Sonntag, 24. Mai 2015

Eurovision 2015: Analyse des Finales


Österreich - Der 60. Eurovision Song Contest ist vorbei. Måns Zelmerlöw hat den sechsten Erfolg für Schweden eingefahren und den zweiten Sieg innerhalb von fünf Jahren. Ein Achtungserfolg, der sich aber auch im Vorwege, wenn man auf die Proben, den Reaktionen in der Halle und den Wettquoten Aufmerksamkeit geschenkt hatte. Mit 365 Punkten aus allen geographischen Richtungen reiht er sich zu den erfolgreichsten Interpreten des Wettbewerbs ein. Zwölf Punkte gab es zwölf Ländern und lieferte sich aufgrund der zuvor festgelegten Votingreihenfolge ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit Russland. 

"Heroes" wurde wieder grandios vorgetragen, wenngleich man dazu sagen muss, dass natürlich die Strichmännchen-Animation auch einen maßgeblichen Teil zum Sieg beigetragen hat. Der Titel war sauber produziert und Måns hat sich beim Performen diesmal auch richtig ins Zeug gelegt. Es ist ein verdienter Sieg, auch wenn viele sagen, Schweden übernimmt langsam die Herrschaft beim Song Contest und es wäre ja langweilig, immer nur das Sverige zu fahren. In diesem Jahr gab es für den Sieger auch aus allen anderen 39 Nationen Punkte, etwas aus dem Durchschnittswert fallen Griechenland mit vier Punkten, Montenegro und Mazedonien mit jeweils vier Zählern.

Der Sieger erklärte im Anschluss auf der Pressekonferenz, er habe im Moment der Ergebnisverkündung gar nicht realisiert, dass er gewonnen habe. Erst Delegationsleiter und Melodifestivalenchef Christer Björkman habe ihn darauf aufmerksam gemacht. Die Vorbereitungen für Schweden 2016 sollen laut Christer bereits am Dienstag beginnen. Man werde auch mit dem ORF zusammenarbeiten und auf dem Schema aufbauen, dass der österreichische Sender geschaffen hat. Aber es gab ja nicht nur Måns Zelmerlöw, sondern auch noch 26 andere Interpreten.

Zunächst einmal zum Opening, die Moderatoren singen, das gab es auch lange nicht, den Themesong "Building bridges", der zwar aus der Konserve kam, aber perfekt in das Bild passte, dass der ORF in dieser Woche vermittelte und wirklich zum Brückenschlagen einlud. Begleitet wurde das Opening durch das ORF Radio-Sinfonieorchester Wien. Auch wurden die Postkarten gezeigt, die Eurovisionsfans als Selfies aufgenommen haben und damit Brücken bauten. Unterlegt war dies ausgerechnet vom russischen Song "What if" von Dina Garipova aus Malmö 2013.

Umso erdrückender war der schier nicht enden wollende Interval-Act, bei dem etwa 15 Minuten nur getrommelt wurde. Martin Grubinger und das Percussive Planet Ensemble hauten auf alles was nach Trommel aussah und waren ein bisschen der Stimmungshänger im diesjährigen Jahrgang. Der anschließende Interval von Conchita, die die Songs "You're unstoppable" und "Firestorm" aus ihrem neuen Album vorstellte, war dafür etwas kurzweiliger. Der Song Contest 2015 war auch eine Conchita-Show, die Moderatorenjobs übernahm und es auch wagte, sich während des Votings zwischen die Russen zu setzen. Die übrigen Moderatorinnen hätte es fast nicht gebraucht.

Die Show wurde von Maraaya aus Slowenien eröffnet, die wie schon im Semifinale konstant auf ihre Performance mit Kopfhörer und Luftgeige setzten. Die Stimme von Marjetka ist echt außergewöhnlich, die beste Platzierung des Landes ist es nicht geworden, für Slowenien ist die #14 meiner Meinung nach aber schon ein guter Achtungserfolg. Der 25. Platz für die wirklich tolle Lisa Angell für Frankreich hingegen weniger. Für die etwas apatisch schauende Sängerin tut es mir leid, es war der beste französische Titel der letzten Jahre, ein klassischer Chanson, der mehr als vier Punkte verdient hätte.

