Donnerstag, 2. Juni 2022

Memories: Eurovision Song Contest 1988


Irland
- Eröffnet durch Johnny Logan, der im Vorjahr mit "Hold me now" Geschichte schrieb und als erster Interpret zweimal den Eurovision Song Contest gewinnen konnte, ein Rekord, der bis heute erhalten blieb, zog der Musikzirkus wieder auf die grüne Insel. Raidió Teilifís Éireann versuchte den Wettbewerb zu modernisieren. Dies gelang zum einen dadurch, dass man das mechanisch betriebene Scoreboard durch eine moderne Videowand austauschte, die fortan zum Standard bei den Punktevergaben zählte, so konnten u.a. erstmals nur die Top Five eingeblendet werden. Zum anderen durch interessante Kamera- und Lichtkonzepte, die den Austragungsort weitaus größer wirken ließen, als er tatsächlich war.

Eben jener Austragungsort war die Reithalle der Royal Dublin Society, in der eine enorm große Bühne installiert wurde, während man den Publikumsaal abdunkelte und weitestgehend auf Großeinstellungen verzichtete, um der Halle die nötige Tiefe zu verleihen. Auch produzierte RTÉ gemeinsam mit Declan Lowney einen interessanten Pausenfüller, nämlich die Hothouse Flowers, die im Musikvideo zu "Don't go" elf Länder besuchten und damit die teuerste irische Videoproduktion bis zum damaligen Tag schufen. Die gesamte Produktion soll das irische Fernsehen damals rund vier Millionen DM gekostet haben, dass die Iren in den 90ern noch wesentlich häufiger in die Verzückung kommen sollten, den Wettbewerb zu veranstalten, ahnte zu diesem Zeitpunkt noch niemand.

Als Moderatoren engagierte RTÉ den Radiosprecher Pat Kenny, der ab den 80er Jahren auch in verschiedenen TV-Programmen zu sehen war. Zwischen 1988 und 2009 moderierte er die allseits beliebte "Late Late Show", die in den Folgejahren immer wieder als nationaler Vorentscheid genutzt wurde. Als weiblichen Gegenpart stellte man Michelle Rocca auf die Bühne, die 1980 zur Miss Ireland gewählt wurde und später Engagements in Funk und Fernsehen annahm. Damals war sie mit dem Fußballnationalspieler John Devine verheiratet, von 1992 bis 2018 war sie mit dem Musiker Van Morrison verheiratet. Neben dem Organisatorischen des Wettbewerbs, der auch wieder in Australien gezeigt wurde, waren ursprünglich die gleichen 22 Nationen wie im Vorjahr gemeldet.

Allerdings zog sich das zypriotische Fernsehen, obwohl ihm bereits die Startnummer zwei zugelost wurde, kurz vor der Eurovision zurück. Grund hierfür ist, dass der ausgewählte Titel "Thimame" von Giannis Dimitriou bereits 1984 im zypriotischen Vorentscheid aufgeführt wurde und damals den dritten Platz belegte. Um einer Disqualifikation durch die EBU zuvor zu kommen, zog sich Zypern zurück, strahlte die Show aber trotzdem aus. Die Nachnominierung eines Künstlers war aufgrund der verstrichenen Anmeldefrist nicht mehr möglich und somit fand der Eurovision Song Contest 1988 mit 21 Nationen statt. Eröffnet durch die isländische Gruppe Beathoven und "Þú og þeir (Sókrates)", die ihrerseits auch ein Unikum erreichten, wurden sie doch wie schon die beiden vorherigen isländischen Acts 16. im Ranking. 

Der isländische Beitrag war jedoch nicht mehr als die Aufzählung vieler Persönlichkeiten aus der Weltgeschichte. Neben dem namensgebenden griechischen Philosophen Sokrates fanden u.a. auch der russische Komponist Tschaikowsky (Isländisch: Tjækovský), Ludwig van Beethoven, der österreichische Arzt und Psychologe Sigmund Freud, die amerikanischen Schauspieler Harold Lloyd und John Wayne, Christoph Kolumbus, die Beatles-Mitglieder Paul McCartney und John Lennon sowie Islands Strongman Jón Páll Sigmarsson Eingang in die Lyrics. Verbessert hat dies die isländische Bilanz bis dahin jedoch nicht.

