Mittwoch, 16. September 2009

Memories: Eurovision Song Contest 1963


Großbritannien Am Samstag den 23. März 1963 fand der achte Eurovision Song Contest im BBC Television Centre in London statt. Zugleich sollte es der umstrittenste Wettbewerb in seiner Geschichte werden. Gleich mehrere Dinge über die Show scheinen bis heute, über 40 Jahre später, noch ungeklärt und verschiedene Gerüchte und Mythen halten sich um die Organisation, Durchführung und insbesondere die Punkteverteilung in jenem Jahr.

Obwohl das Vereinigte Königreich bis dato keinen Sieg beim Song Contest errungen hatte, trug die BBC bereits den zweiten Wettbewerb aus. Die Siegernation des Vorjahres Frankreich weigerte sich den Wettbewerb schon wieder auszurichten und somit vergab die EBU den Zuschlag an Großbritannien. Durch den Abend führte wieder Katie Boyle, die diese Aufgabe schon 1960 übernahm. Erneut nahmen die gleichen Nationen wie im Vorjahr teil.

Strittig ist bis heute, wie der Abend genau ablief. Offenbar fand die Übertragung aus zwei verschiedenen Studios statt. Das Publikum und das Wertungstableu sollen angeblich aus Platzgründen in einem anderen Studio untergebracht worden sein, als die auftretenden Interpreten. Zudem verhärtet sich der Verdacht, dass Teile der Sendung bereits im Vorfeld aufgenommen wurden, da der Umbau der Bühne überraschend zügig bewältigt wurde und auch die Stimmen sollen als Playback eingespielt worden sein. Anders kann man sich nicht erklären, warum während der ganzen Sendung kein einziges Mikrofon sehen kann. Die EBU und die BBC bestreiten dies bis heute vehement, es soll versteckte Mikrofone und Tonangeln gegeben haben. Belegen kann man das natürlich nicht.

Den skandalumwitterten Abend eröffnete der Brite Ronnie Carroll, der auch im Vorjahr schon für Großbritannien an den Start ging. Wie auch schon 1962 errang er für die Insel einen vierten Platz. Erste Zweifel am Livegesang kamen bereits hier auf, da der Backgroundchor zu "Say wonderful things" augenscheinlich vom Band kam.

An Startposition drei trat die BR Deutschland mit Heidi Brühl an. Diese hatte sich zuvor bereits 1960 mit "Wir wollen niemals auseinandergehn" erfolglos um die Teilnahme beworben. Um ihr eine weitere Pleite im Vorentscheid zu ersparen buchte der verantwortliche Hessische Rundfunk Heidi Brühl exklusiv und ließ sie im HR-Sendesaal von Frankfurt fünf Lieder singen. Entscheiden durften die Zuschauer per Postkarte. Das Mädchen vom Immenhof, durch den sich Brühl zu jener Zeit einer frenetischen Beliebtheit erfreute, fuhr mit dem Schlager "Marcel" nach London, wo sie allerdings nur den neunten Rang erreichte. Im Sinne von Hans-Otto Grünefeldt dürfte das nicht gewesen sein.

Nach ihrem mäßigen Abschneiden in London ging Heidi Brühl nach Rom und heiratete wenig später den amerikanischen Schauspieler Brett Halsey. 1970 ging sie in die USA und trat dort u.a. in Las Vegas auf. Mitte der 70er folgte die Neuauflage der Immenhof-Filme, in den 80ern feierte sie nochmals ein musikalisches Comeback. 1991 starb sie in Starnberg an einem Krebsleiden, beigesetzt wurde sie auf dem Münchener Waldfriedhof.

Zwei Plätze vor Heidi Brühl landete die, in Israel geborene, Sängerin Carmela Corren. Sie nahm im Jahr zuvor mit "Eine Rose aus Santa Monica" an den Deutschen Schlagerfestspielen und somit am deutschen Song Contest-Vorentscheid teil. Das Lied wurde ihr größter Erfolg. 1963 ging sie nun für den Österreichischen Rundfunk mit "Vielleicht geschieht ein Wunder" an den Start. Laut deutscher Wikipedia lebt Carmela Corren heute aus dem Musikgeschäft zurückgezogen in Florida.

