Sonntag, 19. März 2017

Eurovision am Sonntag (53)


Europa - Nun kennen wir alle 43 Beiträge des Eurovision Song Contests und wie wir hörten, wird sich am einen oder anderen Titel bis zur Performance in Kiew noch ein bisschen ändern. Der NDR z.B. kündigte eine Überarbeitung von "Perfect life" für Levina an. Die Franzosen beispielsweise sind da schon einen Schritt weiter und haben ihre bilinguale Version von "Requiem" vorgestellt. Das Lied bleibt eine Abwechslung, den englischen Part hätte es allerdings nicht gebraucht. Dennoch: So schlecht, wie ich während der Vorentscheide annahm, ist der diesjährige Jahrgang gar nicht.

Claudia Faniello hat 2017
endlich ihr Ticket gelöst
Ich habe mir ein paar Songs herausgepickt, die ich zu meinem näheren persönlichen Favoritenkreis zähle und die verteilen sich quer über den Kontinent. Angefangen bei der Nummer, die wohl fast nur bei mir auf Gegenliebe stößt: Malta. Von allen Balladen, die in den letzten Jahren über den Bildschirm gingen ist dies hier für mich eine der stärksten, unabhängig davon, dass sie von der fantastischen Claudia Faniello gesungen wird. In den letzten Jahren mochte ich selten einen Song aus Malta, so wirklich schockverliebt war ich 2005, als Chiara in Kiew ihr "Angel" sang und den Sportpalast von Kiew fast zum Einstürzen brachte. 

Danach kam auch viel Murks aus dem kleinen Land, "Vodka" war in Ordnung, "This is the night" auch, diese ganzen grinsenden Männer oder Familienkombos an verschiedenen Instrumenten hingegen hätten auch zuhause bleiben können. Ich hoffe sehr, dass Malta sich in diesem Jahr qualifiziert, von meiner Seite aus, haben sie es verdient, mehr als z.B. Ira Losco im Vorjahr. Und auch Dänemark gehört für mich ins Finale, man stellt sich die Frage, ob sie wieder eine Boygroup gewählt hätten, hätte DR sie nicht von vorn herein kategorisch ausgeschlossen.

Meine momentane #1:
Jowst feat. A. Walmann
Mit Anja Nissen macht Dänemark nichts verkehrt, ich sehe schon, wie ihr die Windmaschine in Kiew mächtig ins Gesicht pustet und hoffe auf irgendein weitgeschnittenes Kleid mit Pailletten drauf. Wenn sie dann zum Refrain die Hände weit nach vorne streckt, dürfte Dänemark mal wieder auf der sicheren Seite sein. Mein momentan größter Favorit, womit ich aber vermutlich auch sehr allein stehe, ist Norwegen. "Was ist das für 1 geiler Song vong Rhythmus her", würde die Generation nach mir bei Facebook schreiben. Ich bin wirklich fasziniert, dass der Song am Abend des Melodi Grand Prix bei mir völlig untergegangen ist, mich zwei, drei Tage später aber richtig geflasht hat.

Würde Italien nicht fast schon als Sieger feststehen, hätte ich Norwegen vorgeschlagen. "Grab the moment" kommt nicht aufdringlich und trotzdem fesselnd und modern daher, zudem kann Aleskander Walmann hervorragend singen, jedenfalls diesen Song. Guten Gesang kann man auch Blanche aus Belgien bescheinigen, "City lights" ist großartig und wird für Belgien mit Sicherheit wieder einen guten Platz erzielen. Man darf nur nicht vergessen, dass sowohl West- als auch Osteuropa abstimmt und irgendwie kann ich mir nicht so ganz vorstellen, dass das Lied in Weißrussland, Montenegro oder Armenien zündet. Trotzdem hat es gute Karten.