Noch weniger Punkte erzielten die Finnen, mit der Gruppe Boulevard, die im Vorjahr bereits als Begleitchor von Vicky Rosti in Brüssel dabei waren und sich nun solo mit dem ungelenken Titel "Nauravat silmät muistetaan" ("Lachende Augen bleiben in Erinnerung") versuchten und lediglich drei Punkte, die allesamt aus Israel kamen, abgreifen konnten. Und auch besagtes Israel schickte bekannte Interpreten. Zum einen Yehuda Tamir und Reuven Gvirtz, die bereits als Teil von Milk & Honey auftraten und zum anderen Leadsängerin Yardena Arazi, die 1976 als Teil von Chocolate Menta Mastik auftrat und den Wettbewerb 1979 selbst moderierte. Im zigan anmutenden Kleidchen intonierte sie "Ben Adam", einen Schunkelschlager, der im Verlauf seiner drei Minuten immer mehr an Fahrt gewann und mit 85 Punkten einen guten siebten Platz abräumte. Nur einen Platz dahinter landeten die Gastgeber aus Irland. 

Die Gruppe Jump The Gun hatten in den 80er Jahren einige kleinere Single-Erfolge in Irland, nach dem Wettbewerb verlief sich die Bandgeschichte, wenig später erfolgte die Auflösung. Der neunte Platz ging an den Niederländer Gerard Joling mit "Shangri-La", einem Lied über einen paradiesischen wie auch fiktiven Ort in Tibet. Joling, der seine Musikkarriere in der "Soundmixshow" ins Rollen brachte, landete nach der Eurovision in mehreren Ländern, darunter auch in Südamerika Hits. In den 90ern flachte der Erfolg wieder ab, ein Cameo-Auftritt im Film "Flodder - Eine Familie zum Knutschen" und mehrere Theater-Engagements waren die größten Erfolge jener Zeit. Seit 2004 war er gemeinsam mit René Froger und Gordon Heuckeroth als De Toppers unterwegs, die, allerdings ohne ihn 2009 zum Song Contest nach Moskau reisten, nachdem es bandinterne Streitereien gab, die in der niederländischen Boulevard-Presse breitgetreten wurden.

Wenig erfolgreich lief der Wettbewerb in diesem Jahr für die Bundesrepublik ab. Beim in Nürnberg veranstalteten Vorentscheid wählten 600 Menschen in einem demoskopischen Voting mit 4.475 Punkten das Duo Maxi & Chris Garden nach Dublin. Die beiden, Mutter und Tochter aus einer gut bürgerlichen Familie aus Hanau, probierten es bereits im Vorjahr mit "Frieden für die Teddybären" und landeten 1987 auf dem zweiten Platz. Nun verwiesen sie u.a. Cindy Berger mit "Und leben will ich auch", Bernhard Brink & Gilda sowie G.G. Anderson auf die Plätze. Am langweiligen "Lied für einen Freund", das mit dem klassischen Staging, nämlich zwei weißen Flügeln umgesetzt wurde, waren wieder einmal Ralph Siegel und Bernd Meinunger beteiligt. Das Ende vom Lied war Platz 14, mit obligatorischen null Punkten aus Österreich.

Doch tatsächlich war es der österreichische Beitrag selbst, der keinen einzigen Punkt von den Juroren zu erwarten hatte. Der Sänger Wilfried, der 2017 einem Krebsleiden erlag, war Ende der 70er Jahre zunächst Teil der Ersten Allgemeinen Verunsicherung (EAV) ehe er als Solist in Österreich einige Erfolge hatte. Seinen letzten Platz rechtfertigte er später damit, dass sein Lied "Lisa Mona Lisa" nicht musikalisch sondern, insbesondere geprägt durch die Waldheimaffäre, politisch bewertet wurde. So berichtet er davon, dass er hinter der Bühne angespuckt wurde und die anderen Delegationen seinem Team ausgewichen seien. Belegbar ist dies nicht, die Schieflage in den Tönen hingegen schon, sodass Österreich an jenem Abend wohl zu Recht ganz unten auf dem Tableau landete.

Den 18. Platz teilen mussten sich 1988 Portugal und Belgien. Die portugiesische Sängerin Dora behielt mit ihrem Songtitel "Voltarei" ("Ich komme zurück") Recht, nahm sie doch schon zwei Jahre zuvor am Song Contest teil. Trotz voller Inbrunst, reichte es für Dora nur für fünf Punkte, vier davon von Spanien sowie einem weiteren Punkt aus Griechenland. Für mich ist und bleibt "Voltarei" allerdings einer der besten portugiesischen Beiträge aller Zeiten. Der belgische Sänger Joseph Reynaerts kurz Reynaert konnte mit seinem "Laissez briller le soleil" nur die französische Jury beeindrucken. Es blieb seine letzte bekannte Singleveröffentlichung. Später arbeitete er als Direktor einer Kultureinrichtung in der Provinz Lüttich, 2020 starb er an den Folgen einer Corona-Infektion.