Danach kam der Discoknaller des Euroclubs, Israel mit Noav Guedj auf die Bühne der Wiener Stadthalle. Mein Favorit des Abends, der es souverän in die Top Ten geschafft hat, für Israel sicherlich überraschend, aber es machte gute Laune und Spaß zuzuschauen. Auch hier ist das Ergebnis vollkommen in Ordnung. Estland, dessen Duo Elina Born und Stig Rästa über einen bitteren One-Night-Stand sang, giftete sich mit ihren Blicken wieder an, großes Kino, am Ende waren sogar noch echte Tränen von Elina im Spiel. Stellt sich nur die Frage, ob die Tür auf der Bühne extra für Elina eingebaut wurde.

Großbritannien wurde von Kommentator Peter Urban bereits im Vorfeld zerrissen, aber auch zurecht. Es passte auch irgendwie nichts zusammen, Charleston trifft typisch britischen Trash. Wie Peter Urban richtig kommentierte, nimmt das UK den Wettbewerb einfach nicht ernst. Zudem war das LED-Kleid too much. Trotzdem hat es für fünf Punkte gereicht, Irland, Malta und San Marino konnten sich dazu hinreißen. Auch für Armenien lief es mit dem Genozid-Song nicht so pralle. Jede der sechs Stimmen machte, was sie wollte und die richtigen Kontinente hat man auch in der neunten Aufführung nicht gefunden...

Litauen war ein kleiner Knaller, Monika und Vaidas knutschten länger als zuvor, demonstrativ auch zwei Herren und zwei Damen im Background. Ob das in Russland für Empörung gesorgt hat? Auf jeden Fall hat die litauische Wertung für Aufruhr gesorgt, Polina Gagarina erhielt keinen einzigen Punkt aus Vilnius. Stattdessen gab Litauen zehn an Schweden und zwölf an Lettland. Die fröhliche Liebesnummer landete am Ende des Abends auf Rang 18.

Danach Serbien, das mit "Beauty never lies" zwei Lieder in einem vorstellte. Zunächst wurde Bojana etwas unvorteilhaft von der Windmaschine aufgeplustert, in der zweiten Hälfte sang sie ihre Konkurrenz an die Wand. Die Halle tobte zum Discostapfer, der sich immerhin auf die 10 setzte. Die trödelige Ballade aus Norwegen von Mørland & Debrah Scarlett endete auf dem achten Rang, zehn Punkte gab es aus Debrahs Wahlheimat, der Schweiz. Danach folgte der oben erwähnte Schwede, für den es aus Deutschland zehn Zähler gab.

Zypern war auch dabei... drei Minuten Langeweile, schön gesungen aber schnell wieder vergessen, nicht mal aus Griechenland gab es die Höchstwertung und somit nur den 22. Platz. Auch Griechenland war mit Rang 19 nicht viel besser dran. Im Moment läuft es bei den Athener Beiträgen nicht so sonderlich rund, vielen dürfte hier auch die typisch griechische Note gefehlt haben. Im kommenden Jahr sollte man es wieder mit Uptempo probieren oder Helena Paparizou noch einmal einladen, die die Punkte für Hellas vorlesen durfte.

Australien hatte nur diese eine Chance und setzte sie super um. Es wirkte fröhlich, locker und Guy Sebastian brachte einen sehr lässigen Tanz und zum Schluss großes Feuerwerk mit. Die Australier haben sich alles richtig abgeguckt und einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Aus ganz Europa gab es Punkte, insgesamt 196, was für den fünften Platz reichte, allerdings nicht für eine erneute Teilnahme am Eurovision Song Contest, sodass der Ausflug Australiens in Wien wohl die einzige Teilnahme bleiben dürfte, sollte die EBU ihr Reglement nicht ändern.

Vom Belgier war ich überrascht. Loïc Nottet sang sein "Rhythm inside" viel besser als noch am Dienstag im Semifinale. Diese statische Choreographie war großartig, nur habe ich gelernt, dass man auf dem Rücken liegend nur bedingt singen kann. Trotzdem räumte Loïc für Belgien super ab, dreimal gab es die Höchstwertung, aus Frankreich, Ungarn und den Niederlanden. Da hat Europa echten Musikgeschmack bewiesen, auch Deutschland steuerte acht Punkte hinzu. Und für Belgien freut es mich ebenfalls sehr, jahrelang verrotteten die Beiträge im Semifinale, das dürfte das Interesse in Belgien wieder etwas fördern.

