Europa - Europa bereitet sich
auf den größten Eurovision Song Contest in seiner über fünfzigjährigen
Geschichte vor. Von Reykjavik bis Jerusalem, von Lissabon bis Wladiwostok
werden im Laufe der nächsten 14 Tage mehrere Tausend Menschen in die finnische
Hauptstadt Helsinki pilgern und die alte Dame des Grand Prix huldigen. Hunderte
Millionen Menschen werden dieses zweitägige Event vor den Fernsehschirmen
verfolgen und dabei spielt es keine Rolle ob es sich beim Zuschauer um eine
Haarstylistin aus London, einen Brötchenbäcker aus Astrachan oder eine
100jährige aus Barcelona handelt. In der zweiten Maiwoche sind all diese
Menschen Zeuge einer Musikveranstaltung, die jede Preisverleihung, jedes
Fußball-Länderspiel und das Bogenschießen bei Olympischen Spielen in den Schatten
stellt.
Die Nachrichtenseiten, die sich 365 Tage im Jahr mit dem Phänomen
"ESC" beschäftigen
kommen mit dem Schreiben der Newsartikel kaum mehr nach. Hier gibt es noch
Restkarten, dort wählt ein nationaler Fanclub seine Favoriten, dort gibt es
Ärger um das Outfit des Interpreten und dort drüben wird noch überlegt, ob man
teilweise auf Englisch singen sollte oder nicht. Die Punkteverkünder werden
bekannt gegeben, es tauchen die ersten Bilder vom Inneren der Hartwall Arena
auf, jeden Tag gibt es einen neuen Remix und zahlreiche Blogs und Berichte zum
aktuellen Geschehen in Helsinki und europäischen Grand Prix-Partys.
Für die einen ist der Grand Prix d'Eurovision eine banale
Musikveranstaltung mit wechselndem Austragungsort und ein paar unfreiwillig komischen
Teilnehmern. Dort wird über die Kampfstern-Galaktika-Performance von Verka
Serduchka gelästert, andernorts über die grausige Vorentscheidung und den noch
mieseren Teilnehmer für das eigene Land geredet, spöttisch, verachtend, aber
dennoch irgendwie interessiert. Auf der anderen Seite stehen die
Hardcore-ESC-Fans. Sie schauen sich bereits in der Woche vor Weihnachten im
Vorjahr die, an den Nerven zährenden, Vorrunden in Albanien an, kochen sich zum
Grand Prix-Abend Leckereien aus 42 Teilnehmerländern oder sitzen
fähnchenschwingend mit einem mazedonischen Banner vor dem Fernseher.
Man kann über den ESC denken was man will, man kann ihn richtig
mies finden, ein Show-Contest bei dem nackte Haut punktefördernd und ein
unästhetischer Sänger mit einem Popsong auf Serbokroatisch der absolute Killer
ist; man kann ihn lieben und jedes Jahr unzählige Euros für ein winziges
Hotelzimmer, Verpflegung, Flug, Rückflug und Wörterbücher ausgeben um live vor
Ort dabei zu sein und sich nebenbei noch mit CDs eindecken, den Videorecorder
im fernen Zuhause auf Samstag 21 Uhr einprogrammieren und sich einen Monat
später zusätzlich noch die DVD bestellen.
Europa, auch Deutschland, wird über diese Veranstaltung
diskutieren, egal ob positiv oder negativ. Der Contest hat in seinen 52 Jahren
die Menschen gefesselt, er hat politische Barrieren überwunden, zu Diskussionen
geführt (wenn Österreich mal wieder nur einen Gnadenpunkt rüberwachsen lässt)
und dem Zuschauer fremdländische Kulturen und Musikrichtungen geboten. In 14
Tagen und etwas weniger als einer Stunde ertönt die Eurovisionshymne "Te deum" millionenfach in
europäischen Wohnzimmern und Elitsa & Stoyan werden für Bulgarien das
Semifinale eröffnen. Bei wahren Fans beginnt aber bereits jetzt das
Eurovisionsfieber.
In diesem Sinne wollte ich nur noch darauf verweisen, dass ich mir
heute die Videokassetten für's Halbfinale und Finale gekauft habe (vier
300-Minuten-Kassetten zu je 1,59€). Meine weißrussische Fahne liegt schon
fertig gefaltet auf der Fensterbank, nebst dem neuen Album von The Ark und
einem Lustigen Taschenbuch mit Dagobert Duck und Gundel Gaukeley auf dem Cover,
Gastgeschenke - denn ich werde das Finale des Grand Prix in diesem Jahr
erstmals(!) nicht von zuhause aus verfolgen, sondern mich auf einer Essener
Eurovisionsparty einfinden. Mein Zug fährt am Freitagnachmittag um kurz 14 Uhr
in Hamburg-Harburg ab. Am Sonntagabend um 17:38 Uhr geht es dann zurück. Daher
werden hier zuhause bereits die ersten Sicherheitsvorkehrungen getroffen, die
Kabel vom Videorecorder überprüft und Haftnotizen mit Instruktionen für die
verbleibenden Familienmitglieder geschrieben, nicht am Stromkasten
herumzuspielen.