Mittwoch, 11. Mai 2016

Eurovision 2016: Rückblick auf das erste Halbfinale



Schweden - Das war doch ein gelungener Auftakt in den diesjährigen Eurovision Song Contest gestern Abend in der Globen Arena. 18 Nationen wurden von Petra Mede und Måns Zelmerlöw angesagt, von Finnland bis Malta. Und das Semifinale hatte aus meiner Sicht einige Überraschungen parat. Weniger das Opening, eine "Real Life"-Version des Siegertitels "Heroes", bei dem Måns seinen kleinen Jungen mit dabei hatte, der als fleischgewordenes Strichmännchen über die Bühne flog und den Part der Videoanimation vom Vorjahr übernahm, sondern insbesondere bei den Ergebnissen der Show.

Insgesamt lebte die Show von den technischen Neuerungen, die erstmals erlaubt waren. Da waren die Zyprioten von Minus One, die teilweise auf Schwarz-weiß umschalteten und in Millisekunden aussahen, als würden von ihnen Röntgenbilder angefertigt oder Armeniens Sängerin Iveta, die sich durch optische Effekte auf der Bühne klonte. Ähnliche Einstellungen gab es schon 1996, da fielen sie nur nicht so auf. Enttäuschender war da schon die russische Nummer, die bei den Buchmachern immer noch als größter Favorit auf den Sieg gilt. Doch Sergeys Videowand wirkte nicht so spektakulär, wir man bei den Proben zunächst erwartet hätte.

Zwar turnte der Russe waghalsig auf seiner Wand umher, doch durch relativ schlechte Kameraführung wirkte der Zeitstrudel und die ganzen Animationen wie eine Turnstunde in der Grundschule, nicht zuletzt, weil es keine Close Ups auf die Animation gab, sondern eine Totale, die den Rand zeigte und den Kontrast nicht so deutlich hervorhob. Dennoch ist Russland souverän im Finale, es hätte mich auch sehr irritiert, wenn nicht. Gleiches gilt für Aserbaidschan. Samra Rahimli war stimmlich besser, als ich das in den Semifinalproben erlebt habe und steht ebenfalls mit einer guten Show zurecht im Finale.

Nicht ins Finale haben es hingegen die ersten drei Startnummern des Semifinales geschafft. Dass die seichte Disconummer von Sandhja, die einen Hefezopf als Frisur trug und ihren türkisfarbenen Jumpsuit abermals ausführte nicht weiterkommt, erschien logisch, ebenso die dünne Nummer aus Moldawien, nett gemacht, aber nett reicht eben heutzutage nicht. Moldawien verpasst zum dritten Mal in Folge den Finaleinzug und rutscht in der Statistik weiter nach hinten, die Zeiten, in denen Sowjetstaaten ein Vorrecht haben, ist definitiv vorbei. Eine kleine Überraschung ist jedoch, dass Griechenland es tatsächlich nicht geschafft hat.

Argo stießen selbst in Griechenland im Vorfeld auf harte Kritik, warum der Generaldirektor des Senders ERT denn seine Freunde intern nominieren dürfe und noch zudem mit diesem Lied, das wahrlich nicht so stark ist wie die Vorgänger. So kam es, dass gestern Abend die Hellenen erstmals in ihrer Geschichte nicht über das Semifinale hinauskamen und erstmals seit 2000, als der Wettbewerb ebenfalls im Globen stattfand und man freiwillig verzichtete, nicht in der Endrunde dabei ist. Dafür hat es der kleine Bruder aus Zypern mit seiner Käfighaltung und dem Rocksong "Alter Ego" geschafft, vielleicht ein kleiner Trost für die Griechen, für die der Finaleinzug immer eine Selbstverständlichkeit war.

Ungarn ist ebenfalls im Finale. Freddie galt bei Fans als sehr beliebt und anders als Peter Urban das dem Zuschauer vermitteln wollte, ist "Pioneer" im Finale keine Überraschung. Die Reibeisenstimme, die braunen Augen und der klasse Titel haben auf jeden Fall ihre Daseinsberechtigung am Samstag. Lediglich der ganz offensichtlich schwule Männerpfeifchor sah zum Fürchten aus. Die Bewegungen der drei Herren am linken Bühnenrand wirkten unechter als 2002 bei Sestre aus Slowenien. Aber immerhin hat es für das Finale gereicht. Der ungarische Vorentscheid "A Dal" produziert in der Summer also wirklich gute Gesamtpakete.

