Freitag, 26. Juni 2009

Memories: Die ESC-Geschichte von Jugoslawien

Jugoslawien - Anhand des Eurovision Song Contests wurde zu Beginn der 90er Jahre auch der politische Umbruch in Europa deutlich. So besangen 1990 in Zagreb mehrere Nationen den Fall des Eisernen Vorhangs, einige, darunter auch die BRD konnten damit punkten, andere weniger („Brandenburger Tor“ auf Norwegisch zum Beispiel), Länder des Warschauer Paktes wurden Mitglied der EBU, während das osteuropäische Gegenstück, die Intervision aufgelöst wurde. Viele neue Länder kamen zum Eurovision Song Contest und eines hörte auf zu existieren - Jugoslawien.
Dieses Posting setzt sich mit der Geschichte Jugoslawiens beim Eurovision Song Contest auseinander, die im Gegensatz zu der aller anderen osteuropäischen Länder bereits sehr früh begann. Das jugoslawische Staatsfernsehen (Jugoslavenska Radio-Televizija, JRT) war sogar eines der Gründungsmitglieder der Europäischen Rundfunkunion und setzte sich aus mehreren Sendern der Teilrepubliken zusammen. Sein Debüt gab Jugoslawien 1961 in Cannes.
Die Ehre, das Land als Erste zu vertreten, gebührte Ljiljana Petrović, einer damals noch unbekannten jungen Sängerin aus Novi Sad, die mit dem Lied „Neke davne zvezde“ den in Ljubljana stattfindenden ersten Vorentscheid gewann. Sie wurde von drei regionalen Jurys ausgewählt und nach Cannes geschickt, wo sie einen achten Platz erreichte.
In den folgenden Jahren pendelten sich die jugoslawischen Beiträge im Mittelfeld ein. So nahm unter anderem der spätere kroatische Parlamentsabgeordnete Vice Vukov zweimal am Song Contest teil, dessen Karriere 1959 mit dem Sieg des Musikfestivals in Opatija begann und der 1963 und 1965 für Jugoslawien singen durfte. Nach dem sogenannten Kroatischen Frühling wurde er als „kroatischer Nationalist“ betitelt und auf Geheiß von Josip Tito bis 1989 aus dem öffentlichen Leben verbannt.
Jedoch war Jugoslawien nur durch Titos lockererer Form des Sozialismus möglich, am Eurovision Song Contest teilzunehmen, verurteilte er beispielsweise den Einmarsch der Sowjetunion in der Tschechoslowakei. Nach einem letzten Platz mit null Punkten 1964 und mehreren Platzierungen im hinteren Drittel des Teilnehmerfeldes, setzte Jugoslawien ab 1977 beim Eurovision Song Contest aus.
Das Festival von Opatija, welches in den 70er Jahren als Vorentscheid für den Song Contest diente, fand jedoch weiterhin statt und konnte u.a. von Oliver Dragojević gewonnen werden. Beteiligt an der Vorentscheidung waren alle Sender der Teilrepubliken, sowie der autonomen Regionen Kosovo und Vojvodina. Jedoch konnte sich nie ein kosovarischer oder mazedonischer Künstler für den Song Contest qualifizieren, obwohl sie mehrfach am Vorentscheid teilnahmen. Maja Odžaklievska aus Mazedonien gewann zwar 1980 in Opatija, Jugoslawien setzte allerdings beim Song Contest aus.
1981 kehrte man jedoch wieder zum Wettbewerb zurück. Der Ort der Vorentscheidung war nun in jedem Jahr ein anderer, so fand er 1981, als der bosnische Sänger Vajta gewann in Belgrad statt, im Jahr darauf, als die Gruppe Aska gewann, in Ljubljana. Die erste nennenswerte Platzierung erreichte der in Titograd (heute Podgorica) geborene Sänger Milan Popović, der unter seinem Künstlernamen Danijel auftrat.
Mit „Dzuli“, das später in der englischen Version auch außerhalb Jugoslawiens ein kleiner Charterfolg wurde, erreichte Danijel beim Song Contest 1983 in München den vierten Platz. Nach einer kurzen Karriere verschwand er jedoch weitestgehend in der Versenkung, nach dem Jugoslawienkrieg trat er nur noch gelegentlich bei Festivals auf (z.B. 2001 beim Sunčane Skale, wo er nur sieben Punkte erreichte). Inzwischen macht Danijel in den kroatischen Medien durch seine ausbleibenden Unterhaltszahlungen für seine Kinder auf sich aufmerksam.
