Samstag, 17. August 2013

Eurovision: Hinter'm Ural geht's weiter


Turkmenistan - Immer wieder, wenn es darum geht, das Sommerloch bei der Eurovisionsberichterstattung zu schließen kommen die gleichen Themen auf den Tisch, wann erleben wir das kosovarische Debüt, wann wird Liechtenstein endlich EBU-Mitglied und wann kehrt Marokko endlich zum Song Contest zurück. Fragen, auf die es sowieso keine zufriedenstellende Antwort gibt und eh schon oft genug diskutiert wurden.

Lassen wir den Blick diesmal einfach hinter den Kaukasus und das Kaspische Meer fallen. 

Auf jene Länder, die gemeinsam mit Russland, Estland oder der Ukraine bis 1991 die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken bildeten und bislang noch keinerlei Gelegenheit hatten, sich bei der Eurovision zu präsentieren, vor allem ob ihrer geographischen Lage. Man ist näher an der Volksrepublik China als am europäischen Musikgeschmack und dennoch sind vor allem die ehemaligen Sowjetrepubliken in Zentralasien von Interesse.

Jeder hat schon einmal vom Intervision Song Contest gehört, dem Pendant zur Eurovision im Westen, der zwischen 1977 und 1980 insgesamt viermal im polnischen Ostseebad Sopot ausgetragen wurde. In einer, vor dem Eurovisionsfinale 2013 auf Phoenix laufenden, Reportage wurde darüber am Rande berichtet. Das durch das An- und Ausknipsen des Lichts vom örtlichen Energieversorger die Stimmen gemessen wurden und osteuropäische Größen wie Helena Vondráčková aus der Tschechoslowakei und Alla Pugatschowa gewinnen konnten.

Nachdem 1980 in der Leninwerft in Danzig gestreikt wurde und die Solidarność landesweit protestierte, verhängte die polnische Staatsführung das Kriegsrecht und beendete die Phase, in der die kommunistische Musikszene sich in Sopot versammelte. Mit Amtsantritt von Michail Gorbatschow in der Sowjetunion wurden Reformen eingeleitet, auch dem Eurovision Song Contest stand man positiv gegenüber. Der damalige Bildungsminister der UdSSR, George Veselov, hätte die Idee bei Gorbatschow persönlich vorgebracht, dass sein Land bei der Eurovision teilnehme.

Dies hatte lediglich politische Gründe, er wollte die Sowjetunion an den kapitalistischen Westen anbinden. Jedoch fand selbst Gorbatschow diesen Schritt zu Radikal und so blieb das sowjetische Fernsehen CT USSR dem Wettbewerb bis zur Auflösung des Staatenbundes fern. Nachdem die UdSSR zerfiel traten u.a. die baltischen Staaten, aber auch Russland der EBU bei und debütierten bereits 1994 in Dublin bei der Eurovision. Die übrigen Sowjetrepubliken mit Anteil in Europa traten in den Folgejahren bei.

Debüts der ehemaligen Sowjetrepubliken beim Eurovision Song Contest:
1994: Estland, Litauen, Russland 
2000: Lettland 
2003: Ukraine 
2004: Weißrussland 
2005: Moldawien 
2006: Armenien 
2007: Georgien 
2008: Aserbaidschan 

Die übrigen ehenmaligen Sowjetrepubliken in Zentralasien blieben dem Contest fern, zum einen weil das Interesse der Nationen sehr gering war und ist, zum anderen, weil die Europäische Rundfunkunion auf ihre geographischen Grenzen verwies. Die Nationen hinter dem Ural seien zudem keine Mitglieder im Europarat. Im Falle von Kasachstan, das sich seit Jahren für eine aktive Teilnahme engagiert, sind dennoch Gespräche zwischen der EBU und dem Staatsfernsehen K1 vorgesehen.

