Samstag, 30. April 2016

Kommentar: Keep calm, it's only Eurovision!



Europa - Nur noch dieses Wochenende trennt uns von den Auftaktproben in der Globen Arena und irgendwie liegt trotz riesiger Vorfreude meinerseits auf die nächsten 14 Tage ein beklemmendes Gefühl in der Luft. Wo sonst Harmonie, Einheit und Fröhlichkeit dominieren, stehen offene Fragen im Raum, die in diesem Jahr besonders die politische Situation in Europa wiederspiegelt. Für einen hausgemachten Skandal sorgten dabei ausgerechnet die Organisatoren mit der Veröffentlichung der Flaggensperrliste.

Selbst spanische Politiker finden
den baskischen Ausschluss doof..
Auch wenn die Europäische Rundfunkunion nach der Veröffentlichung einräumte, es werde kaum Auswirkungen auf den Wettbewerb haben und die Liste sei kein Gesetz sondern eine beispielhafte Sensibilisierung für die Sicherheitskräfte, so muss sie sich doch Kritik anhören und die kommt nun vor allem aus Spanien. So wurde der spanische Außenminister Jose Manuel García-Margallo dazu aufgerufen, die Verantwortlichen in Schweden zu einer Änderung zu bewegen. Parlamentspräsident Patxi Lopez betonte, es sei "absolut unannehmbar", dass die baskische Flagge beim Song Contest verboten werde und sie auf eine Stufe mit der Flagge des Islamischen Staates stelle. Wenn selbst spanische Politiker die Situation nicht verstehen, warum dann der Aufriss?

Dann hätte man 2012 auch schon handeln können und die Flaggen der russischen Teilrepublik Udmurtien verbieten können, die viele Fans mit nach Baku gebracht haben, um die Großmütterchen von Buranovskiye Babushki zu unterstützen. Der für Zypern angeheuerte Jon Lilygreen hielt 2010 neben der zypriotischen Flagge auch noch die walisische Flagge in die Kamera, auch damals hat sich niemand beschwert. Würde man den Eurovision Song Contest zu einer unpolitischen Veranstaltung machen wollen, müssten alle Flaggen, egal ob nun von Irland, Lettland, der EU oder dem Schweizer Kanton Aargau verboten werden und die Teilnehmer nicht für Malta oder Ungarn an den Start gehen sondern mit der Startnummer #01, #02 oder #25.

Wir erinnern uns: war das nun
Zufall oder politisches Kalkül?
Die Entscheidungsgewalt, welche Flaggen die Fans beim Song Contest zeigen und schwenken dürften obliegt letztlich dem schwedischen Fernsehen SVT, wie die EBU einräumt. Über die Handhabung der Regelung wird stichprobenartig geurteilt: "Das wird von Fall zu Fall entschieden. Das Beispiel könnte anwendbar sein, wenn ein spezifisches Teilnehmerland herausgegriffen wird." Damit spielt die EBU auch auf die Regenbogenflagge an, die von den Veranstaltern lediglich "toleriert" wird. Dass sie in der Vergangenheits politisches Statement war, ist den Organisatoren durchaus bewusst, etwa 2014 in Kopenhagen, als der Sender DR nach der russischen Performance auf einen Fan mit Regenbogenflagge schwenkte.

Eine Meldung des britischen Portals "Pink News" ist allerdings Quatsch, in dem berichtet wird, dass Fans davor gewarnt seien, während der russischen Performance Regenbogenflaggen zu schwenken. Bisher hat sich Russland auch weder zu der Flaggendiskussion noch zu den Buhrufen im Vorjahr offiziell geäußert, es scheint also ein Sturm im Wasserglas zu sein, den sich die EBU allerdings zum Teil auch selbst eingehandelt hat. Die EBU erklärte weiterhin, die Regenbogenflagge stehe für Vielfalt, einem Kernwert der EBU. Gedanken müsse man sich ohnehin erst machen, sollte Russland im kommenden Jahr den Wettbewerb austragen. 

Walisisches Party-Set, so wird
jeder Käseigel ein Politikum
Dort verbietet die nationale Gesetzgebung nämlich durch ihr Gesetz gegen Homo-Propaganda u.a. das öffentliche Zeigen der Regenbogenflagge. So rückständig dieses Gesetz auch sein mag, die Europäische Rundfunkunion müsste sich hierbei an nationale Gesetze halten. 2009, als Moskau erstmals Gastgeber war, gab es dieses Gesetz noch nicht, Theorien zur Abwicklung im kommenden Jahr sollten allerdings erst entwickelt werden, so Sergey Lazarev den Sieg tatsächlich nach Russland zurückbringt. Bliebe da noch der Kosovo, aus dem es bezüglich des Flaggenstreits ebenfalls Proteste gibt, da die Flagge mit dem kosovarischen Länderumriss ebenfalls auf der Sperrliste stand.

Die EBU widerspricht sich hierbei selbst. Schreibt sie auf Eurovision.tv großmütig: "Die EBU hilft dem kosovarischen Rundfunk RTK seit 1999 und die enge Zusammenarbeit mit RTK, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk im Kosovo aufrecht zu erhalten, wird fortgesetzt. Wir freuen uns, dass RTK den diesjährigen Eurovision Song Contest übertragen wird, derzeit kann der Kosovo aber nicht teilnehmen. Die Reference Group wird darüber beraten, ob eine Ausnahme der Regeln in diesem Fall anwendbar ist." Gleichzeitig untersagt die Organisation das Zeigen der Flagge vom Amselfeld. Da es bis heute nicht einmal Proteste aus Serbien gegen die Fahne beim Song Contest gab, ist die Auflistung fragwürdig.

Einatmen, ausatmen
Und hiermit zeigt sich wieder, dass der Eurovision Song Contest alles andere als unpolitisch ist, wenn mehrere über den Kontinent verteilte Parteien sich wegen einer restriktiven Flaggenordnung der EBU so in die Haare bekommen. Dieser Jahrgang zeigt bislang eher wenig von der sonst so völkerverbindenden Einheit, sei es der Ausschluss Rumäniens, die Debatte um den ukrainischen Song, die Flaggenliste oder den Zwiespalt der Fans, ob sie das Melodifestivalen-Voting gutheißen sollen oder der Wettbewerb nach und nach der Schwedisierung zum Opfer fällt. Wo sind die "I'm so excited"-Postings auf Facebook vor der Abreise der Fans nach Stockholm? Der Eurovision Song Contest 2016 fällt in eine Zeitspanne, in der sich online jeder rasch angegriffen fühlt und Diskussionen anzettelt. 

Das beweist nicht nur die Dünnhäutigkeit gewisser Präsidenten oder die Entscheidung des Senders TRT aufgrund der Jury- und Big Five-Regel auf den Song Contest zu verzichten, sondern auch die Kleinstaaterei zwischen einzelnen Nationen. Der Eurovision Song Contest soll alle verbinden, vor allem aber die, die sich auf gepflegte Abendunterhaltung und musikalische Titanen, Mainstream, Blödelsongs und Fremdschämbeiträge freuen. Und alle anderen sollten sich die Social Media-Postings "Keep calm..." zu Herzen nehmen, denn: it's only Eurovision!