1984 vertraten Vlado Kalember und Izolda Barudžija Jugoslawien beim Song Contest in Luxemburg. Ihr Lied „Ciao Amore“ erinnert ziemlich an Italo-Musik á la Ricchi e Poveri, das Video dazu, welches an einem Strand in Montenegro gedreht wurde, zeigte offenbar zu pikante Details, sodass die Ausstrahlung im türkischen Fernsehen verboten wurde. Von der türkischen Jury gab es damals trotzdem acht Punkte, das Lied erreichte dennoch nur Platz 18 von 19.
Im Jahr darauf setzte Jugoslawien aufgrund eines Feiertages aus und kehrte 1986 mit Doris Dragović zurück, die mit „Zeljo moja“ einen elften Rang erzielte. 1999 sollte sie das unabhängige Kroatien nochmals beim Song Contest in Jerusalem vertreten und mit „Marija Magdalena“ den vierten Platz erreichen. Die zweite Hälfte der 80er Jahre wurde zur erfolgreichsten Zeit des südosteuropäischen Landes beim Song Contest. 
Die bereits vor ihrer Teilnahme am Song Contest über die Grenzen hinaus bekannte Gruppe Novi Fosili erreichte 1987 mit „Ja sam za ples“ den vierten Platz. Mehrfach wurden sie als Gruppe des Jahres ausgezeichnet, absolvierten Touren in der ehemaligen Sowjetunion, den USA und Kanada, trennten sich 2001, um 2005 ein Comeback zu wagen. Ihr Album (übersetzt „Auf die guten alten Zeiten“) wurde zu einem ihrer größten Erfolge in Kroatien.
Ein Jahr später erreichte die Gruppe Srebrna Krila mit „Mangup“ den sechsten Platz. Die in den 70ern gegründete Gruppe besetzte sich im Laufe ihrer Karriere mehrfach um und löste sich nach dem Tod des Gründers Mustafa Ismailovski in den 90er Jahren auf. Im Jahr von Srebrna Krila sorgte Jugoslawien als letztes Land, das beim Voting aufgerufen wurde für den Sieg von Célion Dion, in dem sie den bis dahin führenden britischen Sänger Scott Fitzgerald mit keinem einzigen Punkt bedachten.
1989 war Jugoslawien dann plötzlich selbst der Überraschungssieger beim Eurovision Song Contest. Die kroatische Gruppe Riva mit Sängerin Emilija Kokić gewann die Jugovizija selbst nur knapp mit einem Punkt Vorsprung vor Massimo Savić. Beim Song Contest in Lausanne konnten Riva mit „Rock me“ jedoch die Juroren überzeugen, auch wenn der Song nach dem Wettbewerb ein kommerzieller Flop wurde. Bereits kurze Zeit später lösten sich Riva auf, Emilija Kokić hingegen ist heute eine bekannte Sängerin, die auch mehrfach am kroatischen Vorentscheid für den Song Contest teilnahm.
Am 5. Mai 1990 präsentierte das jugoslawische Fernsehen daraufhin den Eurovision Song Contest aus Zagreb. Ein perfekteres Timing hätte man sich nicht aussuchen können, für Jugoslawien war es das letzte Jahr in dem man sich als intakte Nation präsentieren konnte. 
Durch den Abend führten Helga Vlahović und Oliver Mlakar. Erstmals gab es beim Eurovision Song Contest auch ein Maskottchen, Eurocat, ein hässlicher rosa Kater, der in den Postkarten vor den Beiträgen eine Rolle spielte. Nach einem ebenso gescheiterten Maskottchen in Malmö 1992 verzichtet man heute auf Song Contest-Maskottchen.
Dennoch gaben sich Ausrichter große Mühe, den Wettbewerb auszurichten, auch wenn es gleich zu Beginn bei der spanischen Darbietung ein technisches Problem gab. Im eigenen Land durfte die Sängerin Tatiana Matejaš aus Zagreb unter ihrem Pseudonym Tajči den Titel „Hajde da ludujemo“ singen. Im Vorentscheid konnte sie sich unter anderem gegen Boris Novković behaupten. Sie erreichte beim Song Contest den siebten Platz. Heute lebt Tajči in den USA, wo sie 2000 den Pianisten Matthew Cameron heiratete und vorrangig in Kirchen singt.
