Samstag, 17. Juni 2017

Lemon Cocktail: Tick, Trick und Track



Europa - Eine Woche, in der wir eigentlich große Ankündigungen von der EBU und dem portugiesischen Fernsehen RTP erwartet haben, geht ohne neue Erkenntnisse zu Ende. Wir müssen uns, was die Eurovision 2018 betrifft, noch ein wenig gedulden, es bietet uns aber die Gelegenheit über ein weiteres Thema des Wettbewerbs zu philosophieren, nämlich dem aktuell gewählten Cocktail, der heute auf den Namen "Tick, Trick und Track" hört. Dabei geht es nicht um Trios auf der Bühne, sondern um die Moderatoren des Song Contests.



Tick, Trick und Track
Namensgebend sind die drei ukrainsichen Hosts aus Kiew, die den Song Contest 2017 moderiert haben. Es war das erste Mal in der 62jährigen Geschichte des Wettbewerbs, dass drei Herren durch den Abend führten. Oleksander Skichko, Volodymyr Ostapchuk und Timur Miroshnychenko. Wir klären die Fragen, welche Fähigkeiten ein guter Moderator mitbringen muss, welche Moderatoren durch ihre Sidekicks am meisten überzeugt haben und auch, ob es wirklich einen Greenroom-Moderator braucht, der mit dem Geschehen auf der Bühne nichts zu tun hat.

Warmlaufen für Kiew:
Vova u. Alex bei der Probe
Diese Aufgabe fiel in diesem Jahr Timur Miroshnychenko zu, der 1986 in Kiew geboren wurde und bereits seit 2005 im ukrainischen Fernsehen als Moderator zu sehen ist. 2009 moderierte er den Junior Eurovision Song Contest an der Seite von Ani Lorak. 2007 ersetzte er Pavlo Shylko als Song Contest-Kommentator und moderierte mehrmals den nationalen Vorentscheid. In diesem Jahr wurde er in den Greenroom verfrachtet mit dem Stempel, dass er ein wandelndes Eurovisionslexikon sei. Wirklich zur Geltung kam diese Eigenschaft jedoch nicht, er führte lediglich kurze, wenig aufschlussreiche Interviews mit den Kandidaten des Jahrgangs.

Nackte Haut zieht immer
Auf der Hauptbühne lag die Tätigkeit bei Oleksandr Skichko und Volodymyr Ostapchuk (Alex und Vova). In einem lustigen Video wurde gezeigt, wie das Trio einen Crashkurs vom Vorjahresmoderator Måns Zelmerlöw erhielt und ihnen das schlechte Englisch mit starkem osteuropäischen Akzent abtrainiere und sie optimal auf den Wettbewerb vorbereitete. Tatsächlich steckt dahinter nicht nur leichte Unterhaltung sondern tatsächlich ein hartes Training. Die drei Moderatoren, die wie Tick, Trick und Track wirkten, waren nicht die High Class der Moderatoren beim Song Contest. Gerüchten zufolge sollte Milla Jovovich den Wettbewerb moderieren, mit der "Resident Evil"-Schauspielerin kam es jedoch nicht zum Vertragabschluss.


Boot Camp für die ukrainischen Moderatoren

Für einander gemacht:
Petra Mede und Måns
Ganz andere Möglichkeiten hatte da im Vorjahr das schwedische Fernsehen. Petra Mede, die schon 2013 in Malmö allein durch die drei Abende führte und dabei einen sehr souveränen Eindruck hinterlassen hatte, bekam den charming Sieger Måns Zelmerlöw an ihre Seite. Beide lieferten eine perfekte Moderation, witzig, schlagfertig und musikalisch. So kann sich natürlich auch ein Jahr nach dem Wettbewerb von Stockholm jeder an den finalen Interval-Act "Love love peace peace" erinnern, an dem auch Alexander Rybak und Lordi mitwirkten. Sie zeigten, was es ihrer Meinung nach braucht, einen perfekten Eurovisionsbeitrag abzuliefern. 

