Donnerstag, 2. April 2020

Memories: Eurovision Song Contest 1979


Israel - Am 31. März 1979 zog der Eurovision Song Contest erstmals vom europäischen Kontinent in den Nahen Osten. Nachdem Israel als Sieger des Wettbewerbs 1978 hervorging, wurde das International Convention Center (ICC) in Jerusalem als Austragungsort bekannt gegeben. Dort fand der Wettbewerb auch 1999 noch einmal statt. Dieser Wettbewerb fand unter enormen Sicherheitsvorkehrungen statt, da man befürchtete, die Palästinensische Befreiungsorganisation PLO würde Anschläge auf die Veranstaltung planen. Glücklicherweise blieb es friedlich.

Das israelische Fernsehen hatte für die Austragung des Wettbewerbs keine Kosten und Mühen gescheut und sogar eigens für die Eurovision die Einführung des Farbfernsehens von 1982 auf 1979 vorverlegt. Die Moderation übernahmen Yardena Arazi und der im September 2017 verstorbene Daniel Pe'er. Yardena Arazi nahm drei Jahre zuvor bereits als Mitglied der Formation Chocolate Menta Mastik am Song Contest teil und ist bis heute auch die einzige Person, die nach ihrer Tätigkeit als Moderatorin des Wettbewerbs als Interpretin zurückkehrte, nämlich 1988 mit dem Titel "Ben adam".

19 Nationen nahmen am Wettbewerb in Jerusalem teil, säumig waren lediglich Jugoslawien aus politischen Gründen und die Türkei. Dort wurde allerdings ein Vorentscheid abgehalten, der Sender TRT plante die Sängerin Maria Rita Epik mit ihrer Begleitgruppe 21. Peron nach Jerusalem zu schicken, musste sich dem Druck arabischer Nationen jedoch ähnlich wie Tunesien 1977 beugen und verzichtete auf die Teilnahme, da die OPEC drohte, der Türkei den Ölhahn abzudrehen. Dieses Ereignis wurde im türkischen Song Contest-Beitrag 1980 ausführlich erörtert. Ihre Begleitband macht noch heute unter dem Namen Smyrname Musik. Übertragen wurde die Show dennoch, ebenso von Jugoslawien, Rumänien, Island und in Hongkong.

Von einem weiteren treuen Eurovisionsmitglied musste sich der Zuschauer ab 1979 ebenfalls verabschieden. Das kleine Fürstentum Monaco schickte zum letzten Mal einen Interpreten zur Eurovision. Jean Baudlot trat unter seinem Künstlernamen Laurent Vaguener mit "Notre vie c'est la musique" ("Unser Leben ist die Musik") auf und kassierte 12 Punkte, eines der schlechtesten Ergebnisse des Landes. Bis ins Jahr 2006 blieb Monaco dem Song Contest fern, als zu gering erachtete man die Chancen, den Wettbewerb je wieder gewinnen zu können. Baudlot komponierte in den 80er Jahren primär Werbejingles und Musiken für Computerspiele.

Einige Länder schickten bewährte Kandidaten ein weiteres Mal zur Eurovision. So trat Anne-Marie David, die Siegerin für Luxemburg 1973, diesmal in französischen Diensten an. "Je suis l'enfant soleil" ("Ich bin ein Sonnenkind") schaffte es immerhin zu einer Bronzemedaille. Und auch in Norwegen entschied die Expertenjury beim Melodi Grand Prix die routinierte Sängerin Anita Skorgan nach Jerusalem zu schicken. Sie erreichte mit "Oliver" den elften Platz, was zugleich ihr erfolgreichster Song Contest-Beitrag war. Einen Platz dahinter landeten die Niederlande mit Sandra Reemer diesmal unter ihrem Künstlernamen Xandra.

