



Im Vorfeld des Eurovision Song Contests 2005 gab es, wohl auch noch bedingt durch die Expansion und die Einführung eines Semifinals, das nun deutlich mehr Ländern Platz bot, einige Verschiebungen beim Song Contest. Ungarn kündigte nach siebenjähriger Auszeit seine Rückkehr an und lieferte mit der Gruppe Nox und dem fantastischen "Forogj világ" einen tollen Comeback-Beitrag, von dem heute vor allemdas stepptanzartige Gehampel von Tamás Nagy im Kopf verankert ist. Tschechien sollte, konnte aber wollte schlussendlich nicht teilnehmen. Auch der Libanon meldete sich an, aus bekannten Gründen musste Aline Lahoud mit ihrem orientalischen "Quand tout s'enfuit" zuhause in Beirut bleiben.
Dafür präsentierten sich erstmals zwei osteuropäische Nationen, das eine sollte auf seine großen Erfolge lange warten, das andere legte sofort beim Debüt einen Knaller hin. Die Republik Moldau oder kurz Moldawien schickte die Gruppe Zdob şi Zdub ins Nachbarland Ukraine. Leadsänger Roman Iagupov besang in dem Lied "Boonika bate doba" ein Großmütterchen mit den Worten "She's a drum machine, you know what I mean" und wies darauf hin, dass die ältere Dame auf der Bühne eine wichtige Funktion erfüllt und nicht nur im Schaukelstuhl sitzt, sondern auch in der Lage ist, die große mitgebrachte Trommel zu schlagen. Lidia Bejenaru, in Tracht und einem so herzlichen Lächeln, bescherte Moldawien gleich zu Beginn den sechsten Platz.

Bulgarien scheiterte hingegen im ersten Anlauf mit der Gruppe Kaffe um Leadsänger Orlin Pavlov. "Lorraine" war ein extrem dröges Lied, das schlussendlich den 19. Platz im Semifinale belegte. Orlin Pavlov ist heutzutage noch häufig als Juror tätig, sein Song Contest-Beitrag gehört allerdings zu denen, die man getrost vergessen kann. Spannender war da schon Mariana Popova mit "Let me cry", die in Athen sehr eindrucksvoll trauerte und mit Aziz auch noch eine sehr interessante Erscheinung im Backgroundchor aufbieten konnte. Aber auch sie schied als 17. deutlich im Halbfinale aus.

Das bulgarische Fernsehen zog sich daraufhin zurück und erbat sich zwei Jahre Bedenkzeit. 2016 war es dann einer internationalen Kooperation und dem gescheiterten Star Poli Genova geschuldet, dass Bulgarien plötzlich einen vorzeigbaren Song namens "If love was a crime" aufzubieten hatte und im vorderen Feld rangierte. Poli rächte sich für ihr Aus in Düsseldorf und erreichte für Bulgarien den vierten Platz. Dieses beste Ergebnis pulverisierte der 17jährige Kristian Kostov in diesem Jahr. "Beautiful mess", hinter dem nahezu das gleiche Team wie 2016 steckte, gewann zunächst das Semifinale und später hinter Salvador Sobral den zweiten Platz. Der Youngster, der vor allem durch seine zahlreichen Instagram-Aktivitäten auffällt, hat Bulgarien endgültig auf Kurs gebracht, wenngleich die Anfänge eher tapsig waren.
2006 erschloss die Europäische Rundfunkunion die Ländereien hinter dem Schwarzen Meer. Der armenische Rundfunk war kurz zuvor EBU-Mitglied geworden und gab in Athen sein Debüt. Ausgewählt wurde der Sänger André, der mit "Without your love" eine sehr abgegriffene Titelzeile wählte, mit seinem Club der roten Bänder aber unter Beweis stellte, dass er den Reizen seiner Backingtänzerinnen erlegen ist. Armenien erreichte, für mich damals überraschend, den achten Platz im Finale. Erkennbar war schon hier, dass vor allem die armenische Diaspora in den Benelux-Ländern und Frankreich fleißig für ihren Kandidaten anrief. Armenien war direkt für das Finale im nächsten Jahr qualifiziert.
Bis 2011 schafften es alle armenischen Interpreten sich im Finale und dort sogar in den Top Ten zu platzieren. Dann kam Emmy, eine der präsentesten Interpretinnen des Landes zur damaligen Zeit, die mit "Boom boom" die Grenzen des guten Geschmacks brach, indem sie die Bühne in einen Boxring verwandelte und ihre Performance ihrem Landsmann Arthur Abraham widmete. Dieser dürfte sich bedankt haben, als Emmy als erste armenische Interpretin im Halbfinale scheiterte. Auch 2012 war Armenien nicht im Finale dabei, da man von vorn herein auf eine Teilnahme im verfeindeten Aserbaidschan verzichtete. Laut Aussage aus Yerevan hätte das aserbaidschanische Fernsehen keine zufriedenstellenden Sicherheitsgarantien für die armenische Delegation geben können, die Gründe dürften jedoch woanders liegen.
Armenien ist häufiger Provokateur beim Song Contest, 2015 erinnerte die international zusammengestellte Formation Genealogy in "Face the shadow" unterschwellig an den Völkermord an den Armeniern im Osmanischen Reich, der sich zum 100. Mal jährte und Iveta Mukuchyan, die auch in Hamburg zuhause ist, wedelte im Halbfinale mit der Flagge der Region Berg-Karabach. Wie sie später im Interview erklärte, sei dies eine spontane Idee gewesen, bei der sie auf ihr Herz gehört hätte. Armeniens Rundfunkanstalt wurde nachträglich verwarnt, eine Disqualifikation im Falle der Wiederholung ausgesprochen. In diesem Jahr schickte Armenien Artsvik nach Kiew, den ersten Beitrag des Landes, der mir vor und ganz gefällt. Und dieser schmierte natürlich ab, nur Platz 18 im Finale...
Nur ein Jahr später, als die Schockwelle nach Lordis Sieg bei einigen Traditionalisten noch wirkte, expandierte der Eurovision Song Contest weiter und erschloss neben Serbien und Montenegro, die fortan getrennt auftraten, auch endlich Tschechien und mit Georgien ein weiteres Land aus dem Kaukasus. Das tschechische Fernsehen nahm den Eurovision Song Contest in den ersten Jahren vielmehr als Pflichterfüllung war, der Ruf des Wettbewerbs war schon zu Zeiten der Nicht-Teilnahme nicht der beste. Die Platzierungen zwischen 2007 und 2009, zwei letzte und ein vorletzter Platz trugen nicht unbedingt dazu bei, dass der Wettbewerb Ansehen genoss.

