Donnerstag, 18. Februar 2016

Eurovision 2016: Willkommen beim Melodifestivalen 2.0!



Europa - Der Eurovision Song Contest verkommt nun also wirklich zum Melodifestivalen, SVT hat seine Forderung durchsetzen können und in Zusammenarbeit mit der Europäischen Rundfunkunion die radikalste Änderung am Voting seit 1975(!) durchgeführt. Das komplette Prozedere, wie wir es gewöhnt sind, wird an die Wand geklatscht und durch ein neues Verfahren ersetzt, welches wir hoffentlich korrekt erklärt einmal aufschlüsseln möchten.

Die Semifinals bleiben in ihrer Form bestehen, nach den Performances werden die zehn Finalisten bekannt gegeben, die detaillierten Ergebnisse werden in der Nacht zum Sonntag online publiziert, allerdings ebenfalls nach dem neuen Wertungsschema kalkuliert. Der Ablauf im Finale ist zunächst ebenfalls wie gehabt, die Kandidaten singen, anschließend gibt es das obligatorische Votingfenster. Die Aufschlüsselung der Punkte ist jedoch grundsätzlich neu sortiert. Somit hat ein Land fortan 24 Punkte zur Verfügung, nicht mehr nur zwölf Zähler, wie es seit 1975 der Fall war.


Haben demnächst weniger
zu tun: die Spokespersons
Jury- und Televotingstimmen werden fortan getrennt ins Endergebnis des Eurovision Song Contests einfließen. Nach dem Voting werden die Spokespersons aller 43 Nationen aufgerufen. Diese sagen jedoch nur noch die zwölf Punkte der Juroren an, alle übrigen Ergebnisse der Jury werden eingeblendet. Somit gibt es auch keine "eight points" und "ten points" mehr aus Reykjavik, Baku, Tallinn, Madrid und Ljubljana in mündlicher Form.

Nachdem alle 43 Nationen ihre Jurywertungen bekannt gegeben haben, stehen 50% des Ergebnisses auf dem Punktetableu. Anschließend und nun kommen wir in den Kreis des Melodifestivalen, werden alle Punkte aus dem Televoting (43x 12, 10, 8... = also insgesamt 2.494 Punkte) von den Moderatoren des Eurovision Song Contests, in diesem Fall Petra Mede und Måns Zelmerlöw, gebündelt präsentiert. Das Land, das von allen Nationen im Televoting die wenigsten Punkte bekommen hat, bekommt diese als erstes mitgeteilt.


Das Ende vom Lied 2011
Ein Beispiel: Georgien hat im Finale lediglich aus Albanien zwei Punkte und aus Moldawien vier Punkte erhalten. Somit erhält Georgien insgesamt sechs Punkte zum Juryvoting gutgeschrieben. Das Land endet auf dem letzten Platz. Anschließend bekommen nach und nach alle Länder aufsteigend die Punkte aus dem Televoting aufaddiert. Somit bleibt bis zum Ende der Punktevergabe offen, welcher Beitrag tatsächlich Sieger des Eurovision Song Contests ist.

Zumindest während der Liveshow wird somit aber nicht mehr erläutert, welcher Interpret aus den einzelnen Nationen die 12er etc. eingeheimst hat. Wie das deutsche Publikum abgestimmt hat, erfährt man also entweder von Peter Urban oder nachträglich erst online auf Eurovision.tv. Problematisch wird es, wenn Wertungen der Juroren für ungültig erklärt werden, wie es letztes Jahr z.B. in Mazedonien und Montenegro der Fall war. Das kann zu peinlichen Ausfällen führen. 


In Schweden hat das System
beim MF funktioniert
Sollte dies der Fall sein oder kein vernünftiges Televotingergebnis in einem Land zustande kommen, basieren die vergebenen Punkte laut EBU auf der Grundlage einer vorab selektierten Gruppe von Juroren bzw. Zuschauern in einer handvoll erlesener Länder ("Therefore, if - for whatever reason - a country cannot deliver a valid jury result, a substitute result is calculated by the jury result of a pre-selected group of countries. These groups and their composition have been pre-approved by the EBU permanent services and the Reference Group of the Eurovision Song Contest").

Bei einem Gleichstand, sei es der erste oder der 22. Platz, ist die Nation besser platziert, die aus mehr Nationen Punkte erhalten hat. Die Regel, dass die Häufigkeit der 12 Punkte den Ausschlag gibt, verfällt nun ebenfalls, zumindest sofern eindeutig aus der Anzahl der Nationen die Punkte vergeben haben, ein Ergebnis gebildet werden kann. Ist dies ebenfalls nicht der Fall greift die übliche Methode, dass die Häufigkeit der 12er, anschließend der 10er und so weiter die Platzierungen bestimmt. 

Maximale Transparenz bietet dieses Wertungssystem meiner Meinung nach nicht. Für den schwedischen Vorentscheid mag dieses System funktionieren, für den großen Eurovision Song Contest, dessen klassisches Punkteschema eine heilige und unantastbare Grundlage für den Erfolg des Wettbewerbs war, halte ich das neue System für schwierig. Laut Jon Ola Sand ist dieses Prinzip bereits seit 2012 im Gespräch, nun erhofft man sich: "Die neue Art der Präsentation ist ein großer Schritt hin zu einer besseren Fernsehshow und einem spannenderen Wettbewerb."


Der Teufel (oben links) und
seine Schergen von der EBU
Durch die Neuregelung haben jetzt natürlich mehr Nationen die Möglichkeit Punkte zu erhalten, die beim kombinierten, alten Verfahren leer ausgegangen wären, etwa Deutschland und Österreich in Wien. Zudem erhält der Interpret auch tatsächlich von den Zuschauern zwölf Punkte, der es verdient hat, die Juroren werten vollkommen autark in ihrem eigenen Kosmos. Verantwortlich für das neue System zeigt sich vor allem der Schirmherr von SVT, Christer Björkman, der stolz darauf ist, das neue Votingprinzip erstmals europaweit einzusetzen. In Schweden wurde vor 40 Jahren, das bis zum heutigen Tage geläufige Wertungsverfahren eingesetzt.

Mir stellt sich die Frage, warum die "uninteressanteren" Jurywertungen öffentlich angesagt werden, die Televotingstimmen allerdings zusammengefasst werden. Meiner Meinung nach wäre es genau andersrum interessanter, wenn die Jurystimmen erst von den Moderatoren häppchenweise vorgelesen werden und die Spokespersons im Anschluss die Top drei der jeweiligen Länder vorlesen, aber gut... Die Länge des Finals soll auf Schätzungen der EBU basierend weiterhin bei rund 3,5 Stunden liegen. Feuer frei!


So wird ab 2016 gewählt und gewertet