Sonntag, 21. Februar 2016

Eurovision am Sonntag (36)



Europa - Sonntags knöpfen wir uns für gewöhnlich die Themen der Woche noch einmal vor. Müsste man den Eurovision Song Contest 2016 schon jetzt in Worte fassen, würde meine Kurzbeschreibung "Klassentreffen in neuer Aufmachung" lauten. Denn in den letzten Wochen und insbesondere in den letzten Tagen haben sich diverse Ehemalige auf den Weg Richtung Stockholm gemacht. Zudem hat die Reference Group des Eurovision Song Contests das Voting erstmals seit 1975 grundsaniert, aber dazu später.

Könnte auch noch dazustoßen:
Edyta Górniak aus Polen
Sechs Kandidaten treten erneut für ihr Land an, in dieser Woche kam die bulgarische Sängerin Poli Genova hinzu, gestern Abend noch Greta Salóme, die schon einmal an der Seite von Jónsi für Island dabei war. Und es könnten noch mehr Kandidaten werden, die schon einmal Eurovisionsluft geschnuppert haben, in Polen beispielsweise steht Edyta Górniak in den Startlöchern, in Litauen buhlen Erica Jennings von Skamp und Donny Montell um das Startticket und auch Mihai in Rumänien ist nicht chancenlos. Seit dieser Woche kennen wir auch den bosnischen Beitrag "Ljubav je" von Deen & Dalal.

Bosnien-Herzegowina fehlte seit Baku im Kreis der Eurovision. Auch in diesem Jahr ist man nur dabei, weil es private Kostenträger gab und ich muss sagen "Gott sei Dank!", denn das nominierte Lied ist genau das, wofür wir Bosnien mögen, ein klassischer Balkansound vorgetragen von zwei Interpreten, die fantastische Stimmen für diesen Beitrag haben. Deen, der im rosa Unterhemd noch "In the disco" präsentierte, hat sich einen Goatee und lichtes Haupthaar zugelegt, wird Bosnien-Herzegowina aber garantiert ins Finale bringen. Ich verwette 50 Euro darauf, ansonsten gibt es auf diesem Planeten keine Gerechtigkeit. 

Fremdbestimmung nach über
1.300 Jahren? San Marino
Ob es hingegen gerecht ist, kleinen Nationen die demokratische Wahl beim Eurovision Song Contest abzusprechen, bleibt hingegen im Raum stehen. Es geht primär um San Marino. Nach den Regeländerungen bezüglich des Votings wurden die 32.789 Einwohner der kleinen Republik, die es bereits seit dem Jahr 301 n.Chr. gibt, quasi entmündigt. Zwar griff auch bisher immer nur die Jurywertung des Landes, da man einfach kein vernünftiges Televoting auf die Beine stellen konnte, dass nunmehr aber ein Querschnitt vorab festgelegter Nationen stellvertretend für das sanmarinesische Televoting sein soll, kann einen irgendwie ziemlich fuchsen.

Man stelle sich vor: aus irgendwelchen Gründen ist das deutsche Televotingergebnis nicht gültig. Die Europäische Rundfunkunion wendet ihren vorab festgelegten Wertungsschlüssel an. Dann kann es durchaus sein, dass nicht der Televotingfavorit aus Belgien die zwölf Punkte erhält, sondern der Favorit, den Österreich, Italien, die Niederlande, Polen und Norwegen als gemeinsamen Nenner haben. Und genauso verhält es sich, wenn auch auf kleinerer Ebene, mit den Kleinstaaten Europas, insbesondere San Marino, das als einziges momentan vertreten ist. 

Fortan darf Deutschland
24 Punkte vergeben
Früher war es so, dass die sanmarinesische Wertung dann 100% der Länderpunkte ausgemacht hat. Dort saßen immerhin fünf Sanmarinesen, die für "ihr" Land werten durften. Das dürfen sie zwar immer noch, unabhängig von den Televotingergebnissen vergibt eine Länderjury ebenfalls zwölf, zehn, acht ... Punkte, diese wiegen jedoch nur noch halb so viel, da die Televotingstimmen quasi fremdbestimmt aber nicht von San Marino ausgehen. Es bedarf einer Testphase, die wir im Mai erstmals erleben werden. Dann werden wir sehen, inwiefern es dort Auffälligkeiten geben wird, ich finde insbesondere bei solchen Wertungen hat das neue Punkteverfahren etwas von modernem Kolonialismus. 

