Donnerstag, 3. September 2020

Memories: Eurovision Song Contest 1983


Deutschland - München wurde nach Frankfurt am Main zur zweiten Heimstätte für den Eurovision Song Contest auf deutschem Boden erklärt. Im Jahr eins nach dem Sieg von Nicole oblag es dem Bayerischen Rundfunk mit der Rudi-Sedlmayer-Halle in der bayerischen Landeshauptstadt eine Halle zu finden, in der der Wettbewerb unter Beteiligung von 20 Nationen stattfinden konnte. Vielfach rühtmen sich die Gastgeber, auf dem neuesten Stand der Technik gewesen zu sein, u.a. kursiert die Zahl von 65.000 Glühbirnen, die die Bühne erhellten, die Meinungen hierüber reichen allerdings vom "Innenleben eines Heizlüfters" (Zitat aufrechtgehn.de) bis hin zu einer Heizspirale in einem Toaster.

Die Moderation stieß ebenfalls auf heftige Kritik. Die in Winsen/Luhe geborene Angela Miebs alias Marlène Charell wurde nominiert, um dreisprachig durch den Abend zu führen. Dieser Empfehlung nahm sie sich auch bis zum Ende der Show konsequent an und moderierte jeden Beitrag neben einem Blumenbouquet in den jeweiligen Landesfarben der Teilnehmer auf Deutsch, Englisch und Französisch an. Leider war Marlène sehr nervös und gab auch im Nachhinein zu, dass dies nicht ihr bester Tag war. So brachte sie Namen durcheinander, was wohl auch schon der Tatsache geschuldet war, dass ausnahmslos jeder "Dirigent, chef d'orchestre, conductor" in Dreisprachigkeit angekündigt werden musste.

Bis zum 23. April 1983 hatte sich kein Moderator der Show so oft verhaspelt wie die Harburgerin und wurde dementsprechend von den Zeitungen am nächsten Tag zerfetzt. Dabei kümmerte sie sich um wahrlich alles, sogar um den Interval-Act, bei dem sie die Pause nutzte um den Zuschauern energisch etwas vorzutanzen. Recht kraftlos mühte sie sich im Anschluss durch die Punktevergabe, die wiederum recht spannend daherkam, wenngleich sie auch hier wieder durch die Wiederholung in drei Sprachen in Gottschalk-Manier deutlich überzogen wurde. Insgesamt gab der BR rund 1,5 Millionen DM für die Show aus, eine heute gar lächerliche Summe für das Samstagabend-Event. 

20 Länder waren für den Song Contest 1983 gemeldet, u.a. waren Griechenland, Frankreich und Italien wieder mit dabei, die sich aber zunächst einmal hinter einem Film über die touristischen Schönheiten Bayerns einreihen mussten. Geschlagene zehn Minuten wurden Schlösser, Berge und der Almabtrieb bajuwarischer Kühe gezeigt, ehe der erste Starter die Bühne betrat. Während die Beiträge oben genannter Griechen, Franzosen und Italiener offenbar dem kulturellen Mindeststandard der lokalen Politiker genügten fehlte das irische Fernsehen RTÉ, in Dublin wurde zu jener Zeit der Sender bestreikt. Den Abend eröffnete der Franzose Guy Bonnet, der schon 1968 als Texter und 1970 schließlich als Interpret dabei war.

Mit seinem Lied "Vivre" ("Leben") erreichte er immerhin den achten Platz. Selbst in der französischen Wikipedia ist nicht viel mehr über seinen musikalischen Verbleib niedergeschrieben. Ihm folgte Jahn Teigen aus Norwegen mit seinem letzten Song Contest-Ausflug. Auf "Adieu" im Jahr zuvor folgte nun die Tonleiter "Do-Re-Mi", wenngleich er mit diesem Lied nur Zweiter in der norwegischen Vorauswahl wurde. Ursprünglich gewann Wencke Myhre, da sie allerdings gleichzeitig an der deutschen Vorentscheidung teilnahm und die EBU-Statuten dies damals noch verboten, rückte Jahn Teigen nach. Der Titel war gleichzeitig sein erfolgreichstes Lied, Platz neun. Verwirrung stiftete Marlène Charell, als sie den Dirigenten Sigurd Jansen als "Johannes Skorgan" ankündigte, den es allerdings nicht gab.