Ihr Song über den US-Bundesstaat Colorado, in den sie laut Text gerne fahren würde weil der Kurs des US-Dollars momentan so abgesackt ist, setzte sich im eigens für sie anberaumten Vorentscheid gegenüber Titeln wie "Intercity" und "Lila Lavendel" durch. Nach ihrer Gesangskarriere widmete sich Sandra vor allem der TV-Moderation. Sie hatte mit "De show van de maand" eine eigene Musikshow und war beim niederländischen Ableger von "Wetten, dass..?" als Assistentin tätig. Später war sie gefeierte Moderatorin des Preview-Konzerts "Eurovision in Concert", im Juni 2017 verstarb sie an Brustkrebs. 

Ebenfalls wieder mit dabei war die Schweizer Gruppe Peter, Sue & Marc, die sich diesmal Hilfe von Pfuri, Gorps & Kniri holten und es auf Deutsch probierten. Die Schweizer Delegation hatte zunächst allerdings Probleme ihr Equipment nach Israel einzuführen, schauten die Zollbeamten doch nicht schlecht, als ihnen erklärt wurde, warum eine Schweizer Delegation u.a. Gartenschläuche, Gießkannen, Müllsacke und Kochtöpfe im Gepäck hatten. Diese wurden allesamt dazu verwendet, dem fröhlichen "Trödler & Co." auf der Bühne die notwendige Untermalung zu liefern, Zitat: "...und was in so einer Gießkanne steckt, klingt als Trompete perfekt". Dennoch waren sie mäßig erfolgreich, der Song landete auf Platz zehn.

Damit waren sie allerdings deutlich erfolgreicher als die Nachbarn aus Österreich. André Heller, der als Allround-Künstler nicht nur Musik komponiert und Shows wie z.B. das 2005 erschienene "Afrika! Afrika!" produzierte sondern auch die Swarovski-Kristallwelten mitgestaltet hat und mehrere Bauprojekte in den Arabischen Emiraten begleitete, schrieb der zerzaust wirkenden Vorarlbergerin Christina Simon den schwermütigen Titel "Heute in Jerusalem". Das Lied lag allerdings derart schwer im Magen, sodass es ein geteilter letzter Platz mit Belgien wurde. Für Belgien probierte sich die Sängerin Micha Marah auf Flämisch mit "Hey nana". Der Titel war der Interpretin aber scheinbar selbst zu doof, sodass sie vergeblich versuchte ihn disqualifizieren zu lassen.

Die Bundesrepublik hingegen setzte auf den großen Showeffekt. Schon beim Vorentscheid in der Rudi-Sedlmayer-Halle in München, moderiert von Caroline Reiber und Thomas Gottschalk, lag die Ralph Siegel-Komposition "Dschinghis Khan" deutlich vorne. Hierfür hatte man die Jurys in die Verbannung geschickt und über ein Meinungsforschungsinstitut 540 Haushalte direkt per Telefon über ihre Favoriten befragt. Dabei stellte sich die Retortenband u.a. der Country-Band Truck Stop mit "Take it easy, altes Haus", Paola Felix, Roberto Blanco und den Gebrüdern Blattschuß. Allerdings gab es im Vorfeld auch harte Kritik, ob man so einen Text ausgerechnet in Israel singen müsse.

Es ging um die Zeile "Sie trugen Angst und Schrecken in jedes Land", in der die Gruppe Dschinghis Khan über die wilden Ritte der Mongolen sangen, allerdings Assoziationen an die NS-Zeit weckten. Der Protest ging so weit, dass sich mehrere Radiostationen, darunter der WDR weigerten, das "Sauf- und Rauflied, in dem Gewalt verherrlicht wird" nicht gespielt wurde. Befürchtet wurden diplomatische Verstimmungen mit Israel, das den Song aber als das erkannte was er war, ein Stimmungskracher, der auch sechs Punkte aus Israel und vier Höchstwertungen einfuhr und somit auf dem vierten Platz landete.

Dschinghis Khan hatten in den Folgejahren noch so manchen Hit, darunter "Moskau" oder "Hadschi Halef Omar". Bis 1985 tourten Steve Bender, Wolfgang Heichel, Edina Pop, Henriette Strobel, Louis Hendrik Potgieter und Leslie Mandoki um die Welt, 2005 kam es im Moskauer Olimpiski-Stadion vor 60.000 Zuschauern zu einem Comeback, allerdings in teilweise anderer Besetzung, Steve Bender verstarb 2006, Louis Potgieter bereits 1994 in Port Elizabeth an den Folgen einer HIV-Infektion. Verstimmt wurden die Israelis eher durch die deutsche Jury, die dem späteren Siegertitel "Hallelujah" keinen Punkt gab.

