Sonntag, 28. Januar 2024

Eurovision am Sonntag (74)


Europa
- Normalerweise beschränke ich das Preselection Watching auf die skandinavischen Länder Norwegen und Schweden und je nach Lust und Laune zappe ich in laufende Shows hinein. An diesem Wochenende aber habe ich mir gleich beide Finalshows angeschaut, sowohl in Irland als auch in Luxemburg und beide Länder haben im Rahmen ihrer Möglichkeiten gezeigt, wie divers man Abendunterhaltung gestalten kann. Während die Late Late Show in Dublin eher intim vonstatten ging, ließ es Luxemburg krachen.

Tali bringt Luxemburg
zurück zum ESC 2024
Schließlich mussten Fans der Eurovision über 30 Jahre warten, ehe man gestern Abend wieder einen Schritt in Richtung musikalischer Inklusion unternahm. Und trotz der langen Durststrecke hat der Sender RTL groß aufgefahren. Das Publikum in der Rockhal in Esch-sur-Alzette hatte gute Laune, fieberte mit allen Kandidaten mit und würdigte die Grand Dame des Abends, Moderatorin Desirée Nosbusch und ihre Kompanions mit reichlich Applaus. Die jüngste Song Contest-Moderatorin aller Zeiten wurde als "Guest of Honor" angekündigt.

Dabei hätten die vielen Gaststars, die neben den eigentlichen Kandidaten auftraten, diesen Rang mindestens genauso verdient. Vicky Leandros und Anne-Marie David waren dabei, zwei ehemalige Song Contest-Siegerinnen für das Großherzogtum und auch der Interval mit vier weiteren Siegern konnte sich sehen lassen. Am lustigsten war allerdings der durchschimmernde Lokalkolorit, die Trachtengruppe mit einem Song in Landessprache sowie die luxemburgische Mundart im Allgemeinen. Wer sich konzentriert versteht, worum es im gesprochenen Wort ging.

Man kann leider nicht alles
haben: Krick wurde Zweite
Mit viel Gerede hielt man sich jedoch nicht auf, kurze Einspieler, dann der Song, Applaus und weiter, so wurde die erste Stunde kompakt gefüllt. Nach der ersten Wertungsrunde und einem Werbeblock fiel im Superfinale dann die Entscheidung zwischen der späteren Siegerin Tali Golgerant, die in Jerusalem geboren, jedoch in Luxemburg aufgewachsen ist und Krick, meiner eigentlichen Favoritin. Trotzdem hat sich der Luxembourg Song Contest als großartige Plattform für jene Interpreten präsentiert, auf die wir mehrere Dekaden warten mussten und allzu schlecht dürfte das Comeback Luxemburgs wohl auch nicht enden.

Über weite Phasen hinweg langweilig zeigte sich hingegen der Eurosong, der irische Vorentscheid, den der Sender RTÉ traditionell in seiner Latenight-Show am Freitagabend versteckt. Sechs Kandidaten stellten ihre Beiträge auf einer Bühne zur Schau, die ebenso gut in jedem etwas größeren Wohnzimmer hätte stattfinden können. Glücklicherweise haben die Iren nach all den Pleiten mit seichten Popsongs endlich Mut zum Experimentieren gefunden. Seit Freitagabend steht Bambie Thug als irische Kandidatin für Malmö fest und in diesen zwei Tagen, die seither vergangen sind, ist viel passiert.

Mein erster Gedanke zu "Doomsday blue" war WTF?! Die Insel, die einen Großteil ihrer Erfolge mit Balladen, keltischen Klängen und noch mehr Balladen feierte, schickt eine kreidebleich geschminkte Frau in Gothic-Klamotten, die sich akrobatisch durch ein Bühnenbild manövriert, das zwischen Friedhof und Schloss in den Wolken pendelt. Allein die erste Phrase ihres Liedes, in dem sie den Todesfluch aus Harry Potter "Avada Kedavra" wiedergibt zeigt, dass die nächsten drei Minuten nichts für zarte Seelen sind.

Paganismus beim ESC:
Bambie Thug vertritt Irland
So zumindest mein erster Gedanke. Wenn man die leichten stimmlichen Defizite allerdings ausblendet, hat "Doomsday blue" viele Facetten, die man a.) nicht von Irland erwartet hätte und b.) die bei der Eurovision mit dem richtigen Setting reinballern können. Bambie Thug alias Cuntry Ray Robinson bezeichnet ihr musikalisches Schaffen als "Ouija-Pop". Wenn man den Begriff googelt landet man bei Filmtiteln wie "Ouija: Ursprung des Bösen", auch hier geht es um die Düsternis des Lebens. Zudem bringt die Sängerin eine spannende Background-Story mit.

Sie gilt als nicht-binär, erklärte in einem Interview es toll zu finden, in einer aufstrebenden Queer-Szene aktiv zu sein, praktiziert neoheidnische Hexerei, war zeitweise drogenabhängig und setzte sich, zumindest vor dem Vorentscheid, für den Ausschluss Israels beim Song Contest in Malmö ein, überlässt die Entscheidung jedoch der Europäischen Rundfunkunion. Ein spannender Charakter mit mehr als einer Persönlichkeit tritt für Irland an und unabhängig davon, ob "Doomsday blue" nun den eigenen Geschmack trifft, muss man den Iren lassen, dass sie sich heuer nicht für den dritten Aufguss einer Boyband oder einer über ihre eigenen Stimmbänder stolpernden Mittzwanzigerin entschieden haben.

Tatsächlich liegen die beiden Titel aus Irland und Luxemburg in dieser noch recht überschaubaren Line Up an Song Contest-Beiträgen für Malmö derzeit ganz oben in meinem Ranking. Wie es bei der Eurovision nach dem Juryvoting stets heißt "Everything can and will change", aber zumindest haben es Länder, von denen ich es nicht erwartet hätte, bewiesen, dass auch sie mal einen Schocker bzw. einen qualitativ hochwertigen Beitrag ins Rennen schicken können. Daran gilt es sich aus deutscher Sicht erst einmal zu messen.