Sonntag, 16. April 2023

Eurovision am Sonntag (70)


Europa
- Der Eurovision Song Contest generiert seit seinen frühesten Anfängen Aufmerksamkeit, polarisiert in vielerlei Hinsicht positiv wie negativ und ist seit über 60 Jahren immer wieder ein Thema. Zum Teil auch, weil er von bestimmten Subjekten immer wieder zum Thema gemacht wird. Dabei kommt es, insbesondere in der deutschen Medienlandschaft regelmäßig zu Zitaten und Ereignissen, die vom Boulevardjournalismus derart ausgeschlachtet werden, dass sie häufig Nährboden für Unverständnis schaffen. 

Ich erinnere mich noch gut an das Jahr 2005, als Gracia den deutschen Vorentscheid gewonnen hat und das ganze Land wenig später von Tiraden gegen die Interpretin und deren Komponisten überzogen wurde, der Sieg sei nur aufgrund von CD-Käufen und gezielter Chartmanipulation zustande gekommen. Am Ende durfte Gracia, über die der NDR schützend die Hände gehalten hat, zum Song Contest nach Kiew fahren. Das Ergebnis ist bekannt und einige Wochen später hat sich niemand mehr für den Fall interessiert.

Einen ähnlichen Sturm im Wasserglas gibt es auch heuer wieder. Ein von der Süddeutschen Zeitung veröffentlichtes Interview mit Kommentator Peter Urban, der nach 25 Jahren seinen letzten Song Contest für die ARD kommentiert, ist Gegenstand einer "unwürdigen Schlammschlacht", wie es jüngst auf verschiedenen Kanälen heißt. Peter Urban hat ausführlich über den Eurovision Song Contest gesprochen und dabei das Ehrgefühl von Ikke Hüftgold verletzt. In der Passage heißt es, dass Urban sich darüber freue, dass der "tumb-teutonische" Ballermann-Schlager "Lied mit gutem Text" nicht den Vorentscheid gewonnen habe.

Ikke Hüftgold habe diese und weitere Aussagen als "Nachtreten" bezeichnet und seinerseits ein mehrseitiges Pamphlet veröffentlicht, in dem er die "fragwürdigen Machenschaften des NDR" thematisiert. Nachzulesen ist all dies u.a. auf seinem Facebook-Profil. Heute wurde nun das ESC-Update, der Podcast von NDR Blue zum Song Contest veröffentlicht, in dem Peter Urban seine Sicht der Dinge erläutert und zumindest nach meiner Einschätzung glaubhaft darstellt, dass er in ein falsches Licht gerückt wurde und Dinge aus dem Kontext gerissen wurden.

Im Kern sagte Peter Urban im Podcast zum SZ-Interview: "Es war mir schon klar, dass der nicht gewinnt. Ich habe ihm nur gesagt, dass ich mich gefreut habe, dass Lord of the Lost gewonnen haben und dass ich lieber mit denen nach Liverpool fahre als mit Ikke Hüftgold." Er fand das Lied furchtbar und kann mit der Ballermann-Musik nichts anfangen, daher habe er sich gefreut, dass mit Lord of the Lost ein anderes Genre nach Liverpool geschickt wird. Eine Meinung, die man teilen kann oder eben nicht, aber man darf sie ihm lassen. Zumal man ihm in all den Jahren attestieren muss, dass er sich in all den Jahren mit düsteren Perspektiven solidarisch mit den deutschen Kandidaten gezeigt hat.

Peter Urban ist seit 1997 die Stimme aus dem Off beim Eurovision Song Contest und hat sich in all den Jahren mit ganz anderen Kommentaren ins Aus geschossen, etwa im Jahr 2011 als er fast eine diplomatische Krise mit Kasachstan ausgelöst hätte, als dass man ihn nun aufgrund seiner offenen und eigenen Meinung über den Ausgang des deutschen Vorentscheids in diesem Jahr, mit dem er rein organisatorisch nicht einmal was zu schaffen hatte, wie eine Sau durch's Dorf treiben müsste. Auch ich habe seinen teilweise müden Kommentatorenstil über die Jahre oft genug kritisiert, das heißt aber nicht, dass man ihm seine subjektive Einschätzung verwehren muss.

Der deutsche Vorentscheid ist genauso wie die Olympischen Spiele oder das Hafenfest von Neuruppin eine öffentliche Veranstaltung zu der jeder eine Meinung haben kann. Die Wahrheit liegt nun irgendwo zwischen den angeprangerten Aussagen von Peter Urban, seinen Relativierungen, den Enthüllungen von Ikke Hüftgold, den meiner Meinung nach das Aly Ryan-Verlierersyndrom plagt, und dem Meinungsbild mehrerer Medienformate, die aktiv durch weitere Nachtret-Postings Öl ins Feuer gießen müssen. Auch negative PR ist PR oder wie war das... oder um Peter Urban ein weiteres Mal zu zitieren: "Ich fand’s schrecklich, aber das ist ja meine Geschmackssache."