Europa - Die corona- und sommerlochbedingte Nachrichtenarmut möchte ich an dieser Stelle einmal nutzen, um der Europäischen Rundfunkunion für 65 Jahre bester Unterhaltung zu Danken. Insbesondere dem 1981 verstorbenen Schweizer Marcel Bezençon ist es zu verdanken, dass wir noch heute Lieder über "Cheesecake", "Cleopatra" und "Black smoke" sehen und hören können. Der langjährige Generaldirektor des Schweizer Fernsehens gilt gemeinhin als Erfinder des Eurovision Song Contests.
Das Gesicht des ESC der frühesten Stunde: Marcel Bezençon |
Kaum jemand besaß zu dieser Zeit ein Fernsehgerät, die für den Normalverdiener unerschwinglich waren. So liegt die Zahl der TV-Geräte in der BRD im Jahr 1955 bei gerade einmal 100.000 Stück. Wichtigstes Massenmedium war zu jener Zeit das Radio. Die Zahl stieg sprunghaft an, 1961 gab es weltweit bereits über 100 Millionen Fernsehteilnehmer. Der Eurovision Song Contest passte sich immer wieder den technischen Neuerungen an, so fand der erste Wettbewerb in Farbe 1968 statt, in Farbe sehen konnten ihn allerdings die wenigsten, da hierfür die Aufrüstung bzw. der Neukauf eines TV-Gerätes notwendig war. Das Farbfernsehen hat überlebt, anfänglich große Gerätehersteller wie Nordmende oder Telefunken nicht.
Passend zu den schrillen 70er- Klamotten wurde der ESC ab 1968 in Farbe übertragen |
Das Aufkommen von Satellitenfernsehen machte es im Laufe des Jahre auch möglich, den Song Contest in die entlegensten Gebiete zu übertragen. So waren in den 70er Jahren neben den westeuropäischen Teilnehmerstaaten auch viele Nationen im Nahen Osten, im ehemaligen Ostblock und gar in Amerika und Australien in der Lage, Cliff Richard, Olivia Newton-John und Cindy & Bert zu sehen. Das es allerdings auch hier zu technischen Problemen führte zeigt das Beispiel Island, das aufgrund einer fehlenden soliden Verbindung erst in den 80er Jahren am Eurovision Song Contest teilnehmen konnte, nachdem mehrere Seekabel verlegt wurden.
Relikte meiner Kindheit: VHS-Kassetten, seit 2016 werden keine Recorder mehr produziert |
Gab es in den frühen Jahren der Show eine Standbildkamera, die fest montiert im Saal stand und Interpreten jegliche Choreographie untersagte, weil sie andernfalls aus dem Bild fallen würden, ging der Trend in Zukunft zu mehreren Kameras bis hin zu den heutigen Spidercams, die an Drähten in der Halle quasi jeden beliebigen Punkt der Lokalität erreichen. Von den Mikrofonen gar nicht erst zu reden, musste eine Milly Scott 1966 noch aufpassen, bei ihrem Tänzchen zu "Fernando en Filippo" nicht über die Kabelage zu stolpern, kam zunächst das kabellose und später das Headset-Mikrofon, das Künstlern erlaubt wild mit den Armen zu gestikulieren und dennoch singen zu können.
ESC 1993: Eines der ersten digitalen Scoreboards. Man achte auf das Wählscheiben- telefon oben links |
Der Dino unter den Abstim- mungsmechanismen: die Medienpostkarte. Die Rück- seite ähnelte einem Lottoschein |
Wunder der LED-Technik: Lisa Angell nimmt uns mit durch das zerstörte Europa |
Sang man früher vor einer Pappwand mit Motiven aus den Niederlanden, kann man heute die gesamte Bühne nutzen um Geschichten zu visualisieren, etwa Lisa Angell, die bei "N'oubliez pas" eine Armee Soldaten durch eine zerstörte Kleinstadt marschieren ließ oder Elina Netšajeva, die das gesamte Farbspektrum der HD-Technik auf ihrem Zeltkleid projezieren ließ. Dies alles haben wir auf die ein oder andere Weise den Geistern der 50er Jahre zu verdanken, die sich der Idee der Eurovision annahmen und über Generationen hinweg Menschen aus ganz Europa an einem lauen Mai-Abend zusammenbringen. Und 2021 soll diese Reise nach erstmaligem krankheitsbedingten Ausfall weitergehen, ich freue mich!