Nachdem 1962 vier Nationen aufgrund des neuen Wertungssystems ohne einen einzigen Punkt nach Hause fuhren, ergänzte die EBU das Wertungssystem um 5 und 4 Punkte. Jedes Land konnte nun seine Top 5 bewerten. Dem Ergebnis an sich hat es jedoch nichts gebracht, wieder fuhren vier Kandidaten, Annie Palmen aus den Niederlanden, Laila Halme aus Finnland, Monica Zetterlund aus Schweden und Anita Thallaug aus Norwegen, ohne Punkte heim.

Der norwegische Beitrag "Solhverv" sollte ursprünglich von Nora Brockstedt gesungen werden, da sie beim Vorentscheid die Nase vorn hatte. Gerüchten zufolge soll sie nicht aus Zeitmangel sondern aus Angst vor einem schlechten Abschneiden in London abgesagt haben. Somit wurde die Drittplatzierte Anita Thallaug nominiert. Aufgrund der Nullnummer beim Song Contest nahm sie den Titel nie als Single auf.

Für Jugoslawien trat der kroatische Sänger Vice Vukov an. Auch er nahm bereits im Jahr zuvor am jugoslawischen Vorentscheid teil. Mit "Brodovi" erreichte er in London den elften Platz. 1965 sollte er noch einmal mit "Čežnja" zurückkommen und den zwölften Platz erreichen. Da er Mitglied einer Bewegung war, die sich für Unabhängigkeit Kroatiens von Jugoslawiens einsetzte, erhielt Vukov von Tito zwischen den 70er Jahren und 1989 ein Auftrittsverbot auferlegt. Nach der Unabhängigkeit Kroatiens wurde er kroatische Parlamentsmitglied. Er starb im September 2008 an den Folgen einer Kopfverletzung die er sich durch einen Sturz im Parlament zuzog.

Stark vertreten waren in diesem Jahr die französischsprachigen Nationen. Luxemburg schickte die erste Brillenträgerin zum Wettbewerb, die zu den erfolgreichsten Teilnehmern überhaupt werden sollte. Nana Mouskouri wurde 1934 auf Kreta geboren und wurde spätestens durch "Weiße Rosen aus Athen" in Deutschland erfolgreich. Zuvor hatte sie bereits ein griechisches Musikfestival gewonnen, trat mit Stars wie Mikis Theodorakis auf und veröffentlichte bis heute über 250 Millionen Tonträger.

Mit "A force de prier" ("Die Kraft des Gebets") konnte sie für Luxemburg damals jedoch nicht mehr als eine Platzierung im Mittelfeld herausholen. Ihre Ballade erreichte lediglich den zehnten Platz. Nana Mouskouri war zwischen 1994 und 1999 auch als griechische Europaabgeordnete tätig und trat zuletzt 2006 beim Eurovision Song Contest auf, als sie das Voting des Finales in Athen eröffnete.

Auch Monaco kaufte sich im Ausland ein, das Fürstentum ging mit Françoise Hardy an den Start. Diese hatte im Jahr zuvor mit "Tous les garçons et les filles" einen Erfolg in Frankreich gelandet. Ihren Wettbewerbstitel "L'amour s'en va" hatte sie selbst geschrieben. Ihre frühen Karrierejahre versucht die Sängerin heutzutage jedoch aus ihren Memoiren zu verdrängen. In einem Interview bekräftigte Hardy, dass 1963 live gesungen wurde. Das hätte man daran erkannt, dass sie an dem Abend "sehr schlecht gesungen" hat. Trotzdem reichte es für den fünften Rang, den sie sich mit ihrem Landsmann Alain Barrière teilte.

Eine weitere israelische Sängerin trat für die Schweiz an. Esther Ofarim, die 1961 ihren Filmpartner Abraham Reichstadt heiratete, gewann den Schweizer Vorentscheid mit ihrem "T'en vas pas" ("Geh nicht") und fuhr als Favoritin nach London. Internationale Berühmtheit erreichten beide als Duo Esther & Abi Ofarim. Doch zurück zum Song Contest und seinem Wertungsskandal...