Tja, und dann kamen die Gastgeber aus Österreich. Die an Hippies der 70er Jahre erinnernden Makemakes, machten ihren Job gut, genauso wie Ann Sophie aus Deutschland, die nach der Griechin antrat. Beide hatten für meinen Geschmack den besten Auftritt ihrer noch jungen Karriere, vor allem Ann Sophie hat eine überzeugende Leistung vollbracht. Und trotzdem, so die Statistik, reichte es nur zum letzten Platz mit null Zählern. In der ungarischen Wertung lagen wir knapp auf der #11 und haben somit den Punkt verpasst, der an Rumänien ging. In Belgien, Polen und Dänemark erreichte Ann Sophie ebenfalls den elften Rang, in Albanien, Finnland, Serbien und Tschechien die 12. Dafür reichte es z.B. in Zypern nur für den 27. Rang...

Umgerechnet sind das natürlich keine Punkte für Deutschland, dennoch war Ann Sophie nicht so schlecht, wie es auf dem Punktetableu niederschlägt. Sie war super, im schwarzen, rückenfreien Jumpsuit ohne Überschlag in der Stimme. Im Anschluss an den Song Contest stand sie gemeinsam mit den Makemakes vor der Kamera und erklärte, dass beide weiterhin Musik machen werden und auch gemeinsame Projekte geplant sind. Statistisch gesehen ist es jedoch das schlechteste Ergebnis Deutschlands aller Zeiten und Gracia, die mit vier Punkten Letzte (24.) wurde, ist abgelöst.

Montenegro unterdessen hat bei seiner zweiten Finalteilnahme sein bestes Ergebnis eingefahren. "Adio" erreichte den 13. Rang, Knez setzte dabei auf traditionelle Balkanklänge und Tanzschritte, fast wie aus dem Lehrbuch und erntete insbesondere vom Balkan viele Punkte. Polens Sängerin Monika Kuszyńska schmierte hingegen wieder ab, die Tragik des Liedes wurde wieder gekonnte umgesetzt, wirkte vielleicht aber zu dick aufgetragen. 

Nach Polen trat die lettische Sängerin Aminata auf, die Lettland erstmals seit 2008 wieder ins Finale brachte und dann sogar noch an der Top Five kratzte. Für die spezielle Darbietung, die Esoterik und afrikanische Klänge enthielt, reichte es für den sechsten Platz, ein Achtungserfolg für das kleine Baltikumland, das jahrelang auf den hintersten Plätzen im Semifinale rangierte. Der Beitrag ist ähnlich speziell wie Rona Nishliu für Albanien 2012, gefiel mir persönlich aber auch gar nicht, hinzu kamen die hektischen Kameraführungen und Close-Ups die mich wahnsinnig gemacht haben. Für Lettland freut es mich, für das Lied nicht.

Rumänien hatte sich wohl auch mehr erhofft, als 35 Punkte und den 15. Rang. Es gab vereinzelte Punkte von emmigrierten Rumänien aus ganz Europa, aber eine bedeutsame Platzierung sah anders aus. Insgesamt fiel auf, dass die Big Points immer an die selben Nationen gingen, die später auf den Plätzen eins bis neun landeten. Zwischen Noav Guedj auf dem neunten und Bojana Stamenov auf dem zehnten Platz klaffen 44 Punkte Unterschied, die Top drei, Schweden, Russland und Italien spielten ohnehin in einer ganz anderen Liga.

Spaniens Sängerin Edurne erreichte den 21. Platz. Sie hat wirklich toll gesungen, auch eine Träne verdrückt, wollte mit ihrer musicalhaften Choreographie aber zu viel. Großen Applaus erhielt Edurne nachdem sie ihr Trickkleid abgeworfen hatte. Für "Amanecer" tat es mir sehr leid, Spanien ist ähnlich wie Deutschland oder Frankreich unterbewertet. Zurecht im Keller gelandet ist Ungarn, die langweilige Friedenshymne von Boggie zündete im Finale nicht. Boggie stand anklagend am vorderen Bühnenrand und im Hintergrund fügten sich Gewehrläufe zu einem Baum. Solche Geschichten schreibt auch nur die Eurovision, in diesem Fall blieb das Gebet jedoch unerhört.

Umso ironischer kam der darauffolgende Kämpfersong von Nina Sublatti aus Georgien daher. Nina im Gothic-Look verfinsterte Wien, sang sich die strapazierte Stimme aus dem Leib und wurde mit dem elften Rang belohnt. Eindrucksvoll waren hier speziell die Gewittereffekte und die Tränen im Hintergrund. Der anschließende Auftritt von Elnur aus Aserbaidschan zeigte den verspielten Kampf von zwei Wölfen und einen schwarzen Mond, der aussah, als hätte ihn die georgische Xena vergessen. Elnur, der im Semifinale tatsächlich nur den zehnten Platz erreichte, konnte im Finale den souveränen zwölften Platz erreichen. Das Oktavenspektakel blieb jedoch auch hinter den Erwartungen der Aseris zurück.

