Europa - Ein langer Tag, der um
4:56 Uhr begann und mit einem Kurztrip nach Świnoujście verbunden war, ist
verantwortlich dafür, dass der heutige Cocktail kurz vor der Happy Hour
erscheint und nachdem sich die Auswahl stetig reduziert, kümmern wir uns heute
um das "Mosaik". Darin geht es
nicht um den zunehmenden Scherbenhaufen Europas, sondern um die vielen kleinen
Bereicherungen beim Song Contest, Beiträge die in keine Schublade passen,
Länder über die wir uns mal mehr und mal weniger freuen und um exotische Sprachen
auf unserem Kontinent.
Insbesondere
bei den Sprachen gab es in 62 Jahren Eurovision Song Contest einige
Kuriositäten. So z.B. im Jahr 1972 als Sandie Jones für Irland an den Start ging und
ihren Titel „Ceol an ghrá“ („Musik der Liebe“) in irischem Gälisch
zum Besten gab. Zwar ist Irisch neben Englisch gleichberechtigte Amtssprache in
der Republik Irland, gesprochen wird sie aber tatsächlich nur von 1,6 Millionen
Menschen, rund 70.000 nutzen sie als Erstsprache. Sandie sang auf einer fremd
klingenden Sprache, was vielleicht auch die Juroren etwas abschreckte. Unter 18
Teilnehmern gab es für sie nur den 15. Platz, aufgrund der damals geltenden
Punkteregelung hatte sie aber immerhin 72 Zähler auf dem Konto.
Insbesondere
über die Sprachinseln beim Eurovision Song Contest könnte man ein ganzes
Pamphlet verfassen, bis ins kleinste Detail wurden die Beiträge analysiert,
Statistiker fanden etwa heraus, das nach derzeitigem Stand 46,3% aller
Siegerlieder auf Englisch gesungen wurden, gefolgt von Französisch mit 20,9%,
Niederländisch (4,5%), Hebräisch (4,5%) und Deutschland mit 3% immerhin auf
Platz fünf. Bedingt ist der hohe Prozentanteil durch die Tatsache, dass in den
70ern und seit 1999 keine Vorgaben mehr von Seiten der EBU bestehen, in welcher
Sprache ein Interpret sein Land repräsentieren muss und den Fakt, dass
Großbritannien und Irland in den Jahren zuvor eine Erfolgssträhne hatten, wohl
auch bedingt durch die allgemeine Verständlichkeit ihrer nativen Sprache.
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Ilanit 1973 brachte das Hebräische zum ESC |
Während
es zum guten Ton gehörte, in den frühen Anfängen des Wettbewerbs in seiner
Landessprache zu singen, Jetty Paerl tat dies 1956 als Allererste auf
Niederländisch, Lys
Assia auf Deutsch oder Fud Leclerc auf Französisch, Margot
Hielscher, die leider am vergangenen Sonntag im Alter von 97 Jahren
verstarb, brachte in ihrem Beitrag „Telefon,
Telefon“ die ersten spanischen Phrasen ein. Im Laufe der Jahre wurde die
Liste peu à peu ergänzt, um Dänisch, Luxemburgisch, Finnisch, Slowenisch, 1971
sang Joe
Grech erstmals auf Maltesisch beim Song Contest. Im gleichen Jahr
floss der erste Dialekt in den Wettbewerb ein. Marianne Mendt aus Österreich, die
mit „Wie a Glock’n“ den
Austropop lostrat, sang offiziell auf Wienerisch. 1973 trug Ilanit aus Israel „Ey sham“ auf
Hebräisch vor, der ersten semitischen Sprache im Wettbewerb.
1980 gab Marokko mit
Samira Bensaïd und
Liebesgrüßen ein Gastspiel, ebenfalls in einer semitischen Sprache: Arabisch.
