Sonntag, 12. Dezember 2021

Eurovision am Sonntag (67)


Europa
- Heute ist der dritte Advent, der Dezember schreitet mit schnellen Schritten voran und bald schon wird auch in Albanien nach einem Song Contest-Kandidaten gesucht, der sich im Mai auf den Weg nach Turin machen kann. Wer das Spektakel mit 41 Nationen moderieren wird, ist noch unbekannt, diese Frage soll auch erst nach dem San Remo-Festival im Februar geklärt werden. Die italienische Zeitung La Stampa wirft mit Laura Pausini allerdings schon mal einen neuen Namen in die Runde. Die RAI sei laut Medienberichten an die Sängerin herangetreten, die 1993 durch den Nachwuchswettbewerb von San Remo bekannt wurde.

Neu im Gespräch:
Laura Pausini
Laura, geboren 1974 in der Nähe von Ravenna, startete daraufhin eine beispielhafte Karriere, veröffentlichte seither u.a. 13 Alben, die allesamt mindestens Platz sechs in den italienischen Albumcharts belegten. Besonders hervorzuheben gilt das Album "Io canto" aus dem Jahr 2006, das sich 107 Wochen in den Charts halten konnte. Eine schlechte Wahl wäre sie nicht, hat sie mit internationalen Events doch Erfahrungen, saß sie z.B. in der spanischen und mexikanischen Ausgabe von "The Voice", ging auf Welttournee und sang z.B. 2007 in Mailand vor über 70.000 Zuschauern. Wie aber bereits erwähnt, müssen wir uns in der Moderationsfrage noch bis nach San Remo gedulden.

Greifbarer sind da schon die Eesti Laul-Kandidaten. Gestern Abend ging das vierte und letzte Viertelfinale über die Bühne, bei dem sich u.a. Ott Lepland für die Halbfinals im Februar qualifizieren konnte. Estland, das seit Jahren seinen Vorentscheid zu einer starken Marke hat werden lassen, zeigte sich wieder vielfältig in seiner Kandidatenauswahl, wobei es nicht alle spannenden Titel geschafft haben. Zwar ist das bezaubernde "Aovalguses" von Ott in der nächsten Runde, wenngleich er selbst zugab, dass es schwer zu singen sei und meiner Meinung nach bei Weitem nicht an "Kuula" heranreicht, einiges Interessante, wie etwa Meisterjaan blieben auf der Strecke.

Surreales kommt oft
aus Estland: Meisterjaan
Sein "Parmupillihullus", mit dem er beim Eesti Laul 2016 schon einen legendären Auftritt hinlegte, wurde durch das Musikvideo zu "Vahel lihtsalt" noch einmal getoppt, verdingt er sich doch dort als Straßenkehrer zwischen Plattenbauten und japanischen Tempelanlagen, während im Hintergrund der besungene Megatron alles in Schutt und Asche legt. Das hätte auf dem Backgreen in Turin sicher Fragen aufgeworfen, wäre aber auch sehr interessante geworden. Aber ich bin mir sicher, dass auch Estland 2022 alle Hebel in Bewegung setzen wird, um seinen Beitrag nach vorn zu pushen. Schließlich hat man sich z.B. bei Elina Netšajeva in Lissabon für über 60.000 Euro ein Kleid geleistet, das dem Beitrag einen ganz anderen Zauber verliehen hat, als hätte sie ihren Titel einfach nur so heruntergesungen.

Elina ist auch 2022 im Rennen, "Remedy" teilt aber das gleiche Schicksal wie "Aovalguses", es sticht nicht heraus, der operettenhaften Gedanken hat man gänzlich gestrichen, vielmehr singt Elina eine durchschnittliche Popballade mit kühler Aura, die noch nicht so richtig hinter'm Ofen hervorkommt. Bis Februar haben nun auch die verbliebenen Kandidaten des estnischen Vorentscheids Zeit, zu basteln, erst dann geht es mit den Halbfinals weiter. In dieser Zeit haben u.a. Tschechen und Polen ihre Beiträge gefunden. Das Gros der Nationen hat seine Vorentscheide aber bewusst in den Februar gelegt, Schlusslichter im Terminkalender sind mal wieder die Skandinavier, Island wählt gemeinsam mit Dänemark am 5. März, die Schweden gar erst am 12. März.