Die wesentlich erfolgreichere belgische Interpretin, nämlich Lara Fabian, ging an jenem Abend für Luxemburg ins Rennen. Sie wurde intern für Dublin ausgewählt und legte als damals 18jährige mit der dramatischen Ballade "Croire" den Grundstein für ihre spätere Karriere. Jedoch stellte sich der Weltruhm erst ab 2000 ein, als sie mit "I will love again" begann auf Englisch zu singen. In der frankophonen Welt genießt sie noch heute hohes Ansehen, 2007 trat sie gemeinsam mit Gigi d'Alessio u.a. auch beim San Remo-Festival in Italien auf. 2015 nahm sie dort als Solistin mit "Voce" teil und wurde 20. und damit Letzte. Inzwischen besitzt Fabian auch die kanadische Staatsbürgerschaft und lebt abwechselnd in Belgien und Montréal. Für Luxemburg sollte es die letzte Top Ten-Platzierung beim Eurovision Song Contest sein.

Eingekreist wurde Lara Fabian von zwei skandinavischen Beiträgen. Platz drei ging an die Hot Eyes, namentlich die hochschwangere Kirsten Siggaard und Søren Bundgaard. Beide nahmen schon 1984 und 1985 am Song Contest teil. "Ka’ du se hva’ jeg sa’?" ("Habe ich dir nicht gesagt?") wurde zu ihrem erfolgreichsten der drei Beiträge, drei Wochen nach dem Song Contest von Dublin kam Kirstens Tochter zur Welt. Platz fünf ging an die norwegische Sängerin Karoline Krüger und "For vår jord", die sich selbst am Klavier begleitete und neben dem UK und Deutschland bei den Buchmachern zu den größten Favoriten zählte. Nach dem Song Contest nahm sie noch mehrere Alben, u.a. mit ihrem Ehemann Sigvart Dagsland auf und wurde für mehrere Musicals engagiert.

Zu den minder erfolgreichen Rückkehrern zählten an diesem Abend Tommy Körberg aus Schweden, der 19 Jahre nach seinem Song Contest-Einstand mit "Stad i ljus" den zwölften Platz belegte und ihn sich auch noch mit dem italienischen Barden Luca Barbarossa teilen musste und die türkische Gruppe MFÖ mit "Sufi", die den 15. Rang belegten. Vielleicht klang den Juroren das Lied über einen tanzwütigen Seemann zu orientalisch, Mazhar, Fuat und Özkan konnten sich in der Konkurrenz nicht behaupten. Dafür kam es zu einem besonderen Moment als die türkische Jury nach Jahren der Feindschaft erstmals Punkte an Griechenland vergab. Drei Zähler war den Türken die tänzerisch hübsch untermale "Clown"-Nummer von Afroditi Frida wert. Abgesehen von der isländischen und französischen Jury konnte aber auch Griechenland niemanden überzeugen, am Ende gab es Platz 17 für die Hellenen.

Knapp an den Top Ten vorbei schrammte Spanien mit der Gruppe La Década Prodigiosa, die zwischen 1985 und dem heutigen Tage in stets wechselnder Besetzung unterwegs ist. Zeitweise sang auch Mikel Herzog, Spaniens Vertreter von 1998 in der Gruppe. Nach mehreren Umbesetzungen stellte man sich mehreren Gesangswettbewerben, 1996 nahm man am Festival von Benidorm teil und belegte den dritten Platz, 2005 und 2007 versuchte sich die Gruppe beim spanischen Song Contest-Vorentscheid. Einen Platz über Spanien landeten die Franzosen mit Gérard Lenorman, der in den 60er und 70er Jahren einige Alben veröffentlichte, mit seinem halbherzigen Chanson aber auch keine Massen begeistern konnte. Erst sein Comeback-Album 2011, an dem auch andere Stars wie Anggun und Patrick Fiori mitwirkten, brachten seine Karriere wieder ins Rollen.

Der sechste Platz ging an den jugoslawischen Beitrag "Mangup" ("Schelm") der kroatischen Gruppe Srebrna Krila, die in den 70er Jahren von Đorđe Novković und Vlado Kalember gegründet wurde. Kalember selbst war 1984 gemeinsam mit Izolda Barudžija schon beim Song Contest dabei.  Bemerkenswert an jenem Abend war aber weniger der jugoslawische Beitrag sondern die jugoslawische Jurywertung und der größte "Suspense"-Moment in der Song Contest-Geschichte, den Moderator Pat Kenny mit den Worten "We employed Agatha Christie to write the script for tonight" verbildlichte. Denn während der gesamten Punktevergabe gab es einen ständigen Wechsel der Führenden, darunter u.a. Lara Fabian aus Luxemburg und auch dem französischen Beitrag.

