Samstag, 16. Juli 2016

Purple Cocktail: Bonsoir l'Europe



Europa - Nach einwöchiger Pause, in der ich lieber live Cocktails im Urlaub getrunken habe, kehrt unsere lustige Rubrik heute mit dem Thema "Bonsoir l’Europe" zurück. Es geht darin weniger um die klassischen französischen Chansons, sondern um die Engagements von Künstlern, die für andere Nationen gestartet sind, sprich nicht ihr Heimatland vertreten haben. In der Geschichte der Eurovision lässt sich der Zeitstrahl bis zum ersten Wettbewerb 1956 in Lugano abdecken.


Bonsoir l'Europe
Feminnem 2005
Der erste Eurovision Song Contest 1956 war für alle Beteiligten völliges Neuland, weder die Europäische Rundfunkunion noch die einzelnen Interpreten und Rundfunkanstalten wussten, wozu sich der Wettbewerb im Kurhaus am Luganer See entwickeln würde und somit gab es im Vergleich zu heutigen Shows keine allzu große Resonanz auf den Wettbewerb, es gilt nicht einmal als gesichert, dass es einen deutschen Vorentscheid gab, dieser stand zwar in der Hörzu von 1956 ausgeschrieben, sämtliche Interpreten konnten sich jedoch nicht erinnern, je in einer solchen Sendung aufgetreten zu sein.

Die erste Eurovisionstouristin:
Michèle Arnaud (1956)
Und auch der erste "Gran Premio Eurovisione della Canzone Europea" brachte sein erstes Fremdengagement mit sich. Unter den sieben Teilnehmernationen war auch Luxemburg gemeldet, ein Land, das zur damaligen Zeit rund 310.000 Einwohner hatte und musikalisch keinen großen Markt anzubieten hatte, wie etwa Frankreich, Italien oder Deutschland. Und so kam bereits die erste Interpretin des Landes, Michèle Arnaud aus dem französischen Toulon und durfte beide Titel für Luxemburg vorstellen. Auch in den nächsten Jahren bediente sich Luxemburg oft im Ausland, Solange Berry (1958) stammte aus Charleroi in Belgien, Nana Mouskouri (1963) wurde auf Kreta geboren, Vicky Leandros auf Korfu, Ireen Sheer im englischen Romford.

Für Luxemburg und Deutsch-
land im Einsatz: Ireen Sheer
Géraldine, die 1975 für Luxemburg antrat, kam eigentlich aus Irland, Jürgen Marcus, der ein Jahr später sang, wurde 1948 als Jürgen Beumer in Herne geboren. Die von Ralph Siegel formierte Gruppe, die 1985 "Children, Kinder, enfants" sang, bestand aus sechs Interpreten, die allesamt aus dem Ausland stammten. Margo alias Annemieke Verdoorn stammte aus den Niederlanden, Franck Olivier war Belgier, Diane Solomon kam aus den USA, Ireen Sheer und Malcolm Roberts waren Briten, Chris Roberts stammte aus München. Ein ähnliches Projekt schuf Ralph Siegel auch im Jahre 2006, als er vom Schweizer Fernsehen um Hilfe gebeten wurde.

Sechs Nationen auf einem Bild:
six4one, 2006 für die Schweiz
2005 scheiterte Marco Matias im Duett mit DSDS-Teilnehmerin Nicole Süßmilch im deutschen Vorentscheid an Gracia. Im Jahr darauf wurde er Teil von six4one, einer sehr bunt zusammengewürfelten Truppe, die im Sinne der europäischen Punkterhascherei möglichst viele Nationen vereinen sollte. Nur Claudia d'Addio stammte tatsächlich aus der Schweiz. Ergänzt wurde das Projekt, das nach dem Eurovision Song Contest von Athen nie wieder zusammenarbeitete vom Schweden Andreas Lundstedt, der eigentlich mit der Band Alcazar erfolgreich ist, der Bosnierin Tinka Milinović, der Siegel schon für den bosnischen Vorentscheid im Jahr zuvor ein Lied auf den Leib schneiterte, dem Malteser Keith Camilleri und der israelischen Sängerin Liel Kolet.

Beim Eurovision Song Contest konnten six4one aber nur 30 Punkte kassieren, aus Malta gab es auch tatsächlich zwölf Punkte, aus Bosnien und Israel immerhin jeweils vier Punkte. Portugal vergab für Marco Matias, der portugiesische Wurzeln hatte, immerhin ein Gnadenpünktchen. Ralph Siegel selbst wurde in den Folgejahren ein Globetrotter und versuchte mit lokalen Interpreten einen Fuß in die Tür zu setzen. So folgten auf den Schweizer Ausflug Verpflichtungen in Montenegro und die letzten paar Jahre in San Marino. Auf Malta, wo er sich nach der Verbannung des NDR, mehrfach bewarb, konnte er jedoch nie so richtig landen. Aber auch die anderen beiden Zwergstaaten Andorra und Monaco bemühten zumeist spanische bzw. französische Interpreten mangels eigener Künstler.