Marlène Charell reizte 1983
ihre Sprachkenntnisse aus
Auch in diesem Jahr wurde gesungen, Vova und Alex sangen ein Medley aus Eurovisionhits im Semifinale im "Ukrainian Style", Helena Paparizous "My number one", "Rise like a phoenix" von Conchita oder "Fairytale" vom Rybak wurden gemeinsam mit dem nationalen Folkorchester mit ukrainischen Vibes versetzt. Allerdings gab es bereits weit vor ihnen Moderatoren, die sich um das Pausenprogramm kümmerten. In Erinnerung blieb dabei u.a. Marlène Charell, die zwar nicht sang, aber in drei Sprachen durch den Abend moderierte und in einer nicht enden wollenden Performance als Pausenfüller über die Bühne tanzte.

Anaid Iplicjian mit den
niederländischen Siegern
Marlène Charell, die eigentlich als Angela Miebs in Winsen an der Luhe geboren wurde, hatte vor allem in den 60er und 70er Jahren Engagements von der Tanzrevue bis zu vierteiligen ZDF- und BBC-Produktion an der Seite von Engelbert Humperdinck. Trotz des ersten deutschen Sieges von Nicole im Vorjahr war sie allerdings nicht die erste deutsche Moderatorin. 1957 fand der zweite Eurovision Song Contest in Frankfurt am Main statt und wurde von Anaid Iplicjian moderiert, die in Berlin geboren wurde und in Recaps über den Song Contest vor allem durch die Szene bekannt ist, als sie vor der Europakarte Platz nahm und mit ihrer Assistentin die Juroren in Westeuropa anrief.

Ein schöner ESC-Abend:
Anke, Stefan und Judith
Durchweg positives Feedback gab es für Deutschland auch 2011 nach dem absolvierten Eurovision Song Contest in Düsseldorf. Die ARD, die in Kooperation mit ProSieben die erfolgreichste Phase der letzten Jahre einläutete, stellte Tagesschau-Sprecherin Judith Rakers an die Seite von Anke Engelke und Stefan Raab. Insbesondere mit Anke Engelke, die von sich selbst behauptet, passionierte Song Contest-Guckerin zu sein, waren die drei Shows unterhaltsam und kurzweilig. Anke und Stefan stimmten in einer Pause zwischen den Songs ein Medley bekannter Song Contest-Hits an und schlugen sich dabei gegenseitig die Zähne aus. Sie bewiesen, dass auch Deutsche Humor haben können.

Anke, die in Montreal geboren wurde und dreisprachig aufwuchs, absolvierte die Eurovision in fehlerfreiem Französisch, der zweiten Sprache, die beim Eurovision Song Contest heute eine eher untergeordnete Rolle spielt, trotzdem ihren Platz eingeräumt bekommt und an der einige Moderatoren gnadenlos scheitern. Was habe ich herzlich gelacht, als Russland 2009 in den Halbfinals ein Model namens Natalya Vodianova auf die Bühne stellte, die offenbar weder mit der Materie des Wettbewerbs noch mit irgendeiner Sprache außer dem Russischen vertraut war.

Ein Zusammenschnitt zum Zusammenzucken

Überdreht und unsympathisch
Natalia und Andrey
Nicht zuletzt der schmierige Co-Moderator Andrey Malakhov und die völlig übersteuerte Bekanntgabe der Finalisten machten den Wettbewerb zu einem atmosphärisch extrem kühlen Unterfangen. Glücklicherweise hatte der Sender Channel One im Finale mit Alsou und Ivan Urgant zwei Moderatoren verpflichten können, die zumindest schon einmal Englisch gesprochen haben und sich bemühten, durch die pompös aufgezogene Show des russischen Fernsehens zu führen. Russland gab sich viel zu verkrampft Mühe alles bisher dagewesene in den Schatten zu stellen, der Cirque du Soleil wurde eingekauft, t.A.T.u. sangen im Halbfinale und der argentinische Zirkus Fuerza Bruta als Interval ließ die Qualitäten der Moderatoren verschwindend gering wirken.