Bei den Rückkehrern zum Wettbewerb lief es konträr. Während Kroatien mit Nina Kraljić und "Lighthouse" ins Finale einzog, übrigens das erste Mal seit 2009 und nach zweijähriger Pause, muss Bosnien-Herzegowina am Samstag aussetzen. Dalal & Deen feat. Ana und Jala hatten vielleicht eine zu überladene Performance, mit den Notfalldecken, dem Stacheldraht und den vielen Stilbrüchen vom Cellosolo über Rapgesang bis hin zur dröhnenden Balkanballade. Ich hätte sie im Finale gesehen, aber es ist zu verschmerzen, in den seltensten Fällen qualifizieren sich eben alle persönlichen Lieblinge. Ich hoffe nur, dass Bosnien-Herzegowina wieder in die Eurovisionswelt eingestiegen ist, der Eurovision Song Contest ohne Bosnien ist um einen Diamanten ärmer und so wäre es schade, wenn nach einem Jahr schon wieder Schluss wäre.

Ganz locker und lässig hat sich Douwe Bob für das Finale qualifiziert. Sein Entschleunigungssong kam in Europa an, die Phase, in der die Niederlande mit Crap im Semifinale schmorten ist vorbei. Wer gut abliefert, wird also auch belohnt. Diwe Kunstpause ließ vielleicht einige Zuschauer aufhorchen, war es doch auch ein Novum bei der Eurovision. Douwe Bob sagte nicht und ließ es geschehen, das Publikum jubelte verhalten, danach ging "Slow down" weiter. Mir hat es gefallen, gut gemacht Douwe Bob! Dass es für den türkischen Discokönig Serhat nicht reichen würde, erschien hingegen wieder klar. Dennoch zeigt San Marino, dass es tapfer versucht, es mit den großen Nationen aufzunehmen.

Petra Mede merkte richtig an: "Size doesn't matter" und so hoffen wir, dass San Marino uns noch viele kuriose Nummern bescheren wird, ob nun Ralph Siegel sich die Teilnahme erkauft oder es Lieder sind, für die man sich anfangs fremdschämt, die sich im Nachhinein aber zu grotesk witzigen Leistungen entwickeln, wie in diesem Fall "I didn't know". Armenien ist ebenfalls im Finale, wohlan. Auf der #9 sang dann Sergey Lazarev, wie oben erwähnt, ist ihm nichts vorzuwerfen, lediglich den Kameramännern im Globen, da wäre mehr gegangen.

Nummer 10 war bei uns auf Eurofire ein Favorit. Tschechien hat es sehr verdient, ein Finale mitzuerleben und gestern Abend war es dann soweit. Gabriela sang "I stand", zwischen Russland und Zypern eine gelungene Abwechslung. Das fiel auf und war zudem noch glockenklar gesungen, Europa musste einfach anrufen und hat dies auch getan. Somit schafft es Tschechien erstmals in seiner Pleitenbilanz seit 2007 ins Finale und Andorra bleibt als einzige Nation in der Eurovisionsfamilie ohne Finalteilnahme zurück. Was Peter Urban allerdings mit "Strick mit Blumenkohl" meinte, erschließt sich mir bei Betrachtung von Gabis Outfit nicht...

Auch Österreich ist im Finale, die kleine süße Zoë wurde nicht nur von den Fans gehyped sondern konnte europaweit Stimmen für sich erreichen, auch ohne Deutschland, das in diesem Semifinale nicht werten durfte, dafür aber Schweden, Spanien und Frankreich. "Loin d'ici" macht Österreich stolz, Zoës Papa Christoph Straub ist es auch und so freuen wir uns, dass es die Ösis nach ihrem Null-Punkte-Debakel im eigenen Land 2015 wieder in ein Finale geschafft haben. Früher war Österreich schnell beleidigt, wenn es im Semifinale rausflog, etwa mit den Global.Kryner oder Eric Papilaya, mittlerweile hat es sich aber kontinuierlich gesteigert.

Estland... na ja, ich hätte ihn im Finale gesehen, aber ich kann mir vorstellen, dass Jüri aufgrund seiner starren und ausladenden Mimik auf die Endrunde verzichten muss. "Play" war gut, die Show war okay, wenngleich der Kartentrick nicht so dolle am TV rüberkam, nur die strengen Blicke von Jüri und das ständige Gewackel mit den Fingern waren ausladend. Estland sucht ja bereits für das kommende Jahr und verkauft sogar Eintrittskarten für den Eesti Laul, als hätten sie geahnt, dass es heuer nicht klappt.

