten wie dem türkisfarbenen Teppich teil und wurde rundum abgeschirmt. Noch vor dem Halbfinale fand in Malmö eine große Demonstration gegen die israelische Teilnahme statt und auch in der Halle gab es unsportliche Buhrufe wie einst schon bei den Tolmachevy-Schwestern aus Russland 2014. Dem setzte Eden mit ihren Tänzern eine fantastische Darbietung entgegen, stark und emotional gesungen und musikalisch zurecht im Finale am Samstag mit dabei.

Dass es auch sperrige Titel in die nächste Runde schaffen können zeigte Norwegen. Sängerin Gunnhild Sundli stand auf ihrem Podest, das mit Sträuchern und Steinen garniert wurde und besang ein altnorwegisches Epos, in dem es um ein Mädchen im Körper eines Wolfes ging. Der mystische Beitrag war in dunklem Licht gehalten und generell eher schwere Kost, die aber auch genügend Liebhaber gefunden hat, sodass Norwegen morgen Abend auch noch einmal ran darf. Für mich bleibt das Lied unter allen Finalisten jedoch der schwerfälligste Beitrag. Für eine Mittelfeldplatzierung könnte es aber durchaus reichen, ganz vorne Gåte aber wohl nicht mitspielen.

Und dann war da noch Joost Klein für die Niederlande, der 2:40 Minuten eine Ode auf Europa sang, übertrieben dargeboten und überzogen, fast schon ins Lächerliche gehend, nur um dann in den letzten Sekunden eine Herzensbotschaft in die Kamera zu säuseln. Trotz wichtigem und auch persönlichem Inhalt, ist mir die Show zu viel Klamauk, als dass ich es zum erweiterten Favoritenkreis zählen würde, wie es etwa die Wettquoten immer noch tun. Dafür ist auch die Gesangsleistung zu schwach. Ich wünsche den Niederlanden alles Gute, mich erobert das Lied aber nicht. Damit waren dann alle Interpreten des Jahrgangs 2024 einmal durch.

Es folgte ein Schnelldurchlauf und danach das große kollektive Singen. Angelehnt an Allsång på Skansen, bei dem die Schweden alljährlich im Sommer auf mehrere Wochen verteilt gemeinsam fröhlich sind und mit den bekanntesten Intepreten des Landes musizieren, präsentierten Helena Paparizou, Charlotte Perrelli und Sertab Erener ihre Siegertitel, mit eingeblendeten Lyrics, damit man auch zuhause heiter mitmachen konnte. Eine tolle Idee, die wieder einmal zeigt, dass die Schweden den Eurovision Song Contest ernst nehmen und wie Petra Mede so schön sagte, Madonna und Justin Timberlake nicht notwendig sind, wenn man genauso gut solche Acts buchen kann.

Charlotte Perrelli durfte wenige Minuten später, nach einer Reprise gescheiterter Vorentscheidungstitel, darunter auch Scooter und das legendäre Can Can aus der Feder von Ralph Siegel, gleich noch einmal auftreten. Im Rahmen des von Edward af Sillén geschriebenen Musicals "We love Euovision too much" zeigte sich SVT von seiner Schokoladenseite, wie man es damals schon bei "Love Love Peace Peace" getan hat. Lynda Woodruff alias Sarah Dawn Finer war auch dabei und am Ende entschuldigte man sich musikalisch sogar noch bei Käärijä, den man 2023 um den Sieg gebracht hatte. Eben jener durfte seinen Cha Cha Cha auch noch darbieten, damit dürften Finnland und Schweden quitt sein.

Teflon-Martin, der Supervisor der EBU wurde direkt danach gefragt, ob der EBU ein valides Ergebnis vorliege, er bejahte und die Finalisten wurden der Reihe nach bekannt gegeben. Wie eingangs erwähnt, ist der Finaleinzug von Lettland allgemein die größte Überraschung, die man direkt am Anfang der Bekanntgabe publik machte. Nach der Verkündung durften die Herrey's, die Sieger von 1984 noch einmal ihren damaligen Siegertitel "Diggi Loo, Diggy Ley" performen. Die Halbfinals liegen damit hinter uns, nun darf man gespannt sein, was das Finale noch für Überraschungen bereit hält, sowohl was die Show als solches betrifft, als auch schlussendlich beim Ergebnis.

Die 26 Finalisten stehen fest, einer davon wird die Trophäe des 68. Eurovision Song Contests mit nach Hause nehmen. Ein erster Blick direkt nach dem Halbfinale zeigt Baby Lasagna nach wie vor mit einer Siegwahrscheinlichkeit von 39% in den Wettquoten immer noch ganz oben. Ad hoch auf den zweiten Platz vorgerückt ist Eden Golan aus Israel mit nunmehr 17%, gefolgt von Nemo mit 12& und der Ukraine mit 8%. Abwärts geht es für Joost aus den Niederlanden, der auf die Acht gerutscht ist. Isaak für Deutschland ranigert derzeit auf der #22 zwischen Slowenien und Portugal, die Schlusslichter in den Quoten sind Luxemburg, Serbien und Lettland.

Für Sarah Bonnici und Besa endet die Reise im zweiten Halbfinale

Marina Satti und Nemo haben es derweil erwartbar ins Finale geschafft

Trotz neuer Obertrikotage ausgeschieden: Aiko | Gegen den Wind: Slimane

Kaleen für Österreich hat sich auch qualifiziert | Sand im Getriebe: Saba

Ladaniva für Armenien und Dons für Lettland sind ebenfalls mit dabei

Fast zehn Minuten Sendezeit für Spanien: Nebulossa und Megara

Willkommen zurück im Finale, Georgien | Sehen wir Samstag wieder: Angelina Mango

Im Mikrofon und im Halbfinale verheddert: Mustii | Allen Unkenrufen zum Trotz weiter: Eden Golan für Israel

Joost Klein hat's auch geschafft | Drei Ikonen vereint: Helena, Sertab und Charlotte

'A Musical from the EBU', auch Käärijä bekam sein Plätzchen im Halbfinale

Am Samstag verliest er die finnischen Punkte | Führten aus dem Abend: The Herry's

Team Estland hat es sich zwischenzeitlich gemütlich gemacht | Dons aus Lettland

Eden Golan hofft auf das Weiterkommen | Mustii hatte das Nachsehen

Ladaniva bei der Pressekonferenz | Gemeinsam im Finale: Marina Satti und Nemo

Rave und Folkrock im Finale: Österreich und Norwegen