Sonntag, 14. Mai 2017

Eurovision 2017: Zusammenfassung des Finales



Ukraine - Der 62. Eurovision Song Contest in Kiew ist beendet und sämtliche Platzierungen bekannt. Deutschland hat in der Summe zwar noch weniger Punkte als Jamie-Lee in Stockholm erreicht, sich dafür aber immerhin vor den spanischen Beitrag geschoben, die für ihre entsetzliche Jack Johnson-Happytime-Nummer bestraft wurden. Es war ein kontrastreiches Finale, das ich noch einmal Stück für Stück aufarbeiten möchte, um das Kapitel zu schließen.

Zu Anfang der Show gab es den obligatorischen Einmarsch der Nationen, alle Künstler liefen von der Bühne hinauf zum Greenroom. Danach präsentierten sich die Moderatoren, in etwas besser einstudiertem Englisch, die für den Pausenfüller auch ein kleines Video produzierten, in dem sie vom Vorjahresmoderator Måns Zelmerlöw auf die Show vorbereitet und gedrillt wurden. Insgesamt muss man sagen, die Moderatoren waren in diesem Jahr nicht halb so charmant, wie die schwedischen Gastgeber, für ukrainische Verhältnisse dürften sie ihren Job aber ganz nett gemacht haben.

Eröffnet wurde das Finale von Israel. Imri Ziv liebäugelte wieder mit der Kamera und legte in seiner Performance alles auf den Sexyness-Faktor unter Einsatz von Tänzern und Pyroeffekten. Geholfen hat es ihm nicht wirklich, am Ende gab es für "I feel alive" einen 23. Platz, tatsächlich konnte er sogar eher die Juroren überzeugen, im Televoting gab es nur fünf Punkte für Imri. Eine bewegende Abschiedsrede hielt der israelische Punktesprecher Ofer Nachshon, als Jerusalem aufgerufen wurde.

Er grüßte zunächst auf Ukrainisch und wurde dann persönlich: "This is IBA, Channel One calling from Jerusalem. For the past 44 years Israel has participated in the Eurovision Song Contest, winning three times with Abanibi, Hallelujah and Diva. But tonight is our final night, shortly IBA will shut down it's broadcasting forever. (...) In behalf of all the IBA stuff, thank you for all the magical moments and hopefully we'll join in the future.", es gab Applaus von den Moderatoren und den Zuschauern in der Halle. Wohin die Reise Israels beim Song Contest in Zukunft gehen wird, werden wir bald erfahren, die IBA jedenfalls ist nunmehr Geschichte.

Den undankbarsten Startplatz erwischte Kasia Moś aus Polen. Mit ihrem Taschenlampen-Lied und der transparenten Gardine als Kleid füllte sie den Startplatz, von dem noch nie ein Interpret gewinnen konnte. Stimmlich durchaus ansprechend, überzeugte sie jedoch nur die wenigsten, auch im Televoting blieb der große Sprung nach oben wie im Vorjahr bei Michał Szpak aus. Es folgte das fröhliche Duo aus Weißrussland. Auf ihrem Bötchen erfreuten beide Europa mit einer munteren Darbietung, an deren Ende sich die beiden sogar noch innig küssten. Als Ergebnis gab es einen 17. Platz für Belarus.

Direkt im Anschluss folgte der nächste fröhliche Flummi aus Österreich. Nathan Trent, der in Kiew zu einem Fanfavoriten wurde und sich große Sympathien durch seine Art erspielte, fiel bei den Zuschauern mit seiner Mann-im-Mond-Performance zu "Running on air" gnadenlos durch. Er war zudem das erste Flanking-Opfer des diesjährigen Finals, das Zeigen der Knöchel und der Verzicht auf Socken wurde von einigen anderen Nationen fortgeführt. Immerhin konnte sich Österreich direkt vor den Weißrussen platzieren, die 93 Punkte stammten jedoch allein aus den Jurywertungen.

Sämtliche Register einer guten Eurovisionsperformance bediente die armenische Sängerin Artsvik, die gemeinsam mit ihren beiden Tänzerinnen die orientalischste Nummer des Abends vortrug. Es knallte auf der Bühne, es gab ein violettes Blitzlichtgewitter, Pyroeffekte und die ausgefeilste Handchoreographie des Abends, am Ende jedoch nur Platz 18, für Armenien schon fast eine mittelschwere Kastrophe, die ich tatsächlich auch kein bisschen nachvollziehen kann. Erstmals überhaupt lag ein armenischer Beitrag bei mir hoch im Kurs. Tatsächlich fiel Armenien beim Televoting durch.

