Mittwoch, 24. Mai 2017

Memories: Eurovision Song Contest 1972


Großbritannien - Nachdem Séverine den Eurovision Song Contest 1971 gewonnen hatte, hätte das Fürstentum Monaco das Recht gehabt, den Wettbewerb im Folgejahr auszurichten. Obwohl der kleine Felsen am Mittelmeer dank seiner Einnahmen aus dem Casino und den Steuerflüchtlingen aus dem europäischen Ausland die Staatskasse gut stellt, scheute sich der Sender Teleradio Monte Carlo, den Wettbewerb auszurichten. Zudem mangelte es an einer geeigneten Halle, sodass Monaco den Wettbewerb abgab und die BBC abermals einsprang.

Ursprünglich war das Seebad Blackpool für die Ausrichtung vorgesehen, da aber auch hier nur begrenzte Mittel zur Verfügung standen, rückte die Eurovision in die schottische Hauptstadt Edinburgh ein. Der Song Contest fand in der 1914 eröffneten Usher Hall statt, in der vornehmlich klassische Konzerte stattfanden und die durch den Mäzen und Whisky-Hersteller Andrew Usher finanziert wurde. Moderiert wurde der Wettbewerb, an dem die gleichen 18 Nationen wie im Vorjahr teilnahmen, von der resoluten Ballettänzerin und Schauspielerin Moira Schearer.

Auch am Wertungskonzept wurde nichts verändert, zwei Juroren verschiedener Altersklassen gaben ihre Stimmen von eins bis fünf unmittelbar nach dem Auftritt ab. Dafür hielt der technische Fortschritt Einzug, erstmals wurden die Auftritte der Kandidaten mittels einer großen Videowand auch für die Zuschauer auf den hinteren Rängen sichtbar. Zudem wurde der Wettbewerb erstmals in Asien ausgestrahlt und somit kamen auch die Freunde gepflegter Musik in Hongkong, Japan, auf den Philippinen, Taiwan und Thailand in den Genuss der Eurovision. Zudem wurde der Wettbewerb in Griechenland, Island und Israel ausgestrahlt.

Den Wettbewerb eröffnete die BR Deutschland. Die 1949 in Bingen am Rhein geborene Rosemarie Böhm alias Mary Roos hatte in den Jahren zuvor bereits kleinere Erfolge in den deutschen Hitparaden, etwa mit "Arizona Man". Sie stellte sich gemeinsam mit elf anderen hochkarätigen Interpreten der damaligen Zeit dem Vorentscheid "Ein Lied für Edinburgh" in Berlin, der von Karin Tietze-Ludwig und Renate Bauer moderiert wurde. Mit dabei waren u.a. auch Edina Pop, die später mit Dschinghis Khan ihren großen Auftritt haben sollte, sowie Su Kramer, Inga & Wolf ("Gute Nacht, Freunde", Peter Horton oder Cindy & Bert, die mit "Geh' die Straße" den größten Chartserfolg haben sollten.

Beim Vorentscheid im Studio A des Senders Freies Berlin wurde Mary Roos noch ausgebuht, da sie den Song komplett verpatzte. In Edinburgh lieferte sie jedoch eindrucksvoll ihren Beitrag "Nur die Liebe lässt uns leben" ab und verlockte sogar den britischen Kommentatoren Worte der Entzückung. Auch die Juroren belohnten Marys Leistung, 107 Punkte brachten Deutschland erneut auf den dritten Platz. Als Dirigent stand ihr Paul Kuhn zur Seite. Mary sollte später noch einmal zum Eurovision Song Contest zurückkehren.

Es war ein Abend der Duette, gleich fünf Nationen setzten auf Duos, die aber allesamt im hinteren Bereich landeten. Darunter war u.a. das finnische Duo Päivi Paunu & Kim Floor, das das folklige "Muistathan" ("Erinnerst du dich?") intonierte. Es blieb ein zwölfter Platz, die Karrieren der beiden Interpreten blieben bodenständig, Päivi arbeitete bis zu ihrem Tod 2016 als Logopädin, während ihr Partner Kim Floor in den 90er Jahren in einer Serie und gleichzeitig bei "Onnenpyörä", dem finnischen Glücksrad moderierte. 