Am Ende wurde es ein Zweikampf, an dem das Vereinigte Königreich beteiligt war. Der in Glasgow geborene Sänger Scott Fitzgerald, bürgerlich William McPhail, hatte 1978 mit "If I had words" im Duett mit Yvonne Keeley einen großen Erfolg und gewann das Finale im UK mit deutlichem Vorsprung. Scott raspelte sich durch den Text von "Go" und überzeugte zahlreiche Juroren, sodass er vor der letzten Wertung mit 136 Zählern auf dem ersten Platz lag und ein Sieg des Vereinigten Königreichs scheinbar nicht mehr abzuwenden war, die Schweiz lag fünf Punkte dahinter. Dann jedoch hieß es "Ljubljana calling" und die später für zahlreiche Fehlentscheidungen beim slowenischen Vorentscheid verantwortliche Miša Molk wurde aufgerufen. Es wurden zunächst die niedrigen Platzierungen verteilt, ehe die fünf Zähler an die Schweiz gingen.

Gespannt warteten alle auf die Punkte an das UK, ein BBC-Mitschnitt, in dem man Terry Wogan vor der Zwölf-Punkte-Vergabe "What a cliffhanger" sagen hört, kann man noch heute online finden. Doch es kamen keine zwölf Punkte, diese vergab die jugoslawische Jury an Frankreich. Und somit siegte die Schweiz mit gerade einmal einem Punkt Unterschied vor dem UK und ließ Scott Fitzgerald als gebrochenen Mann zurück, der an seine Erfolge nicht mehr anknüpfen konnte und sich später als Sänger auf Kreuzfahrtschiffen verdingte. Sein Sohn schlug ebenfalls eine musikalische Laufbahn ein, Kiley McPhail war und ist seit 2015 Teil der britischen Boyband Busted. Überboten wurde Scott Fitzgerald an diesem Abend Ende April 1988 von einer unbekannten Kanadierin namens Céline Dion.

Mit der unvorteilhaftesten Frisur und einem schrecklichen Tutu sang die damals 20jährige den Titel "Ne partez pas sans moi" ("Geh' nicht ohne mich") aus der Feder von Atilla Şereftuğ und Nella Martinetti. Zwar war Céline Dion, entdeckt durch ihren Mentor und späteren Ehemann René Angélil, der 2016 verstarb und ein Vierteljahrhundert älter war, als die Sängerin, schon zuvor in Frankreich und Kanada bekannt, erhielt durch den Eurovision Song Contest aber zusätzlichen Aufwind und legte eine beispiellose Weltkarriere hin, wie ihn unter allen Teilnehmern nur noch ABBA erreichten. Mit über 330 Millionen verkauften Tonträgern, dem Titanic-Megaerfolg "My heart will go on", einer eigenen Show in Las Vegas und Verkaufserlösen von rund 750 Millionen US-Dollar allein in der Dekade 2000 bis 2010 zählt sie zu den erfolgreichsten Sängerinnen der Musikgeschichte.

Allerdings hüllte Céline Dion Jahre später auch den Schleier des Schweigens über ihre Erfahrung beim Eurovision Song Contest. Bei ihrem Sieg in Dublin 1988 sah die Welt noch anders aus, während der Punktevergabe saß sie schon geknickt im Greenroom, während Scott Fitzgerald sich siegessicher gab. Nach ihrem Sieg liefen ihr bis zu ihrer Reprise Freudentränen über das Gesicht. Céline Dion schenkte der Schweiz den zweiten Sieg ihrer Geschichte, nachdem Lys Assia 1956 den allerersten Wettbewerb gewann. Zudem war es der bis heute letzte Sieg eines französischsprachigen Titels beim Eurovision Song Contest, der 1989 am Ufer des Genfer Sees, nämlich in Lausanne, ausgetragen werden sollte.

Die Teilnehmer:
01. - 137 -Céline Dion - Ne partez pas sans moi
02. - 136 -Scott Fitzgerald - Go
03. - 092 -Kirsten & Søren - Ka' du se hva' jeg sa'?
04. - 090 -Lara Fabian - Croire
05. - 088 -Karoline Krüger - For vår jord
06. - 087 -Srebrna Krila - Mangup
07. - 085 -Yardena Arazi - Ben Adam
08. - 079 -Jump The Gun - Take him home
09. - 070 -Gerard Joling - Shangri-La
10. - 064 -Gérard Lenorman - Chanteur de charme
11. - 058 -La Década Prodigiosa - La chica que yo quiero (Made in Spain)
12. - 052 -Tommy Körberg - Stad i ljus
12. - 052 -Luca Barbarossa - Vivo (Ti scrivo)
14. - 048 -Maxi & Chris Garden - Lied für einen Freund
15. - 037 -MFÖ - Sufi
16. - 020 -Beathoven - Þú og þeir (Sókrates)
17. - 010 -Afroditi Frida - Clown
18. - 005 -Reynaert - Laissez briller le soleil
18. - 005 -Dora - Voltarei
20. - 003 -Boulevard - Nauravat silmät muistetaan
21. - 000 -Wilfried - Lisa Mona Lisa