Die Niederlande im Anschluss mit ihrem paillettenbesetzten Damentrio von O'G3NE platzierten sich mit "Lights and shadows" ähnlich wie schon Douwe Bob auf dem elften Platz. Diesen bekamen wir bei der Punktevergabe auch kurz neben seiner Hündin, die er auf dem Arm trug, zu sehen. Danach folgte das Herrentrio, das wohl eine der größten, in Punkte gefassten, Überraschungen lieferte: Moldawiens SunStroke Project. Den als Spaßbeitrag zu verstehenden Brautschau-Tanz verstanden sowohl die Juroren als auch die Zuschauer, die "Hey Mamma" tatsächlich bis auf Platz drei hochwerteten.

Wie hoch der Anteil des Epic Sax Guys nun an diesem Ergebnis ist, werden die Analysten bestimmt ermitteln können, auf jeden Fall war der Funfaktor mit tanzenden Bräuten während der moldawischen Darbietung ziemlich groß. Ebenfalls überraschend fiel das Ergebnis für den authentischsten Beitrag des Wettbewerbs aus, Ungarn. Joci Pápai sang im Roma-Stil von seinen inneren Konflikten, wurde von einer Zigeunerin umtanzt und von einer Geigerin begleitet, dabei war er sich auch nicht zu schade, einen Crossover nach dem anderen hinzulegen und u.a. auf Ungarisch zur rappen. Von den Juroren verschmäht, zog "Origo" vor allem beim osteuropäischen Televoting, am Ende stand ein achter Platz zu Buche.

Francesco Gabbani kam als Neuntes und lieferte hervorragend ab. Ich verstehe absolut nicht, warum das Lied dermaßen nach hinten durchreicht wurde, "Occidentali's karma" brachte alles mit, einen farbenfrohen Backdrop, einen originellen Affentanz und einen tollen Sänger. Ich bin ehrlich, mir wäre Italien als Sieger wesentlich lieber gewesen, da er aber weder im Jury- noch im Televoting ganz vorne lag, muss Italien trotz musikalischer Qualität weiter auf seinen überfälligen Sieg warten. Warten müssen auch die Dänen, Anja Nissen floppte trotz ausgebügelter Fehler im Semifinale und erreichte mit ihrer Durchschnittsware nur den 20. Platz, vielleicht war es auch die Startposition, im Sandwich zwischen Italien und Portugal.

Für Portugal als Nation freut es mich sehr, dass sie den Eurovision Song Contest nach 53 Jahren der Schande geschafft haben und damit länger warten mussten als z.B. Finnland mit Lordi. Das Lied und die Darbietung von Salvador Sobral überzeugte auch nicht nur die Juroren, für die das Lied ein Segen gewesen sein musste, sondern auch die Zuschauer in ganz Europa. Flächendeckend gab es Punkte für diese eigenwillige Darbietung über Salvadors Liebesbotschaft. Es gab Spontanapplaus während des ruhigen, entrückten Auftritts, musikalisch zieht das Lied aber dermaßen weit an mir vorbei, dass ich am liebsten den Fernseher ausgemacht hätte.

Nachdem er die Trophäe von Jamala entgegennahm, sprach der erste Song Contest-Sieger, der keine euphorischen Ausbrüche während der ständig einfliegenden Zwölfer hatte, einige Worte. Fast schon beleidigend sagte er: "Wir leben in einer Zeit der Wegwerf-Musik, Fastfood-Musik ohne jeglichen Inhalt und ich denke, das war ein Sieg für Musik von Leuten, die damit etwas aussagen möchten. Musik ist kein Feuerwerk, Musik sind Gefühle." Die Klatsche dürfte an alle Kompositionen schwedischer Beiträge und Performances mit Showelementen sowie die aktuelle Radiomusik gerichtet sein. Ich hoffe nur inständig, dass uns nächstes Jahr nicht 40 solcher Nummern blühen...

Im Mittelfeld platzierte sich Aserbaidschan. Die glorreichen Zeiten, in denen Juroren eingekauft wurden scheinen endgültig vorbei zu sein. Dihaj mit ihrer Pferdekopf- und Kreideperformance erschloss sich nur durchschnittlich. Nicht unbedingt zu meinen Favoriten zählend, aber gut dargeboten präsentierte sich Jacques Houdek, der insbesondere im Televoting abräumte und sich vor Aserbaidschan platzierte. Die altbackene Nummer aus Australien von einem fürchterlich inszenierten Isaiah erreichte sogar den neunten Platz, es bleibt anzumerken, dass sich Australien bei reinem Televoting im Halbfinale bei weitem nicht für das Finale qualifiziert hätte und bei den Juroren auf Platz zwei lag.

Enttäuscht dürften auch die Griechen über ihren 19. Platz für Demy sein. Dabei bot das Land nicht viel, was positiv haften blieb, eine lächerliche Wasserchoreographie ihrer beiden, sich gegenseitig anschmachtenden Tänzer und eine blutleere Midtempo-Nummer, die meiner Meinung nach dort zurecht platziert ist. 