Auch die Nachbarn aus Norwegen setzten auf ein Duo, Grethe Kausland und Benny Borg wurden mit "Småting" sogar nur 14. Beide waren nach ihrem bescheidenen Ergebnis in Edinburgh Teil der Comedy-Musikgruppe Dizzie Tunes, Grethe war in mehreren Serien zu sehen, Benny, zeitweise der Ehemann von Kirstie Sparboe, war u.a. als Elvis- und Johnny Cash-Imitator unterwegs. Und auch die eigentlichen Gastgeber aus Monaco setzten auf ein Duo. "Comme on s’aime" konnte jedoch nur den 16. Platz belegen, von beiden Interpreten hörte man später so gut wie nichts mehr.

Nach dem letzten Platz im Jahr zuvor setzte auch Malta auf ein Duo. Helen & Joseph trugen rote Polstermöbel-Kleidung im Partnerlook und sang über Liebe ("L’imħabba"). Doch auch in diesem Jahr blieb den Maltesern nur der letzte Platz, es war bis zum heutigen Zeitpunkt das letzte Mal, dass ein Song Contest-Beitrag auf Maltesisch gesungen wurde. Nur wenig besser lief es für Belgien. Das Duo Serge & Christine Ghisoland erreichte Platz 17 und war, was die musikalische Karriere anbelangt, ebenfalls ausgezählt.

Das einzig erfolgreiche Duett des Abends kam aus den Niederlanden. Sandra & Andres Holten sangen "Als het om de liefde gaat" ("Als ob es um Liebe geht") mit schwungvoller Gymnastik-Performance und vielen "Na na nas". Sandra sollte später unter ihrem vollen Namen Sandra Reemer und als Xandra noch zweimal zum Song Contest zurückkehren. Ihr Duettpartner war später mit dem Duo Rosy & Andres erfolgreich, 1976 belegte "My love" so die #3 der niederländischen Charts hinter "In Zaïre" und "Dancing Queen". Für die Niederlande wurde der grüne Auftritt von Edinburgh zum vierten Platz.

Den modernen Zeitgeist der Veranstaltung spürte man u.a. beim österreichischen Beitrag von The Milestones, die mit ihrem "Falter im Wind" einen entrückten Text über den Leidensweg eines Schmetterlings darboten ("Bleib' nicht im Wald, Schmetterling und verflieg' dich nicht bei Nacht. Falsch ist der Mond, sein Schattenspiel, in der Dämmerung ist kein Halt"). Es reichte jedoch immerhin für den fünften Platz, bis heute eines der besten Ergebnisse Österreichs. Die Sängerin der Milestones, Beatrix Neundlinger kehrte 1977 passenderweise als Sängerin der Gruppe Schmetterlinge zurück.

Nicht ganz so erfolgreich lief es für die Schweiz, die mit Véronique Müller eine Sängerin schickte, deren Hauptaufgabe bis dato die Rolle als Sekretärin von Petula Clark war. Sie wurde Achte, die Nachbarn aus Frankreich gar nur Elfte mit ihrer Sängerin Betty Mars und "Comé-comédie". Diese machte lediglich 1989 noch einmal von sich Reden, als sie in suizidaler Absicht aus dem Fenster ihrer Wohnung im Pariser Stadtteil La Défense sprang und drei Wochen später verstarb.

Große Erwartungen legten u.a. Jugoslawien und Portugal in ihre Teilnehmer. Für Jugoslawien wurde Tereza Kesovija mit dem serbokroatischen Titel "Muzika i ti" entsendet. Tereza war bereits 1966 für Monaco am Start und ist heute eine der wenigen Interpretinnen die für mehrere Länder in verschiedenen Sprachen unterwegs war. Für "Die Musik und du" reichte es auf den neunten Platz, der Portugiese Carlos Mendes, der bereits 1968 dabei war, erreichte gar Rang sieben. Seinem Songtext zu "A festa da vida" wurde eine unterschwellige Kritik an der portugiesischen Diktatur unterstellt, der Song, der die Nelkenrevolution auslöste, sollte allerdings erst zwei Jahre später kommen.

Ebenfalls zum Wettbewerb kehrte die schwedische Formation Family Four zurück. Nachdem diese 1971 bereits über eine weiße Winterwelt sangen, ging es in Edinburgh um einen herrlichen Sommertag. Dabei war die Sängerin Marie Bergman (die u.a. 1994 an der Seite von Roger Pontare zurückkehrte) gehandicapt und musste, nachdem sie sich bei den Proben den Knöchel verstauchte, mit Gips auf die Bühne. Für "Härliga Sommardag" sprang zudem nur ein 13. Platz heraus. Mehr Glück hatte da der Spanier Jaime Morey, der es immerhin auf den zehnten Rang schaffte.

