Norwegen - Die Europäische Rundfunkunion hatte im Vorfeld des Eurovision Song Contests 2017 einer Ausnahme für die Nutzung sogenannter "pre-recorded vocals" für die norwegische Delegation zugestimmt. In der Begründung der EBU hieß es, dass es gar nicht möglich gewesen wäre, diese Art von Stimmen mit natürlichen Möglichkeiten zu erzeugen, wodurch für "Grab the moment" eine Ausnahme geschaffen wurde.
Kann solche Töne nicht er- reichen: Aleksander Walmann |
Gestern Abend veröffentlichte Joakim With Steen, der Komponist des Songs nun ein ausführliches Statement auf Facebook, in dem er auf die kritisierten Stimmen Bezug nimmt. Hierbei setzt er sich für eine dauerhafte Änderung der Wettbewerbsregeln ein, damit der Song Contest up-to-date bleibt und Produzenten die Möglichkeit bietet, sich aktuell gängiger Arragements bedienen zu können. Er unterstreicht den Erfolg des Songs durch die Tatsache, dass der Song nach dem Finale einer der meisten gestreamten Beiträge des Jahres war.
Joakim With Steen aka Jowst |
Anders lag der Fall z.B. 1999 bei dem Titel "Marija Magdalena" von Doris Dragović. Die kroatische Delegation benutzte absichtlich verstärkende Stimmen vom Band. Dies fiel damals ausgerechnet der norwegischen Delegation auf, als Konsequenz zog die EBU Kroatien ein Drittel seiner Punkte für die Berechnung der damals geltenden Fünf-Jahres-Wertung für die Qualifikation im Folgejahr ab. Der vierte Platz selbst wurde damals nicht heruntergewertet.
Im Grunde hat Joakim With Steen mit seinem Beitrag recht, der Eurovision Song Contest sollte sich am Zeitgeist der modernen Musik orientieren, um weiterhin ein ansprechendes Programm zu liefern. Wie er selbst berechnete nutzen 18 der Top 50 in den Global Spotify Charts sogenannte Vocal Samples. Da diese durch digitale Bearbeitung nicht von menschlichen Stimmen erzeugt werden können, bedarf es einer Regeländerung durch die EBU, die ja ohnehin sehr gerne ein oder beide Augen zudrückt.
Der Wortlaut der Song Contest-Regeln besagt, dass Backing Tracks nicht ins Halbplayback integriert werden dürfen. Um in Zukunft Diskussionen mit den Delegationen zu verhindern, bedarf es einer klaren Definition im Regelwerk, welche Art von Stimmverzerrung legitim ist und welche nicht. Die Regeln des Eurovision Song Contests wurden immer wieder aktualisiert, um dem Fortschritt in TV- und Musikproduktion gerecht zu werden und somit gehe ich davon aus, dass auch hier alsbald eine Anpassung der Regeln vorgenommen wird. Ansonsten würden wir uns heute noch musikalisch im Jahr 1960 befinden. Der Wegfall der Sprachenregelung und des Orchesters zeigt, dass die EBU in dieser Hinsicht durchaus kompromissbereit ist.
Was die Europäische Rundfunkunion jedoch nie gänzlich abschaffen wird, ist der Livegesang auf der Bühne, wenngleich einige Delegationen inzwischen dazu übergegangen sind, ihre Backings hinter der Bühne zu verstecken, sie singen allerdings alle live. Dies sind Trends, die vielleicht bei der Inszenierung befremdlich sind, aber im heutigen Musikgeschäft auch außerhalb der Eurovision Anwendung finden. Für den Eurovision Song Contest 2018 wird es aber vermutlich ohnehin alles anders, "disposable music" ist in Portugal schließlich unerwünscht...
Jowst feat. Aleksander Walmann - Grab the moment