Bei Montenegro war es von vornherein klar, dass es Highway nicht schaffen. Es geschah zu viel in drei Minuten, lärmende Beats, eine johlende Mannschaft mit desorientierter Tänzerin, insgesamt viel zu hektisch und dunkel. Man sah die Jungs ja kaum... Nicht verstanden habe ich, warum sie extra für Montenegro das Bildformat geändert haben. Sollte es aussehen wie ein Musikvideo? Die Darbietung lässt mich ratlos zurück. Und zum Schluss ist da noch Malta. Ira Losco war zweifelsohne nicht die beste Stimme im Teilnehmerfeld, zog jedoch als #10 ins Finale ein.

Ob es einen Schwangerenbonus gibt oder nicht, Malta war in den Wettquoten zuvor recht hoch angesiedelt und das Lied ist ja auch in Ordnung. Ira ist damit die einzige Wiederholerin aus früheren Jahrgängen, die es geschafft hat. Denn auch Greta Salóme blieb der Finaleinzug verwehrt. Die Show war gut, wirkte doch vielleicht im Jahr nach Måns wie eine dunkle Kopie von "Heroes", an Greta lag es mit Sicherheit nicht und ich könnte mir vorstellen, dass Island als Elfte ganz knapp nicht ins Finale kamen. Die Ergebnislisten in der Samstagnacht werden darüber Aufschluss geben.

Nach den Beiträgen war es Zeit für den Interval-Act, die "Grey People" zeigten tänzerisch den beschwerlichen Weg von Flüchtlingen in ein sicheres Europa. Eine sehr deprimierende Tanzperformance, die damit endete, dass sich die Refugees die Gesichter mit Wasser abwischten und statt grauer Farbe eine menschliche Gesichtsfarbe zu erkennen war. Die Tänzer strömten ins Publikum aus und umarmten sie. Große Gestik vom schwedischen Fernsehen, wenngleich auch ihr Land an den verrammelten Grenzen in Europa beteiligt ist. 

Gezeigt wurden außerdem einminütige Auftritte der drei stimmberechtigen Finalisten und zwar nicht, wie sonst in Form des Musikvideos, sondern von den Proben am Samstag. Gut gelöst von den Produzenten, so gewinnt man einen ersten Eindruck ohne bereits alles zu verraten. Nur für die Band Europe, die zweimal ihren "Final countdown" anstimmte, reichte es noch nicht für den großen Auftritt, sie spielten ihren Song fälschlicherweise ein, eine kleine Spielerei, die sich die Schweden nicht haben nehmen lassen. Gern mehr davon! 

Aus meiner Sicht war es ein gelungener Auftakt in den Eurovision Song Contest 2016. Mit fast allen Finalisten kann ich mich anfreunden, Peter Urbans Kommentare habe nur nur beiläufig verfolgt, das was mir aber in Erinnerung geblieben ist, zeigt mir, dass er sich im Hotelzimmer mal etwas mehr Zeit lassen sollte, sich gute Texte zu überlegen, die Sprüche waren schon mal besser. Heute wird bereits für das zweite Semifinale geprobt, von Lettland bis Belgien, heute Abend um 21 Uhr ist das Juryfinale und morgen geht der ganze Spaß dann noch einmal von vorne los. Ich freue mich!

Warm Up und Opening des 61. Eurovision Song Contests
Good Evening, Europe!
Beide schon draußen: Sandhja aus Finnland und Lidia aus Moldawien
Dafür weiter: Nina aus Kroatien und Douwe Bob aus den Niederlanden
Iveta ist weiter, Serhat und seine Discomäuschen nicht
Die Show macht's: Sergey Lazarev | Regenbogen für Österreich
Zu cool für Europa: Jüri Pootsmann | Zypern ist dafür im Finale
Diese Rettungsweste... (linkes Bild, ganz rechts) | Kirkorow und Lazarev im Greenroom
Der erste Finalist: Aserbaidschan | Auch die Niederlande sind weiter
Freddie und Nina dürfen auch noch mal singen
Vor und nach "Austria!", österreichische Delegation im Greenroom
Armenien und Malta haben es auch geschafft
Zurück bleibt Greta Salóme aus Island | Von der Pressekonferenz
Jovan Radomir reicht den Lostopf umher | Tschechien singt in der ersten Hälfte
Minus One und Zoe | Ira Losco für Malta