Von Sofia zum Song Contest:
Nora Nova (1964)
Aber auch Deutschland nominierte bzw. wählte regelmäßig ausländische Künstler, die zum Großteil jedoch Erfolge in den Hitparaden der Bundesrepublik feiern konnten. Die erste ausländische Sängerin in deutschen Diensten war die bulgarische Sängerin Ahinora Kumarova, besser bekannt als Nora Nova. 1960 kam sie von Bulgarien nach West-Berlin und trat dort beim SFB (Sender Freies Berlin), im gleichen Jahr erhielt sie einen Plattenvertrag, 1964 folgte dann der Sieg im Vorentscheid des Hessischen Rundfunks. Mit "Man gewöhnt sich so schnell an das Schöne" landete sie auf dem letzten, punktelosen Platz. Nach ihrer Hochzeit mit einem Wuppertaler Nachtclubbesitzer wurde es jedoch ruhig um sie.

Skandinavische Power für
Deutschland: Siw, Wencke
und Gitte (von links)
In den Folgejahren setzte Deutschland auf skandinavische Power. 1968 schickte man mit Wencke Myhre eine Norwegerin, im Jahr darauf mit Siw Malmkvist eine Schwedin und 1973 die dänische Ikone Gitte Hænning. Auch Deutschland profitierte von der englischen Sängerin Ireen Sheer. Mit "Feuer" konnte sie 1978 einen sechsten Platz erzielen. Im Jahr des Eurovision Song Contests in Jugoslawien durfte Ralph Siegel wieder ran. Sein völkerverbindendes Duo Chris Kempers & Daniel Kovac bestand aus einer braven Sängerin aus Mönchengladbach und dem jugoslawischen Sänger Daniel Kovac, der eher schlecht als recht sang. Dennoch war es die erfolgreichste "Einheitshymne" nach "Insieme 1992" von Toto Cutugno in diesem Jahrgang.

Gingen auf die Reise nach
Jerusalem: Sürpriz (1999)
Und auch 1999 entsandte Deutschland Ralph Siegel, nachdem Corinna May disqualifiziert wurde, fuhr die Truppe Sürpriz nach Jerusalem. Von den Bandmitgliedern wurde lediglich Savaş Uçar in Istanbul geboren, die übrigen Mitglieder Chicco, Deniz, Yasemin, Filiz und Bülent wurden allesamt in Deutschland geboren. Die "Reise nach Jerusalem" trug den Beinamen "Kudüs’e seyahat" und wurde gleichermaßen auf Deutsch und Türkisch sowie teilweise in Englisch und im Schlussrefrain auf Hebräisch gesungen. Ein dritter Platz waren bis heute das vorläufige Sahnehäubchen auf Siegels Eurovisionsbilanz.

Deutsche Song Contest-Interpreten mit ausländischen Wurzeln:
Nora Nova aus Sofia/Bulgarien, 1964
Wencke Myhre aus Oslo/Norwegen, 1968
Siw Malmkvist aus Landskrona/Schweden, 1969
Gitte Hænning aus Aarhus/Dänemark, 1973
John Lawton aus Halifax/Kanada, 1976 (Les Humphries Singers)
Rhonda Heath aus New York/USA, 1977 (Silver Convention)
Penny McLean aus Klagenfurt/Österreich, 1977 (Silver Convention)
Ireen Sheer aus Romford/England, 1978
Leslie Mandoki aus Budapest/Ungarn, 1979 (Dschinghis Khan)
Edina Pop aus Budapest/Ungarn, 1979 (Dschinghis Khan)
Louis Hendrik Potgieter aus Pretoria/Südafrika, 1979 (Dschinghis Khan)
Henriette Strobel aus Nieuwe Amstel/Niederlande, 1979 (Dschinghis Khan)
Daniel Kovac aus Črna na Koroškem/Jugoslawien, 1990
Savaş Uçar aus Istanbul/Türkei, 1999 (Sürpriz)
Jane Comerford aus Newcastle/Australien, 2006 (Texas Lightning)
Lucy Diakovska aus Plewen/Bulgarien, 2008 (No Angels)
Oscar Loya aus Indio/USA
Elżbieta Steinmetz aus Smila/Ukraine, 2014 (Elaiza)

Vocal Coach und Frontfrau von
Texas Lightning: Jane Comerford
Deutschland schickte später weitere Interpreten zum Eurovision Song Contest, deren Wurzeln woanders lagen. Die Leadsängerin von Texas Lightning, Jane Comerford beispielsweise stammte aus Australien, Lucy Diakovska von den No Angels wurde in Bulgarien geboren, der intern nominierte Sänger Oscar Loya wurde in Indio, Kalifornien geboren. Der Eurovision Song Contest schreibt nicht vor, dass der Interpret, der für ein Land singt, auch dort geboren sein muss. Es obliegt den jeweiligen Rundfunkanstalten, festzulegen, ob der Sänger ein Staatsbürger seines Landes sein muss. So fordern z.B. häufig die finnischen und dänischen Sender, dass zumindest ein permanenter Wohnsitz notwendig ist, in anderen Nationen, wie z.B. beim Schweizer Online-Vorentscheid, kann sich jeder von Afghanistan bis Zypern bewerben.