Ansonsten hat man sich an das Konzept der neuen Bewertung fix gewöhnt finde ich, man kennt das ja bereits vom Melodifestivalen und kann sich vorstellen, wie es in der Praxis aussehen wird. Anders als beim Melodifestivalen wählt aber nicht nur ein Land, in diesem Falle Schweden, sondern 43 Nationen vom Nordpolarkreis bis in die Grenze des Kaukasus und die Sinai-Halbinsel. Die Televotingstimmen werden gesammelt präsentiert, das heißt alle Stimmen die z.B. Großbritannien im Televoting erhält, werden unabhängig von wem sie kommen direkt auf das Scoreboard übertragen. Dabei sieht der Zuschauer nicht, wie viele Punkte davon aus Irland, Frankreich, Kroatien stammen oder ob der eigene Anruf sich für Großbritannien gelohnt hat. 

Zoë erfährt erst nach der
Show, ob es Punkte aus
Deutschland gab
Und in diesem Punkt bin ich ausnahmsweise mit dem Eurovision.de-Blogger Jan Feddersen d'accord. Ich als Zuschauer, der sich bei den Anrufen für "Germany's Next Topmodel", "Let's dance" und dem Dschungelcamp raushält und einmal im Jahr für meinen musikalischen Liebling abstimmt, möchte wissen, ob mein einer Anruf für die Ukraine sich in Punkte niederschlägt oder ob ich von der bosnischen Diaspora, den Fans von Sergej Lazarev oder den Österreichern überboten wurde. Jetzt, wo das Televoting nicht mehr von der Jury herabgestuft werden kann, sondern wirklich gleichwertig an dessen Seite existiert, ist das Ergebnis aus den Anrufen doch wieder wirklich interessant.

Stattdessen verweist die Europäische Rundfunkunion auf die offizielle Website, auf der nach dem Ende der Show alle Einzelbewertungen niedergeschrieben stehen. Ich freue mich bereits auf die Nacht des 15. Mai, in der ich bis vier Uhr morgens die Einzelwertungen zerlegen muss, um in meinem Abschlussposting darauf einzugehen, welches der 26 Länder im Finale von anderen Ländern wie viele Punkte bekommen hat, weil es während der Liveshow nicht bekannt gegeben wird. An diesem Punkt sollte die EBU noch einmal arbeiten, dennoch finde ich die neue Regelung in Ordnung. Für die Nationen beim Eurovision Song Contest stehen in diesem Jahr theoretisch vierstellige Punktezahlen offen, sollte ein Land tatsächlich 84x die volle Punktezahl erhalten. Umso schwerer wird es für die Ann Sophie nachfolgenden Interpreten, null Punkte zu sammeln. 

Zuletzt wurde das Voting beim Eurovision Song Contest so radikal im Jahre 1975, ebenfalls auf schwedischem Boden geändert. Damals, im Stadtteil Älvsjö trat für uns Joy Fleming an, die den 17. Platz belegte. Es gewann die Gruppe Teach-In aus den Niederlanden mit 152 Punkten. Zuvor, im Jahr als ABBA gewannen, saßen in jedem Land zehn Juroren, die exakt eine Stimme hatten. So konnte "Waterloo" damals mit 24 Punkten den Song Contest in Brighton gewinnen. Heuer dürfte man froh sein, wenn man mit 24 Zählern nicht die rote Laterne kassiert. Ich bin sehr gespannt, auf das neue Voting beim Eurovision Song Contest, auch wenn ich nun fast nur kritisiert habe, es verspricht bis zuletzt ein äußerst spannendes Punkteauszählen zu werden und für die Statistiknerds der Eurovision dürfte das Sommerloch nun genügend Zündstoff bieten.