Für Irland trat die 18jährige Sandie Jones mit einem Novum auf. Bis dahin wurde kein irischer Beitrag auf Gälisch gesungen. "Ceol an ghrá" ("Musik der Liebe") konnte die Juroren jedoch auch nicht überzeugen, obwohl das Lied an die Spitze der irischen Charts kletterte, reichte es in Edinburgh nur für den 15. Platz. Nach zwei Siegen beim Festival von San Remo schickte Italien Nicola di Bari, an dessen Regenbogen-Song er selbst mitgewirkt hatte. Er gewann damit in San Remo und konnte beim Eurovision Song Contest immerhin den fünften Platz heimbringen. 

Sehr viel mehr hatten sich unterdessen die Gastgeber aus Großbritannien erhofft. Die New Seakers standen vor dem Eurovision Song Contest an der Spitze der Charts mit ihrem Hit "I'd like to teach the world to sing", der Song wurde umgedichtet zu einer weltweit präsenten Werbejingle für Coca Cola. Mit "Beg, steal or borrow" konnte sich die Hippietruppe aber wieder einmal nur die Silbermedaille für Großbritannien schnappen. Auch das Publikum im Saal spendete der Siegerin nur enttäuschten Pflichtapplaus, da man den New Seakers die besten Chancen ausrechnete.

Als strahlende Siegerin ging allerdings die für Luxemburg startende Vicky Leandros vom Platz. "Après toi" war eine teilweise deutsche Produktion, wirkte doch ihr Dirigent und Mentor Klaus Munro aus Hamburg daran mit. Der Song wurde nach ihrem ersten Anlauf 1967 zum Evergreen, von dem diverse Coverversionen, u.a. sogar auf Japanisch existieren. Vicky Leandros wurde intern nominiert und konnte ganz elegant mit dem Wohlwollen der britischen Juroren, die zehn von zehn Punkten spendierten, ihre internationale Karriere starten.

2006 versuchte sie es mit "Don't break my heart" noch einmal beim deutschen Vorentscheid, wo sie allerdings nur Dritte und damit Letzte wurde. "Après toi" belegte in Deutschland nur die #11 in den Charts, erst später erreichte sie mit Hits wie "Ich hab' die Liebe geseh'n" oder "Die Bouzouki klang durch die Sommernacht" die Top Ten in der Bundesrepublik. Ihren größten Erfolg und einzigen Nummer-Eins-Hit landete sie jedoch 1974 mit "Theo, wir fahr’n nach Lodz". Später engagierte sich Vicky politisch, war für die sozialdemokratische PASOK im Stadtrat von Piräus aktiv. Anzumerken bleibt, dass der Eurovision Song Contest 1972 der erste Jahrgang war, in dem es keinen Punktegleichstand gab. Der Song Contest sollte erneut nach Luxemburg zurückkehren.

Die Teilnehmer:
01. - 128  Vicky Leandros - Après toi
02. - 114  The New Seekers - Beg, steal or borrow
03. - 107  Mary Roos - Nur die Liebe lässt uns leben
04. - 106 -  Sandra & Andres - Als het om de liefde gaat
05. - 100 -   Milestones - Falter im Wind 
06. - 092 -  Nicola di Bari - I giorni dell'arcobaleno
07. - 090  Carlos Mendes - A festa da vida
08. - 088 -  Véronique Müller - C'est la chanson de mon amour
09. - 087  Tereza Kesovija - Muzika i ti
10. - 083  Jaime Morey - Amanece
11. - 081  Betty Mars - Comé-comédie
12. - 078 -  Päivi Paunu & Kim Floor - Muistathan
13. - 075  Family Four - Härliga sommardag
14. - 073 -  Grethe Kausland & Benny Borg - Småting
15. - 072  Sandie Jones - Ceol an ghrá
16. - 065 -  Anne-Marie Godart & Peter McLane - Comme on s'aime
17. - 055 -  Serge & Christine Ghisoland - À la folie ou pas du tout
18. - 048 -  Helen & Joseph - L’imħabba