Es sollte der einzige Auftritt Marokkos in der Geschichte des Eurovision Song
Contests bleiben. Zwar ranken sich seit Jahren die Gerüchte, der Privatsender
2MTV würde sich um eine Teilnahme bemühen, offenbar handelt es sich dabei jedoch
um ein Hoax, denn seit Jahren dementiert lediglich das staatliche Fernsehen
sein Comeback. Samira jedenfalls bleibt Eurovisionsfans in Erinnerung, weniger
durch den Song „Bitakat hob“ oder ihre Platzierung, sondern dadurch, als
einzige Interpretin jemals für das afrikanische Land mit dem grünen Pentagramm
in der Flagge vertreten zu haben. Der König des Landes untersagte nach der
Pleite weitere Teilnahmen, bislang haben sich die Verantwortlichen in Rabat
daran gehalten.
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Furbaz sangen als erste und bis- lang einzige auf Rätoromanisch |
Dialekte oder
Minderheitensprachen hielten ab Ende der 80er Jahre Einzug beim Eurovision Song
Contest. 1989 sang die Schweizer Formation Furbaz erstmals auf ihrer vierten Landessprache,
Rätoromanisch. Seit einigen Jahren ist der rätoromanische Sender RTR neben den
anderen drei Sendern in der Idée Suisse gleichberechtigt an der Organisation
des nationalen Vorentscheids verantwortlich, ein Song auf „Rumantsch“
hat es trotzdem seither nicht zum Song Contest geschafft. Immerhin geben sich
die Schweizer bei der Auswahl ihrer Beiträge was die Sprache angeht flexibel, zuletzt
allerdings auch vornehmlich auf Englisch. Genützt hat es seit 2010 allerdings
nur Anna Rossinelli und Sebalter, die das Finale für die Eidgenossen
erreichen konnten. Anna ereilte in Düsseldorf allerdings das Schicksal,
abgeschlagen auf dem letzten Rang zu enden. Inzwischen übernehmen das andere
Interpreten für die Schweiz bereits im Semifinale.
Einige Dialekte und Minderheitensprachen beim
Song Contest:
- 1991 - Neapolitanisch - Peppino di Capri - Comme è ddoce ’o mare
- 1992 - Haitianisches
Kreol - Kali - Monté la riviè
- 1996 - Vorarlbergisch - George Nussbaumer - Weil’s dr guat got
- 1996 - Bretonisch
- Dan ar Braz - Diwanit bugale
- 1999 - Samogitisch
- Aistė - Strazdas
- 2003 - Steirisch -
Alf Poier - Weil der Mensch zählt
- 2004 - Võro - Neiokõsõ
- Tii
- 2011 - Korsisch -
Amaury Vassily - Sognu
- 2012 - Udmurtisch - Buranovskiye Babushki - Party for everybody
- 2012 - Mühlviertlerisch - Trackshittaz - Woki mit deim Popo
- 2016 - Pontisch -
Argo - Utopian land
- 2016 - Krimtatarisch - Jamala - 1944
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Sonst stark patriotisch, beim ESC gab's aber noch keinen Beitrag auf Aserbaidschanisch |
Zudem haben es alle
Nationen mindestens einmal geschafft in ihrer Landessprache zu singen. Die
einzigen Ausnahmen bis zum heutigen Tage bilden Aserbaidschan, das seit 2008
dabei ist und seither in Englisch singt (wenngleich Sofi Marinova aus Bulgarien 2012 ein bisschen Aseri in
ihrem Titel „Love unlimited“ einschob) und das Fürstentum Monaco, wobei
das Monegassische keine offizielle Amtssprache ist. Da Monaco in absehbarer
Zeit wohl kaum den Elan und das Geld aufbringen wird, sich dem Eurovision Song
Contest zu stellen, liegen die Hoffnungen zunächst auf Aserbaidschan uns eine
neue Sprache im Wettbewerb zu schenken. Im spanischen Parlament wurde zudem
kürzlich vorgeschlagen, den Sender RTVE dazu zu verpflichten, nur Songs in den
Landes- und Regionalsprachen zuzulassen. Somit steigen die Chancen auch einmal
Galicisch, Baskisch oder, seit der Abkehr Andorras, auch mal wieder Katalanisch
zu hören.
