Mittwoch, 8. Mai 2024

Eurovision 2024: Zusammenfassung des ersten Halbfinals


Schweden
- Der Eurovision Song Contest ist in Malmö angekommen, das erste Halbfinale liegt hinter uns und damit sind die Weichen für das große Finale am Samstag gestellt. Standesgemäß wurde das Halbfinale mit einem Banger eröffnet, Eleni Foureira wurde gebucht, um noch einmal ihre Haare im Takt zu "Fuego" zu schütteln. Abgelöst wurde sie dabei sogleich von Eric Saade, dessen Einladung durch den Sender SVT bereits einer Rebellion mit Ansage gleichkam, trug er doch ein Palästinensertuch ums linke Handgelenk. Saade gilt als einer der wortstärksten schwedischen Interpreten, die sich gegen die Teilnahme Israels im Wettbewerb aussprechen, da hat die EBU das Fass also selbst aufgemacht. Es folgte noch ein Dancebreak von Chanel.

Malin Åkerman und Petra Mede führten durch den Abend, mit Witz und Charme, kleinen Ausflügen in die Historie und gekonnten Anspielungen auf vergangene Ausgaben, die in Schweden stattgefunden und ebenfalls von Petra moderiert wurden. So habe Petra es zunächst allein, dann mit einem Mann und nun mit einer Frau probiert, doch damit sei es genug aus ihrem Liebesleben und man widmete sich den Beiträgen des gestrigen Abends. Die Postcards in diesem Jahr zeigen zunächst zwei Beiträge aus der Geschichte des Landes, beim Auftakt von Zypern waren dies etwa Hara & Andreas Konstantinou aus 1997 und Ivi Adamou aus 2012.

Mit Silia Kapsis für Zypern turnte sich sogleich die jüngste Teilnehmerin des Jahrgangs mit ihren vier Boys warm. "Liar" war genau der richtige Opener um das Publikum und die Zuschauer in Stimmung zu versetzen, das sich auch pflichtgemäß für das Finale am Samstagabend qualifiziert hat, diese Art von Song braucht's in jedem guten Wettbewerb. Ebenso wie die typische Balkanballade, die uns 2024 von Teya Dora aus Serbien geliefert wurde. Die knuffige Interpretin saß barfuß auf ihrem Felsen und holte die Zuschauer nach dem Uptempo-Start wieder zurück auf den Boden. Solide und einfühlsam gesungen, schaffte es auch Serbien mit seinem blühenden Felsenteller ins Finale.

Anzumerken gilt es an dieser Stelle, dass das serbische Fernsehen RTS wohl im Laufe des Tages noch eine Zurechtweisung durch die EBU erfährt, unterbrach man doch das laufende Programm für einen Bericht über das Staatstreffen des chinesischen Präsidenten Xi mit Serbiens Präsidenten Aleksandar Vučić. Der Eurovision Song Contest rutschte demnach für zwei Auftritte ins zweite Programm um dann wieder auf seinen Originalplatz zurückzukehren. Ohne Frage ist das Hin- und Herschieben von Sendeübertragungen in diesem Umfang absoluter Blödsinn, außer mahnenden Worten durch die Veranstalter dürfte dieser Wechsel aber wohl ohne Folgen bleiben.

Auch der dritte Starter des Abends, Silvester Belt aus Litauen, schaffte es in die Endrunde am Samstag. Während "Luktelk" bei den Proben irgendwie aus dem Raster der Berichterstatter fiel, war die Show gestern Abend sehr präsent. Mit treibenden Beats und stampfenden Fans qualifizierte sich der 26jährige. Sowohl Vilnius als auch Kaunas haben bereits Interesse angemeldet, die Eurovision 2025 auszurichten, wobei ich trotz der guten Leistung zu bezweifeln wage, dass sich beide Städte darüber den Kopf zerbrechen müssen. Mit dem Intro von Johnny Logan und Jedward, die als Support auch im Publikum der Malmö Arena dabei waren, kam es zur irischen Performance von Bambie Thug.

