Ukraine - Wirklich tief sitzt der Schock nach dem ersten Halbfinale des Eurovision Song Contests in Kiew bei mir nicht. Ich habe keine pompöse Show wie in Stockholm erwartet und ich bin auch davon ausgegangen, dass mein Tipp vor der Show zu 100% aufging. Die Moderatoren haben maximal Grundkenntnisse in Englisch und wirken so, wie man das schon 2005 erlebt hat, aufgesetzt und leicht überdreht, dabei eher schmierig als smart. Und zum Französischen kann man nur sagen, gut, dass Peter Urban regelmäßig drübergesprochen hat. Den Auftakt des Semifinals bildete ausnahmsweise man nicht der Sieger des Vorjahres, sondern ein begrenzt talentierter Interpret namens Monatik, der seinen Song "Spinning" vorstellte. Um neue Verkaufsmärkte zu erschließen war es für ihn sicher ein guter Auftritt, ich fand ihn fehl am Platze. Da hat mir Jamalas Engagement als Interval-Act besser gefallen, insbesondere die fast schon indianerartige Darbietung von "Zamanyly". Die Spannung während der Bekanntgabe der Finalisten blieb ein wenig auf der Strecke, nur wer den zehnten Platz abbekam erzeugte kurz eine höhere Herzfrequenz. Eröffnet hat dieses Semifinale Robin Bengtsson aus Schweden, der hinter der Bühne startete, sich kurz vor dem Gang auf die Bühne vorsorglich das Hemd zuknöpfte und dann seine Laufbandperformance absolvierte. Auch wenn Schweden bei den Bookies weiterhin recht weit oben angesiedelt ist, so muss er im Finale noch eine Nuance mehr Pfeffer geben, stimmlich war das meiner Meinung nach ein wenig dünn. Ganz im Gegenteil zur georgischen Sängerin Tako Gachechiladse, die alle Register zog, vom fesselnden Kleid über Pyros und Windmaschine bis hin zur Löwenmähne. Für "Keep the faith" reichte es allerdings nicht, Georgien ist am Samstag nur als Zuschauer dabei. Ein wenig überraschend kommt für mich der Finaleinzug von Isaiah aus Australien. Wie bereits formuliert wurde, kann Isaiah singen, aber das kann beim Song Contest inzwischen wirklich fast jeder astrein. Die Show war nichts, was ich ins Finale gelassen hätte. Dafür kam es zum Finnland-Gate, die Mitfavoriten von Norma John flogen mit ihrem "Blackbird" raus. Damit hatte wohl niemand ernsthaft gerechnet, gab es doch "Suomi"-Rufe in der Halle und eine wahnsinnig runde Performance. Das Duo steht momentan noch ohne Plattenvertrag da, es bleibt zu hoffen, dass sich nach dem tollen Auftritt wenigstens ein Label findet, das sie in Zukunft produziert. Ebenfalls ausgeschieden sind die nordischen Freunde aus Island, wieder einmal. Beim Fußball haben es die Isländer Europa gezeigt, beim Song Contest fliegen sie nunmehr das dritte Mal in Folge raus. Wenn man hierfür einen Grund suchen müsste, dann wäre es wohl die Tatsache, dass alle drei Songs sehr nordisch kühl klangen, wenig herzlich und unnahbar. Allerdings war Svala gut bei Stimme, vielleicht hat auch das 90er-Jahre-Outfit den einen oder anderen abgeschreckt. Island jedenfalls ist auch im Finale am Samstag nur passiv beteiligt. Ebenso wie Tschechien, was angesichts des drögen Liedes aber auch weniger verwunderte, Martina Bárta genießt ja nicht einmal im eigenen Land viel Rückhalt, warum sollte es in Europa anders sein, schade um das arme Mädel... Wesentlich besser als erwartet lief es hingegen bei Belgien. Blanche machte zwar immer noch ein Gesicht, als wolle sie lieber mit einer Packung Kekse auf dem Sofa liegen, als auf der Bühne stehen, aber sie hatte ihre Stimme um ein vielfaches besser im Griff als sie es bei den Proben vermittelte. Trotzdem musste sie bis zuletzt um den Finaleinzug zittern, sie wurde als letzte Kandidatin bekannt gegeben. Bei "City lights" hat es wahrscheinlich wirklich der tolle Song gerissen, die Sängerin mit dem Charme einer Stehlampe wird damit kaum etwas zu tun haben. Und trotzdem ist Belgien vertreten, die Probleme, die Belgien in den Anfängen der Semifinals hatte, scheinen vergessen. Keine Überraschung sondern absolut verdient, wenn man den Stimmen der meisten Fans glaubt, ist das Weiterkommen von Portugal. Die Portugiesen waren sehr zuversichtlich und legten größte Erwartungen in ihren Interpreten Salvador Sobral. Der enttäuschte auch nicht und trotz des dreiminütigen Mimikfatalums riss er die Halle mit, auch von den anderen Delegationen gab es nur lobende Worte, u.a. von Kasia Moś auf der folgenden Pressekonferenz. Die Polin überrascht ein wenig mit ihrem Weiterkommen, zeichnete sich die Darbietung doch durch keine großen Besonderheiten aus. Durch wen Polen im Semifinale so enorm profitiert hat, werden wir aufdröseln, sobald die Einzelwertungen durch die EBU veröffentlicht wurden. Durch gegenseitige Unterstützung haben es in diesem Jahr sowohl Zypern als auch Griechenland ins Finale geschafft. Ein neuerliches Aus für Griechenland hätte für die Hellenen wahrscheinlich