Europa - Mit 74 (bis gestern Abend) abgegebenen Stimmen hätte ich nun wahrlich nicht gerechnet, der Sieger der ersten Abstimmung ist aber eindeutig, mit 34% heißt unser erster Cocktail in diesem Sommer "Molitva". Pate des Postings ist der Siegertitel von Marija Šerifović in Helsinki 2007. Wir gehen allerdings tiefer in die Materie, als dass wir nur über die junge Serbin berichten sondern tauchen ein in eine Welt voller Schmerz, gehen der Frage nach, warum viele Interpreten vom Balkan mit Hingabe den Bühnentod sterben und analysieren, welche Kandidaten in der Song Contest-Geschichte das Prädikat "Kreideschrei" erfüllen.
Ovo je Balkan: Čevapčiči |
Kurz vor dem Zerfall Jugos- lawiens gewannen Riva |
Bosniens Premiere ging unter die Haut: Fazla |
- 1993: Fazla - Sva bol svijeta (Platz 16)
- 1998: Danijela Martinović - Neka mi ne svane (Platz 4)
- 2004: Željko Joksimović - Lane moje (Platz 2)
- 2005: Boris Novković & Lado - Vukovi umiru sami (Platz 11)
- 2006: Hari Mata Hari - Lejla (Platz 3)
- 2007: Marija Šerifović - Molitva (Platz 1)
- 2008: Jelena Tomašević - Oro (Platz 6)
- 2009: Grupa Regina - Bistra voda (Platz 9)
- 2014: Sergej Ćetković - Moj svijet (Platz 19)
- 2015: Knez - Adio (Platz 13)
- 2016: Dalal & Deen feat. Ana Rucner & Jala - Ljubav je (Platz 11, SF)
Mazedoniens Popstar, leider zu früh von uns gegangen... |
Schon beim jugoslawischen Vorentscheid stellten die
einzelnen Ableger des Senders JRT eigene Kandidaten, da durften damalige Größen
der lokalen Musikszene wie Lepa Brena ("Miki mico"), Neda Ukraden, Tereza Kesovija oder
Oliver Dragojević gegeneinander antreten, zur Eurovision wurde jedoch nur einer
geschickt. Mit dem Ende von Jugoslawien endete auch die Sendezeit von JRT, der Sender zerbrach in die regionalen Sender, etwa HRT in Kroatien oder BHRT in Bosnien. Nur die Teilrepublik Mazedonien schaffte es zu "Jugovizija" nicht, einen
Interpreten zum Wettbewerb zu schicken, dafür durfte man 1998 immerhin mit
Vlado Janevski und einem sehr düsteren Titel zur Eurovision nach Birmingham
fahren.
Željko und seine heutige Frau Jovana Jankovic |
Schriller Stil und schrille Stimme: Rona Nishliu |
Die Grenzen des Balkan sind dabei gar nicht klar definiert.
Der Name leitet sich von einem Gebirgszug in Bulgarien ab, die Balkanhalbinsel
selbst ist aber nicht klar eingegrenzt, einigen Quellen zufolge werden Donau
und Save als Grenze genommen, andere Quellen ziehen eine imaginäre Linie zwischen
Triest und Odessa. Der Begriff ist hierzulande häufig negativ behaftet, mit
Klischees wie Korruption, Krieg, Kleinstaaterei und Rückständigkeit. Abwertend
wurde er insbesondere in den 90er Jahren als "Pulverfass Europas"
bezeichnet. Die Halbinsel vereint trotz des Krieges, der Hunderttausende zu
Flüchtlingen machte, zahlreiche Ethnien, darunter auch viele Roma (abwertend
auch Zigeuner).
Esma und Vlatko sangen 2013 für die EJR Mazedonien |
Empfehlenswerte Musik vom Balkan:
- Dino Merlin & Ivana Banfić - Godinama
- Nina Badrić - Carobno jutro
- Saša Lendero - Mandoline
- Petar Graso & Nina Badrić - Utorak
- Vesna Pisarovic - Da znaš
- Hari Mata Hari - Strah me da te volim
- Jelena Rozga - Nemam
- Toše Proeski - Pratim te
Goran Bregovic durfte 2008 mit seiner Brass-Band auftreten |
Neben Flöten und Dudelsäcken ist u.a. auch die serbische
Brass-Musik ein Exportschlager. Zu sehen gab es eine derartige Kostprobe 2008
im Rahmenprogramm des Song Contests in Belgrad, als Goran Bregović mit seinem
Orchester spielte. Siegreich war jedoch nur Marija Šerifović, die 2007 ihr
"Gebet" mit den Beauty Queens im Nacken sang und aus dem Stand den
Sieg für das gerade erst unabhängig gewordene Serbien einfuhr. Unterlegt wurden
viele Musikvideos der ex-jugoslawischen Beiträge mit Bildern der Landschaft auf
dem Balkan, da kam die historische Brücke von Mostar ebenso vor wie die
namensgebenden Berge in Montenegro oder die Karst- und Waldlandschaften in
Kroatien. Dort wo früher Pierre Brice als Winnetou durch die Gegend ritt, werden heute Preview-Clips für die Eurovision aufgenommen.
Liebling der Fans: Kaliopi |
Die Balkanmelodien verleiten aber auch, insbesondere beim
Eurovision Song Contest, zu besonders hohen Noten. Die unangefochtene Königin
ist dabei Kaliopi, die 2012 mit "Crno i belo" in Baku die spitzeste
Note überhaupt abgab. 2016 versuchte sie sich in Stockholm erneut, mit drei
Stimmbändern ist sie da auch klar im Vorteil. Sie freute sich sehr auf ihren
Eurovisionsauftritt, im Halbfinale war mit "Dona" allerdings als
Elfte Schluss. Aber auch ihre kroatische Kollegin Maja Blagdan 1996 in Oslo
stand ihr mit "Sveta ljubav" in nichts nach. Das Phänomen, dass
Mazedonien regelmäßig als Elftes im Semifinale rausfliegt, muss allerdings noch
ergründet werden.
Es gibt viele, die keinen Zugang zu den Klageliedern aus
Bosnien oder vom Amselfeld haben, andere lieben gerade dieses Genre beim
Eurovision Song Contest. Mir persönlich gibt ein "Neka mi ne svane"
auch mehr als Plastikpop á la "Celebrate" von Daria Kinzer aus Kroatien, solange es
gut gemacht ist. Den bisher letzten typischen Balkanfetzen lieferte Bosnien bei seinem Comeback in Stockholm. Deen, der zuvor auch nur mit Uptempo-Musik auffiel, krallte sich Dalal und sang den Liebessong "Ljubav je", dessen Performance allerdings eher auf die Zustände in Idomeni anspielte. Abschließend bleibt zu sagen, dass die Staaten Jugoslawiens in
ihren Beiträgen häufig ihre eigene Geschichte aufarbeiten und dabei große Stars
entsenden. Wenn diese Musik irgendwo eine Daseinsberechtigung hat, dann doch
wohl beim Eurovision Song Contest.
Poll: Und damit steht das Votingfenster für die nächste Woche
offen. Zur Auswahl stehen in dieser Woche die Themen "Oh Tannenbaum", "Gameboy",
"Quattro
Stagioni", "Vintage Week", "Back in USSR", "Bonsoir
l'Europe" und "Einhundert". Viel Spaß beim Abstimmen!
Zur Abstimmung für das erste Cocktail-Posting geht es hier entlang.
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