Donnerstag, 28. Mai 2015

Kommentar: Der Scherbenhaufen der BBC


Großbritannien - Die Verantwortlichen bei der British Broadcasting Corporation (kurz BBC) stehen vor einem Rätsel und einer scheinbar unlösbaren Aufgabe, wie es im Vereinigten Königreich mit dem Eurovision Song Contest weitergehen soll. Das intern ausgewählte Duo Electro Velvet belegte mit ihrem Song "Still in love with you" erneut nur den 24. von 27 Plätzen in Wien.

Die weltweit größte gebührenfinanzierte Rundfunkanstalt der Welt hat in Großbritannien einen großen Einfluss, da es anders als in Deutschland kaum lizensierte Privatsender gibt. Die größten darunter sind u.a. Channel 4 und ITV, auf dem am Samstag mit "Britain's got talent" die quotenstärkste Show lief, der Eurovision Song Contest reihte sich dahinter ein.

Die schlechten Resultate Großbritanniens beim Eurovision Song Contest sind keineswegs von jetzt auf gleich aufgetreten, sondern ein seit 1999 schleichender Prozess. Noch bis Mitte der 90er Jahre waren große Stars der britischen und weltweiten Musikszene für die BBC im Einsatz, u.a. Katrina & The Waves, die 1997 mit "Love shine a light" den letzten Wettbewerb für das UK gewinnen konnte.

Zwei Jahre später ließ die EBU die Sprachregelung beim Song Contest fallen. Plötzlich hatte Großbritannien neben Irland und Malta keine Monopolstellung mehr auf die englische Sprache, auch Nationen wie Finnland, Rumänien, Estland oder die Niederlande konnten nun auf Englisch singen und machten von der Neuerung natürlich Gebrauch, was auch ihr gutes Recht ist. Die Ergebnisse vieler Nationen, die sonst aufgrund ihrer unvorteilhaften Sprache regelmäßig hinten landeten, rückten auf.

Im gleichen Jahr, 1999, sang für Großbritannien eine Gruppe namens Precious (siehe Bild), eine kurzlebige Girlgroup, die bei Weitem nicht an die Spice Girls oder ähnliche Formationen dieser Zeit heranreichten. Mit ihrem mittelmäßigen Beitrag "Say it again" belegten sie nur den zwölften Platz, für das erfolgsverwöhnte Land schon eine kleine Katastrophe. Ähnlich wie Quelle mit der Einführung eines Online-Shops, verpasste die BBC den Anschluss an die Musiktrends beim Song Contest.

Auch Nicky French im Folgejahr oder Lindsay Dracass 2001 in Kopenhagen konnten nur bedingt überzeugen. Das Interesse am Eurovision Song Contest begann durch diese mittelmäßigen Platzierungen zu sinken. Hinzu kam der zynische Kommentator Terry Wogan, der sich weniger um Inhalte kümmerte, sondern sämtliche Beiträge kritisierte und als Witz hinstellte, bis er schließlich 2008 seinen Hut nahm.

Nach einem Achtungserfolg durch Jessica Garlick in Tallinn folgte 2003 dann der komplette Absturz, null Punkte für das Duo Jemini, das durch den Vorentscheid "A Song for Europe" ermittelt wurde und vor allem durch schlechte Choreographie und noch schlechteren Gesang auffiel. Dieses Ereignis in Riga mag bei der BBC wohl dafür gesorgt haben, dass man weniger in die Eurovision investierte und größere Namen im britischen Musikbusiness verschreckt worden sind. Jemini, bestehend aus Gemma Abbey und Chris Cromby, löste sich kurz nach dem Finale von Riga auf, ein geplantes Album kam nicht mehr zustande.

Zwischen 2005 und 2008 setzte man auf Trash, da plumsten Javine die Brüste aus dem Kleid, mit dem Sänger Daz Sampson drückte ein mittelalter Herr noch einmal rappend die Schulbank und 2007 steuerten die Fluglotsen von Scooch in den Punkteabgrund. 2008 belegte Andy Abraham den letzten Platz. Zu dieser Zeit verkam der Wettbewerb in Großbritannien zu einer Trashshow, die niemand mehr ernst nahm. Zwar gab es viele Spaßbeiträge zu dieser Zeit, anders als Verka Serduchka oder von Gimmicks strotzende Shows wie von Dima Bilan oder Kalomoira, wirkten die britischen Darbietungen extrem lächerlich.

Besonders hervorzuheben ist "Flying the flag (for you)" von Scooch. Die Show war überladen und zum Fremdschämen, erwachsene Menschen als Flugbegleiter verkleidet schoben über die Bühne, im Hintergrund anbiedernd sämtliche Flaggen der teilnehmenden Nationen. Es hilft nicht, möglichst viele Länder- oder Städtenamen in drei Minuten zu verarbeiten. Besonders furchtbar war der Text des Liedes, abgesehen vom ständigen Bap-bap-da-dap wurden einfach nur irgendwelche Phrasen aneinandergereiht, Zitat: "Some salted nuts, Sir? (...) Would you like a complimentary drink with your meal, Sir?"