Regelmäßiger präsentierte sich Georgien im Finale des Eurovision Song Contests. Das Land der Traditionen, in dem man bei Anreise in Tiflis eine Flasche Wein geschenkt bekommt, startete 2007 fulminant mit Sopho Khalvashi in den Wettbewerb. Die Schwerttänze zu "Visionary dream" reichten für Platz 12. In seiner weiteren Song Contest-Statistik schickte Georgien noch weitere Sophos in den Wettbewerb, 2010 glänzte Sopho Nizharadse, 2013 stimmte Sopho Gelovani in ein Duett mit Nodiko Tatishvili ein. Georgien holt sich regelmäßig in Skandinavien professionelle Hilfe. 2013, 2015 und 2016 war Thomas G:son maßgeblich an den georgischen Songs beteiligt.
Alle drei landeten jedoch außerhalb der Top Ten im Finale. Gar nicht erst ins Finale schafften es die beiden sehr experimentellen Beiträge von Anri Jokhadze ("I'm a joker") und "Three minutes to earth" von The Shin. Georgien setzte nur einmal, dank des Südossetien-Krieges 2009 beim Eurovision Song Contest in Moskau aus. Der Protestsong "We don't wanna put in" war eine wenig subtile Anspielung auf den russischen Machthaber und seine Politik. Eine der Sängerinnen der damaligen Formation 3G, Tako Gachechiladse, nahm in diesem Jahr mit "Keep the faith" am Song Contest teil.

