Donnerstag, 15. Januar 2015

Kommentar: Musikalische Zeichen aus Tunesien


Tunesien - 2008 verkaufte die EBU die Rechte am Format eines "Song Contests", damals war im asiatisch-pazifischen Raum ein vergleichbarer Wettbewerb geplant, der in dieser Form nie umgesetzt wurde. Auch in die arabischsprachige Welt wurde das Konzept verkauft, die dortige Nibras Media Ltd. wollte im Orient den kulturellen Austausch zwischen den Völkern und Nationen fördern. Die Politik wusste dies offenbar zu verhindern.

Anfang des neuen Jahrzehnts begann die Revolution in Tunesien, mit glücklichem Ausgang. Das Land ist auf einem langen Weg der Demokratisierung angelangt und macht kleine aber positive Fortschritte, andere Nationen wie Libyen oder Ägypten sind davon weiter entfernt. Die politischen Umstürze, z.B. auch der Bürgerkrieg in Syrien oder im Irak verhinderten die Umsetzung einer "Arabian Vision", so der damalige Arbeitstitel.

Teilnahmeberechtigt gewesen wären nach Angaben der Organisation sämtliche Nationen der Arabischen Liga, von Marokko und Mauretanien bis zu den Komoren und der Arabischen Halbinsel. Die Realisierung dieses Wettbewerbs in den nächsten Jahren dürfte zweifelhaft sein, auch wenn einige Rundfunkanstalten der Region damals Interesse anmeldeten. Dies ist lange her, seitdem hat sich viel getan.

Das angesprochene Tunesien, das 1977 bereits auf dem Weg war, als erstes afrikanisches und arabisches Land am Wettbewerb teilzunehmen, verzichtete einst trotz Zulosung der Startnummer vier auf die Teilnahme, da auch Israel gemeldet war und man aus Solidarität zu den arabischen Bruderländern nicht im gleichen Wettbewerb teilnehmen wollte. Konsequenzen hatte die Anmeldung damals nicht, gradlinige Strafen gibt es erst seit den 2000ern für einen Boykott. Inzwischen hat sie die Lage zwischen beiden Ländern entspannt, "Wir sind offen für alle Besucher.", erklärte Tunesiens Tourismusminister Amel Karboul.

Auch auf diplomatischer Ebene haben sich die Verhältnisse Israels zu den Maghreb-Staaten verbessert. Somit dürfte einer Teilnahme Tunesiens an der Eurovision faktisch nichts im Wege stehen, ähnliches gilt für Marokko. Gerüchte um das Comeback Marokkos machen alljährlich die Runde, jedoch wurden diese nie bestätigt, das Staatsfernsehen hat für die Eurovision keinen Platz im Programm, einen anderen EBU-Mitgliedssender gibt es nicht.

Tunesien reagierte bislang auch nie auf die Einladungen der Europäischen Rundfunkunion. Der Sender Établissement de la Radiodiffusion-Télévision Tunisienne (ERTT) besteht aus zwei Hauptsendern und einem separaten Radioprogrammdienst, der in arabischer und französischer Sprache sendet. Er zählt sogar zu den Gründungsmitgliedern der Europäischen Rundfunkunion. 1977 reichte er die Bewerbungsunterlagen ein, seitdem verliefen sich die Spuren Tunesiens im Sand der Sahara...

2008 sagte ERTT gegenüber ESCtoday.com offiziell die Teilnahme in Belgrad ab. Seither ließ sich das tunesische Fernsehen zu keinem Statement mehr bewegen. Auch die Umstrukturierung der politischen Kanäle dürfte die Zusammenarbeit mit der EBU auf eine neue Probe gestellt haben. Dabei hätten Tunesien oder auch Algerien durchaus musikalisches Potenzial. Eine Vielzahl nordafrikanischer Musiker leben und arbeiten beispielsweise in der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich. Algerien bietet mit Raï einen interessanten und populären Musikstil, zu dessen erfolgreichsten Künstlern u.a. Cheb Khaled ("C'est la vie", siehe Bild) gehört.

Die politischen Umbrüche in der arabischen Welt haben nicht nur das Modell der "Arabian Vision" verworfen sondern auch mögliche Versuche eines Debüts beim Song Contest in weite Ferne gerückt. Generell hätten Marokko, Tunesien, Algerien, Ägypten und der Libanon, ja sogar Libyen und Jordanien die Möglichkeit sich anzumelden, da sie über EBU-Mitglieder verfügen.

Das syrische Fernsehen Organisme de la Radio-Télévision Arabe Syrienne (ORTAS) könnte sich ebenfalls auf Vollmitgliedschaft bewerben, ist jedoch bisher nur assoziierter Partner. Die geopolitischen Grenzen der EBU reichen sogar in Teile des Iraks und Saudi-Arabiens. In diesen Ländern gibt es aber derzeit wesentlich andere Dinge in den Griff zu bekommen, als eine Teilnahme am Song Contest.

Nur die Zeit und die politische Entwicklung wird zeigen, ob sich ein arabischsprachiges Land in Zukunft zum Eurovision Song Contest traut. Am wahrscheinlichster Debütant dürfte tatsächlich Tunesien gelten, ein auch bei Deutschen sehr beliebtes Urlaubsland, das von Douz bis Djerba nicht nur schöne Strände und Wüstenoasen bietet, sondern auch eine junge und moderne Musikszene bietet, die natürlich, ähnlich wie z.B. die armenische Musikszene über traditionelle Elemente verfügt und für mitteleuropäische Ohren sehr exotisch klingen mag, aber durchaus eine Bereicherung für die Eurovision wäre, die seit 2008 auf neue Mitglieder wartet, als hinter dem Kaspischen Meer Schluss mit der Expansion war.

Auch im 60. Jahr des Eurovision Song Contests wird es kein arabisches Debüt geben, "Tunis calling" wird ausbleiben. Selbst wenn sich das Staatsfernsehen Tunesiens oder irgendeines anderen Landes für die Teilnahme entscheidet, bleibt abzuwarten, wie groß die Resonanz der Bevölkerung ist. Der Süden der Maghreb-Staaten besteht aus unfruchtbaren Wüstenregionen, die Menschen leben teilweise in Höhlenwohnungen, Telefon- und Stromleitungen sind übersichtlich in diesen Regionen, von TV-Anschlüssen ganz zu schweigen. Ein Song Contest würde hier vielleicht nie ankommen.