Punktgleich mit Norwegen landete Österreich auf dem neunten Rang. Die Gruppe Westend bestand aus Peter Vieweger, Bernhard Rabitsch, Hans Christian Wagner und Gary Lux, der im Fortlauf der Veranstaltung noch fünf weitere Male beim Song Contest in Erscheinung treten sollte. Und obwohl "Hurricane" auch in die österreichischen Charts einstieg, löste sich die Gruppe kurz nach der Teilnahme in München auf. Weniger Glück hatten die Schweizer Eidgenossen, die mit ihrer Sängerin Mariella Farré nur den 15. Platz belegen konnten. 

Experimentelle Lieder kamen in diesem Jahrgang nicht gut an, gleich zwei Nationen belegten den letzten Platz mit ungnädigen null Punkten. Zum einen war da die türkische Formation Çetin Alp & the Short Waves, die dem Text von Aysel Gürel entsprechend über die "Opera" sinnierten und dabei auf Türkisch über "La Traviata", "Tosca" und "Figaro" sangen und nachdem die Namen italienischer Opern ausgingen in ein langes "Lay lay la" verfielen. Çetin Alp, der bei seiner Teilnahme optisch etwas wie Rosario aus "Will and Grace" ausschaute, war fortan in der Türkei als der "Opera"-Sänger gebrandmarkt, der seinem Land null Punkte brachte. Dieses Image hatte er bis zu seinem Tod im Jahr 2004, nur wenige Tage nach dem Song Contest in Istanbul, für den der Sender TRT ihn noch einmal reaktivierte.

Ebenso punktelos beendete Remedios Amaya aus Spanien den Abend. Barfuß, in einen blau-gestreiften Schlafanzug gehüllt und mit dem krachenden Flamenco-Titel "¿Quién maneja mi barca?" ("Wer segelt mein Boot?") donnerte sie derart andalusisch daher und gestikulierte wild mit den Armen und einer Mimik, die der Imperator aus Krieg der Sterne nicht düsterer daherbringen könnte, dass es den Juroren offenbar Angst und Bange wurde. Bis 1997 zog auch sie sich aus dem Musikgeschäft zurück, danach erschienen laut ihrer Diskografie noch einige Flamenco-Werke, u.a. in Zusammenarbeit mit dem Gitarristen Vicente Amigo. 

Nur wenig erfreulicher lief es für Belgien. Der flämische Landesteil ließ eine Expertenjury über neun Titel entscheiden, die allesamt Namen wie "Bye bye Scoubidou", "Tic-Tac" und schließlich "Rendez-vous" von Pas de Deux hatten. Das Frauenduo Dett Peyskens und Hilde van Roy (begleitet von Keyboarder Walter Verdin) sang und tanzte im Stil von Genesis "I can't dance" zu ihrem wortkargen Titel. Textlich bestand das Lied aus exakt elf Worten, die sich sinngemäß mit "Ich habe Kopfschmerzen, also halt die Klappe" übersetzen lassen. Beim Vorentscheid wurde man nach dem Sieg noch ausgebuht, beim Song Contest reichte es immerhin für die dritthöchste Wertung aus Spanien. In der Summe waren es 13 Zähler und damit Platz 18.

Ebenfalls im hinteren Mittelfeld platzierte sich Dänemark mit der Aerobic tanzenden Gry Johansen sowie das zypriotische Duo Stavros & Dina, die mit "I agapi akoma zi" leider nicht mehr als ein schmückendes Beiwerk zur Eurovision schickten. Während Stavros Sideras später wichtige Politiker im Fernsehen interviewte, blieb Konstantina der Musik treu und komponierte den zypriotischen Beitrag von 1997, gesungen von ihren Kindern, den Geschwistern Hara & Andreas Konstantinou. Zwei Plätze darüber landeten die Griechen mit Kristi Stassinopoulou und "Mou les". Kristi war ab 1978 eigentlich eher als Musicaldarstellerin tätig und sang u.a. in "Jesus Christ Superstar" und "Evita", ab 1986 erschienen mehrere Alben von ihr, zuletzt 2012.

