Mittwoch, 22. März 2017

Kommentar: Über die russische Seele hinweg



Europa - Hach, ich komme einfach nicht drum herum, die heutigen Ereignisse noch einmal breitzutreten. Wer immer noch glaubt, der Eurovision Song Contest sei eine unpolitische Veranstaltung, der sollte sich die Geschichte des Wettbewerbs noch einmal genau durchlesen. Im diesjährigen Fall sind der Europäischen Rundfunkunion allerdings auch die Hände gebunden, eine NGO kann sich eben auch nicht über die Gesetze eines ihrer Mitgliedsländer hinwegsetzen.


Im Mittelpunkt der Diskussion:
Julia Samoylova aus Uchta/Komi
Wir alle kennen die Vorgeschichte, den Hergang auf der Krim und die damit verbundenen Belastungen der russisch-ukrainischen Beziehungen. Und auch wusste das russische Fernsehen genau um die Aktivitäten der nominierten Interpretin Julia Samoylova auf der Krim Bescheid, als sie im Juni 2015 an einem Festival in Kertsch mitwirkte. Diese Aktivitäten sind bis zum ukrainischen Sicherheitsdienst SBU durchgedrungen, der die Empfehlung aussprach, die 27jährige vom Wettbewerb zu verbannen bzw. ihre Einreise für die nächsten drei Jahre aufgrund des Gesetzbruchs auszusetzen.

Darauf haben die russischen Verantwortlichen spekuliert, dass die Ukrainer den Schwarzen Peter bekommen. Ich möchte für keine der beiden Seiten Partei ergreifen, weil beide Nationen sich nicht mit Ruhm bekleckert haben, faktisch müssen sich alle Beteiligten aber an die geltenden Regelungen halten und diese waren bereits lange vor der Nominierung von Julia Samoylova bekannt. Nicht umsonst hat es eine über 140 Namen zählende Blacklist von ukrainischen Behörden gegeben, die das russische Fernsehen zunächst akzeptierte.


Der Russendisko-Song ist
fertig: Robbie Williams
Und auch Julia Samoylova, die nach Absprache der beiden russischen Sendeanstalten Perwy Kanal und RTR direkt für das kommende Jahr nominiert wurde, wusste, dass sie instrumentalisiert werden würde. Mittlerweile hieß es im News-Flash des russischen Fernsehens, dass kein TV-Sender in Russland den diesjährigen Wettbewerb aus Kiew übertragen werde, gleichzeitig macht sich bei einigen Eurovisionsfans die Hoffnung breit, ein eher als Witz zu verstehender Kommentar von Robbie Williams würde umgesetzt und er zum Eurovision Song Contest geschickt werden.

Robbie gab in einer TV-Show, die vom Halbfinal-Moderator von 2009, Andrey Malakhov moderiert wurde, zur Protokoll, er würde gerne für Russland zum Song Contest fahren. Mit "Party like a Russian" hätte er sogar einen Titel parat, der wie Arsch auf Eimer passt. Allerdings kann man nach derzeitigem Stand eher davon ausgehen, dass Russland mit gar keinem Interpreten in Kiew vertreten sein wird. Auch Musiktycoon Phillip Kirkorow sprach sich erneut dafür aus, Russland solle eine unbestimmte Zeit vom Wettbewerb zurückziehen, bis sich alle Beteiligten wieder auf den Kern des Wettbewerbs besonnen hätten.


Georgien zeigte 2009 Cojones:
Stephane & 3G verzichteten
Immer wieder wenn eine Nation aus der ehemaligen Sowjetunion den Song Contest veranstalten durfte (oder musste, wie in Kiew immer deutlicher wird), gab es Ärger. 2009 war Moskau an der Reihe und protestierte gegen den georgischen Beitrag "We don't wanna put in" von Stephane & 3G. Der Song würde Wladimir Putin diskreditieren. Georgien verneinte, die EBU griff ein und forderte eine Textänderung, in deren Konsequenz Georgien lieber ein Jahr lang aussetzte und einen Protestwettbewerb initiierte. 2012 in Baku gab es das Gleiche in Grün, Armenien forderte von Aserbaidschan Sicherheitsgarantien, die aus Sicht von Yerevan nicht garantiert werden konnten. Armenien blieb dem Wettbewerb im verhassten Nachbarland fern.

2017 ist der Contest nach Kiew zurückgekehrt, nachdem Jamala mit einem Lied über die Vertreibung von Krimtataren nach Zentralasien zu Stalin-Zeiten gewinnen konnte. Russland fühlte sich damals schon betrogen, gewann doch ihr Interpret Sergey Lazarev das Televoting. Schon im Mai wurde klar, dass dieses Ergebnis ein Nachspiel haben würde. Bis vor wenigen Tagen hielten sich beide Parteien zurück, bis die EBU-Deadline näherrückte und das russische Fernsehen Julia Samoylova nominierte. Schnell kam heraus, sie würde den Kriterien nicht entsprechen. Insbesondere für russische Verhältnisse kam das Lied auch sehr unspektakulär daher.


Kurz vor Stockholm
ausgeknockt: Ovidiu Anton
Ein "zerstörter Lebenstraum", wie einige Webseiten die Absage von Julias Teilnahme am Song Contest nun betiteln, dürfte es kaum gewesen sein. Wer sich nicht an die Regeln hält, muss mit Konsequenzen rechnen. Sonst hätte Rumänien im vergangenen Jahr trotz hoher Schulden bei der EBU auftreten dürfen oder San Marino 2012 über "Facebook" singen dürfen. Nur hingen diese Anordnungen mit der Europäischen Rundfunkunion zusammen, einer per se politisch neutralen Organisation, die Nachrichten und europäischen Austausch in Bild und Ton ermöglicht und keine eigenen Gesetze auf den Weg bringt. 

Der diesjährige Eurovision Song Contest in Kiew muss sich an die Gesetze des Landes halten, so wie er sich 1986 an die Bestimmungen in Norwegen oder 2008 in Serbien halten musste. Vom Ding her ist es genau das Gleiche, sodass der Schwarze Peter eigentlich keinem in die Schuhe geschoben werden dürfte. Ein Ukraine-Bashing ist nicht angebracht und das russische Fernsehen sollte sich überlegen, ob es nicht doch über seinen Schatten springt und einfach einen unvorbelasteten Kandidaten schickt, der irgendein Lied singt, das keine Anspielungen enthält. Dies würde eher von Größe zeugen, als dieses Theater, das wir momentan aus Moskau und Kiew geboten bekommen.

Vielleicht ist die Idee mit Robbie Williams doch gar nicht so schlecht, der Song entspricht den EBU-Richtlinien, er war soweit die Spione berichten noch nie auf der Halbinsel Krim und müsste im Falle eines Auftritts garantiert auch nicht damit rechnen, in Kiew ausgebuht zu werden. Auch wenn alles nur ein großer PR-Gag war. Ich nehme allerdings an, dass sich Kiew und Moskau noch zwei, drei Tage den Ball hin- und herwerfen werden und der Wettbewerb dann mit 42 Nationen über die Bühne geht. Trotzdem schade, dass wir bei aller Unterhaltsamkeit des Kleinkrieges auf einen russischen Beitrag werden verzichten müssen...