Der kleine Kollege vom
Megatron forderte
Gerechtigkeit für Valentina
Und dann ist da ja noch das kleine San Marino, das einen Vorentscheid galaktischen Ausmaßes betreibt, um seinen Interpreten für Turin zu finden. Das letzte Mal, als man sich derart viel Mühe gegeben hat, fand man im Anschluss einen mit den Interpretinnen agierenden Roboter, der zwar während der Proben lustige Botschaften in die Kamera hielt ("Justice for Valentina"), das Lied aber nur geringfügig aufwertete. Trotzdem bin ich gespannt, ob San Marino aus den letzten Jahren gelernt hat und weiterhin einen Kurs verfolgt, der zumindest versucht, sich auf die gleiche Ebene zu stellen, wie größere und etabliertere Nationen. Insbesondere bei San Marino darf man den Überraschungseffekt nicht unterschätzen, was uns Serhat und Senhit bewiesen haben.

Freudig stimmt mich indes die Nachricht aus französischen Medien, die ankündigen, dass in Monaco der öffentlich-rechtliche Rundfunk erneuert wird und 2022 mit Monte-Carlo Riviera, ich nenne es kurz MCR, ein neuer staatlich unterstützter Sender über den Äther gehen soll und womöglich sogar Gelder für eine Rückkehr zum Eurovision Song Contest bereitgestellt werden. Das bisherige EBU-Mitglied, der Sender TMC, wird inzwischen nur noch von ausländischen Investoren gehalten, die alles andere als am Song Contest interessiert sind, 2006 wehte die monegassische Flagge zuletzt vor der Arena in Athen, seither verzichtet TMC auf die Teilnahme, offiziell aus finanziellen Gründen.

Hat in seiner Schatz-
kammer wohl noch Geld
gefunden: Fürst Albert
Fürst Albert, der damals noch Prinz war, sorgte mit einer Kulturförderung für die Rückkehr Monacos zum Song Contest 2004 in Istanbul. Dreimal holte man sich französische Sängerinnen, die sich mit einem Umweltsong, einer Streicherballade und einem Südpazifik-Liedchen allesamt schon im Halbfinale ins Aus sangen. Man malte sich kaum mehr Chancen auf eine Finalteilnahme aus, begingt durch die Größe des Landes, so zog der Fürst seine Gelder und Monaco schließlich seine Eurovisionsteilnahme zurück. Es folgte eine jahrelange Stille, zwischenzeitlich hieß es, ein gewisser Josh Stanley würde für Monaco singen wollten, danach war wieder Ruhe. Nun hat Fürst Albert aber wieder Gefallen an der Idee gefunden, sein Land international zu präsentieren und schafft dafür einen neuen TV-Sender.

Dieser soll nach Angaben von "Le Figaro" vor allem Themen und Programme zeigen, die dem Fürsten sehr am Herzen liegen, etwa den Umweltschutz, den Sport und eben auch Musik und Kultur. Ganze 100.000 Euro, also 1,5 estnische LED-Kleider, hat man hierfür in den staatlichen Etat verplant und wir dürfen gespannt sein, ob MCR bis zum angestrebten Ziel, dem Song Contest 2023, seine Vollmitgliedschaft in der Europäischen Rundfunkunion bewerkstelligen kann. Monaco, das schon Ende der 50er Jahre Teil der Eurovision war, also lange bevor Australien erstmals einschaltete und es in San Marino noch nicht mal einen Fernsehsender gab, würde dem Song Contest gut tun. Wenn schon die Türkei und Ungarn nicht wollen, dann sollte man sich doch über ein zusätzliches Mitglied freuen, auch wenn das Land gerade einmal zwei Quadratkilometer misst.