Danach folgte der größte Totalausfall des diesjährigen Wettbewerbs, Spanien mit Manel Navarro. Das Lied, das gefühlt nur aus "Do it for your lover" besteht, wirkte dermaßen lächerlich, dass man sich schon wundern muss, dass die portugiesischen Televoter dafür fünf Punkte übrig hatten. Ganz besonders schlimm war eine Tonfrequenz von Manel in der Bridge nach dem zweitem Refrain, so etwas habe ich zuletzt von Krassimir Avramov gehört. In Spanien erlitt der Song Contest auch ein absolutes Quotentief, verständlicherweise bei diesem Beitrag...

Der zehn Platz für Norwegen freut mich natürlich ganz besonders. Zwar war "Grab the moment" eher bei den Juroren ein Erfolg, trotzdem glaube ich, können sich Jowst und Aleksander Walmann nicht beschweren. Einen ebenfalls tollen Beitrag steuerte die britische Sängerin Lucie Jones zu. Emotional performt und ohne Ablenkungsmanöver zeigte das UK, das es die Eurovision nicht nur als Spaßveranstaltung betrachtet, Lucie baute sogar noch einen Schluchzer ein. Am Ende reichte es für Platz 15, für Großbritannien eine deutliche Steigerung.

Hovig und Team Zypern wurden offenbar dafür abgestraft, dass sie die Erfolgsmuster der vergangenen Jahre schamlos kopierten. Gesungen war das Ganze ausgesprochen gut und technisch war "Gravity" auch eine lupenreine Produktion, Europa hatte aber keinen Bock auf ein derartiges schwedisches Recycling-Produkt aus dem Hause G:son, und so blieb nur der 21. Rang übrig. Besser lief es dafür bei der rumänischen Heidi und ihrem Softrapper. Das vollkommen überladene "Yodel it!" funktioniert auch nur auf der Eurovisionsbühne, für genau solche Lieder liebe ich aber den Wettbewerb, Platz sieben spricht für sich.

Tja, zu Levina gibt es gar nicht mehr so viel zu sagen. Sie hat ihren Job in Kiew anständig gemacht, alles getan, was im Bereich des Möglichen war und auch ich kann nur betonen, dass es nicht ihre Schuld ist, dass Deutschland wieder im Punktekeller herumkrebst. Den einen oder anderen Verantwortlichen beim NDR sollte man hingegen öffentlich lynchen. Von Charakter her gehört Levina in die Top Ten, das Lied jedoch, wovon es eben abhängt, hat den 25. Platz allerdings verdient, demnach hätte sie ein Semifinale auch niemals überstanden. Ich wünsche Levina alles Gute und hoffe, dass sie in ihrer musikalischen Laufbahn an die richtigen Leute gerät.

Nach einem Werbespot für den neuen "Eurovision Choir of the Year"-Wettbewerb, der in Riga stattfindet, zogen die Gastgeber aus der Ukraine auf die Bühne. O.Torvald verstörten wahrscheinlich mit ihrem apokalyptischen Kopf mit den dämonischen Leuchtaugen und dem weichgespülten Schrammelrock. Platz 24 war alles, was es von der Rockfraktion und an Bonus für den Gastgeber gab, ähnlich wie schon 2005 fiel die Ukraine durch, dafür kommen sie immerhin nicht in die unangenehme Rolle, sich im kommenden Jahr wieder um die Ausrichtung bemühen zu müssen.

Es folgte Belgien. Blanche hatte sich seit ihrer ersten Probe deutlich gesteigert, ja fast hätte man meinen können, ihre Mimik sagt aus, dass sie sich auf der Bühne wohl fühlte. Was der digitale Donut im Intro von "City lights" zu suchen hatte, sei dahingestellt, Blanche konnte die Zuschauer in Europa von sich überzeugen, 363 Punkte und ein vierter Platz sprangen dabei heraus, geringfügig mehr als es für die geleckt wirkende Performance von Robin Bengtsson aus Schweden gab. 

Wie man es richtig macht zeigte der bulgarische Sänger Kristian Kostov. Etwas schlecht frisiert, zeigte Bulgarien wie man einen 17jährigen modern in Szene setzt. Kristian, der in der Lage war Blitze abzufeuern, wurde sowohl im Jury- als auch im Televoting zurecht Zweiter. Nach der Show war er aber sichtlich angepisst, dass er nicht gewonnen hatte, wie Zeugen überliefern. Vom Ehrgeiz zerfressen ärgerte er sich, dass er "nichts" erreicht habe.