Mikko Leppilampi und
Jaana Pelkonen (2007)
Das weniger manchmal mehr ist, zeigten die Finnen 2007. Jaana Pelkonen und Mikko Leppilampi führten unbekümmert und ohne großes Drama durch den Wettbewerb in Helsinki. Verstörender war dabei schon das Engagement der Greenroom-Moderatorin Krisse Salminen, die in Finnland vor allem für Stand up-Comedy bekannt war und im pinken Tüllkleid versuchte, den Teilnehmern Gespräche aufzuzwängen. Nach der Leistung von Ruslana und den Klitschkos 2005 in Kiew im Greenroom stellte sich einmal mehr die Frage, ob es überhaupt ordentliche Greenroom-Hosts gibt.

Frauen-Quartett in Wien:
Conchita, Arabella, Mirjam
und Alice 2015
Ein einziges Mal, nämlich 2015, schaffte es die Greenroom-Moderatorin den Hosts auf der Bühne die Show zu stehlen. Der ORF engagierte Conchita Wurst, die Ikone von Kopenhagen, für die Interviews mit den Interpreten. Es waren ihre Spiele, da sie an Haken befestigt durch die Halle schwebte (etwas das man sonst nur auf Helene Fischer-Konzerten sieht), mehrmals singen durfte und von den Fans schon seit Kopenhagen geliebt wurde. Blass wirkte dabei das Trio auf der Bühne, Alice Tumler , Mirjam Weichselbraun und Arabella Kiesbauer, die hierzulande durch ihre 90er Jahre-Talkshow noch eine gewisse Bekanntheit hatte. Brustschwach auch ihr Playback-Opening zu den Tönen von "Building bridges".

Lise und Conchita 2014
Ganz andere Brücken schlugen dabei die Moderatoren von Kopenhagen. Lise Rønne, die in Dänemark durch ihre Moderation von X-Factor und des Dansk Melodi Grand Prix bekannt war, solidarisierte sich bereits im Vorfeld mit Conchita und schlug ihr vor ein Duett aufzunehmen, bewirtete die Franzosen mit Essen von ihrem Lieblingschinesen und stimmte gemeinsam mit ihren Kollegen Nikolaj Koppel und Pilou Asbæk den "12 Point Song" an, der so etwas wie eine Prophezeiung war, da das chinesische Fernsehen Hunan TV schon im Jahr darauf in die Übertragung des Wettbewerbs einstieg.


The 12 Point Song - Dänemark 2014

Das erste Trio beim Eurovision Song Contest gab es 1999 in Jerusalem. Dafna Dekel, die 1992 selbst am Wettbewerb teilnahm und mit "Ze rak sport" Sechste wurde, die israelische Glücksrad-Buchstabenfee Sigal Shachmon und Radio- und TV-Moderator Yigal Ravid moderierten den letzten Wettbewerb der 90er Jahre. Die Moderation war damals noch etwas steifer als es heutzutage der Fall war, Dafna und Sigal sangen aber auch damals schon, ein Prosit auf das neue Jahrtausend "Le'chaim" aus dem Musical Anatevka. 

Der unvergessene Auftritt
der Lill Lindfors 1985
Dafna war nicht die einzige Moderatorin, die zuvor als Interpretin am Wettbewerb teilgenommen hatte, 1976 moderierte Corry Brokken für das niederländische Fernsehen, 1985 war es Lill Lindfors, die für ihren Fauxpas mit dem Trickkleid noch heute zu den goldenen Momenten der Eurovisionsgeschichte zählt, als sie sich beim Gehen in ihrem Kleid verhedderte und im Unterhöschen auf der Bühne stand. Später holten sich die gastgebenden Sender immer wieder ehemalige Teilnehmer der Eurovision als Moderatoren auf die Bühne.