Und wo wir gerade bei Kleinstaaterei und Rückkehrern sind, muss ich noch einmal rasch auf Bosnien-Herzegowina zu sprechen kommen. Was vielleicht bei all den Nachrichten über die neue Ampel oder die Corona-Regelungen unterging, ist die Tatsache, dass in Bosnien-Herzegowina Stück für Stück der Zentralstaat zerfällt und sich die Republik Srpska immer weiter von der Einheit des Landes distanziert. 1995 waren in zähen Verhandlungen im Vertrag von Dayton die heutigen Verwaltungsstrukturen geschaffen worden, das Entitätsprinzip des Landes wird auch als kompliziertestes Verwaltungssystem der Welt beschrieben, bisher hat es aber einigermaßen funktioniert.

Der Stacheldraht steht
heute für die Spaltung
des Landes (2016)
Dass der bosnische Zentralapparat aber seit Jahren in der Krise steckt, merkt man auch beim Eurovision Song Contest, fehlt das Land doch schließlich seit 2012 in den Teilnehmerlisten. Sieht man von der sponsorenfinanzierten Teilnahme von Deen und Dalal 2016 in Stockholm ab, die damals sogar noch die 100%ige Finalquote verspielten, ist das Land nunmehr eine Dekade ein verlorener Garant für tolle Balkanmelodien, wie man sie selbst aus anderen Ländern wie Kroatien oder Serbien kaum noch hört. Der zentral geführte Sender BHRT ist von der EBU suspendiert worden, da man in großen Geldnöten steckt, der Organisation Millionen schuldet, die durch ein unklares Gebührensystem aber nicht im Ansatz eingespielt werden. 

Hier konnten sich Repräsentanten beider Entitäten, der Föderation Bosnien-Herzegowina und der Republik Srpska bisher nicht einigen und pumpen die Gelder lieber in ihre eigenen lokalen TV-Anstalten RTVFBiH und RTRS. Beide haben mit der EBU bislang nichts zu schaffen, sodass eine Song Contest-Teilnahme nur durch BHRT in die Wege geleitet werden kann. Gestern vermeldete das Parlament der Republik Srpska seinen Austritt aus dem Steuer- und Justizsystem Bosnien-Herzegowinas, was einem Austritt aus der Union gefährlich nahe kommt und das Land instabil werden lassen könnte. Und wo man sich schon politisch nicht einig werden kann, da kann man auch kein Comeback bei der Eurovision erwarten.

Die Föderation (blau) und
die Republik Srpska (rot)
Bosnien-Herzegowina hat seit 1998 eine Nationalhymne namens "Intermeco", deren Melodie von Dušan Šestić, dem Vater von Maja Šestić, stammt. Maja nahm 2012 für Bosnien-Herzegowina am Song Contest teil, bis 2009 hatte die Hymne keinen Text. Aus über 300 Vorschlägen wurde damals ein Text ausgewählt, der aber keinen offiziellen Charakter genießt, da man sich parlamentarisch bisher nicht einig werden konnte, durch die befürchtete Separation der Republik Srpska dürfte dies nun fast schon obsolet sein. Die Probleme des Landes sind tief verwurzelt und lassen erahnen, dass ein Song Contest-Comeback in weiter Ferne liegt, womöglich sogar gar nicht mehr geschehen wird, sollte der gesamte Staat zusammenbrechen.

Und damit wären wir wieder bei der These, der Eurovision Song Contest sei nicht politisch. Natürlich ist er das, schon seit seiner ersten Ausgabe. Ohne Politik gäbe es gar keine Eurovision, ohne Geld von der Regierung würden wir nicht über ein monegassisches Comeback sinnieren oder über den Zusammenbruch Bosnien-Herzegowinas und was das für den Song Contest bedeutet. Europa entwickelt sich weiter, ob nun immer zu seinem Vorteil sei dahin gestellt, aber auch der Eurovision Song Contest, der seit dem Zweiten Weltkrieg schon viele Strömungen und Entwicklungen erlebt hat, passt sich in seiner Beschaffenheit immer wieder den äußeren Einflüssen an. Hoffen wir, dass er es auch die nächsten 65 Jahre in solider Zuverlässigkeit schafft.