Im weiteren Teilnehmerfeld fand sich u.a. die griechische Sängerin Elpida, die vier Jahre zuvor das Musikfestival im chilenischen Viña del Mar gewinnen konnte und "Socrates" als noch heute zitierten Superstar besang. Es reichte für den achten Platz. Einen Platz dahinter landete die Portugiesin Manuela Bravo, die mit ihrem seichten Schlager über einen aufsteigenden Ballon das Festival da Canção gewann. Noch erfolgreicher lief der Abend für den irischen Sänger Cathal Dunne. Von Cork aus ging es für ihn zunächst zum Castlebar Song Contest, 1976 zum Yahama Music Festival in Tokio und schließlich nach seinem Sieg beim irischen Vorentscheid mit "Happy man" nach Jerusalem. Seinem fünften Platz folgte eine Reise in die USA, wo er fortan Konzerte gab und noch heute in Pittsburgh residiert.

Das unteren Tabellenfeld wurde angeführt von Finnland. Katri Helena startete mit "Katson sineen taivaan" erstmals für Suomi. Ihr Blick in den blauen Himmel, so der Titel ihres Liedes, endete auf dem 14. Platz. Das Genick dürfte der Discoballade die Sprachregelung gebrochen haben, so erfuhr nämlich außerhalb Finnlands niemand etwas von ihrer Suche nach Liebe und Fürsorge. Wenig Liebe erfuhr der schwedische Interpret Ted Gärdestad, dessen Debütalbum zwar von den ABBA-Mitgliedern Björn und Benny produziert und zu einem Hit in Schweden wurde, beim Song Contest reichte es für "Satellit" aber nur für acht magere Pünktchen. Sein Leben fand 1997 ein tragisches Ende, nachdem er jahrelang an Schizophrenie litt und sich vor einen fahrenden Zug warf.

Zwischen den Skandinaviern versteckte sich im Punktetableu zudem Italien. Die Gruppe Matia Bazar aus Genua um Sängerin Antonella Ruggiero landete mit "Solo tu" schon zwei Jahre zuvor einen Nummer Eins-Hit in Italien, allerdings schafften sie es mit "Raggio di luna" erst im dritten Anlauf das San Remo-Festival zu gewinnen. Noch heute macht die Gruppe Musik, von der Originalbesetzung ist seit 2017 jedoch niemand mehr übrig. In Erinnerung bleiben werden auf jeden Fall Antonellas fliederrotes Kostüm mit aufgestickten Silberpailletten sowie ihre Trendfrisur, die symbolisch für viele Modesünden der späten 70er Jahre ist. Trotz ihres Erfolges in Italien reichte es für Matia Bazar nur für den 15. Platz.

Wesentlich erfolgreicher lief es für den universell verständlichen Titel "Disco Tango" von Tommy Seebach, der gemeinsam mit Backgroundsängerin Debbie Cameron auftrat. Auch Seebach, für den es die erste von drei Song Contest-Teilnahmen war, bestach durch eine fürchterliche Optik und einen Pornobalken, der ihn aber nicht daran hinderte, unbeschwert über eine Frau zu singen, die problemlos ein Tanzbattle mit John Travolta gewinnen würde. Nur zwei Jahre später sollte Seebach gemeinsam mit Debbie Cameron zurückkehren, seinen letzten Versuch startete er 1993 für Dänemark. "Disco Tango" blieb aber sein erfolgreichster Eurovisionstitel.