Bambie hat in den letzten Wochen seit dem Sieg beim Eurosong in der Late Late Show eine gewaltige Steigerung hingelegt. Die gesamte Performance zu "Doomsday Blue" wirkte einem Horrorfilm entsprungen, es ist so viel auf der Bühne passiert, dass man sich nicht wagte den Blick abzuwenden. Das Staging mit dem Pentagramm, die irren Kameraeinstellungen, das Beschwören bzw. Niederlegen des Gehörnten und nicht zuletzt der Kostümwechsel machten den Beitrag zum spannendsten im Teilnehmerfeld. Irland ist zurück im Finale, erstmals seit 2018, Europa kam der Aufforderung "Crown the witch" nach und ich gehe davon aus, dass Bambie zumindest im Televoting am Samstag einen Achtungserfolg erreichen wird.

Anschließend war es an der Zeit für den ersten direkt qualifizierten Finalisten. Um die Chancen für alle Nationen gleich zu halten, durfte nun auch Olly Alexander sein "Dizzy" unter echten Bedingungen vortragen. Wie Thorsten Schorn treffend anmerkte, hat uns der britische Act gezeigt, wie man als schwuler Mann in Berlin den Abend verbringen kann. Die gesamte Performance war ein einziges homoerotisches Geknister in der Duschkabine eines Boxvereins und trotz aller Illusionen und Bewegungen sogar recht gut gesungen, etwas das man Olly zeitweise abgesprochen hatte. Britannien dürfte seine Zielgruppe gefunden haben, ob das nun aber mehrheitsfähig ist, sei zunächst dahingestellt.

Ein komplett anderes Setting nach Dämonenbeschwörung und Fetischclub lieferten die ukrainischen Sängerinnen Alyona Alyona & Jerry Heil, indem sie zwei Heilige besangen. Jerry Heil bestieg dabei in "König der Löwen"-Manier einen Felsen aus Pappmaché, auf den Backdrops gingen goldene Kometen nieder, es folgte ein fesselnder Rap-Teil von Alyona Alyona und am Ende resultierte daraus natürlich eine Finalqualifikation. Die Ukraine behält damit ihren 100%igen Rekord für ein weiteres Jahr und das völlig zurecht, Chancen als Kompromisssieger aus Jury- und Zuschauervoting hervorzugehen bleiben gewahrt. Anders sieht die Lage im benachbarten Polen aus.

Das polnische Team, das sich mit dem Bühnenbild beschäftigt, hat es man wieder zu gut gemeint und zu viel CGI, zu viel Kunst und zu viele Requisiten angeschleppt um einen eigentlich tollen Beitrag ins Aus zu manövrieren. Hinzu kommt, dass Luna bei der ganzen Tanzerei etwas schwach bei Stimme war und sich für "The Tower" recht schnell ein Schachmatt abzeichnete. Dabei tat mir Luna leid, die im Greenroom so niedlich bis zuletzt zitterte, ihre Fahne in die Kamera hielt, nur um dann abschließend enttäuscht zu werden. Leider hat es nicht gereicht, da habe ich mich auch mit meinem zuvor abgegebenen Tipp verbremst.

Den erkennbar großen Applaus im Nachgang heimste sich Marko Purišić alias Baby Lasagna ein. Viel hat man seit dem Sieg bei der Dora nicht geändert, die Mischung aus Rammstein, 80s Rock und istrischer Tradition zündete von Anbeginn und hat sich die beste Grundlage geschaffen, am Samstag ganz weit vorne zu landen. Das Publikum hat fleißig mitgegröhlt und den Favoritenstatus der Nummer, in der es um die Abwanderung junger Menschen aus wirtschaftlichen Gründen geht, nochmals unterstrichen. Trotz ihrer Bühnenpräsenz ausgeschieden ist erwartbarerweise Islands Sängerin Hera Björk. 

Sie hatte hoffentlich dennoch einen feinen Abend und die Stimmung aufgesogen. Ihr Beitrag, der auch ein bisschen an "Believe 'n' peace" aus dem fernen Jahr 1999 erinnerte, war einfach Kreisklasse innerhalb einer internationalen Konkurrenz, um den Bogen zu den überflüssigen Fußball-Einschüben von Thorsten Schorn zu schlagen. Nach einer kurzen Erklärung, wie viele LEDs im 16tägigen Aufbauprozess der Bühne eingelassen wurden und das man wohl erkennbar mehr als 1.000 Dollar bezahlt habe, war es an der Zeit für die Vorschau auf den deutschen Beitrag "Always on the run".

