Europa - Das Sommerloch breitet sich in der Eurovisionswelt inzwischen genauso aus, wie die gruselige Wolke am Donnerstag über Hamburg, die die Stadt gegen 11:30 Uhr in absolute Dunkelheit hüllte. Ein ähnlich düsteres Thema wurde in dieser Woche zum Cocktail der Woche gewählt, nämlich "We don't wanna Putin", ein Rückblick auf Politik beim Song Contest, die dort eigentlich nichts zu suchen hat. Wir blicken zurück auf politisch motivierte Absagen, Songs, die mehr politischen Content besitzen, als die EBU vielleicht bemerkt hat und die Frage, ob der Song Contest nicht schon immer einen gewissen Grad an Politik in sich hatte.
Besitzt einen eigenen ESC- Protestsong: Wladimir Putin |
Am 12. Februar 1950 wurde auf einer Konferenz im englischen Torquay die Europäische Rundfunkunion gegründet, sechs Jahre später fand in Lugano der erste Song Contest statt. Schon damals ging es darum, das vom Krieg zerrüttete Europa durch die Kraft der Musik wieder zu vereinen. Und so schrieben sich 1956 sieben westeuropäische Nationen zusammen, um im Sinne der europäischen Werte einen verbindenden Musikwettstreit zu organisieren. Ausgesperrt wurden hingegen sämtliche Nationen hinter dem Eisernen Vorhang, die sich in der Intervision selbst organisierten.
Lediglich Jugoslawien, als blockfreier Staat mit sozialistischer Prägung, war ab 1961 mit dabei. Die übrigen Nationen Osteuropas stießen erst nach der Vereinigung von Euro- und Intervision im Jahr 1993 hinzu. Während die ersten Jahrgänge relativ klassisch und tatsächlich auch frei von Politik waren, kam es 1964 in Dänemark zu einem ersten Störfall. Damals rannte ein Mann vor der belgischen Performance auf die Bühne und rief "Nieder mit Franco, nieder mit Salazar" und protestierte gegen die Militärregimes in Spanien und dem debütierenden Portugal. Bis heute hält das dänische Fernsehen das Videomaterial unter Verschluss.
Gigliolas Auftritt bei der Eurovision bekamen die Italiener erst Wochen später zu sehen |
Auslöser der Nelkenrevolution Paulo de Carvalho (1974) |
"La vie à 25 ans" wurde vom Song Contest zurückgezogen |
Sang Spanisch und nicht auf Katalanisch: Massiel |
Mitte der 70er Jahre stießen Griechenland und die Türkei zum Eurovision Song Contest. 1975 gab die Türkei mit Semiha Yanki ihr Debüt, wenngleich sie auf dem letzten Platz landete. Griechenland boykottierte daraufhin den Wettbewerb, zu aktuell war der Zypern-Konflikt mit dem verfeindeten Nachbarn, in dessen Folge der Nordteil der Insel von türkischen Truppen besetzt und bis heute als proklamierte Türkische Republik Nordzypern gehalten wird. 1976 verzichtete die Türkei auf die Teilnahme, Griechenland schickte mit Mariza Koch eine Sängerin, die den Kampf um Zypern zum Liedthema machte.
Schaut auf Zypern: Mariza Koch (Griechenland 1976) |
Maria Rita Epik war bereits für den Song Contest in Jerusalem ausgewählt, TRT zog sich jedoch aufgrund politischen Drucks vom Wettbewerb zurück. Es hieß, mehrere arabische Staaten hätten gedroht, die Öl- und Gasleitungen in die Türkei abzudrehen, sollte man im verfeindeten Israel teilnehmen. Bezeichnenderweise hieß der Comeback-Song der Türkei im Jahr 1980 "Petr'oil" ("Öl"). Ajda Pekkan landete mit 23 Punkten auf dem 15. Platz, drei Plätze über dem debütierenden Marokko, das aufgrund der Absage Israels die Gunst der Stunde nutzte um sich zu präsentieren. Da der vorletzte Platz von Samira Bensaïd dem König des Landes nicht gefiel, verbot er dem marokkanischen Fernsehen fortan die Teilnahme am Wettbewerb.
Israel hätte den Wettbewerb 1980 nach seinem Sieg im Vorjahr allerdings ausrichten dürfen. Der Grund für die Absage lag am israelischen Gedenktag für die gefallenen israelischen Soldaten und Opfer des Terrorismus, kurz Yom haShikaron. Aufgrund israelischer Gedenktage kam es im Verlauf seiner Eurovisionsgeschichte immer wieder zu Rückzügen, u.a. wurde Israel mehrmals einem bestimmten Semifinale zugelost, da am Tag des anderen Halbfinals Gedenktage stattfanden, die eine Teilnahme Israels am Song Contest unmöglich gemacht hätten. Andererseits ist Israel über Jahre hinweg auch der Grund gewesen, warum bis heute keine arabischen Nationen beim Song Contest vertreten sind.
Versuchte es zuletzt bei "The Voice": Aline Lahoud |
Norwegens Beitrag 1980 zeigte Europa die Lappen |
Nicole gewann 1982 erstmals für die BRD den Grand Prix |
1982 setzte Griechenland zudem ein weiteres Mal aus. Diesmal ging es jedoch nicht um politische Diskrepanzen zur Türkei, sondern darum, dass die damalige griechische Kulturministerin Melina Mercouri fand, eine glorreiche Kulturnation wie Griechenland sollte nicht bei so einem "schrecklichen" Ereignis mit niveaulosen Beiträgen wie dem Eurovision Song Contest teilnehmen. Beirets ein Jahr später, als u.a. die NDW-Band Geier Sturzflug mit "Besuchen Sie Europa (solange es noch steht)" weiter auf die Pershing II-Szenarien in Europa aufmerksam machte, kehrte Griechenland mit Christie Stasinopoulou zurück.
Chris Kempers und Daniel Kovac (Deutschland 1990) |
Zu jener Zeit befand sich Europa politisch im Umbruch. Deutschland erlebte die Wiedervereinigung, die Sowjetunion befand sich in den letzten Atemzügen, die rote Flagge wurde am Abend des 25. Dezember 1991 vom Dach des Moskauer Kremls eingeholt und Jugoslawien, das 30 Jahre lang am Eurovision Song Contest teilgenommen hatte, ging im Krieg unter. 1992 präsentierte sich Jugoslawien letztmals als eigene Nation, später wurde es von der EBU suspendiert. 1993 wurden die Mitgliedssender der Intervision Teil der Eurovision und eine Änderung der Teilnahmeregeln wurde beim Song Contest erforderlich.
Fazla verkörperten den ganzen Schmerz der Welt für Bosnien |
In Handschellen auf der ESC- Bühne: Greenjolly (2005) |
Der jüngste Politik-Fall: Julia Samoylova |
Für das Zeigen der Flagge gab es eine Verwarnung |
"The negative move is killing the groove", Georgien 2009 |
The Grey People, Interval des ESC 2016 in Stockholm |
Poll: Nach der Politik biete ich für die kommende Woche etwas leichtere Kost in Form eines weiteren Cocktails an. Zur Wahl stehen die fünft Themen "Mosaik", "Mi corazon", "Moves like Jagger", "X-Files" und "Making a hit". Viel Spaß beim Abstimmen, zum Voting geht es hier.