Mittwoch, 10. Mai 2023

Eurovision 2023: Rückblick auf das erste Semifinale


Vereinigtes Königreich
- Die BBC empfing in der M&S Bank Arena gestern Abend 15 Nationen, die von wild flackernden Schriftzügen und psychedelischen Variationen des neonfarbenen Logos eingeleitet wurden. So schön die Show auch produziert war und so viele kleine und große Gesten der Solidarität zwischen dem UK und der Ukraine eingeflochten wurden, so sehr ging das Art Theme des Wettbewerbs aber auch auf die Netzhaut. Zumindest das Scoreboard wurde nicht in Neongelb und Magenta gehalten, sodass man am Finalabend immerhin gut die Punkte lesen kann.

Doch der Reihe nach. Die Show wurde von Alesha Dixon, die zwischenzeitlich einen kleinen Rap auf den Eurovision Song Contest intonierte, der ukrainischen Sängerin Julia Sanina, die mit ihrer Band The Hardkiss auch das musikalische Opening vornahm und der Schauspielerin Hannah Waddingham moderiert. Letztere entpuppte sich als richtige Rampensau und dürfte, wenn sie so weitermacht, in den elitären Zirkel von Anke Engelke und Petra Mede einziehen. Die drei Damen haben einen wunderbaren Job gemacht und wirkten trotz aller Aufgesetztheit und minutiösen Planung beim Wettbewerb sehr authentisch.

Das Halbfinale entsprach ansonsten den typischen Gesetzmäßigkeiten der vergangenen Jahre, nämlich einem Kracherauftakt durch Alessandra Mele, die in ihrem Fantasy-Wikinger-Outfit und "Queen of kings" vom ersten Beat an Stimmung machte und die Zuschauer zum Kochen brachte. Beim Budget, das Norwegen in die Beleuchtung investierte, war man offenbar etwas knausrig, dafür aber schaffte die Sängerin die Whistle Note und qualifizierte sich entsprechend der Prognose als letzte Kandidatin für das Finale. Und obwohl ihre Finalteilnahme reine Formsache war, so zitterte ich am Ende der Bekanntgabe doch ein wenig.

Den Todesslot Nummer zwei erwischte in diesem Jahr die maltesische Gruppe The Busker. Mit einer ausgeklügelten und fröhlichen Choreographie, feierten die Drei ihre eigene Party, sogar mit Pappfiguren ehemaliger maltesischer Song Contest-Kandidaten. Doch wirkte Leadsänger David zwischenzeitlich etwas kurzatmig, was aber bei der Performance, die fünf Beiträge in eine dreiminütige Show quetschte, nicht überrascht. Trotz aller Sympathien wirkte insbesondere der Saxophon-Part wie eine Wish-Variante des Epic Sax Guys und somit müssen die Malteser zum zweiten Mal in Folge das Finale von zuhause verfolgen.

Stimmtlich ebenfalls nicht sonderlich überzeugend war Serbiens Interpret Luke Black, der es aber mit seiner Mischung aus Dornröschen-Schlaf und Computerspiel schaffte, seinen inneren Enemy zu defeaten. Serbien ist am Samstag ebenfalls mit dabei. In diesem Kontext gilt es anzumerken, dass sich ausnahmslos alle Beiträge, die in der Landessprache gesungen wurden, für die Endrunde qualifiziert haben, es blieben im Halbfinale lediglich englischsprachige Titel auf der Strecke. So z.B. "Aijā" von Sudden Lights aus Lettland. Die vielen Tempiwechsel und das "Geräusch, dass man in Lettland macht um ein Baby zu beruhigen" (Zitat Peter Urban) konnten Europa nicht überzeugen.

Überzeugender war da schon die wilde Mischung aus Flamenco und Can Can, mit der Portugals Kunstfigur Mimicat im roten Fusselkostüm über die Bühne schwebte. Das dreiminütige Musical auf Portugiesisch fällt in eine ganz besondere Kategorie, zeigt aber auch, dass Portugal nicht jedes Jahr Fado und Saudade auspacken muss, um das Finale zu erreichen. Es folgte der Beitrag aus Irland, der schon im Vorfeld als hoffnungslos galt. Leadsänger Conor O'Donohoe zeigte sich in einem goldenen Pailletten-Einteiler, der bis nach Manchester "Eurovision!" schrie. Leider wirkte die gesamte Musikeinheit völlig überladen.