Das Starterfeld von hinten räumte Alma aus Frankreich auf. Vor der Kulisse eines Panoramablickes über Paris intonierte sie frisch und aufgeweckt ihr Requiem. Auch Frankreich hielt den Abwärtstrend der Big Five auf und erreichte mit ihrer sprachlichen Balance zwischen Englisch und Französisch den zwölften Platz. Es folgte "It's magical" von Ruslana, die ein zu kurzgeratenes Kettenhemd und etwa 280 Karpatentänzer im Schlepptau hatte. Allgemein erschien mir das Votingfenster in diesem Jahr unglaublich lang. 

Auch Jamala trat auf, wurde dabei jedoch kurz von einem Flitzer gestört, der seinen nackten Hintern in die Kamera streckte. Hinzu kam eine Nummer von Onuka und dem Nationalen Folkloreorchester der Ukraine, die Instrumente auspackten, deren Existenz mir bis dahin nicht bekannt war. Nach einer gefühlten Ewigkeit bestätigte Jon Ola San die Richtigkeit der Jurywertungen, anschließend wurden sämtliche Spokespersons aufgerufen. Was während der Punktevergabe zu kurz kam, waren Interviews mit den Kandidaten. Anders als in den Halbfinals hatte Timur im Greenroom kaum etwas zu tun.

Bei der Punktevergabe lag Portugal im Grunde von Anbeginn an vorn, alles ging aber auch ein bisschen schnell, sodass man kaum hinterher kam, zu verfolgen, welches Land gerade wo stand. Barbara Schöneberger erhielt für ihre Party auf der Reeperbahn Applaus aus Kiew und Lee Lin Chin aus Australien trug wieder ein grässlich schönes Kostüm. Im Anschluss bestätigte Jon Ola auch, dass es ein validiertes Televoting gab, dabei musste er selbst über sein "Take it away" lachen. 

Bei der Bekanntgabe des Televotings ging ein Raunen durchs Publikum, als null Punkte für Österreich auf das Tableu geworfen wurden. Die fünf Punkte für Spanien wurden, vermutlich von deutschen Fans, mit großem Applaus quittiert. Am Ende blieben bei der Televotingbekanntgabe die ganz großen Überraschungen im entscheidenen Duell Bulgarien gegen Portugal aus. Da der Sieger im Televoting der gleiche wie beiden Juroren war, entfiel der Spannungsmoment wie im vergangenen Jahr in Stockholm.

Abschließend bleibt zu sagen, dass das Ergebnis mit Sicherheit an einigen Ecken Diskussionsbedarf bietet, die Show im Großen und Ganzen aber ein gelungenes Fest war. Die gesamten 14 Tage in Kiew schienen durchaus in Ordnung, wenn man sich bewusst macht, dass die Ukraine nur ein geringes Budget für den Song Contest veranschlagt hat. Der Zuschauer der drei Shows hat dies nicht gesehen und ich denke, am Ende kann man den Eurovision Song Contest 2017 als gelungen bezeichnen, unabhängig davon, was man vom Sieger hält...


Eurovision Song Contest - Das Finale

Das Opening des Eurovision Song Contests | Imri Ziv für Israel
Unglücklicher Startplatz #2: Polen | Das musste bei so viel Zweisamkeit ja passieren
Juryliebling: Nathan Trent | Armenien rutschte ins hintere Mittelfeld
Für die kranke Mutter gesungen: O'G3NE | Für die Roma gesungen: Joci Pápai
Bronzemedaille für den Epic Sax Guy und das SunStroke Project
Es stimmte alles, aber es reichte nicht: Francesco Gabbani für Italien
Dominierende Farbe Rot bei Dänemark und im Backdrop von Aserbaidschan
Wieder Kitsch vom Feinsten: Kroatien | Isaiah für Australien
Wasserspiele bei Griechenland | Furchtbar schiefe Töne bei Spanien
Jowst und Alex für Norwegen | Der Brexit hat nicht geschadet: Lucie wurde 15.
Flanking #3: Rumänien | Mit Jodlern und Kanonen: Rumänien
Gut gesungen aber leider das falsche Lied: Levina wurde nur 25.
O.Torvald aus der Ukraine | Blanche bei ihrem großen Auftritt
Robin Bengtsson musste sich hinter der Bühne erst noch einen Knopf zumachen
Silber für Bulgarien | Lob und Anerkennung für Alma aus Frankreich
Volodymyr Ostapchuk | Jon Ola muss über sein "Take it away" selbst grinsen
Aus dem Greenroom: Team Frankreich und die Norweger
Die Navi Band aus Weißrussland und Imri aus Israel
Team Deutschland um Levina und der italienische Gorilla nebst Francesco Gabbani
Nathan Trent für Österreich | Anja für Dänemark
Sieh an, Blanche kann lachen | Robin Bengtsson für Schweden
Artsvik aus Armenien | Ofer trägt die IBA bei der Punktevergabe zu Grabe
Der Sieger: Salvador Sobral und seine Schwester Luísa
Erstmals sang die Komponistin bei der Siegerehrung im Duett mit dem Interpreten