Deutschland - Es sind nur noch wenige Wochen bis zum Eurovision Song Contest in Turin und heute starteten wir auch mit den Previews, der "Strada per Torino" in die Saison, greifen den NDR-Songchecks vor und warten wie in jedem Jahr auf die letzten Einzelheiten zum Song Contest. Mittlerweile kennen wir alle 40 Beiträge, nachdem auch Armenien und Aserbaidschan ihre Titel publik gemacht haben. Das große Bewerten, Checken der Wettquoten und Erstellen von Rankings hat begonnen. Wobei dieser Jahrgang den zweifelhaften Ruf erhält, einer der schlechteren zu sein.
Tatsächlich ist mein Fazit nach dem Vorschreiben der Previews ähnlich. Vieles klingt gleich, mittelmäßig, fast schon müde. Bis auf einige "shining stars" wie Italien oder Frankreich und einige persönliche Favoriten, die aber nicht den Hauch einer Chance haben dürften, wie Dänemark oder Georgien, ist viel dabei, was bei mir nach der Song Contest-Woche einfach im Musik-Ordner liegen bleibt oder weitergeskippt wird. Dass das Schönhören funktioniert, haben einige Lieder gezeigt, darunter auch das armenische "Snap", das mit jedem Hören in meiner Gunst steigt.
Trotzdem bin ich von diesem Jahrgang ähnlich enttäuscht, wie viele Fans. Und während viele Delegationen ihre Backup-Performances aufnehmen, sollte der Interpret es coronabedingt doch nicht auf die große Bühne in Turin schaffen, so geistere ich durch die Lieder des Jahrgangs. Anders als in den vergangenen Jahren habe ich zumeist darauf verzichtet, mich durch alle Vorentscheide zu hören. Es gibt einige Ausnahmen wie das Melodifestivalen oder einige Titel in Estland, Dänemark oder Irland. Und doch frage ich mich, wieso mich der Spirit der Eurovision bisher noch nicht wieder eingefangen hat.
Natürlich ist der Eurovision Song Contest auch ein zeitintensives Projekt, die Vor- und Nachbearbeitung während der heißen Phase dauert lange, die Recherche zu Interpreten kann langatmig werden und auch der parallel stattfindende American Song Contest soll hier seinen Platz finden. Das steht natürlich kaum im Einklang mit meinen Arbeitszeiten. In den letzten Tagen habe ich fleißig Verspätungen mit der Eisenbahn gesammelt, sodass viele Nachrichten verzögert eingespielt werden. Trotzdem werde ich meinem Hobby hier weiterhin nachgehen und in den zwei wichtigen Proben- und Song Contest-Wochen habe ich Urlaub, sodass ich hoffentlich gezielter berichten kann.
Trotzdem und das wird mir heute schmerzhaft bewusst, ist das Betreiben einer Song Contest-Website auch kein Projekt, das "so nebenbei" läuft. Wie ich über verschiedene Kanäle erfahren habe, geht heute auch das Projekt aufrechtgehn.de zu Ende. Über viele Jahre hat Oliver, den ich für seinen Schreibstil äußerst verehre, mit dem notwendigen Zynismus, der nötigen Weitsicht und einer flotten Feder, aber auch mit viel Herzblut, Fachwissen und vor allem "liebervoller Bösartigkeit" das Geschehen der Eurovision zusammengefasst. Dafür möchte ich ihm danken. Keine andere Website, die sich unserem Lieblingswettbewerb verschrieben hat, hat mich so sehr amüsiert, geprägt und begleitet, wie aufrechtgehn.de.
Oliver schreibt u.a.: "In den letzten Jahren mischte sich unter diese Freude gelegentlich ein leises Gefühl der Übersättigung und Müdigkeit, wurde aus einem Hobby manchmal Verpflichtung. Die Supersamstage mit ihren gefühlt bis zu zehn parallel laufenden Vorentscheidungen und der Fakt, dass in Zeiten von Social Media jede noch so profane Nichtigkeit in Sekundenschnelle einer breiten Diskussion zugeführt wird, sorgten für so viel Eurovisionsvergnügen wie noch niemals zuvor. Und verursachten mir doch gleichzeitig Stress." Ich kann es nachvollziehen, danke dir aber von Herzen für all die leidenschaftlichen Artikel, über die ich so oft gelacht habe.
Wer es noch nicht getan hat, der sollte sich seine Beiträge einmal durchlesen, sie sind von derart viel Eloquenz und morbider Analyse durchzogen, dass man sich tagelang auf der Seite beschäftigen kann, ohne ein Gefühl der Langeweile zu verspüren. Es bleibt eine Lücke in der deutschen ESC-Landschaft, die man mit dem Weggang von Stefan Raab vergleichen kann, der in seiner letzten TV total-Sendung entschuldigend sagte, dass er die Gesellschaft nun mit dem MDR allein lässt. Für all die schönen Momente ziehe ich aber meinen Hut und verbeuge mich vor einem tollen Schreibkollegen. Merci!
Mary Roos - Aufrecht geh'n