Conor ließ sich stimmlich über weite Strecken seiner Darbietung von seinen Bandmitgliedern tragen und wenngleich die Iren eine Stadionsatmosphäre kreiierten, so blieb die Hymne für Einheit und Freundschaft in Europa auf der Strecke, abermals und somit hat Irland aus Eigenantrieb keine Gelegenheit mehr, seinen Allzeit-Rekord von sieben Siegen zu verteidigen. Weitergekommen ist dafür die schrille Performance von Let 3 aus Kroatien. Mit Diktatorenbärtchen und Umstandskleid, später nur noch in zu großer Unterwäsche, verschaffte sich Zoran Prodanović Gehör und brachte Kroatien ins Finale.

Offenbar haben die Kommentatoren, die Diaspora und das Staging einen maßgeblichen Anteil dazu geleistet, dass man die kroatische Show verstanden hat, die subtil den politischen Umstand zwischen Russland und Belarus in der Traktor-Metapher mit einer Hau Drauf-Performance kombinierte. Meiner Meinung nach ist Kroatien zu Recht im Finale dabei und das erstmals wieder seit Jacques Houdek im Jahr 2017. Auch die Interpreten des folgenden Blocks qualifizierten sich allesamt für die Endrunde am Samstag. Mit dabei ist u.a. auch die Schweiz, repräsentiert durch Remo Forrer.

Ich bin kein Freund von "Watergun", aber ich muss anerkennen, dass Remo begnadet singen kann und das Sacha Jean-Baptiste wieder einmal das Unmögliche geschafft hat, aus einer bedeutungsschweren Ballade eine tanzbare Choreographie herauszuschlagen. Eine maximale Choreographie kündigte auch Noa Kirel an, indem sie Europa mehrfach fragte, ob man sie tanzen sehen wollte. So füllte sie die letzten 25 Sekunden ihres Beitrags "Unicorn", das hierzulande mit der entsprechenden Handgeste nicht an Einhörner sondern an "Schulz!"-Gestik erinnert, durch eine Räkelei auf dem Boden aus, wie man es aus dem Vorjahr von Chanel kannte.

Enttäuscht bin ich dafür von Moldawien. Und dabei kann man Pasha Parfeni gar nicht mal ankreiden, dass er sich bei "Soarele și luna" ganz offensichtlich auf einem Schamanismus-Trip befindet, den ein kleinwüchsiger Flötist, Feuerkreise auf den LEDs und seine Barfüßigkeit unterstreichen, sondern vielmehr den desaströsen Gesang seiner beiden Backgroundsängerinnen, die mindestens einen Ton von der Ideallinie singen und eine ganz unangenehme Rhythmik entwickeln. So habe ich Pasha am Ende sogar als Wackelkandidaten gesehen, dem wie schon anderen prominenten Interpreten der Wettbewerbsgeschichte, der eigene Background das Genick hätte brechen können.

Und nach einer Umbaupause war es dann Zeit für die Hohepriesterin des Song Contests: Loreen. Zur Performance der Schwedin gibt es eigentlich nichts mehr zu sagen, jeder kennt die langen Fingernägel, die abgespeckte Version ihres LED-Toasters und die tranceartige Performance zu "Tattoo", das natürlich am Samstag um den Sieg mitspielen wird. Allerdings habe ich im Verlauf der Show erkannt, dass ihr Können im Angebot des Halbfinals gar nicht sooo sonderlich hervorsticht und der Abstand zur Konkurrenz womöglich doch gar nicht so groß ist, wie wir bisher alle angenommen haben.

Fünf Beiträge mussten auf der Strecke bleiben, einer davon ist leider auch der Titel aus Aserbaidschan, für den ich in den letzten Wochen eine große Sympathie entwickelt habe. Der erste vollständig im Land produzierte Beitrag seit 2008 wurde von Tural und Turan Bağmanov mit süßlichem Esprit der 60er Jahre dargeboten, dass man nach all dem Tumult mit Israel, Moldawien und Schweden wieder die Chance hatte herunterzufahren. Leider war schon im Vorfeld klar, dass die Brüder mit dem treuen Blick keinerlei Aussichten auf das Finale haben und so kam es dann auch. Aserbaidschan verpasst zum zweiten Mal in seiner Geschichte den Finaleinzug und mich stimmt das in diesem Jahr ein wenig traurig und dabei hatten die Jungs so gekämpft, insbesondere Turan, dessen Gitarrengurt sich nach 1:30 Minuten verabschiedete...