Hatte ich mich doch zunächst mit dem Staging irgendwie angefreundet und mir gedacht "Och ja, Feuer geht immer", so fand ich das gesamte Paket seltsam. Isaak wirkte trotz seines enormen Lungenvolumens und der Röhre irgendwie verloren im Staging. Hinzu kommt, dass er fast schon zu viel Elan in die Stimme gelegt hat und es dadurch ein wenig aggressiv wirkte. Dabei ist die Stimme das einzige Kapital, das Deutschland in diesem Jahr bieten kann. Da die Eurovision mich gelehrt hat, das Patriotismus fehl am Platz ist, kann ich offen zugeben, dass der deutsche Beitrag für mich wieder Stangenware ist, die sehr wahrscheinlich am Samstagabend wieder auf den Plätzen im Souterrain rangieren wird.

Die Überraschung des Abends war für mich das Weiterkommen von Slowenien. Ich hätte nicht erwartet, dass Raiven mit ihrer in Landessprache gesungenen Geschichte, die teilweise auch sehr geschrieen war, das Finale erleben wird. Der Expressionismus hat offenbar doch seine Fans gefunden und so ist Slowenien das zweite Mal in Folge in der Endrunde vertreten. Ebenso wie sich auch der Windows95Man mit seiner Retro-Blödelnummer behaupten konnte. Fast hätte man es auch über den ganzen Beitrag hinweg geschafft, den Eindruck zu vermitteln, er hätte keine Hose an, die ein oder andere Einstellung hat ihn dann aber doch verraten.

Ob der Sandalenträger mit seinen Feuerwerk-Hotpants am Samstag immer noch zieht, wage ich zu bezweifeln, diese Beiträge leben vom Moment und da ist durchaus stärkere Konkurrenz zu erwarten. Nach Finnland trat Moldawiens Sängerin Natalia Barbu umringt von Schmetterlingen und Libellen eine magische Reise "In the middle" an. Leider vermochte der Beitrag abgesehen vom Geigensolo keinerlei großen Wow-Erlebnisse zu bieten. Moldawien ist damit aus dem Rennen und neben Hera Björk sogleich auch die zweite Rückkehrerin des Jahrgangs. Aber auch hier war angesichts der blutleeren Performance ein Ausscheiden mehr als erwart- und vertretbar.

Nach einem kurzen Break zeigten uns Marcus & Martinus für Schweden, was die Bühne lichttechnisch zu leisten im Stande ist. Die Brüder, die schon seit einem Jahrzehnt im Showgeschäft tätig und in Skandinavien gefeierte Stars sind, haben hoch professionell abgeliefert, fast zu perfekt, "Unforgettable" ist einer dieser Lotusblütenbeiträge, dem jegliche Ecken und Kanten fehlen und alles Markante abperlt. Dennoch dürfte der Beitrag am Samstagabend seine Fans finden, wobei ich stark annehme, dass Schweden mit diesem Titel Gentleman genug ist und als guter Gastgeber anderen beim Duell um die Krone den Vortritt lässt.

Kritisieren muss man am Beitrag aus Aserbaidschan auch nichts. Das Land hat es mit starken Ethno-Vibes, Muğam und Refrain in Landessprache versucht, ist damit in der Konkurrenz aber baden gegangen. Hoffentlich versteht das aserbaidschanische Fernsehen das Ausscheiden nicht als Aufforderung, ab 2025 wieder schwedisches Fließmandmaterial einzukaufen, denn "Özünlə apar" hatte mehr Authentizität und Seele als jene Beiträge, mit denen Aserbaidschan groß geworden ist. Gleiches gilt für Australien, das zum zweiten Mal nach dem Halbfinale die Heimreise antreten muss. 

Electric Fields hatten zum einen nicht unbedingt den stärksten Titel und hinzu kam noch eine zu gewollte Show. Da wurde von Regenbogenprojektionen über das verschiebbare Keyboard bis hin zum Didgeridoo zu viel auf einmal geboten. Zudem war die gesangliche Leistung von Zaachariaha auch nicht so umwerfend, wie man es gern erlebt hätte. Überzeugender kam da schon die Leistung von Iolanda aus Portugal daher. Der farbentsättigte Beitrag war nicht Fisch nicht Fado und trotzdem haben sich Zuschauer für das Canção erwärmen können. Portugal ist somit am Samstag auch dabei.