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Mit Geschrammel auf Kata- lanisch fast ins Finale: Anonymous (2007) |
Und damit kommen wir
auch gleich zu einem Land, das mir persönlich sehr fehlt, wenngleich es gerade
einmal halb so groß ist wie das Bundesland Berlin - Andorra. Stets bemüht einen
originellen Song trotz des knappen Budgets zu stemmen, rackerten sich die
andorranischen Interpreten von Marta Roure 2004 bis Susanna Georgi 2009 immer auf Katalanisch ab. Ins Finale
hat es kein einziger andorranischer Interpret je geschafft. Die Band Anonymous war 2007 aber zumindest kurz davor und im
Mega-Semifinale mit 28 Teilnehmern auf dem 12. Platz gelistet. Aus der Fraktion
der Zwergstaaten verbleibt uns somit nur San Marino und selbst der Senderchef
Carlo Romeo kündigte nach dem Song Contest in Kiew an, sich die Zukunft bei der
Eurovision gut zu überlegen, schließlich waren auch die sanmarinesischen Titel
bislang nicht gerade von der Feder des Erfolgs gekitzelt worden...
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Ein bisschen spooky, aber auch gut bei Stimme: Cezar (2013) |
Es gibt aber nicht
nur Sprachen, die beim Song Contest für ein Alleinstellungsmerkmal sorgen,
sondern auch einige Beiträge, die sich musikalisch von der Masse abheben. In
einem Jahrgang mit zahllosen Balladen kann ein Uptempo-Song Wunder bewirken. Genauso
kann auch ein Titel, der musikalisch überhaupt keiner Sparte zuzuordnen ist,
Charme besitzen. Verwundert waren so z.B. viele Zuschauer, als ein rumänischer
Interpret 2013 in Malmö als Dracula verkleidet im Pailletten-Umhang im
Eunuchengesang versuchte „It’s my life“ darzubieten. Florin Cezar Ouatu,
kurz Cezar, gewann die lokale Selecția
Națională und irritierte die eine Hälfte der Zuschauer genauso wie er die
andere in seinen Bann zog. Der Song polarisierte und kam am Ende auf den 13.
Platz, nicht ganz zu unrecht.
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Weniger ist mehr: Edea |
1998 versuchte sich
Finnland beim Eurovision Song Contest mit einem interessanten Konzept, nämlich
damit, kaum Worte zu verwenden. Dabei heraus kam ein dreiminütiges Werk namens „Aava“,
das irgendwo zwischen Enya und „Unter dem Meer“ aus Arielle, der
Meerjungfrau einzuordnen ist. Sängerin Marika Krook der Gruppe Edea schaffte es mit sechs verschiedenen Worten
auszukommen und tatsächlich schnitt der Song, verglichen mit den Jahren zuvor,
äußert erfolgreich ab und wurde 15. Weniger Glück hatte Finnland 2015 mit der
Gruppe Pertti Kurikan Nimipäivät, in der vier an geistigen Behinderungen leidende, Bandmitglieder den
kürzesten Eurovisionssong aller Zeiten aufführten. "Aina mun pitää"
("Ich muss immer") sollte für Inklusion sorgen, verfügte
allerdings über keinerlei Melodie und wurde sang- und klanglos Letzter im
Halbfinale von Wien.
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Gloria Gaynor lebt, Joelle Ursull 1990 für Frankreich |
Experimente wagten
die Franzosen in den 90er Jahren. Nachdem das Französische noch den Song
Contest der 60er Jahre dominierte, sprangen Luxemburg und Monaco ab, Belgien
und die Schweiz versuchten sich auch auf ihren anderen Landessprachen und
Frankreichs Platzierungen sackten in den 80er Jahren ebenfalls ab. Somit
bemühte sich das französische Fernsehen um Vielfalt und schickte 1990 die
Sängerin Joëlle Ursull von der
Karibikinsel Guadeloupe zum Song Contest nach Zagreb. Mit karibischem Touch
verzauberte sie die Juroren in Malmö, für „White and black blues“ gab es
hinter Toto Cutugno aus Italien
den zweiten Rang. Im Jahr darauf verzauberte die Tunesierin Amina mit ihrer Hymne für die Rechte der Frauen in
der arabischen Welt und lieferte sich ein Duell mit Carola aus Schweden, die aufgrund des
EBU-Regelwerks punktgleich mit Amina, gewann.