Die Wertung verlief bis zur norwegischen Punktevergabe reibungslos. Katie Boyle rief die Jury in Oslo auf, die begann ihre Punkte vorzulesen, jedoch nicht die richtigen Ziffern der Beiträge verlas. Katie Boyle bat den Juroren noch einmal von vorne zu beginnen. Man hörte das Rascheln von Wertungsbögen, bis sich der Jurysprecher entschuldigte und um "Bedenkzeit" bat. Katie Boyle gewährte ihm diese und hing die norwegische Wertung ans Ende der Punktevergabe.

Nachdem Luxemburg als letztes reguläres Land seine Punkte vergab führte Esther Ofarim aus der Schweiz mit 39 Punkten vor dem Ehepaar Ingmann aus Dänemark, die 38 Punkte hatten, der Italiener Emilio Pericoli lag auf dem dritten Rang mit 34 Punkten. Bei ihrem zweiten Aufruf gab die norwegische Jury eine vollkommen andere Wertung als im ersten Anlauf ab, der Nachbar aus Dänemark erhielt plötzlich vier statt zuvor zwei Zähler, die Schweiz nur einen Punkt, zuvor waren es noch drei. Italien erhielt ursprünglich fünf, später nur drei Punkte. Somit gewann Dänemark mit zwei Punkten Vorsprung den Wettbewerb 1963.

Die Schweiz fühlte sich um ihren Sieg betrogen, jahrelang gab es die wildesten Spekulationen um die skurrile Punktevergabe, so soll der Punktesprecher als einziger Juror noch anwesend gewesen sein und nur seine eigene Wertung vorgelesen haben. Die EBU argumentierte offiziell, dass man Norwegen versehentlich nicht mitteilte, dass die Anzahl der Juroren reduziert worden war. Erst in den 90er Jahren gelang es dem norwegischen Fanclub, die Wertungsbögen von damals wiederzubeschaffen. Die Auszählung ergab, dass Dänemark der rechtmäßige Sieger war. Weshalb zuvor eine andere Wertung durchgegeben wurde ist bis heute nicht geklärt.

Hinter dem Siegerpärchen verbargen sich das Ehepaar Grethe und Jørgen Ingmann mit ihrem Lied "Dansevise" ("Tanzwiese"). Das Duo setzte sich beim dänischen Vorentscheid u.a. gegen Gitte Hænning, Dario Campeotto und Birthe Wilke durch. Grethe Ingmann im gleichen Jahr das Lied "Der King von Soho" bei den Deutschen Schlagerfestspielen in Baden-Baden. Die Ehe hielt bis 1975. Sie starb in den 90er Jahren an Krebs, er war später Komponist tätig, u.a. war sein "Echo Boogie" jahrelang Erkennungsmelodie der "Aktuellen Schaubude" im NDR.

Der Eurovision Song Contest 1964 sollte also erstmals in einem skandinavischen Land ausgetragen werden. Doch auch hier lief nicht alles glatt über die Bühne...

Die Teilnehmer:
01. - 042 - Grethe & Jørgen Ingmann - Dansevise 
02. - 040 - Esther Ofarim - T'en vas pas 
03. - 037 - Emilio Pericoli - Uno per tutte 
04. - 028 - Ronnie Carroll - Say wonderful things 
05. - 025 - Alain Barrière - Elle etait si jolie 
05. - 025 - Françoise Hardy - L'amour s'en va 
07. - 016 - Carmela Corren - Vielleicht geschieht ein Wunder 
08. - 013 - Nana Mouskouri - A force de prier 
09. - 005 - Heidi Brühl - Marcel 
10. - 004 -  Jacques Raymond - Waarom 
11. - 003 - Vice Vukov - Brodovi 
12. - 002 - José Guardiola - Algo prodigioso 
13. - 000 - Annie Palmen - Een speeldoos 
13. - 000 - Anita Thallaug - Solvherv 
13. - 000 - Laila Halme - Muistejeni laulu 
13. - 000 - Monica Zetterlund - En gång i Stockholm