2009 der letzte Lichtblick bisher, die junge Nachwuchssängerin Jade Ewen wurde in einem mehrwöchigen Verfahren ermittelt und bekam mit Andrew Lloyd Webber, der die Eurovision als nationale Aufgabe verstand und Texterin Diane Warren kompetente Unterstützer zur Seite, das Ergebnis, Platz fünf in Moskau. Nach einem ähnlichen Prinzip, leider von den falschen Komponisten wie Pete Waterman beraten, wurde Josh Dubovie 2010 gefunden, er wurde wieder Letzter mit einem sehr banalen Lied.

Da die BBC auch dieses Prinzip nicht für erfolgsversprechend hielt, setzte man auf Weltstars, allerdings keine aktuellen, die für die Eurovision nicht ihre Karriere auf's Spiel setzen wollten, sondern Bands und Künstler, die sich durch den Wettbewerb noch einmal musikalisch zurückmelden wollten. Mit der Band Blue hatte man zumindest ein radiotaugliches Lied im Rennen, mit den Senioren der Musikszene, Engelbert Humperdinck und Bonnie Tyler hingegen kassierte man erneut eine Klatsche.

Außer eingefleischten Fans und einigen nostalgischen Juroren, konnten die Oldstars der britischen Musiklandschaft keinen Eindruck hinterlassen. Zu dieser Zeit wurde der Eurovision Song Contest zum massentauglichen Event, einem völkerverbindenden Großereignis, dass von Island bis Aserbaidschan Gehör fand und auch kommerzielle Erfolge hervorbrachte, etwa Lena, Loreen oder 2014 die Common Linnets.

Seit 2014 versucht die BBC nun wieder durch interne Auswahlen Newcomern die Chance zu geben, die in der britischen Musiklandschaft noch keine Rolle spielen und demnach auch keine Quotenbringer im eigenen Land sind. Ähnlich wie in anderen Ländern, die auf Nobodys setzen, muss man sich über das Ergebnis nicht wundern, wenn selbst der Rückhalt im eigenen Land fehlt. So geht es auch Frankreich oder wie in diesem Jahr Deutschland. Warum soll man von Europa erwarten für einen Titel zu stimmen, der selbst im eigenen Land nicht ankommt?

Leider fehlt es in Großbritannien auch an großen Namen, die noch mutig genug sind, bei der Eurovision aufzutreten. Der erste Idols-Sieger Will Young erklärte kürzlich im Frühstücksfernsehen der BBC, der Wettbewerb sei wie ein "vergifteter Kelch" und er möchte auf keinen Fall zum Song Contest fahren. Will Young selbst brachte in dieser Woche seit Langem wieder ein Album heraus, Gesprächsthema ist auch er schon ewig nicht mehr.

Aber auch aktuell erfolgreiche Stars wie Olly Murs, dessen Konzert ich mir am Dienstag in Hamburg angesehen habe und der durchaus Songs im Repertoire hat, die zeitgemäß und kommerziell erfolgreich sind ("Up", "Heart skips a beat") und es auch beim Song Contest sein könnten, lehnen dankend ab. "Das ist nichts für mich.", erklärte er dem Magazin Digital Spy. Somit sitzt die BBC weiterhin auf dem Trockenen und wird ohne Engagement von Seiten des Senders auch weiterhin im Punktekeller schmoren.

Es braucht in Großbritannien einen Kämpfer, der den Wettbewerb noch richtig ernst nimmt, so wie hierzulande ein Stefan Raab, der sich nicht zu schade ist, das Zepter an sich zu reißen und zunächst auf nationaler Ebene eine große Show daraus macht. Insbesondere der britische Markt ist prädestiniert für Castingshows, zahllose Formate wurden hier entwickelt, sodass man eigentlich an jeder Ecke in London fähige Menschen finden sollte, die ein passendes Format entwickeln könnten und auch das Interesse in Großbritannien an der Eurovision wieder wecken könnten.

Die öffentlich-rechtlichen Sender in vielen europäischen Staaten arbeiten mittlerweile mit dem Privatfernsehen zusammen. Die ARD und ProSieben suchten über mehrere Jahre hinweg gemeinsam Kandidaten, in Griechenland und Israel ist der nationale Vorentscheid eine Gemeinschaftssache, da würde auch der BBC kein Zacken aus der Krone brechen, wenn man auf Hilfe von außen zurückgreift. Insbesondere für das Image der Eurovision und der Quote würde ein radikaler Einschnitt helfen. Auch eine gute Internetpräsenz könnte helfen, die aktuelle Eurovisionseite der BBC wird sehr stiefmütterlich behandelt.

Die BBC hat sich noch nicht zum Eurovision Song Contest 2016 in Schweden geäußert. Es wird aller Voraussicht nach so weiterlaufen wie bisher, wer jedoch kein Engagement zeigt, wird auch nicht belohnt. Da helfen auch die klugen Kommentare von Graham Norton während der Finalübertragung nichts. Wer auf Trash setzt und nicht erkennt, dass sich die Eurovision in ständiger Veränderung befindet, der darf auch nicht auf Mitleidspunkte aus Europa hoffen...