Slawischer Zusammenhalt unter Frauen kommt aber im Regelfall gut an, sodass sich die tschechische Gruppe Vesna mit ihren Kostümen in Blassrosa und dem Slavko-Gedächtniszopf auch am Samstag noch einmal über die Bühne drehen darf. Die multinationale Gruppe schaffte es mit wenigen Mitteln, die ausladende Show aus dem Musikvideo auch auf die Bühne von Liverpool zu transportieren und dürfte insbesondere die Zuschauer in Osteuropa angesprochen haben. Die Zeiten der anfänglichen Probleme überhaupt Punkte zu erhalten, hat Tschechien, das 2023 erstmals als "Czechia" und nicht mehr als "Czech Republic" antritt, offenbar erfolgreich bekämpft.

Um Kämpfe ging es auch beim niederländischen Beitrag, nämlich um gesangliche Kämpfe. Mia Nicolai und Dion Cooper wurden im Vorfeld vielfach kritisiert und schafften es trotz des ganz netten Titels aus der Feder von Duncan Laurence und seinem Partner Jordan Garfield nicht, sich für das Finale zu qualifizieren. Beide Interpreten versuchten sich zwar noch am Riemen zu reißen, versprühten aber eine eisige Atmosphäre, wie zuletzt Chanell und N'Evergreen aus Dänemark. Somit hatte "Burning daylight", ein Duett ohne Harmonie, keine Chancen auf das Finale.

Beendet wurde das musikalische Spektrum dann von Käärijä, der durch die Bank weg vom Publikum gefeiert wurde. Der erst sich und seine Backings aus einer Transportkiste befreite, über die Leiden des Alltags schimpfte und seinen Frust darüber dann in einer orgiastischen Eurodance-Nummer mit ganz viel Piña Colada entlud. Finnland lieferte das besondere Knallbonbon, was man zum Ende der Show noch einmal gebraucht hat und dürfte weiterhin zu den großen Favoriten zählen. Leider hat Käärijä im Anschluss die "First half" für das Finale gezogen, wodurch schon fast klar sein dürfte, dass Finnland die Show am Samstag eröffnen wird. 

Garniert wurde das Semifinale durch nette Überleitungen und Showeinlagen der Moderatorinnen, einen Ausflug in die Geschichte des ESC, in dem Graham Norton sich u.a. einen Seitenhieb auf Schweden nicht verkneifen konnte und die ukrainische mit der britischen Song Contest-Historie verglich. Ein gemeinschaftliches Zeichen der Verbundenheit setzten in der Wertungspause noch Rebecca Ferguson und Alyosha, der Mainstream-Part wurde durch ein Medley der britisch-kosovarischen Sängerin Rita Ora ausgefüllt. In der Summe bot die Show für jeden Zuschauer etwas an, vor allem aber sorgte sie für Kurzweil.

Das Opening: The Hardkiss mit "Mayak" und die Hosts der drei Song Contest-Shows
Alessandra ist im Finale dabei | The Busker und ihre Partytruppe leider nicht
Hat seine Dämonen bekämpft: Luke Black | Wieder mal auf der Strecke geblieben: Lettland
Wuselt auch im Finale herum: Mimicat | "We are one", geeint im Song Contest-Frust
Auch ohne Kroatisch-Kenntnisse schlägt einem die politische Message ins Gesicht
Wich den Bengalos gekonnt aus: Remo Forrer | Phenomenal: Israel ist im Finale dabei
Überzeugend aber nicht überragend: Schweden | Auch Pasha Parfeni darf Samstag noch mal ran
Mein Guilty Pleasure ist draußen: Aserbaidschan | Dafür weiter: Vesna aus Tschechien
Mit dem Charme der Kreissparkasse Eichsfeld: Mia und Dion | Ausgebrochen: Finnland
Rita Ora durfte als Interval-Act auch zeigen, was sie auf dem Kasten hat
Rebecca Ferguson und Alyosha performen "Ordinary world"
Gute Stimmung im Backstage-Bereich: Mimicat und Noa Kirel
Freuen sich beide über ihr Weiterkommen: Remo Forrer und Käärijä