Schräg und stark ist Rumänien. Dieses Lied wird Europa spalten, die eine Hälfte wird es cool finden, die andere Hälfte wird es nervig finden oder für einen Spaßbeitrag halten. Diese sind uns in diesem Jahr aber glücklicherweise erspart geblieben, abgesehen von der spanischen Nummer, die nur zum Song Contest fahren wird, weil die Juroren einen lustigen Tag hatten. Der Rest ist ernstzunehmen, jedenfalls auf der musikalischen Ebene. Ja, auch Ralph Siegels "Spirit of the night", denn so klingt eben eine typische Siegel-Nummer und Valentina macht ihren Job toll. Ich freue mich schon wieder, wenn alle Fans zu ihr stürmen und ihr den Hof machen, weil sie nunmehr zum vierten Mal für San Marino antritt.

Ein Lied für die Traditionalisten:
Koit Toome & Laura für Estland
Was finde ich noch gut? Estland! "Verona" ist meines Erachtens das Ergebnis eines hervorragenden Vorentscheids mit großen Namen und tollen Melodien. Das estnische Fernsehen ist sich aber auch nicht zu schick, neue Sachen auszuprobieren, wie die letzten Jahre zumindest auf Eesti Laul-Ebene gezeigt haben. Der Song von Koit Toome und Laura ist zwar etwas traditioneller, für den Eurovision Song Contest aber wie gemacht. Und die beiden wissen, was ihnen in Kiew bevorsteht, Laura kann die estnische Delegation sogar auf eine Citytour mitnehmen, war sie doch schon vor zwölf Jahren vor Ort. Von den drei baltischen Ländern wird "Verona" meiner Meinung nach am klarsten ins Finale einziehen.

Und dann sind da noch einige weitere Länder, die sich auf jeden Fall als würdig erwiesen haben, das Finale zu besetzen. Aserbaidschan mit "Skeletons" wird seinen Weg schon machen, Zypern mit Hovig und "Gravity" ebenfalls und über Italiens Francesco Gabbani brauchen wir gar nicht reden, die meisten sind davon überzeugt, dass er die ganze Kiste gewinnt und den Song Contest nach Italien bringt. Dann sind da aber auch noch einige Kandidaten, die ich überwertet finde, nach derzeitigem Ranking vieler Fans, etwa Portugal oder Bulgarien. Beides lässt mich kalt, Portugal klingt wie eine Konserve von 1963 und Bulgarien ist Massenware, die komplett untergeht.

Vielleicht ist die Nummer mit
dem Lagerfeuer doch nicht so
unwahrscheinlich: Ungarn
Restchancen rechne ich Ungarn und Weißrussland aus. Der zigane Vibe von "Origo" klingt fremd, macht aber auch neugierig und mit einem vernünftigen Staging, kann da durchaus was draus werden. Ich erwarte keinen bunt bemalten Zigeunerwagen oder ein Lagerfeuer um das eine südländische und goldbehangene Esmeralda tanzt, aber zumindest eine dem Titel gerecht werdende Show. Weißrussland könnte mit Sympathie überzeugen, wie auch schon beim Eurofest in Minsk, ein bisschen abgedreht und entrückt, noch dazu auf einer Sprache, die die meisten Westeuropäer höchstens auf den LKW-Parkplätzen an der Autobahn hören. Ich drücke beiden Ländern die Daumen.

Zu guter letzt muss ich noch eine Lanze für die Schweiz brechen. "Apollo" ist auch gar nicht so schlecht, wie es in den Wettquoten steht. Es ist eine solide Nummer, die mit Glück als Zehntes in seinem Semifinale den Überraschungserfolg landen könnte. Im Finale würde der Song natürlich keine Chance haben und ein Ergebnis á la Anna Rossinelli einfahren, aber ganz vergessen wollen wir unsere südlichen Nachbarn nicht. Fazit, so übel ergeht es uns in diesem Jahr gar nicht. Es ist einiges dabei, was es nicht gebraucht hätte, aber bis zum Song Contest im Mai haben wir noch Gelegenheit unsere persönlichen Perlen herauszupicken. Bei mir hat es in einigen Fällen funktioniert, manches wird sich noch ändern und im Mai ist ohnehin wieder alles anders.