Silber ging auf die Iberische Halbinsel. Das spanische Fernsehen nominierte die gebürtige Peruanerin Betty Missiego, die sich zunächst in Peru als TV-Moderatorin einen Namen machte, später die spanische Staatsangehörigkeit annahm und 1972 am OTI Festival teilnahm, intern für Jerusalem. Dort spielte sie vor allem die Karte aus, dass Kinder immer ziehen. Begleitet wurde sie bei der Intonation von "Su canción" durch einen vierköpfigen Kinderchor, der am Ende der Darbietung auch noch Schriftrollen mit "Danke" auf mehreren Sprachen entfaltete und sich bei den Juroren anbiederte. 1980 bot sie dem spanischen Fernsehen den Titel "Don José" für Den Haag an, wurde aber nicht weiter berücksichtigt.

Der Sieg sollte jedoch erneut an Israel gehen. Kobi Oshrat und Shimrit Or komponierten den Titel "Hallelujah" für Gali Atari und ihre Begleitband Milk & Honey. Je weiter das Lied foranschreitet, umso dramatischer wird die Melodie, am Ende ertönt ein Glockenfestival und wie es auf aufrechtgehn.de heißt, kommt es innerhalb der drei Minuten zu einer vierfachen Rückung, das dürfte in der Eurovisionshistorie einmalig sein. 4,5 Millionen Mal wurde das Lied verkauft, dabei existieren Fassungen in diversen Sprachen. Hinzu kommt, dass der Titel auch am Ende des Song Contests 1999 anlässlich des Kosovokrieges für die Vertriebenen von allen Interpreten des Jahrgangs gesungen wurde.

Gali Atari, geboren 1953 in Rechovot südlich von Tel Aviv, ist noch heute eine gefragte Sängerin, wenngleich sie 1987 in einem Interview sagte: "Ich wollte von diesem künstlichen Image befreit werden [...] Ich würde diese Art von Songs heute nicht mehr aufnehmen". Dennoch bleibt "Hallelujah" ihr größter Erfolg, den sie u.a. 2016 gemeinsam mit Klubbb3 in einer von Florian Silbereisens Schlagershows gesungen hat und der ihr sicherlich noch heute einige Einkünfte bringt. "Hallelujah" ist eine zeitlose Hymne der Hoffnung, die Israel seinen zweiten Eurovisionssieg in Folge eingebracht hat, wenngleich ohne Punkte aus Deutschland. 

Der neuerliche Sieg stellte Israel aber vor neue Herausforderungen. Die finanzielle Belastung für die IBA machte es dem Sender unmöglich, den Song Contest 1980 erneut auszutragen. Stattdessen sollte im nächsten Jahr das niederländische Fernsehen NOS einspringen. Da man zu allem Unglück den Wettbewerb auf noch auf den 19. April legte, den Gedenktag der Gefallenen in israelischen Diensten, musste das Land 1980 auf die Teilnahme verzichten. Es war in der Geschichte der Eurovision bisher einmalig, dass ein Land seinen Titel nicht verteidigen konnte oder wollte. Allerdings öffnete die Absage Israels einem anderen Land die Tür zur Eurovision, das wir sonst wahrscheinlich nie beim Song Contest gesehen hätten.

Die Teilnehmer:
01. - 125 -  Gali Atari & Milk & Honey - Hallelujah
02. - 116 -  Betty Missiego - Su canción
03. - 106 -  Anne-Marie David - Je suis l'enfant soleil
04. - 086 -  Dschinghis Khan - Dschinghis Khan
05. - 080 -  Cathal Dunne - Happy man
06. - 076 -  Tommy Seebach - Disco Tango
07. - 073 -  Black Lace - Mary Ann
08. - 069 -  Elpida - Socrates
09. - 064 -  Manuela Bravo - Sobe, sobe, balão sobe
10. - 060 -  Peter, Sue & Marc und Pfuri, Gorps & Kniri - Trödler & Co.
11. - 057 -  Anita Skorgan - Oliver
12. - 051 -  Xandra - Colorado
13. - 044 -  Jeane Manson - J'ai déjà vu ça dans tes yeux
14. - 038 -  Katri Helena - Katson sineen taivaan
15. - 027 -  Matia Bazar - Raggio di luna
16. - 012 -  Laurent Vaguener - Notre vie c'est la musique
17. - 008 -  Ted Gärdestad - Satellit
18. - 005 -  Micha Marah - Hey nana
18. - 005 -  Christina Simon - Heute in Jerusalem