Abgeschlossen wurde das Starterfeld von Luxemburg. Das Großherzogtum wurde als großer Rückkehrer präsentiert, Tali hat auf der Bühne auch in zwei Sprachen wunderbar abgeliefert, wenngleich die CGI-Geparden nicht unbedingt hätten sein müssen. "Fighter" dürfte nicht zuletzt den Comback-Bonus genutzt haben um ins Finale einzuziehen. Streng genommen ist die Ukraine nun nicht mehr das einzige Land mit 100%iger Finalquote, wobei beide Länder ob ihrer Anzahl an Teilnahmen kaum miteinander vergleichbar sind. Luxemburg war dann auch später im Greenroom noch Thema.

Petra Mede nutzte die Gelegenheit darauf hinzuweisen, dass Tali altersbedingt noch nie ihr eigenes Land beim Eurovision Song Contest sehen konnte und hoffte, dass man sich nicht erst 2055 wiedertrifft, sollte der Ausflug nach Malmö schief gehen. Glücklicherweise hat sich Luxemburg als Zehntes doch noch für Samstag qualifizieren können, diesen Spannungsbogen hätte ich als Verantwortlicher bei der EBU auch eingeschlagen. Nach einem Schnelldurchlauf interpretierte Johnny Logan dann "Euphoria", nach einem weiteren Schnelldurchlauf und einer Hommage an Nicole & Hugo durfte auch Benjamin Ingross noch ein Best Of singen.

Danach präsentierte man Supervisor Martin Österdahl, der, was soll er auch anderes sagen, ein "valid and verified result" ankündigte. Dazu öffnete man den Backdrop der Bühne, der Blick auf die Delegationen im Greenroom freigab, ähnlich wie dies 2003 in Riga und 2011 in Düsseldorf der Fall war. Ruckartig ging es dann schon zur Bekanntgabe der Finalisten über, die zehn erfolgreichen Nationen reihten sich am Geländer des Greenrooms auf und durften nach Ende der Liveshow auf der Pressekonferenz ihre Starthälften auslosen und sich der internationalen Presse stellen.

Nach dem ersten Halbfinale ist bekanntermaßen vor dem zweiten Halbfinale. So kommt es bereits heute Nachmittag zur ersten Generalprobe, am Abend findet dann das einstige Juryfinale, die zweite Generalprobe statt. Nach einer dritten Generalprobe morgen Nachmittag wird es Donnerstagabend um 21 Uhr (MESZ) wieder ernst, alle Details zum zweiten Halbfinale inklusive der vorab qualifizierten Beiträge aus Frankreich, Spanien und Italien liefern wir zeitnah nach.

Unser Moderatorinnen-Duo Malin und Petra | Happy Faces bei Luxemburg
Beide im Finale: Silia Kapsis für Zypern und Teya Dora für Serbien
Mit Nasenklammer ins Finale: Litauen | Bambie und ihr Dämon
Automatisch qualifiziert: Olly Alexander | Die Ukraine hat's auch wieder geschafft
Leider draußen: Luna aus Polen | Baby Lasagna auf der Siegerstraße
Hier hat's nicht gereicht: Hera Björk aus Island | Isaak
Raiven darf am Samstag eine Zugabe geben, genauso wie der Windows95Man
Uninspiriert und langweilig: Moldawien | Mit Quellcode im Hintergrund: Schweden
Ethno kam nicht an, Fahree & Igor Dovlatov | Zaachariaha von Electric Fields
Qualifiziert: Iolanda aus Portugal und Tali aus Luxemburg
Johnny Logan war auch dabei | Benjamin Ingrosso ist erwachsen geworden
Ebenfalls qualifiziert: Silvester Belt und Alyona Alyona & Jerry Heil
Freudentränen bei Slowenien | Euphorie bei Irland: Bambie Thug ist weiter
Auch Portugal und Zypern dürfen am Samstag noch einmal ran
Welcome back, Luxembourg | Teya Dora bei der Pressekonferenz
Der große Favorit: Baby Lasagna | Der Nerd und das Blondchen: Window95Man