Danach begann die Ära des Ralph Siegel und vor allem die Festspiele von Valentina Monetta. 2012 behandelte Valentina das Thema soziale Netzwerke und hampelte mit einem Notebook über die Bühne von Baku, 2013 wäre der Finaleinzug sehr verdient gewesen, 2014 klappte es dann endlich. In diesem Jahr holte das sanmarinesische Fernsehen Siegel und Monetta zurück und verpasste beiden den amerikanischen Sänger Jimmie Wilson an die Seite, der allerdings in Mannheim lebt und durch Vitamin B in Ralph Siegels Produktionsfirma Jupiter Records rutschte. San Marino stand, anders als z.B. Andorra, immerhin einmal im Finale und ließ 2014 zumindest Slowenien und Frankreich hinter sich.
Beiträge, die San Marino Ralph Siegel verdankt:
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Inzwischen wird innerhalb des sanmarinesischen Fernsehens offen darüber diskutiert, ob eine Teilnahme am Eurovision Song Contest noch Sinn macht. Zwar ist der Wettbewerb eine gute Werbemaßnahme für das Land, die fehlenden Connections mit anderen Ländern, die Chancenlosigkeit aufgrund der geringen Größe San Marinos und der Umstand, dass die EBU aufgrund eines fehlenden eigenen Telefonnetzes einen Mittelwert aus anderen Nationen für das Land ermittelt, tragen nicht dazu bei, dass sich San Marino willkommen fühlt. Aufgrund der kaum vorhandenden Chancen verzichten auch Monaco, Andorra und Luxemburg auf die Teilnahme...
Im gleichen Jahr wie San Marino schlug aber auch das Land des Feuers, Aserbaidschan, beim Eurovision Song Contest auf und machte durch teure Produktionen und später auch durch offenbar unsaubere Methoden auf sich aufmerksam. Während das Debüt mit Elnur & Samir in Belgrad noch recht unspektakulär verlief (ein Kampf zwischen Engel und Teufel), ließ der Sender in Baku mit Aysel & Arash zwei Interpreten auf Europa los, die mit "Always" alle Register der Popszenerie zogen und am Ende Platz drei sicherten. Aserbaidschan belegte zwischen 2009 und 2013 alle möglichen Platzierungen zwischen eins und fünf.
2013 wurden kritische Stimmen laut. Der zweite Platz von Farid Mammadov sei maßgeblich durch Stimmenkauf im Ausland zustande gekommen. Es tauchten dubiose Videos aus Litauen auf, ebenso wie Meldungen, Malta sei in einen Votingskandal involviert. Die EBU ermittelte in alle Richtungen, außer der Ankündigung, Aserbaidschan in Zukunft genauer observieren zu wollen, folgten aber keine Konsequenzen. Seitdem knickte die Bilanz ein, 2014 wurde Dilarə Kazımova nur 22., in diesem Jahr reichte es auch nur für den 14. Platz für "Skeletons" für die tiefsinnige Performance von Dihaj. Aserbaidschan verpflichtet aber, ähnlich wie Georgien, regelmäßig skandinavische Komponisten, vor Stefan Örn über Henrik Wikström bis hin zu Sandra Bjurman ist alles vertreten.
Seither wartet der Eurovision Song Contest auf die letzten verbliebenen europäischen Nationen und EBU-Mitglieder, die noch nicht teilgenommen haben. Die Liste ist deutlich kürzer geworden. Sowohl der Kosovo als auch Liechtenstein sind keine EBU-Mitglieder und daher nicht teilnahmeberechtigt. Auch Kasachstan, das nach Kräften versucht, sich einen Startplatz zu erschleichen, wurde bislang nicht gesehen. Stattdessen hat die Europäische Rundfunkunion mit Australien einen komplett außerhalb gelegenen Kontinent ins Boot geholt, der inzwischen sein Gewohnheitsrecht wahrnimmt und mit Isaiah Firebrace in diesem Jahr bereits den dritten Beitrag schickte.
Diese Aufweichung der Eurovisionsregeln könnte in Zukunft auch die Teilnahme anderer außereuropäischer Nationen möglich machen. Vielleicht gibt es nach Mehrheitsbeschluss und Ausnahmeregelungen bald Beiträge aus Kanada, China, Südafrika oder Brasilien. Die EBU hat genügend assoziierte Mitglieder. Was wir so schnell allerdings nicht erleben werden sind Debüts der verbliebenen Vollmitglieder, die bislang nicht präsent waren.
EBU-Mitglieder, die bislang nicht beim ESC dabei waren:
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Da die Expansionsmöglichkeiten nunmehr begrenzt sind und wohl kaum davon auszugehen ist, dass die EBU in Zukunft auch noch hinter das Kaspische Meer blickt und Nationen wie Usbekistan oder Kirgisien ins Boot holt oder Gebiete wie Gibraltar, die Åland-Inseln oder Färöer einlädt, bleibt nur der Trend übrig, Nationen zu gewinnen, die früher teilgenommen haben, seit Jahren aber aussetzen. Dazu gehören die Türkei ebenso wie die Slowakei, Bosnien-Herzegowina oder Andorra. Der Song Contest ist derzeit auf ein Maximum von 45 Nationen ausgelegt, ein bisschen Luft ist also noch.

Poll: Zehn Themen haben wir noch übrig, fünf von ihnen stehen für kommenden Samstag zur Wahl. Wer mag kann sich auf "Making a hit", "Grundschulzeit", "Blizzard & Inferno", "Mosaik" oder "Mi corazon" festlegen. Zur Abstimmung geht es hier. Und damit wünsche ich allen Lesern einen schönen Sonntag, auch Hamburg geht wieder zur Normalität über.