Johnny Logan gewann 2x als
Interpret, 1x als Komponist
Ausländische Interpreten waren teilweise auch stark erfolgreich. Luxemburg hätte ohne fremde Hilfe keinen einzigen seiner fünf Siege eingefahren und auch Irland hätte zwei Siege weniger auf dem Konto. Der zweifache Sieger Johnny Logan wurde nämlich nicht auf der grünen Insel sondern als Seán Patrick Michael Sherrard O'Hagan in Frankston bei Melbourne in Australien geboren. Monaco würde ohne die französische Sängerin Séverine ebenfalls noch auf seinen ersten Triumph warten, vom zweiten Schweizer Sieg durch Céline Dion ganz zu schweigen. 

Einige für andere Nationen im Dienst gewesene Interpreten:
- Amina Annabi aus Karthago/Tunesien, 1991 für Frankreich 
- Anggun aus Jakarta/Indonesien, 2012 für Frankreich 
- Anna Vissi aus Larnaka/Zypern, 1980 und 2006 für Griechenland 
- Arash Labāf aus Teheran/Iran, 2009 für Aserbaidschan 
- Dami Im aus Seoul/Südkorea, 2016 für Australien 
- Dave Benton aus Aruba, 2001 für Estland 
- Daria Kinzer aus Aschaffenburg/Deutschland, 2011 für Kroatien 
- Elisabeth Andreassen aus Göteborg/Schweden, 1994 und 1996 für Norwegen 
- Elnur Hüseynov aus Aschgabat/Turkmenistan, 2008 und 2015 für Aserbaidschan 
- Getty Kaspers aus Graz/Österreich, 1975 für die Niederlande 
- Jon Lilygreen aus Newport/Wales, 2010 für Zypern 
- Jöran Steinhauer aus Bochum/Deutschland, 2014 für Lettland 
- Karel Gott aus Pilsen/Tschechien, 1968 für Österreich 
- Natasha St-Pier aus Bathurst/Kanada, 2001 für Frankreich 
- Rykka aus Vancouver/Kanada, 2016 für die Schweiz 
- Sahlene aus Säderhamn/Schweden, 2002 für Estland 
- Sandra Oxenryd aus Kristinehamn/Schweden, 2006 für Estland 
-  Serhat aus Istanbul/Türkei, 2016 für San Marino 
- Soluna Samay aus Antigua/Guatemala, 2012 für Dänemark 
- Susanna Georgi aus Sjølund/Dänemark, 2009 für Andorra 
- Vanilla Ninja aus Estland, 2005 für die Schweiz 

Eine Schwedin für Estland:
Platz 3 damals für Sahlene
Zwei Interpreten aus dem Ausland durften sogar das Gastgeberland vertreten. 2002 gewann die schwedische Sängerin Anna Sahlene mit ihrem Titel "Runaway" den Eurolaul, den estnischen Vorentscheid und durfte das baltische Land vor heimischer Kulisse in Tallinn vertreten. 2006 bediente sich Estland erneut in Schweden, Sandra Oxenryd flog jedoch mit "Through my window" im Halbfinale raus. Die zweite Sängerin, die den Gastgeber vertreten durfte war Anastasia Prihodko 2009 in Moskau. Sie wurde in der Ukraine geboren und gewann, nachdem sie im eigenen Land nur Platz 11 erreichte, den russischen Vorentscheid. Hier kam es zu Protesten einiger Russen, die sich einen patriotischen Beitrag gewünscht haben, Anastasia wurde jedoch von Channel One als Interpretin gehalten.

50 candles on the 40 cakes:
Feminnem singen "Call me"
Die Verpflichtungen reichen quer um die Welt, namensgebend für diesen Cocktail ist jedoch die Band Feminnem, die 2005 für Bosnien-Herzegowina an den Start ging. Mit ihrem Titel "Call me" sangen sie eine Hommage und gleichzeitig ein Geburtstagsständchen für den Eurovision Song Contest, der 2005 in Kiew sein 50jähriges Jubiläum feierte. Die Gruppe bestand damals aus den beiden bosnischen Sängerinnen Ivana Marić und Pamela Ramljak sowie der Kroatin Neda Parmać. 2007 bewarben sie sich beim kroatischen Vorentscheid, wurden mit "Navika" jedoch nur Neunte, 2009 wurden sie mit "Poljupci u boji" Dritte bei der Dora. 2010 gewannen sie schließlich in Kroatien, Ivana wurde durch die kroatische Sängerin Nika Antolos ausgetauscht. Die drei fuhren nach Oslo und belegten mit "Lako je sve" jedoch keinen Finalplatz und schieden im Semifinale aus...

Feminnem - Call me (offizielles Musikvideo)


Poll: Auf geht's in die nächste Runde. Sieben Themen liegen noch auf dem Wühltisch bereit, im Angebot habe ich noch das Pizzamotto "Quattro Stagioni", "Oh Tannenbaum", "Alpha & Omega", "Fashion Queen", "Silver Convention", "Vintage Week" und finally "Shamrock". Viel Spaß beim Abstimmen, am nächsten Samstag geht es dann weiter und zur Abstimmung hier entlang.