Der Sender wartet bislang auf eine assoziierte bzw. Vollmitgliedschaft im Kreis der Europäischen Rundfunkunion. Zwischen 2010 und 2013 wurde der Wettbewerb auch in Kasachstan ausgestrahlt. Bisher ist über die mögliche Erstteilnahme Kasachstans, das immerhin zu einem Neuntel in Europa liegt, noch nichts Näheres bekannt. Da das Land aber auch Mitglied der UEFA und anderer Organisationen ist, dürfte es nur eine Zeitfrage sein, bis es irgendwann Almaty oder Astana calling heißt.

Bleiben noch vier weitere Nationen, die einst zur Sowjetunion zählten und heute definitiv in Asien liegen: Usbekistan, Kirgisien, Tadschikistan und Turkmenistan. Alle vier Nationen engagieren sich derzeit nicht für eine Teilnahme bei der Eurovision. Kirgisien wird jedoch in diesem Jahr erstmals am Musikwettbewerb der ABU, der asiatisch-pazifischen Rundfunkunion teilnehmen und neben Nationen wie dem Iran, Japan, Thailand oder Australien auftreten.

Das Land, das nach der Tulpenrevolution Präsident Akajew absetzte, erlebt seither politische Unruhen, Konflikte mit Usbekistan und Einschränkungen in der Presse- und Meinungsfreiheit. Ebenso verhält es sich mit Tadschikistan, das sich zwischen 1992 und 1997 im Bürgerkrieg befand und immer noch per Empfehlung vom Auswärtigen Amt gemieden werden soll. Diktatur und Korruption sind in diesen Ländern ausgeprägter als z.B. in Aserbaidschan westlich des Kaspischen Meeres.

Ein Paradebeispiel für autoritären Führungsstil zeigt jedoch Turkmenistan, die Heimat von Elnur Husseinov, der immerhin schon für Aserbaidschan beim Song Contest sang. Dort regierte bis zu seinem Tod im Jahr 2006 Saparmyrat Nyýazow, der einen ausgesprochenen Personenkult pflegte, sich selbst als "Türkmenbaşy" also "Vater aller Turkmenen" bezeichnete und sogar Kalendermonate nach sich und seinen Verwandten benannte. Kultur wurde in diesen Zeiten unterdrückt, Kinos, Opern, Ballett und Zirkus verboten, lange Haare bei Männern und Make-Up im Fernsehen ebenfalls.

Nach seinem Tod 2006 wurde Gurbanguly Berdimuhamedow, sein Zahnarzt, Präsident Turkmenistans. 2012 wurde er mit über 97% der Stimmen wiedergewählt, Oppositionsparteien waren nicht zugelassen, der Personenkult hingegen weiter getragen. Insbesondere bei Turkmenistan, das für Sehenswürdigkeiten wie einen durch Fehlbohrungen geschaffenen Gaskrater inmitten der Wüste oder vergoldete Statuen des Diktators bekannt ist, ist es überaus unwahrscheinlich, dass in naher Zukunft auch nur im Entferntesten an ein Debüt beim Song Contest zu denken ist. Die zentralasiatischen Nationen der ehemaligen Sowjetunion haben kein Interesse an der Eurovision und sind mehr mit sich selbst beschäftigt, als mit westlichem Glitzer.

Die Idee, einen Wettbewerb unter den Staaten der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten durchzuführen, wurde inzwischen auch wieder verworfen. Diese Nationen zeichnen sich durch ihren isolierten weltpolitischen Regierungsstil, Unterdrückung von rechtsstaatlichen Grundlagen, wie Meinungs- und Pressefreiheit und kulturellen Verboten aus.

Die orientalische Musikkultur Zentralasiens wird bei der Eurovision also auch weiterhin, wenn überhaupt nur durch die Kaukasusnationen und die Türkei geprägt, wenngleich diese verstärkt westliche Töne anschlagen oder gleich schwedische Komponisten für ihre Interpreten buchen. Der Weg zu einer Eurovision in Bischkek, Ashgabat oder Taschkent erscheint also erschwert und gar unmöglich, wird aber auch weder von Eurovisionsfans noch von den Ländern selbst gewünscht und die Europäische Rundfunkunion wird mögliche Beitrittsgesuche der Fernsehanstalten noch zusätzlich verkomplizieren.