das Ende des Abendlandes bedeutet, sooo fantastisch war die Leistung von Demy und ihren beiden Buben im Plantschbecken aber wahrhaftig nicht. Hovig aus Zypern hatte wenigstens eine interessante Choreographie, wenngleich Backdrop und Song ein Remix aus fünf verschiedenen Songs waren. Und den "Human"-Vergleich konnte sich auch Peter Urban nicht verkneifen. Keine sonderlich große Überraschung war auch das Weiterkommen der zweiten durchgestylten Nummer aus Aserbaidschan, dessen Delegation heute vermutlich damit beschäftigt ist, die Kreideabdrücke aus den Klamotten der Backings zu waschen. Nicht dabei sind die Länder Südosteuropas, Montenegro mit seinem wilden Pferdeschwanzträger diente der Belustigung, mehr aber auch nicht, Slavko zeigte sich später in den sozialen Netzwerken ziemlich bedient und Albaniens Sängerin Lindita lieferte souverän ab, konnte die Massen Europas aber nicht überzeugen. Ich denke, Albanien hat es knapp nicht ins Finale geschafft. Vom Eurovision Song Contest Abstand nehmen sollte hingegen Omar Naber. Er hat es zum zweiten Mal nicht geschafft, Slowenien ins Finale zu bringen. Damit ist er der erste Mann, dem dieses Phänomen nicht gelingt, die einzige andere Interpretin die zweimal im Semifinale ausschied war Valentina Monetta. Die Nummer war toll vorgetragen, aber leider zu sehr einem Musical entrissen und öde, dass es in Kiew nicht ankam. Immerhin wurden BQL nun endlich gerächt. Das SunStroke Project musste natürlich noch einmal auf ihren 10h-Loop des Epic Sax Guys angesprochen werden und hatten auch hier wieder einen markanten Saxophonpart im Song. Gepaart mit der tollen Bühnenshow und dem leichten Song hat Moldawien wohl spielend das Finale erreicht, was nach dreijähriger Pause auch mal wieder nötig war. Im Pressezentrum sorgte das Projekt für begeisterten Applaus, nun gilt es das Ergebnis von 2010 zu toppen, ich nehme an, das sollte drin sein. Zu schrill und bunt war es am Ende aber wahrscheinlich für Lettland, deren Band Triānas Parks ich eine kleine Träne hinterherweine, sie waren eine Bereicherung für den Contest. Als letzten Act habe ich mir Armenien aufgehoben, die es ebenfalls ins Finale geschafft haben. Artsvik ist einfach großartig! Die Show, der Song, die Stimme, da hat einfach alles gepasst und ich wünsche Armenien im Finale wirklich ein Top-Ergebnis, denn das war die beste Nummer des Abends. Erstmals seit seinem Debüt 2006 hat mich Armenien wirklich überzeugt, sodass sie bei mir rehabilitiert sind und ich wünsche ihnen eine Top Five-Platzierung. Ganz vorne dürfte aber vermutlich weiterhin der Italiener liegen, der mit seinem Gorilla auch im Greenroom anwesend war, ebenso der Spanier Manel Navarro und Lucie Jones aus dem UK, deren Probenvideos kurz angeschnitten wurden. Am morgigen Donnerstag werden stattdessen Levina, Alma und O.Torvald im Greenroom sitzen und ein bisschen Vorab-Werbung für ihre Songs machen können. Heute finden für dieses zweite Halbfinale bereits die Proben statt. Am Nachmittag gibt es zunächst eine erste Probe, bei der der Ablauf koordiniert wird, am Abend um 22 Uhr Ortszeit findet das Juryfinale statt, indem die Nationen sowie Frankreich, die Ukraine und Deutschland ihre Jurystimmen abgeben. Morgen Nachmittag folgt die Generalprobe am Abend das zweite Semifinale, welches ich viel schwieriger einzuschätzen finde, als das gestrige erste Semifinale. Quotentechnisch hat es sich für ONE auch gelohnt, über eine halbe Million Zuschauer waren in Deutschland mit dabei. Darauf kann man aufbauen.
Wer die Indianerin noch mal sehen will: Jamala - Zamanyly
UA:PBC hat den Englischkurs wohl nicht bezahlt, die drei Moderatoren | Isaiah ist weiter
Starke Ladies aus dem Kaukasus: Dihaj aus Aserbaidschan und Artsvik aus Armenien
Nicht überraschend: Salvador Sobral, überraschend: Kasia Mos, beide singen am Samstag erneut
Die coolen Bräute aus Moldawien sind auch dabei | Für Lindita aus Albanien ist es hingegen vorbei
Ebenfalls rausgeflogen: Slavko und sein Spielzeug, Martina Bárta und ihre Rettungsdecke
Zu kühl für Europa, Islands Sängerin Svala und Leena vom Duo Norma John aus Finnland
Gleiches Ergebnis wie vor zwölf Jahren: Omar ist draußen | Lettland ist es nach zwei Jahren auch mal wieder
Jamala stellt "Zamanyly" vor | EBU-Supervisor Jon Ola Sand
Drei der sechs Finalisten waren auch vor Ort | Moldawien feiert seinen Finaleinzug
Team Portugal auch erstmals seit 2010 wieder | Dihaj kann doch lachen
Auch für Armenien und Zypern geht die Reise am Samstag weiter
Leider nicht geschafft: Tako aus Georgien | Und Omar Naber aus Slowenien
Ebenfalls draußen: der Spaßvogel aus Montenegro und Norma John aus Finnland
Lächeln bis zum Schluss: Trianas Parks für Lettland | Svala aus Island
Schlusssequenz von der Bühne des 62. Eurovision Song Contests