Während sich im Vielvölkerstaat mittlerweile Unruhen breit machen, fand im Mai 1991 der Song Contest in Rom statt. In einem hellblauen Chiffon-Kleid trat die Sängerin Dragana Šarić alias Bebi Doll auf. Schrill und durch Make-Up unkenntlich gemacht sorgte sie für den letzten richtigen Trashbeitrag aus Jugoslawien; ich zitiere: „Lalala…, Brazil, Španija, Kolumbija, Kuba i Amerika - Samba, Rumba, Cha Cha Cha“. Wahrscheinlich durch ihr optisches Erscheinungsbild irritiert vergaßen die Juroren für sie zu werten, Jugoslawien fiel mit einem Punkt gnadenlos durch, nur noch unterboten vom punktelosen Österreicher Thomas Forstner, der allerdings ähnlich skurril aussah wie Bebi Doll.
Aufgrund der schlechten Platzierung weigerte sich ihre Plattenfirma den Song „Brazil“ zu veröffentlichen. 2003 nahm sie mit dem Song „Tvrdoglava“ an dem Festival teil, das später zur Beovizija werden sollte. 2007 war sie Teil der Beovizija-Jury. Vergangenes Jahr erregte sie durch ihre Teilnahme am Moderatorencasting für den Song Contest 2008 in Belgrad („Evropeska lice“) Aufsehen, allerdings flog sie bereits in den ersten Runden raus.
Wenige Tage nach Bebi Dolls Teilnahme am Eurovision Song Contest begannen in der slowenischen Teilrepublik die kriegerischen Auseinandersetzungen in Jugoslawien. Während Slowenien kurz darauf seine Unabhängigkeit erreichte, entbrannte im März 1991 in Kroatien ein weiterer Krieg. 1992 nahm Jugoslawien ein letztes Mal am Eurovision Song Contest teil. Slowenien und Kroatien wurden bei der Jugovizija nicht mehr berücksichtigt. Obwohl das Land de facto nicht mehr existierte, war JRT noch bis Ende Juni Mitglied der EBU und somit teilnahmeberechtigt.
Den Vorentscheid gewann die serbische Sängerin Extra-Nena mit dem Lied „Ljubim te pesmama“, welches wie ein typisches Zigeunerlied klang. Extra-Nena alias Snežana Berić erreichte den 13. Platz. Nach dem Eurovision Song Contest 1992 wurde die EBU-Mitgliedschaft des jugoslawischen Staatsfernsehens suspendiert. Aus den einstigen Sendern der jugoslawischen Teilrepubliken entstanden unabhängige Rundfunkanstalten. Aus RTV Zagreb wurde beispielsweise der heutige Sender HRT.
Ab 1993 nahmen die Nachfolgestaaten der Sozialistischen Republik Jugoslawien am Eurovision Song Contest teil. Nach einer osteuropäischen Qualifikation für den Wettbewerb in Ljubljana debütierten Slowenien, Kroatien und Bosnien-Herzegowina beim Song Contest im irischen Millstreet Town. Die ersten Lieder aus diesen Ländern handelten von den damals gegenwärtigen Kampfhandlungen auf dem Balkan. Insbesondere die Delegationen aus Bosnien-Herzegowina erhielten beim Wettbewerb enorme Sympathien, auch wenn ihre Lieder im Mittelfeld landeten.
Die deutschen Kommentatoren erklärten u.a. 1993, dass der bosnische Titel übersetzt „Der Schmerz der ganzen Welt“ hieße, das Sänger Dejan Lazarević bis wenige Tage vor dem Song Contest 1994 nicht in der Lage war, aufgrund eines Granatsplitters die Hand zu bewegen oder das die bosnische Delegation um Davor Popović 1995 den Belagerungsring um die Hauptstadt Sarajevo nur unter abenteuerlichen Bedingungen überwinden konnte und über Kroatien nach Irland anreiste.
Nach dem Ende des Jugoslawienkrieges debütierte auch die ehemalige Teilrepublik Mazedonien beim Song Contest 1998 in Birmingham. Die EBU-Mitgliedschaft von Serbien-Montenegro bzw. Jugoslawien ruhte zwischen 1992 und 2003. Erst 2004 konnte Serbien-Montenegro wieder am Song Contest in Istanbul teilnehmen. Nach dem Unabhängigkeitsreferendum in Montenegro, einen Tag nach dem ESC-Finale 2006 in Athen treten auch Serbien und Montenegro als eigenständige Nationen an.
Inzwischen wird international über den Status des Kosovo gestritten. Im Februar 2008 erklärte Priština einseitig die Unabhängigkeit von Serbien. Das kosovarische Fernsehen RTK soll angeblich bereits einen Antrag auf Mitgliedschaft an die EBU gestellt haben, Details darüber und ob das Kosovo demnächst am Eurovision Song Contest teilnehmen kann/wird, gibt es nicht. Darüber hinaus wäre mit dem Boykott der Veranstaltung durch das serbische Fernsehen zu rechnen.