Eurovisionsteilnehmer, die die Show auch moderieren durften:
- 1976 -  Corry Brokken
- 1979 -  Yardena Arazi & Daniel Pe'er
- 1985 -  Lill Lindfors
- 1986 -  Åse Kleveland
- 1991 -  Gigliola Cinquetti & Toto Cutugno
- 1999 -  Dafna Dekel, Sigal Shachmon, Yigal Ravid
- 2003 -  Marie N, Reinārs Kaupers 
- 2006 -  Maria Menounos, Sakis Rouvas
- 2008 -  Jovana Janković, Željko Joksimović
- 2009 -  Alsou, Ivan Urgant (im Finale)
- 2011 -  Anke Engelke, Judith Rakers, Stefan Raab
- 2012 -  Eldar Qasımov, Leyla Əliyeva,  Nərgiz Birk-Petersen
- 2016 -  Petra Mede, Måns Zelmerlöw

Moderatoren 1996: Morten
Harket und Ingvila Bryn
Nur einmal in der Song Contest-Geschichte, nämlich beim allerersten Wettbewerb 1956, moderierte mit Lohengrin Filipello, ein männlicher Solomoderator, Damen gab es in dieser Beziehung häufiger, u.a. Katie Boyle, die den Wettbewerb für die BBC gleich viermal moderierte. Besondere Momente lieferten uns einige Moderatoren bei der Punktevergabe. Legendär war die norwegische Nachrichtensprecherin Ingvild Bryn, die gleichwohl ironisch als auch bösartig der schwedischen Punktesprecherin vorrechnete, dass Norwegen punktetechnisch deutlich in Vorleistung gegangen sei. 

Ulrika Jonsson, 1998 neben Terry Wogan Moderatorin von Birmingham, sorgte für Gelächter, als sie die niederländische Punktesprecherin Conny van den Bos, die erklärte, man sie die Gefühle der Künstler nachempfinden kann, mit den Worten "You have taken part a long time ago" herzte. Ulrika und Terry Wogan wurden vergangenes Jahr in einer Online-Abstimmung zu den besten Moderatoren der 90er gewählt. 2000 lockerten Kattis Ahlström und Anders Lundin gleich zu Beginn der Show die Stimmung, indem Kattis ihren Text aus einem falsch herum gehaltenen Buch ablas und Europa rückwärts gesprochen begrüßte. 


Nicht charmant aber auch heute noch lustig

Entsetzt Gucken oder lächeln
und winken: Leyla und Eldar
Wenig spontan fiel das Script ein Jahr später bei den dänischen Moderatoren Natasja Crone und Søren Pilmark aus. Zwar ließen sie eine Fake-Trophäe zerbrechen, den ganzen Abend über führten sie allerdings in Reimen durch die Show. Die Kostümierung und die stocksteife Moderation brachte den beiden die Spitznamen "Dr. Death und die Zahnfee" ein. Die staatlich abgesegneten Moderatoren von 2012 in Baku ließen sich dafür von Sarah Dawn Finer in ihrer Rolle als Lynda Woodruff aus dem Konzept bringen, als sie sich herzlichst bei "Azerjaban, Azer-, Baku" bedankte. Der Blick von Leyla Əliyeva, die nicht verwandt oder verschwägert mit Aserbaidschans Diktator İlham Əliyev ist, ist wie es in einem MasterCard-Werbespot heißt, unbezahlbar.

Unser bester Moment, Pokal-
übergabe 2010 in Oslo
Genauso unbezahlbar ist aus deutscher Sicht die Moderation von Nadia HasnaouiErik Solbakken und Haddy N'jie in Oslo. Dies aber allein aus dem Grund, dass Nadia Hasnaoui am Ende der Show Lena als Siegerin des Eurovision Song Contests 2010 anmoderieren durfte. Wir dürfen gespannt sein, wen uns die Portugiesen im kommenden Jahr als Moderatoren anbieten, zunächst einmal aber geklärt werden, wann die Party 2018 überhaupt steigt. Der Sommer ist noch lang genug, um entsprechende Entscheidungen zu treffen.



Poll: Er ist außerdem lang genug, um noch ein paar Cocktails zu verteilen. In dieser Woche biete ich die Themen "Shakespeare", "Grundschulzeit", "We don't wanna Putin", "And finally..." und "Blizzard & Inferno" an. Viel Spaß bei der Abstimmung zu der es hier geht und natürlich ein schönes Wochenende allerseits.