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Hätte es den Barbara-Dex- Award 1994 schon gegeben... |
Frankreich lockte
noch häufiger mit Klängen, die sein koloniales Erbe zeigten. 1992 mischte Kali das Französische mit Haitianischem Kreol und
auch 1998 brachte Marie-Line mit ihrem „Où aller“ karibisches Flair auf die Song
Contest-Bühne. 2010 lieferte der aus der Demokratischen Republik Kongo (früher Zaïre)
stammende Jessy Matador exotisches
Temperament und steuerte gleichzeitig noch den französischen WM-Song bei. „Allez!
Ola! Olé!“ schaffte es in Oslo immerhin auf den 12. Platz.
Der Équipe
Tricolore hat es nichts genützt, sie schied, umgeben von Skandalen, bereits in
der Vorrunde des Turniers in Südafrika aus. 1994 schickte Frankreich Nina Morato zum Song Contest nach Dublin, die ein interessantes
Dress und einen avantgardistischen Titel namens „Je suis un vrai garçon"
("Ich bin ein richtiger Junge") darbrachte. Der Mut wurde
damals mit dem siebten Platz belohnt. Ein ähnlich beeindruckendes Lied lieferte Russlands Debütantin Youddiph. In Omas alte Gardine gehüllt vermochte die Russin mit ihrem ewigen Wanderer "Vechni strannik" allerlei Kunststücke zu vollziehen. Russland wurde an jenem Abend nach Polen auf dem zweiten und Ungarn auf dem vierten Platz die dritterfolgreichste Nation, die an diesem Abend ihren Einstand feierte.
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Ein ungleiches Duo: Dino und Beatrice (1999) |
Ebenfalls in keine
richtige Kategorie einsortiert werden kann man den speziellen bosnischen
Beitrag von Dino & Beatrice, 1999 in Jerusalem. Er im beigefarbenen
Pullover und sie im ausladenden Ballkleid sangen teils auf Bosnisch, teils auf
Französisch über „Putnici“, trotz allem entzückte Bosnien-Herzegowina
damit erstmals in seiner Song Contest-Laufbahn das Publikum und statt des
obligatorischen Anstandsapplauses gab es ernst gemeinten Beifall, der nicht nur
auf den überwundenen Bosnienkrieg zurückzuführen war. Zwei Jahre später schickte
Bosnien Nino Pršeš mit „Hano“
nach Kopenhagen, ein ebenfalls sehr spezieller Song, der jedoch an diesem Abend
keinen großen Erfolg verbuchen konnte.
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Mein Jahrgangsbester: ByeAlex für Ungarn |
Es gibt noch
zahllose weitere Songs, die positiv aus dem Rahmen fallen, „Kedvesem“
von ByeAlex, „Origo“
von Joci Pápai, beide aus
Ungarn oder „Sjúbídú“ von Anna Mjöll und „Minn hinsti dans“ von Pál Oskar aus Island. Nicht zuletzt gewann in diesem
Jahr mit Salvador Sobral ein Song, der
nach den Gesetzen der Eurovision eigentlich schon im Halbfinale hätte
ausscheiden können. Dennoch verkaufte sich die Idee, mit der er für Portugal
auf die Bühne schritt, so gut, dass Portugal sämtliche Punkterekorde
pulverisierte und einstimmig von Juroren und Zuschauern gleichermaßen an die Spitze
gesetzt wurde.
Poll: Wer noch nicht weiß, was er mit seinem Samstagabend anstellen soll,
der kann Michelle Hunziker im ZDF ab 20:15 Uhr dabei zusehen, wie sie eine
ebenso wilde musikalische Mischung anmoderiert, wie die oben genannten Beiträge.
Von der Münchener Freiheit über Jürgen Drews bis hin zur Kelly Family ist alles
vertreten. Und darüber hinaus stehen auch noch drei Mottos zur Auswahl: „X-Files“, „And finally…“ und „Lost & Found“. Zur
Abstimmung geht es hier.