An den Top Ten vorbei rangierten Italien und Finnland, die punktgleich auf den elften Platz kamen. Die Italiener schickten mit Riccardo Fogli den wohl bekanntesten Interpreten ins Rennen, belegte er doch nur ein Jahr zuvor mit "Storie di tutti i giorni" einen Nummer-Eins-Hit in Italien, der sogar in Deutschland die #30 erreichte. Hiermit gewann der ehemalige Sänger der Gruppe Pooh das San Remo-Festival, diesen Erfolg konnte er trotz sieben weiterer Teilnahmen am Festival nicht mehr erreichen. Finnland schickte mit Ami Aspelund die jüngere Schwester von Monica Aspelund, welche 1977 Zehnte wurde. Ami landete mit "Fantasiaa" einen Rang dahinter, die Finnlandschwedin macht noch heute Musik, 2018 erschien die Single "Sommarfågel i vinterland".

Erfolgreicher lief es aus deutscher Sicht. Am 19. März fand in den BR-Studios in München zunächst nach bewährtem Konzept der Vorentscheid statt, an dem in zwei Vorrunden Kandidaten wie Dorthe Kollo mit "Männer", Angelika Milster mit einem Lied über Marilyn Monroe ("Oh, Norma Jean") oder Enorm in Form feat. Rosi Mittermaier auf der Strecke blieben. Zwölf Kandidaten blieben übrig, 500 demographisch ausgewählte Zuschauer wählten das Brüderpaar Hoffmann & Hoffmann zum Song Contest. Dabei hatte man auf der #2 und #3 ebenfalls fantastische Lieder, nämlich "Mit siebzehn" von Bernd Clüver und "Viva la Mamma" von Ingrid Peters & July Paul. 

Die oben schon einmal erwähnte Wencke Myhre kam gemeinsam mit ihrem Sohn Dani nur auf den fünften Platz. Michael und Günter Hoffmann hatten ihren ersten großen Hit 1977 mit "Himbeereis zum Frühstück", traten in der ZDF-Hitparade auf und landeten 1983 mit "Rücksicht", in dem sich in einem grotesken Reimschema auch Nachsicht, Vorsicht, Einsicht und Weitsicht wiederfanden, auf dem fünften Platz. 

Nachdem der weitere Erfolg ausblieb und seine Beziehung zerbrach nahm sich Günter Hoffmann mit einem Sprung aus einem Hotelzimmer in Rio de Janeiro das Leben. Sein Bruder Michael war noch bis Ende der 80er im Musikgeschäft tätig, mittlerweile hat er sich aus dem Popgeschäft zurückgezogen und widmet sich vorrangig spiritueller Musik. Erwähnenswert ist an dieser Stelle noch, dass Ralph Siegel, der mit Nicole den großen Erfolg im Vorjahr hatte, keinen einzigen Title bei der Vorentscheidung im Rennen hatte.

Erstaunlich gut lief es auch für Jugoslawien. Milan Popović aus Titograd nahm als Daniel in München teil und landete mit "Džuli" einen Achtungserfolg für das einzige sozialistische Land im Teilnehmerfeld. Das Lied schlug in der Rudi-Sedlmeyer-Halle ein wie eine Bombe und konnte sich in mehreren europäischen Ländern hoch in den Charts platzieren. Erstmals seit Lola Novaković im Jahr 1962 erreichte Jugoslawien wieder die Top Fünf, quittiert wurde dies mit frenetischem Jubel in der Halle. Während er in Jugoslawien und seinen Nachfolgestaaten noch fleißig weiter musizierte, blieb die englische Version "Julie" ein One-Hit-Wonder. 

Einen Punkt mehr als Jugoslawien erzielte Carola Häggkvist bei ihrer ersten zaghaften Teilnahme am Eurovision Song Contest. Während sie bei ihren beiden späteren Auftritten vor allem durch die Belastbarkeit einer Windmaschine auffiel, blieb 1983 vor allem ihr scheußliches Outfit in Erinnerung. Sie sang über den "Främling", den Fremden und das, was er zu verstecken vermag. Den Juroren überall in Europa, außer im Großherzogtum Luxemburg gefiel das Lied und ebnete den Weg für Carolas weitere Karriere. Nach einigen Erfolgen in Schweden und Norwegen lernte sie 1987 den Prediger Runar Søgaard kennen, der sie zu einer bibeltreuen Christin formte. Die Ehe zerbrach im Jahr 2000.