Danach kam die große, zu Tränen gerührte, Polina Gagarina, die von überall Punkte erhielt. In der Halle wurde sie nicht ausgebuht wurde sondern herzlich für ihre Performance beklatscht. Der einzige, stille Protest waren die gezeigten Gayflaggen. Polina platzierte sich im Punktekampf mit Måns auf dem zweiten Rang, mit 62 Punkten Abstand, aber zurecht weit oben. Sie war so gerührt, dass sie am Ende ihrer Performance in Tränen ausbrach und auch keine Worte fand, als Conchita sie zur Votinghalbzeit interviewte. Daran sieht man wieder einmal wie diplomatisch und völkerverbindend die Eurovision sein kann. Trotzdem bin ich froh, dass die Eurovision nächstes Jahr nicht nach Moskau oder St. Petersburg zieht.

Nach Russland trat noch die albanische Sängerin Elhaida Dani an, die ich gestern Abend am schlechtesten bepunktet habe. Wie schon im Halbfinale plapperte Peter Urban vor Ende des Liedes hinein. Albanien erreichte den 17. Platz, punktgleich mit Armenien, die aber immerhin einmal zwölf Punkte aus Georgien erhielten. Die letzte Performance kam schließlich aus Italien, dem Big Five-Land, das dem Sieg noch am nächsten war. Nach dem Auftritt hatte ich Gänsehaut und war davon überzeugt, dass Il Volo gewinnen werden. Allein die Explosionen auf den LED-Wänden waren fantastisch. Am Ende wurde es die Bronzemedaille. Ein Grund mehr für die RAI, im Wettbewerb zu bleiben. "Grande amore" war gestern Abend jedenfalls mein persönlicher Favorit.

Das Voting gestaltete sich für lange Strecken spannend, erst lag Serbien vorne, dann kam Italien nach vorn und am Ende zog Schweden an Russland vorbei. Die neue Berechnungstechnik hat sich auf jeden Fall bewährt, weniger die technischen Leitungen aus der Stadthalle in die Welt. Während man kein Problem hatte, Australien zuzuschalten, mussten die Wertungen aus Portugal, Estland und Georgien ans Ende geheftet werden, da die Leitung nicht zustande kam. Beim Voting gab es kaum Überraschungen, Montenegro und Serbien tauschten ihre Zwölf aus, Malta stimmte für Italien, Skandinavien für Schweden.

Australien erhielt ebenfalls zwei Mal die Höchstwertung, nämlich aus dem späteren Gewinnerland Schweden und dem Gastgeberland Österreich. Die britische Sprecherin kommentierte die Show trocken mit den Worten "Das war doch toll" und Edsilia Rombley trug das viel diskutierte Probenkleid von Trijntje Oosterhuis auf, die das Finale leider nicht erreichte. Der Eurovision Song Contest 2016 geht also wieder nach Schweden, die für die Eurovision brennen und mit sechs Siegen an Luxemburg und Großbritannien im Ewigen Medaillenspiegel vorbeiziehen. Sollten sie in nächster Zukunft erneut gewinnen, stellen sie den Rekord von Irland ein. 

Herzlichen Glückwunsch an Måns Zelmerlöw und Schweden für einen perfekten Eurovisionsbeitrag, der sich nun jedoch auch auf Chartstauglichkeit prüfen lassen muss.

Alle wach bleiben, Guy und Elnur werben für die Eurovision | Il Volo
Der Greenroom von Wien | Das Opening: Conchita fliegt in der Stadthalle ein
Startnummer 2, Platz 25: Frankreich | Serbien rockte die Bühne mit Bojana
Die durchchoreographierte Nummer aus Schweden | Guy wurde Fünfter für Australien
Für die Österreicher gab es null Punkte | Conchita und Arabella im Greenroom
Ann Sophie, eine solide Leistung | Monika aus Polen wurde auch nur 23.
Polina war zu Tränen gerührt, die ganze Show über | Mitfavoriten: Il Volo aus Italien
Nina Sublatti aus Georgien und Knez aus Montenegro im Greenroom
Aminata holte das beste Ergebnis für Lettland seit 2005 | Maria aus Griechenland
Es wird eine einmalige Teilnahme bleiben, Australien | Edurne aus Spanien
Bojana marschiert ein | Måns holt den sechsten Sieg für Schweden
Konfettiregen für Schweden
Impressionen von der Pressekonferenz