Silber ging nach Israel. Mit Ofra Haza schickte man zunächst eine relativ unbekannte Sängerin ins Rennen, die nach ihrem poppig und tänzerisch wunderbar dargebotenem "Hi" (andere Schreibweisen "Chai" und "Hay") eine große Karriere hinlegte. Mit "Im nin'alu" landete sie einen Welthit und den ersten Nummer Eins-Hit in Deutschland in hebräischer Sprache, auch ihr Album "Yemenite Songs" erreichte die #9 der Albumcharts. Im Zuge ihrer Weltmusik-Anleihen sang sie u.a. mit Paula Abdul und Stefan Waggershausen. Im Jahr 2000 verstarb sie an den Folgen einer bis dahin geheim gehaltenen HIV-Infektion, wurde in einer feierlichen Zeremonie in Petach Tikva beigesetzt und von Staatsmännern wie Ehud Barak und Shimon Peres geehrt.

Der Gesamtsieg ging allerdings an Corinne Hermès. Niemand hatte im Vorfeld den Beitrag aus Luxemburg auf der Rechnung, umso erstaunter waren viele der anwesenden Zuschauer, als die Juroren insgesamt sieben Höchstwertungen in das Großherzogtum schickten. "Si la vie est cadeau" ("Wenn das Leben ein Geschenk ist") war eine recht simple Ballade, die allerdings mehrere dramatische Höhepunkte besaß und auch für mich der beste Siegertitel der 80er Jahre ist, wirkte zum einen aufgrund der Stilrichtung, zum anderen aber auch ob der französischen Sprache sehr rückwärts gewandt.

Ob sich das Unverständnis auch in Australien breit machte ist nicht überliefert, der Sender SBS, der damals noch Channel 0/28 hieß, übertrug den Song Contest jedoch erstmals in Down Under. Die in Lagny-sur-Marne, einem Vorort von Paris, geborene Corinne Miller wurde nach kleineren Erfolgen in Frankreich direkt von RTL für Luxemburg nominiert und gab nach ihrem Sieg zu Protokoll, sie wolle kein One-Hit-Wonder sein. Genau dies passierte jedoch, das Lied platzierte sich lediglich in Frankreich in den Top Ten der Charts. Zwei weitere Singles bis Ende der 80er verliefen sich ebenfalls im Sand. 

Vielfach blieb nur ihr pinkes Kostüm mit dem Floristenkrepp und die Fönfrisur in Erinnerung, weniger das Lied. Bis heute ist es ruhig um sie geblieben. 2001 trat sie beim Eurovision Song Contest noch einmal kurz in Erscheinung, als sie die französischen Punkte verlas. Ihr Sieg war der letzte große Triumph für Luxemburg beim Eurovision Song Contest, bis zu seinem endgültigen Rückzug im Jahr 1993 konnte man das hier erzielte Ergebnis aus der Rudi-Sedlmeyer-Halle nicht mehr wiederholen. Die Halle, die ursprünglich für die Olympischen Sommerspiele 1972 errichtet wurde, heißt übrigens inzwischen Audi-Dome und ist Spielstätte der Basketballabteilung des FC Bayern München.

Das Ergebnis:
01. - 142 -  Corinne Hermès - Si la vie est cadeau
02. - 136 -  Ofra Haza - Hi
03. - 126 -  Carola - Främling
04. - 125 -  Daniel - Džuli
05. - 094 -  Hoffmann & Hoffmann - Rücksicht
06. - 079 -  Sweet Dreams - I'm never giving up
07. - 066 -  Bernadette - Sing me a song
08. - 056 -  Guy Bonnet - Vivre
09. - 053 -  Westend - Hurricane
09. - 053 -  Jahn Teigen - Do-Re-Mi
11. - 041 -  Riccardo Fogli - Per Lucia
11. - 041 -  Ami Aspelund - Fantasiaa
13. - 033 -  Armando Gama - Esta balada que te dou
14. - 032 -  Christie Stassinopoulou - Mou les
15. - 028 -  Mariella Farré - Io così non ci sto
16. - 026 -  Stavros & Dina - I agapi akoma zi
17. - 016 -  Gry Johansen - Kloden drejer
18. - 013 -  Pas de Deux - Rendez-vous
19. - 000 -  Remedios Amaya - ¿Quién maneja mi barca?
19. - 000 -  Çetin Alp & The Short Waves - Opera